Am
ersten Tag des dritten Monats nach dem Auszug der Israeliten aus
Ägyptenland, genau auf den Tag, kamen sie in die Wüste Sinai. Denn
sie waren ausgezogen von Refidim und kamen in die Wüste Sinai und
lagerten sich dort in der Wüste gegenüber dem Berge.
Und Mose stieg hinauf zu Gott. Und der HERR rief ihm vom Berge zu und sprach: „So sollst du sagen zu dem Haus Jakob und den Israeliten verkündigen: 'Ihr habt gesehen, was ich mit den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht. Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein.' Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst.“
Und Mose stieg hinauf zu Gott. Und der HERR rief ihm vom Berge zu und sprach: „So sollst du sagen zu dem Haus Jakob und den Israeliten verkündigen: 'Ihr habt gesehen, was ich mit den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht. Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein.' Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst.“
2. Mose (Exodus) 19, 1-6
Liebe Gemeinde,
schon allein die Ortsnamen lassen
unseren Abschnitt ganz aktuell erscheinen: Israel, Ägypten, Sinai.
Wovon hier erzählt wird, ist weit über 3000 Jahre her. Aber die
Orte und die Akteure gibt es immer noch: Israel und Ägypten haben
eine Grenze am Sinai. In der Nähe sind erst vor wenigen Tagen
Menschen erschossen worden: Insassen eines israelischen Busses. Dann
auch palästinensische Terroristen und ägyptische Soldaten. Israel
und Ägypten – Nachbarn, die einen brüchigen Frieden
aufrechtzuerhalten suchen. Israel, ein Land, ein Staat, dessen
Identität und dessen Existenz immer wieder angezweifelt, angegriffen
wird. Ägypten, ein Land, eine Gesellschaft im politischen und
gesellschaftlichen Umbruch. Was der bringen wird, ist noch lange
nicht ausgemacht. Erst recht nicht, was er für Israel bringen wird.
Wird der brüchige Frieden halten? Wird die Moslembruderschaft an
Macht gewinnen, oder gar die Macht gewinnen, deren terroristische
Brüder von der Hamas im Gaza-Streifen regieren?
Israel und Ägypten – eine
uralte Geschichte. Eine Geschichte, die nie von Zuneigung geprägt
war. Die Israeliten waren Sklaven in Ägypten, und wurden auf
wunderbare Weise in die Freiheit geführt: durch Todesgefahr, durch
Meerestiefen – und doch wunderbar und sicher: wie auf Adlerflügeln
– so steht es in unserem Text. Das ist die Gründungslegende des
alten Israels. Das kleine Israel, gerettet und befreit aus den Händen
des mächtigen Ägyptens. Gerettet und befreit durch die noch
mächtigere Hand ihres Gottes.
Zwischen Ägypten und Israel –
der Sinai. Karges Land, Wüste, Gebirge. Hier lernt Israel seinen
Gott kennen. Hier hatte er sich dem Mose in einem brennenden
Dornbusch offenbart. Hier hatte er sich mit Namen und Adresse
vorgestellt: Jahwe – Ich bin, der ich sein werde – Ich bin,
der für euch da ist. Ich bin der Gott eurer Väter, Abrahams,
Isaaks, Jakobs. Ich bin der Gott eurer Befreiung. Ich bin der Gott
eurer Vergangenheit und eurer Zukunft.
Zwischen Vergangenheit und
Zukunft, zwischen Ägypten und dem gelobten Land stehen die
Israeliten wieder am Sinai. Hier schließt Gott seinen Bund mit
seinem Volk. Hier gibt Gott seine Gebote und seine Verheißung.
So, wie seine Gebote gelten bis
heute und bis ans Ende der Tage, so gilt auch seine Verheißung bis
heute und bis ans Ende der Tage, so gilt auch sein Bund mit Israel
bis heute und bis ans Ende der Tage.
Zwischen Ägypten und dem
gelobten Land, dem künftigen Eretz Israel, lernt Israel seinen Gott
kennen. Auf einem Weg der Entbehrungen, der Widerstände, aber auch
der Wunder und Offenbarungen. Dort, auf dieser Wüstenhalbinsel,
dort, an diesem Berg, scheint er zu Hause zu sein, Jahwe, der Gott
Israels.
Aber er bleibt nicht dort in der
Wüste, sondern er macht sich auf den Weg, geht mit mit seinem Volk,
zuerst als Wolken- und Feuersäule, die den Weg weist, und dann zieht
er mit der Bundeslade und dem heiligen Zelt, der Stiftshütte, mit.
Er hat sich an sein Volk gebunden, er hat sich an die Gebote
gebunden, die er ihm gegeben hat, er hat sich an die Verheißungen gebunden, die er ihm gegeben hat. Der Sinai ist für
das Volk Israel, für die Juden und zuletzt für den modernen Staat
Israel nicht mehr interessant. Nur dass von dort keine Gefahr für
Israel ausgehen soll, war und ist wichtig.
Gott ist nicht an einem
bestimmten Ort. Gott ist dort, wo sein Volk ist, seine Menschen, mit
denen er sich verbündet hat.
Auf noch mal neue und dramatische
Weise muss das Volk Israel das erfahren, als sein eigenständiges
Staatswesen zerstört, seine Menschen verschleppt und zerstreut,
Gottes Tempel geschleift wird. In der babylonischen Verbannung ist
ein großer Teil der biblischen Schriften entstanden, haben Priester
und Propheten die Geschichte ihres Volkes aufgeschrieben. Gott war
nicht im fernen Jerusalem zurückgeblieben, sondern er war bei seinen
Menschen, bei seinem Volk. Er hat es gezeigt und bewiesen: Ihr
sollt mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist
mein. Überall auf der ganzen Erde können sie auf seine Stimme
hören, seinen Bund halten, das Volk seines Eigentums sein.
Ein zweites Mal wurde der Tempel
zerstört, Jerusalem geplündert und die Juden, die Nachkommen des
alten Israels unter die Völker zerstreut. Christen haben das so
verstanden, als hätte Gott sich von seinem Volk abgewandt, weil die
Juden Jesus nicht als Messias angenommen haben. – Aber ist nicht
die Geschichte dieses Volkes über Jahrhunderte und Jahrtausende der
Zerstreuung, der Benachteiligung, der Verfolgung bis hin zum Versuch
der systematischen Ausrottung, ist diese Geschichte nicht am Ende
viel mehr eine Geschichte der erstaunlichen Treue Gottes? – Während
Völker, Kulturen und Imperien gekommen und gegangen sind, ist Gottes
Volk geblieben. Und das nicht deshalb, weil Juden irgendwie besser,
schlauer, dümmer, sozialer, gerissener, eigennütziger oder was auch
immer sind, sondern weil sie sich immer wieder an Gottes Gebote und Verheißungn, an seinen Bund gehalten haben – die Kultur jüdischer Schriftauslegung
ist unvergleichlich. Mehr aber noch, weil Gott ihnen die Treue
gehalten hat. Und es ist eben keineswegs abwegig, in der
Wiedererstehung des Staates Israel im 20. Jahrhundert ein Zeichen der
Treue Gottes zu sehen.
Es ist keineswegs abwegig, sich
von Theorien zu distanzieren und zu verabschieden, nach denen die
Kirche Israel als Gottesvolk abgelöst hätte. Sicher: so wie wir das
in vielen Lieder und Gebeten ausdrücken, so dürfen wir uns um Jesu
willen auch als Gottes Volk bezeichnen, dürfen davon sprechen, dass
Gott einen neuen Bund geschlossen hat, zu dem auch Nichtjuden Zugang
haben. Aber eben so wenig dürfen wir damit den alten Bund Gottes mit
seinem zuerst erwählten Volk als beendet ansehen. Für uns ist die
Geschichte Israels Vorgeschichte der Jesus-Christus-Geschichte. Für
das Judentum, für Israel geht seine Geschichte mit dem Gott der
Väter, dem Gott der Befreiung, dem Gott der Verheißung weiter, mit
dem Gott, der für uns der Gott Jesu Christi ist. Denn Gottes
Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen, schreibt Paulus im
Römerbrief im Blick auf sein Volk Israel.
Es ist keineswegs abwegig, dass
wir als Christen an der Seite Israels und der Juden stehen. Und das
auch politisch. Manche meinen, das moderne Israel wäre mächtig und
stark und würde mit überzogener Gewalt gegen seine Gegner vorgehen.
Tatsache ist, dass Israel heute ein schmaler Küstenstreifen ist, der
auf der einen Seite vom Meer und von den anderen Seiten mehr oder
weniger von Feinden umgeben ist. Tatsache ist, dass Israel fast
täglich Angriffen aus einem Gebiet ausgesetzt ist, dass es zuvor
freiwillig geräumt hatte. Tatsache ist, dass Israel in der
internationalen Politik kaum Freunde hat; selbst die USA sind unter
Präsident Obama zunehmend auf Distanz gegangen. Tatsache ist aber
doch auch, dass Israel der einzige demokratische Rechtsstaat in der Region ist. Tatsache ist, dass hier nicht nur Juden,
sondern auch Christen und Muslime unbehelligt ihren Glauben leben
können, was man von den Nachbarländern nicht gerade sagen kann. Und
Tatsache ist, dass Israel zum ersten Mal seit über 2000 Jahren wieder ein jüdischer
Staat ist, eine Heimstatt für dieses Volk, das über Jahrhunderte
und Jahrtausende hinweg zerstreut, benachteiligt, verfolgt und
auszurotten versucht worden ist. Und während seine Feinde Israel
bombardieren und offen davon sprechen, die Juden ins Meer zu treiben
– was ja genau dasselbe ist, was die Ägypter damals schon mit den
Israeliten anstellen wollten –, währenddessen stellen sich in
Deutschland und anderswo Menschen hin und bezeichnen Israel als
rassistisch und sprechen dem jüdischen Staat das Existenzrecht ab.
Es gibt eine Art von Israelkritik, die vom schlechten alten
Antisemitismus kaum noch zu unterscheiden ist.
Wir merken: dieses Predigtwort
kommt uns nicht nur durch die bekannten Ortsnamen nahe. Es kommt uns
nahe, weil es die Treue Gottes für dieses Volk verspricht, das noch
heute wie seit über 3000 Jahren in seiner Existenz bedroht ist. Es
kommt uns nahe, weil unsere Geschichte als Gottesvolk des neuen
Bundes aufs Engste mit der Geschichte des Gottesvolkes das alten
Bundes zusammenhängt.
Wenn wir wieder in den
Nachrichten von Israel, von Ägypten, vom Sinai oder von anderen
biblischen Orten hören, dann lasst uns wohlwollend an Gottes Volk
denken und ihm mit unseren Gebeten nahe sein. Amen.
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