Sonntag, 12. Juli 2015

Predigt am 12. Juli 2015 (6. Sonntag nach Trinitatis)

Die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Matthäus 28, 16-20

Jünger werden – Jünger bleiben – Jünger machen.
Was für ein schönes Thema!
Wir wollen doch alle gern Jünger sein.
Jünger Jesu natürlich.
Jünger – was für ein schönes Wort!
Dabei gibt es in der Kirche nicht nur Jünger, sondern auch Ältere – Älteste.
Aber das wollen nicht mehr so viele sein.
Weil das mit Arbeit verbunden ist.
Und mit Verantwortung.
Jünger sein aber auch.
Und nur Jünger können Älteste werden.
Und bleiben doch Jünger.
Jesus beruft Jünger.
Keine Ältesten.
Und er sagt ihnen: Macht Jünger.
Macht die Menschen, macht die Völker zu Jüngern.
Nicht zu Ältesten.
Irgendwann muss sich da ein Missverständnis eingeschlichen haben:
Als es Älteste in der Gemeinde gab, und die sich was darauf zugute hielten, dass sie von den Aposteln mit Segen und Handauflegung zu Ältesten gemacht worden waren.
Und als sich diese Ältesten dann Aufseher nannten über die anderen Jünger: Aufseher, griechisch: episkopoi – Bischöfe.
Und nur diese Bischöfe, die von den Aposteln eingesetzt waren, die durften dann auch wieder neue Bischöfe einsetzen oder zu Priestern weihen.
Irgendwann nannten sie das Apostolische Sukzession – Nachfolge der Apostel könnte man das übersetzen.
Bis heute spielt das in der katholischen Kirche eine wichtige Rolle: dass die Bischöfe und Priester in apostolischer Sukzession geweiht sind.
Einer hat dem anderen die apostolische Berufung weitergegeben.
Und so führen die meisten Bischöfe ihre Berufung in direkter Linie auf Petrus zurück.
(Und selbst die lutherische Kirche in Schweden ist stolz darauf, dass ihre Bischöfe und Pfarrer in der apostolischen Sukzession stehen.)
Die Kirche, so glaubt man, steht durch das geistliche Amt in der direkten Nachfolge der Apostel.
Und wir Evangelischen leider nicht so richtig, weil die Sukzessionslinie in der Reformation unterbrochen wurde und Luther so frech war, Bischöfe zu weihen, ohne selber Bischof zu sein (nur in Schweden gab es Bischöfe, die selber Lutheraner wurden).
Ja, das ist eines der Probleme, die immer noch trennend zwischen evangelischer und katholischer Kirche stehen.
Was ist wichtiger: Nachfolge der Apostel oder Nachfolge Jesu?
Jesus hat jedenfalls nicht gesagt: Macht einige wenige zu Ältesten, zu Bischöfen oder Priestern.
Sondern er hat gesagt: Macht alle zu Jüngern!
*
Denen, die schon Jünger waren, hat er das gesagt.
Er hatte sie zu Jüngern gemacht.
Und er hatte sie auch jünger gemacht.
Sie, die schon dabei waren, alt zu werden.
Die sich eingerichtet hatten in ihren Fischerhütten und Zollstationen.
Die hatte er aus dem Altwerden herausgerufen.
Und wie junge Abenteurer sind sie mit Jesus durch die Gegend getrampt.
Jünger – das bedeutet eigentlich: Schüler oder Lehrling.
Darum nennen sie Jesus auch ihren Lehrer oder ihren Meister.
Jesu Jünger, das sind seine Lehrlinge; das sind seine Schüler.
Sie sind jung und noch nicht fertig wie die Alten.
Die Alten wissen alles, können alles, sind reif und mit Erfahrung gesättigt.
Die wissen, wie der Hase läuft.
Denen macht keiner mehr was vor.
Jünger lernen dazu.
Sie sind unvollkommen.
Unvollendet.
Wissen oft nicht, wo es lang geht.
Fragen und zweifeln.
Kehren immer wieder zu ihrem Meister zurück, weil sie wissen: Ohne ihn können sie nichts tun.
Und lernen von ihm.
*
Als Jesu Jünger mit ihm auf dem Berg stehen - zum letzten Mal –, da sind sie noch lange nicht fertig mit ihm.
Fix und fertig, höchstens:
Nach all dem, was sie erlebt haben:
Einer von ihnen tot; sie sind nur noch elf.
Und ihr Meister tot, und kurz darauf: ihr Meister lebt.
Was sollen sie davon halten?
Was können sie glauben?
Was sollen sie tun?
Was dürfen sie hoffen?
Sie zweifeln.
An sich.
An ihm.
Kleingläubige, wie eh und je.
So hatte er sie ja immer mal wieder genannt.
Jünger bleiben Jünger.
Schüler, Lehrlinge, Kleingläubige.
Sie lernen nicht aus.
Sie werden keine Meister.
Einer ist euer Meister!
Ihr bleibt seine Jünger.
*
Als Jesu Jünger mit ihm auf dem Berg stehen, bekommen sie einen Auftrag.
Einen Auftrag, der nicht nur diesen ersten Elf gilt,
sondern allen, die jemals seine Jünger sein werden.
Der Auftrag heißt: Macht Jünger!
Macht andere Menschen zu meinen Schülern und Lehrlingen!, das sagt Jesus.
Macht sie nicht zu vollkommenen Menschen!
Macht sie nicht zu guten Christen!
Macht sie nicht zu Bischöfen, Pfarrern und Kirchenfunktionären!
Das alles ist nicht euer Auftrag.
Macht sie zu Jüngern!
Zu Leuten, die fragen und zweifeln und kleinglauben.
Zu Leuten, die von mir lernen.
Jünger machen – wie geht das?, höre ich sie fragen.
Höre ich euch fragen.
Tauft sie, sagt Jesus, und lehrt sie halten, was ich euch geboten habe.
Macht sie nicht zu euren Jüngern, nicht zu euren Schülern.
Und macht euch nicht selbst zu ihren Lehrern.
Führt sie zu mir.
Macht sie zu meinen Schülern.
Zu euren Mitschülern.
Tauft sie!
Mit der Taufe fängt das Lehrer-Schüler-Verhältnis mit Jesus an.
Manche meinen, die Taufe wäre so was wie ein Abschluss - mittlere Reife oder so; wenn ich gläubig genug geworden bin, dann bekenne ich mich in der Taufe zu Jesus.
Ich halte das für ein Missverständnis.
Und unsere Kirche weist das mit gutem Grund als Irrlehre zurück.
Eben darum, weil ich immer nur Schüler Jesu sein kann, weil ich immer unvollkommen und unfertig bin,
weil ich immer auf Gnade angewiesen sein werde,
darum steht die Taufe am Anfang:
Jesus nimmt mich als seinen Jünger, seinen Schüler, seinen Lehrling an.
Gott der Vater liebt mich als sein Kind - bedingunglos.
Der Heilige Geist lässt mich im Glauben wachsen – von Klein auf.
Tauft sie und lehrt sie halten, was ich euch geboten habe!
Sollen wir also doch selber Lehrer werden?
Naja, nicht solche Lehrer, die ihnen alles erklären, weil sie alles besser wissen.
Wenn, dann solche Lehrer, die ihnen zeigen, wo sie was lernen können.
Genau genommen nur hilfsbereite Mitschüler.
Unser gemeinsamser Oberlehrer ist Jesus.
Was er geboten hat, sollen wir halten.
Also halten wir uns gemeinsam an ihn.
Halten uns an seinen Worten fest.
Buchstabieren sie nach.
Sagen uns gegenseitig, was sie uns sagen.
Was wir verstanden haben, was nicht.
Was wir glauben, wo wir zweifeln.
Und wir hören nicht auf damit.
Seit fast zweitausend Jahren halten wir uns an Jesu Worte, an Jesu Taten, an Jesu Leben.
Und seit fast zweitausend Jahren ist er bei uns.
Unser Glaubens-Meister, unser Lebens-Lehrer.
Und wir werden Jünger.
Bleiben Jünger.
Machen Jünger.
Lange habe ich geglaubt, das sei etwas sehr Schwieriges und Anspruchsvolles: Jesu Jünger sein.
Heute merke ich: Es ist etwas ganz Einfaches.
Ich bin in Jesu Schulklasse aufgenommen.
Und da lerne ich von ihm.
Gemeinsam mit anderen.
Mit euch allen.
Ob als Klassenbester oder als Sitzenbleiber.
Lebenslang, ohne je den Abschluss zu schaffen.
Bis er sagt: Es ist genug.

Lerngemeinschaft Jesu mit euch allen und der ganzen Christenheit auf Erden – heilige christliche Kirche.

Sonntag, 5. Juli 2015

Zündfunke (Rundfunkandacht) am 5. Juli 2015

Guten Morgen, liebe Hörer,
heute möchte ich Ihnen noch eine Frau aus der Bibel vorstellen. Eine ganz besondere. Sie heißt Chokhma. Bekannter ist sie unter ihrem griechischen Namen Sophia. Kirchen sind nach ihr benannt. Und eine osteueropäische Hauptstadt. Chokhma – Sophia – die Weisheit.
Ja, die Weisheit ist weiblich, und in der Bibel begegnet sie uns als Frau, die durch die Straßen geht und die Menschen, die Männer zu sich einlädt: „Kommt zu mir; ich gebe euch Verstand und Macht, Reichtum und Ehre, Recht und Gerechtigkeit.“ Man könnte meinen, sie ruft wie eine Marktschreierin und keiner hört auf sie. Sie lockt wie eine Verführerin und keiner geht mit ihr. Macht und Reichtum und Ehre wollen sie alle, aber auf Weisheit sind sie nicht so scharf.
„Werdet meine Liebhaber!“, ruft sie. „Und bedenkt: der erste, der mich hatte vor allen anderen, das war der Ewige, Gott selber. Bevor die Erde geschaffen wurde und das Meer, bevor das Universum wurde, war ich bei Gott, habe ihn bezaubert und geliebt und inspiriert. Die ganze Schöpfung, die Bahnen der Sterne, der Zug der Vögel, die Wege der Menschen – sie spiegeln es wieder, wie ich, die Weisheit, vor Gott getanzt habe und wie er mich geliebt hat. Darum kommt zu mir, sucht mich, findet mich, werdet meine Liebhaber! Lasst euch inspirieren! Werdet schöpferisch und werdet klug! Entdeckt die Weisheit in den Wundern der Schöpfung! Erkundet die Weisheit in den Erfahrungen der Alten! Findet die Weisheit in den Worten des Ewigen!“
Die Weisheit ist weiblich. Ihre Jünger und ihre Lehrer waren meistens männlich. Der bekannteste von ihnen hieß Jesus. Er kannte Frau Weisheit besser als jeder andere – sozusagen von Ewigkeit her. Manche fragen sich, warum Jesus keine Frau hatte; ich vermute, dass er mit Chokhma-Sophia verheiratet war, der heiligen Frau Weisheit.

Kommt, lasst uns mit ihm zusammen uns von ihr bezaubern und inspirieren lassen!

Samstag, 4. Juli 2015

Zündfunke (Rundfunkandacht) am 4. Juli 2015

Guten Morgen, liebe Hörer,
Eva, Lea und Rahel, Tamar und Ruth – was haben diese Frauen, über die ich die letzten Tage gesprochen habe, gemeinsam? Nun, es sind außergewöhnliche Frauen, meistens Frauen, die sich was trauen. Und es sind Vorfahren von Jesus (also Lea, nicht Rahel). Zwei von ihnen stehen sogar namentlich im Stammbaum Jesu, nachzulesen in Matthäus 1: Tamar und Ruth; außerdem werden da noch genannt: Rahab, eine ausländische Hure und Verräterin, und Bathseba, deren ersten Mann König David hatte umbringen lassen. Alles Frauen mit einer etwas fragwürdige und anrüchigen Geschichte. Das ist der Background, aus dem Jesus kommt: Nicht die besten und feinsten und vornehmsten Leute, sondern Prostituierte, Ausländerinnen, Sünderinnen. Und doch gerade: besonders starke und mutige Frauen.
Und dann steht da noch ein Frauenname im Stammbaum Jesu: Maria, seine Mutter. Wir kennen sie als zart und rein, ewige Jungfrau, unbefleckt von jeglicher Sünde. Aber hat sie nicht vielleicht mehr gemeinsam mit diesen anderen Frauen, als wir denken?
Als junges Mädchen wird sie schwanger; keiner weiß, von wem sie das Kind hat; und sie zieht das durch. Allein reist sie zu ihrer Verwandten, mehrere Tagereisen weit. Zusammen mit ihrem Verlobten gehen sie – sie hochschwanger – zur Volkszählung nach Bethlehem, auch mehrere Tagereisen weit. Sie bringt ihr Kind zur Welt in einem Viehstall. Und dann geht es weiter: ungeplante Flucht ins benachbarte Ausland, Lebensgefahr für das Kind. Und als das Kind dann groß ist, tanzt es aus der Reihe, nimmt keine Frau, hängt den Beruf an den Nagel und wird als Unruhestifter und Terrorverdächtiger hingerichtet. Maria hat ihm auf den Kopf zugesagt: „Du spinnst, komm nach Hause.“ Er hat nicht auf sie gehört. Dann steht sie bei ihm am Kreuz. Unendlich traurig, aber nicht gebrochen. Später in der jungen christlichen Gemeinde gehört sie mit den Aposteln zum Führungskreis der Gemeinde.

Maria – das ist nicht die “Jungfrau zart” aus dem Weihnachtslied, sondern eine echte Powerfrau. Sie und die vielen anderen Frauen der Bibel sind keine Vorbilder weiblicher Unterwürfigkeit und Bescheidenheit, sondern Vorbilder weiblichen Mutes und weiblicher Energie. Und Vorbilder im Gottvertrauen.

Freitag, 3. Juli 2015

Zündfunke (Rundfunkandacht) am 3. Juli 2015

Guten Morgen, liebe Hörer,
gestern habe ich Ihnen von Ruth erzählt, die ihre Schwiegermutter ins fremde Land begleitet hat. Am Ende wurde ihre Treue und ihr Mut belohnt.
Irgendwie müssen sie sich durchschlagen, dort in Bethlehem, der alten Heimat ihrer Schwiegermutter Noomi. So geht Ruth zur Erntezeit aufs Feld Ähren sammeln. Und fällt dem Besitzer, Boas mit Namen, auf. Der spricht sie freundlich an, lädt sie zum Pausenbrot ein und sorgt dafür, dass sie genug Ähren einsammeln kann.
Sie erzählt ihrer Schwiegermutter Noomi davon, und die weiß sogleich: „Boas, das ist ein Verwandter. Genau genommen ist er verpflichtet, dich zur Frau zu nehmen, um mir doch noch einen rechtmäßigen Enkel zu verschaffen.“ Denn das war damals das Schlimmste, wenn jemand ohne Nachkommen sterben musste (Ich habe vorgestern schon ein ähnliches Beispiel erzählt.) Und Noomi sagt zu Ruth: „Er hat ein Auge auf dich geworfen. Nutz das aus.“
Und so macht sich Ruth am Abend auf den Weg, und nachdem Boas und seine Freunde am Dreschplatz die erfolgreiche Ernte gefeiert haben und er sich in einer Ecke zur Ruhe gelegt hat, da legt sich Ruth heimlich zu ihm. Er wacht auf, und da ist eine Frau an seiner Seite. Sie sagt: „Heirate mich; du bist der Löser, du bist Noomis Verwandter, der dazu verpflichtet ist.“ Und Boas sagt: „Ja. Ja, aber: Da ist noch ein anderer, der wäre zuerst dran.“
Am nächsten Tag verhandeln die beiden, und der andere hätte zwar gerne das Grundstück, das Noomi noch von früher gehört; aber Ruth, will er nicht. So bekommt Boas beides: das Grundstück und die Frau. Ruth bekommt einen Mann, der sie liebt. Und Noomi bekommt einen rechtmäßigen Enkel. Ende gut, alles gut.
Freilich: Ruth hat voll auf Risiko gespielt, als sie des Nachts zu Boas hinging. Er hätte sie als Hure bloßstellen können. Und er hätte sich vor seiner Pflicht drücken können.

Ruth hat nicht abgewartet, dass der liebe Gott es schon irgendwie machen würde; sie hat selber getan, was sie konnte, und Gott hat ihren Mut belohnt.

Donnerstag, 2. Juli 2015

Zündfunke (Rundfunkandacht) am 2. Juli 2015

Guten Morgen, liebe Hörer,
Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.
Hin und wieder wählen Brautpaare diesen Vers als Trauspruch. Vor allem den ersten Teil: Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Es ist ja auch ein wunderbares Treuebekenntnis.
In der Bibel steht dieser Vers in dem kleinen Büchlein Ruth. Und die es sagt, ist eben jene Ruth, die dem Büchlein seinen Namen gegeben hat. Sie sagt das aber nicht als Treueversprechen zu einem Mann. Sie sagt es, nachdem ihr Mann schon gestorben ist, zu ihrer Schwiegermutter. Die lebt bei ihren Schwiegertöchtern in der Fremde, im Ausland. Dorthin war sie als junge Frau mit ihrem Mann ausgewandert. Aber nun ist sie alt geworden, der Mann ist schon tot, und ihre Söhne sind ebenfalls gestorben, und sie steht da ohne Kinder und ohne Enkel. Ihre Schwiegertöchter sind Ausländerinnen, von dort, wo sie jetzt lebt, und wissen auch nicht, wie sie ihre Schwiegermutter noch versorgen sollen. So beschließt sie, zurückzukehren in das Heimatland ihrer Jugend nach Bethlehem. Dort hat sie wenigstens noch ein Stück Landbesitz. Und vielleicht gibt es auch noch irgendjemanden, der ihr helfen kann.
Die Schwiegertöchter sagen: „Wir lassen dich nicht allein; wir kommen mit.“ Noomi, die Schwiegermutter, hält ihnen eine lange Rede, warum das nicht gut für sie ist: weil sie dort niemanden haben, und sie ihr auch keine Enkel mehr verschaffen können, die sie versorgen könnten; das wären dann anderer Leute Enkel, aber nicht ihre.
So entschließt sich die eine Schwiegertochter, Orpa, doch lieber zurückzubleiben. Die andere aber, Ruth, sagt die berühmten Worte: Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Sie lässt sich aufs Unbekannte ein. Sie weiß nicht, was sie für sich findet und was sie für ihre Schwiegermutter noch tun kann; aber sie lässt sie nicht allein.

Ruth ist eine starke, mutige und treue junge Frau. Und morgen erzähle ich Ihnen, wie die Geschichte von Ruth und Noomi weitergeht.

Mittwoch, 1. Juli 2015

Zündfunke (Rundfunkandacht) am 1. Juli 2015

Guten Morgen, liebe Hörer,
ich möchte Ihnen heute Tamar vorstellen. Tamar ist Witwe und kinderlos. Ihr Mann ist früh verstorben. Das ist schlimm, denn sie sollte ihrem Mann einen Nachkommen gebären. In der altisraelitischen Stammesgesellschaft war das elementar wichtig. Daran hing die Zukunft der Sippe und ihre eigene Zukunft.
Darum gab es damals die Pflicht für die nächsten Verwandten des Verstorbenen, die Ehe des Bruders fortzusetzen und ihm Kinder zu verschaffen. So muss nun der Bruder des Verstorbenen ran, Onan. Manche halten Onan für den Erfinder der Onanie. Aber eigentlich war das etwas anders: Er wollte keine Kinder, die nicht seine Kinder wären, sondern die seines Bruders. Darum „ließ er’s auf die Erde fallen und verderben“, so steht es da. Also eher der Erfinder des Coitus interruptus. Onan stirbt auch, und Tamar bleibt weiter kinderlos.
Nun wäre der jüngste Bruder ihres Mannes dran, aber der ist noch zu jung, und als er endlich erwachsen ist, will ihr Schwiegervater nichts davon wissen.
Dieser, ihr Schwiegervater heißt Juda, der Stammvater eines der bedeutendsten israelitischen Stämme. Als Tamar erfährt, dass er unterwegs ist in die Stadt, kleidet sie sich als Hure und setzt sich ans Stadttor. Juda, schon lange ohne Frau, geht zu der Hure am Stadttor, verspricht ihr als Preis einen Ziegenbock und lässt als Pfand sein persönliches Siegel und seinen Stab zurück. Als Juda den Ziegenbock schickt, um sein Pfand auszulösen, kennt keiner diese Hure, und er lässt die Sache auf sich beruhen.
Ein Vierteljahr später hört Juda: Deine Schwiegertochter Tamar ist schwanger. Sie hat Hurerei getrieben. Die Gesetze waren damals so hart, wie heute noch in manchen Teilen der islamischen Welt: Tamar sollte verbrannt werden. Da zeigt sie das Siegel und den Stab Judas vor: „Von dem Mann bin ich schwanger, dem das gehört.“ Und Juda muss bekennen: Sie ist gerechter als ich; denn ich wollte ihr meinen Sohn nicht geben.
Jetzt haben Tamar und ihr verstorbener Mann einen rechtmäßigen Sohn; so war das damals.

Tamar hat ihr Recht und das ihres verstorbenen Mannes durchgesetzt. Mit ungewöhnlichen Mitteln. Mit den Waffen einer Frau. Und mit hohem Risiko. Eine taffe Frau.