Sonntag, 24. Juni 2012

Predigt am 24. Juni 2012 (Gedenktag Johannes des Täufers)


Liebe Schwestern und Brüder,

der heutige Johannistag hat unterschiedlich stark ausgeprägte Traditionen. An vielen Orten werden Sonnenwendfeuer abgebrannt – so auch hierzulande am Vorabend des Día de San Juan, wie wir gestern Abend wieder gesehen oder gerochen haben. Bei uns in Sachsen begehen wir den Johannistag mit Abendandachten auf den Friedhöfen. Vielleicht hängt das mit der eigenartigen Melancholie der langen Frühsommerabende zusammen, wo wir doch daran denken müssen, dass von nun an die Tage wieder kürzer werden, die Zeit der Ernte, der Winter wieder näher rücken, und dass auch auf der Höhe des Lebens der Tod nicht so fern ist.

Der 24. Juni, der Johannistag steht im Jahreslauf dem Weihnachtsfest, das ja praktisch an der Wintersonnenwende liegt, gegenüber. Das hat auch seinen Grund in den Zeitangaben im Lukasevangelium: Sechs Monate, nachdem Elisabeth, die Mutter des Johannes schwanger geworden war, erscheint der Erzengel Gabriel bei Maria und kündigt ihr die Geburt Jesu an. Demnach ist Johannes ziemlich genau ein halbes Jahr älter als Jesus. Wenn nun der Geburtstag Jesu im Dezember begangen wird, dann der von Johannes im Juni.

Dazu kommt dieses wunderbare Wort, das Johannes über Jesus und über sich gesagt haben soll: Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen (Johannes 3, 30). Wie gut das doch zu den abnehmenden Tagen nach Johannis und den zunehmenden Tagen nach Weihnachten passt!

Ihr merkt: Die Geschichte von Johannes dem Täufer hängt ganz eng mit der Geschichte von Jesus zusammen. Johannes ist im Neuen Testament der unmittelbare Vorläufer von Jesus. Er tritt als Bußprediger auf, tauft die Menschen und kündigt ihnen an, dass das Reich Gottes nahe ist. Jesus kommt zu ihm, lässt sich von ihm taufen und beginnt dann selber zu verkündigen, dass das Reich Gottes nahe ist. Dass es ihnen dort ganz nahe ist, wo er selber, Jesus, da ist. Johannes verschwindet hinter Jesus. Er wird gefangen gesetzt, und aus dem Gefängnis heraus lässt er Jesus fragen, ob er denn nun der Richtige wäre, der Christus, der Messias, dessen Kommen Johannes selbst angekündigt hatte. Jesus lässt ihm antworten, man solle ihm sagen, was man hört und sieht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert (Matthäus 11, 5f). Bald darauf wird Johannes hingerichtet. Jesus wirkt weiter – bis auch er hingerichtet wird. – Später finden sich noch lange Spuren der Anhängerschaft von Johannes. Aber sie nehmen ab. Die Spuren des Wirkens Jesu nehmen zu. Seine Gemeinde, seine Kirche lebt.

Der Predigttext für den Johannistag in diesem Jahr steht im 1. Brief des Petrus im 1. Kapitel und hat direkt gar nicht so viel mit Johannes zu tun, aber mit Jesus und mit dem, worin wir mit Jesus weiter sind, als wir es mit Johannes wären.

Ihr habt Jesus Christus nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht; ihr werdet euch aber freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude, wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt, nämlich der Seelen Seligkeit.
Nach dieser Seligkeit haben gesucht und geforscht die Propheten, die von der Gnade geweissagt haben, die für euch bestimmt ist, und haben geforscht, auf welche und was für eine Zeit der Geist Christi deutete, der in ihnen war und zuvor bezeugt hat die Leiden, die über Christus kommen sollten, und die Herrlichkeit danach. Ihnen ist offenbart worden, dass sie nicht sich selbst, sondern euch dienen sollten mit dem, was euch nun verkündigt ist durch die, die euch das Evangelium verkündigt haben durch den Heiligen Geist, der vom Himmel gesandt ist, – was auch die Engel begehren zu schauen.
1. Petrus 1, 8-12

Johannes, liebe Schwestern und Brüder, war der Vorläufer Jesu. Wir sind die Nachläufer Jesu. Die Nachfolger Jesu.

Jesus hatte viele Vorläufer, Menschen, die sein Kommen erwartet, angekündigt, vorausgesagt hatten. Das waren vor allem die Propheten, die seit der Zeit Jesajas den Retter, den Messias, den Menschensohn erwartet hatten. In den Worten dieser Propheten fanden die Menschen ihre Hoffnung auf Erlösung, auf Befreiung, auf bessere Zeiten ausgedrückt. Und je schlechter die Zeiten wurden, um so größer die Erwartungen, dass Gott nun bald eingreifen würde und den Messias senden würde. In so einer schlechten Zeit, die voller Spannung auf Gottes Erlösung, auf Gottes Zeitenwende war, trat Johannes auf und sagte den Leuten: Tut Buße, ändert euer Leben, denn sonst kommt Gott für euch zum Gericht.

Mitten hinein in diese Erwartung kam Jesus, und er kam nicht zum Gericht, sondern zum Heil. So sehr war er Heiland, Heilsbringer, dass das erwartete Unheil und Gericht über Gottes Feinde ausblieb, und das machte es den Menschen schwer, an ihn zu glauben: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?, ließ Johannes ihn fragen (Matthäus 11, 3).

Das Gericht traf Jesus selbst, das Unheil zog er auf sich – und wendete es damit von den Menschen ab. – Das ist das Geheimnis seines Heils.

Und nun im Rückblick schreibt der Apostel Petrus – ich formuliere es mit meinen Worten:
Wisst ihr, wie gut ihr es habt? Gottes Heil, auf das Menschen jahrhundertelang gewartet haben, von dem die Propheten (bis hin zu Johannes) nur einen blassen Schimmer hatten, dieses, Gottes Heil ist zu euch gekommen. Es ist das Heil eurer Seelen, das euch durch Jesus Christus geschenkt ist!

Und wir, zweitausend Jahre später, wissen wir noch, wie gut wir es haben? – Wissen wir, was wir für einen Vorzug haben gegenüber denen, die Jesus Christus nicht kennen?

Ich könnte manchmal verzweifeln, wenn ich mitbekomme, wie wenig wert vielen heute unser eigener Glaube ist. Irgendwie erscheinen uns alle Religionen gleichwertig: Alle glauben an was Höheres, alle haben irgendwelche Weisheiten aufbewahrt. Aber das, was so einzigartig ist, worauf die Menschen gewartet und was sie ersehnt haben, das ist uns gleichgültig geworden: dass Gott uns erlöst, befreit, lebendig macht und uns das ewige Heil, der Seelen Seligkeit, wie es in Luthers Übersetzung so schön heißt, schenkt und dass er dafür persönlich als Mensch zu uns Menschen kommt und sich persönlich für uns aufopfert – mir scheint, es ist uns unwichtig und gleichgültig geworden.

Ich weiß nicht genau, warum das so ist. Vielleicht hat es damit zu tun, dass wir uns so daran gewöhnt haben, dass Gott lieb ist und nichts tut, so dass wir meinen bei den anderen müsste es auch so sein. Und dann wollen wir nicht sehen, wie den Moslems Gott ein Herrscher im Stil eines orientalischen Tyrannen ist, der Gehorsam und Unterwerfung will und seine Feinde notfalls auch mit der Gewalt seiner Anhänger unterwirft. Wir wollen nicht sehen, dass der angeblich so sanfte Buddhismus seinen Anhängern einen Weg harter Übungen abverlangt, auf dem sie eventuell mal nach vielen mühevollen Leben zur Erlösung kommen können. Wir wollen nicht sehen, dass die Natur- und Stammesreligionen vieler Völker geprägt ist von tiefer Angst vor Geistern und Dämonen, vor Hexerei und schwarzer Magie. Wir schämen uns unserer christlichen Missionsgeschichte und übersehen, wie dankbar diejenigen sind, die durch den christlichen Glauben von ihren alten, zerstörerischen und angstmachenden Religionen befreit wurden.

Und im Blick auf unsere eigene Religion vergessen wir, dass es Gott ernst ist mit uns, ernst ist mit seiner Liebe zu uns: so ernst, dass er von seinen ernsten Forderungen an uns absieht und sie stellvertretend für uns in Jesus erfüllt sein lässt: So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. (Johannes 3, 16) – Wahrscheinlich ist das der wichtigste Satz in der Bibel, die Zusammenfassung von allem. – Meine Konfirmanden mussten nicht viele Bibelworte lernen, aber diesen Satz wenigstens sollten sie auswendig kennen. – Das ist das, was Petrus hier Evangelium nennt. Das ist die gute Nachricht, die frohe und befreiende Botschaft, von der wir leben. Nach der sich die Menschheit gesehnt hat, wonach die Propheten geforscht haben und was, wie es hier heißt, sogar die Engel begehren zu schauen.

Alle waren und sind sie neugierig, wie die Geschichte Gottes mit den Menschen ausgehen würde. Und nun wissen wir: Sie geht gut aus. Unser Leben, unser Dasein hat ein Ziel: der Seelen Seligkeit.

Und wie kommen wir dahin? – Nicht durch Angst vor irgendwelchen Mächten und Gewalten, die wir milde stimmen müssten. Nicht durch die Unterwerfung unter Gesetze und Gebote. Nicht durch eigene Anstrengungen und gute Werke. – Wir kommen dahin, wenn wir es im Glauben entdecken, dass wir schon da sind.

Wirklich schon da sind? Schon im Himmel? Schon bei Gott? – Ja, schon bei Gott, weil Gott schon bei uns ist, seit er zu uns gekommen ist in Jesus Christus. – Und deshalb auch schon im Himmel, denn wo Gott ist, da ist der Himmel. Noch sehen wir es nicht, noch nicht ganz so wie es endgültig sein soll. Aber es ist nicht so, dass wir uns erst noch dahinbemühen müssten, wo wir es sehen werden. Es ist nur so, dass wir noch warten müssen, dass uns die Augen ganz und gar aufgetan werden für die Gegenwart Gottes, für den Himmel.

Wisst ihr, wie gut wie gut wir es haben?

Sonntag, 17. Juni 2012

Predigt am 17. Juni 2012 (2. Sonntag nach Trinitatis)

Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede! Denn wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht ihn, vielmehr redet er im Geist von Geheimnissen. Wer aber prophetisch redet, der redet den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung ...
Liebe Brüder, seid nicht Kinder, wenn es ums Verstehen geht; sondern seid Kinder, wenn es um Böses geht; im Verstehen aber seid vollkommen. Im Gesetz steht geschrieben (Jesaja 28, 11. 12): "Ich will in andern Zungen und mit andern Lippen reden zu diesem Volk, und sie werden mich auch so nicht hören, spricht der Herr." Darum ist die Zungenrede ein Zeichen nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen; die prophetische Rede aber ein Zeichen nicht für die Ungläubigen, sondern für die Gläubigen. Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen? Wenn sie aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, der würde von allen geprüft und von allen überführt; was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter euch ist.
1. Korinther 14, 1-3. 20-25


Liebe Schwestern und Brüder,

„Im Urlaub eure Gemeinde haben – das ist wie Urlaub im Urlaub“, sagte uns mal jemand. – Das tut gut, das baut auf.

„Ich habe bei der Bibellesung ganz genau zugehört und da ist mir etwas aufgefallen ...“ – Mit diesen Worten beginnt ein Gemeindeglied ein privates Gottesdienstnachgespräch mit dem Pfarrer, und wir merken: Er hat da etwas ganz Wichtiges für sich und seinen Glauben kapiert. – Das tut gut, das baut auf.

„Gottesdienst – das ist doch eigentlich auch ein Abenteuer, ein heiliges Abenteuer“, sagt der kleine Jonay, vier Jahre, der seit kurzem zu Andrea in den Kindergottesdienst auf La Gomera geht. Man spürt seine kindliche Begeisterung – sozusagen eine heilige Begeisterung. – Das tut gut, das baut auf.

„Herr Pfarrer, Ihre Worte waren genau für mich in meiner Situation bestimmt. Ich danke Ihnen.“ – So was zu hören – und hin und wieder habe ich so was gehört und viele meiner Pfarrkollegen ebenso, – das tut gut, das baut auf.

Und das ist es genau, warum wir Kirche sind, warum wir Gemeinde sind: Dass bei uns und durch uns Menschen aufgebaut werden. Dass sie in unseren Worten Gottes Wort hören und verstehen. Dass sie die heilige Begeisterung spüren, dass Gott da ist, mitten unter uns. Dass sie erfahren: Wir sind angenommen – als Menschen unter Menschen, als Schwestern und Brüder unter Mitchristen, als geliebte Kinder von unserem Gott.

Wie wird unsere Kirche, wie wird die christliche Gemeinde so: so auferbauend für Menschen, Christen, Gotteskinder?

Der Apostel Paulus schreibt: Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede!

Genau das ist es, was die Gemeinde aufbaut, was uns als Kirche erbaulich sein lässt – im besten Sinne: die Liebe, die Gaben des Geistes, das prophetische Wort.

Ich möchte euch zeigen, was damit gemeint sein könnte, wobei ich das größte Gewicht auf den letzten Punkt legen möchte, weil der Apostel das in unserem Abschnitt ebenfalls tut.

(1) Wir bauen einander auf durch die Liebe.

Wie zentral die Liebe ist, das hat Paulus in den Zeilen unmittelbar zuvor deutlich gemacht: da steht das so genannte Hohelied der Liebe, ein Bibeltext, der so bekannt und schön ist, dass er sicher auch manchem von euch vertraut ist:
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle … usw. Kurz: Ohne Liebe wären all unsere Worte, all unsere Taten, auch alle Gottesgaben an uns vergeblich, nutzlos, wertlos.
Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht … usw. Kurz: Die Liebe ist ganz beim Nächsten, beim anderen Menschen.
Und schließlich: Die Liebe hört niemals auf … Und wir kennen sicher auch den Schlussvers: Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen. Also: Die Liebe hat Ewigkeitswert, sie ist das Unvergängliche, das Absolute; alles andere ist relativ und vergänglich.

Und weil das so ist, weil die Liebe das Absolute ist, weil die Liebe ganz beim anderen Menschen ist, und weil ohne die Liebe alles andere umsonst ist, darum steht die Liebe auch in diesem nächsten Kapitel, wo es um den Gemeindeaufbau geht, an der ersten Stelle: Menschen und Gemeinschaften aufzubauen, das geht nur mit Liebe.

Die Liebe ist das umfassende Lebensprinzip der christlichen Gemeinde. Alle Gaben und Aufgaben in der Gemeinde, haupt- und ehrenamtliche Mitarbeit, das sind Teilaufgaben, die hängen von den Fähigkeiten, den Talenten der einzelnen ab. Aber was auch immer deine besondere Fähigkeit, deine Aufgabe, dein Platz in der Gemeinde sein mag: du sollst ihn mit Liebe ausfüllen.

Wie das konkret geschehen kann, dazu könnte ich noch viel sagen. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ihr dazu das meiste schon selber wisst. Darum belasse ich es für heute einfach bei dem Satz des Apostels: Strebt nach der Liebe!

(2) Wir bauen einander auf durch die Gaben des Geistes.

Pfingsten ist noch nicht lange her. Pfingsten hat uns daran erinnert, dass Gott uns seinen Geist gibt. Gott ist gegenwärtig in unseren Herzen und in unserem Miteinander durch den Heiligen Geist.

Wie zeigt sich das? – Die Christen in Korinth, an die Paulus schreibt, waren der Meinung: vor allem durch Geistesgaben, durch Charismen. Und so war die Gemeinde in Korinth, wenn man so will, die erste charismatische Gemeinde der Kirchengeschichte. Mit allen Problemen, die es in charismatischen Gemeinden bis heute gibt: Diskussionen, welche Geistesgaben am wichtigsten sind, Konkurrenz um die richtige Lehre und die richtigen Lehrer, manchmal chaotische Zustände in den Gottesdiensten und Versammlungen, aber auch viel Begeisterung und viel Beteiligung der einzelnen.

Eine Gefahr in charismatischen Gemeinden und Bewegungen ist, dass das Spektakuläre in den Vordergrund gestellt wird, das Außerordentliche, das Wunder. Da wirkt der Heilige Geist am stärksten, so meint man leicht, wo die ungewöhnlichsten Dinge passieren: Kranke geheilt werden, Menschen unter der angeblichen Kraft Gottes umfallen oder – das war damals wie auch heute mancherorten am verbreitetsten –, wo Menschen in Zungen reden, in unbekannten Sprachen, in unverständlichen Worten und Silben, die zwar keiner versteht, die aber den, der da spricht, glücklich machen.

Diese sonderbare Art zu reden oder zu beten muss nicht schlecht sein, sagt der Apostel. Und auch wir müssen das nicht von vornherein ablehnen, nur weil es uns fremd vorkommt. Nein, es ist ja wohl ein Ausdruck dessen, dass unsere gewöhnlichen Worte, unsere normale Sprache, unsere beschränkte Begrifflichkeit nicht ausreicht, die Größe und das Geheimnis Gottes auszudrücken und zu preisen. Zungenrede kann in der Tat ein Ausdruck von Begeisterung sein, ja, von heiliger Begeisterung. Sie kann, wie Paulus schreibt, auch wirklich auferbauend sein – aber eben nicht direkt für die Gemeinde, sondern für den einzelnen.

Wie zeigt sich Gottes Geist? – Nein, eben nicht in erster Linie durch das, was spektakulär ist. Gottes Geist zeigt sich in der Liebe – über die habe ich eben schon gesprochen – und er zeigt sich in Klarheit und Verständlichkeit – darüber werde ich gleich noch etwas sagen.

Die Gaben des Geistes, das sind gerade nicht nur so wundersame Dinge wie Zungenrede und Krankenheilung, sondern eben auch das rechte Wort zur rechten Zeit oder Zuhörenkönnen, die Fähigkeit, Menschen zu führen und eine Gemeinschaft zu leiten oder aber auch zu dienen und sich in eine Gemeinschaft einzufügen.

Bemüht euch um die Gaben des Geistes, schreibt Paulus. Wir können es auch so verstehen: Entdeckt und gebraucht Gottes Gaben, die in euch stecken, um einander in Liebe aufzubauen.

(3) Wir bauen einander auf durch das prophetische Wort.

Letzte Woche habe ich gesagt: Wir müssen uns als Kirchenleute nicht zu Propheten aufschwingen, sondern unsere Aufgabe ist es, Gottes Wort aus der Heiligen Schrift sorgfältig auszulegen. Nun ist aber doch von Paulus das prophetische Wort in der Gemeinde gefordert. Bemüht euch … um die Gabe der prophetischen Rede!

Was prophetische Rede ist und kann, wird aus dem Zusammenhang deutlich. Prophetische Rede hat immer mit Verstehen zu tun. Prophetische Rede ist es, wenn Menschen verstehen, was Gott sagen will, und wenn es Menschen gelingt, das für andere verständlich zu machen.

Der große Kummer des Apostels im Blick auf seine Korinther ist, dass sie das Unverständliche besser finden als das Verständliche. Sie sind begeistert von der unverständlichen Zungenrede, dabei bringt die doch keinen Gewinn für die Gemeinde. Dass Gott verständlich zu Wort komme, darum soll es gehen! Das baut die Gemeinde auf!

Das baut die Gemeinde auch dadurch auf, dass es Außenstehenden was bringt. Denn was geschieht, fragt Paulus, wenn ein Außenstehender zu euch in die Gemeinde, in den Gottesdienst kommt? Macht er auf der Schwelle kehrt, weil er nur unverständliches Zeug hört? Oder bleibt er gebannt auf der Schwelle stehen, weil die Worte, die er hört, ihn treffen, ihn ansprechen, ihn berühren, weil sie ihn mit der Wirklichkeit Gottes in Berührung bringen?

Und gerade da wird dieser Text für uns aktuell. Mit der Frage: Wie verständlich sind wir als christliche Gemeinde für andere? Wie geht es einem Menschen, der zum ersten Mal oder nach langer Zeit mal wieder in unseren Gottesdienst kommt? Hört und versteht er nur Bahnhof bzw. Phrasen und Formeln in der „Sprache Kanaans“, der altertümelnden Sprache christlich-frommer Tradition, die für ihn ja eine unbekannte Sprache ist? Oder hört und versteht er, dass er gemeint ist, dass es um sein Leben geht, darum dass Gott ihn berühren und verändern will?

Gewiss, wir halten ganz bewusst manche alten Formulierungen und sogar fremdsprachige Stücke in unserem Gottesdienst lebendig. Das hat gute Gründe:
Wir drücken damit aus, dass manche Worte unersetzbar sind, und dass wir sie sagen müssen, auch wenn sie außerhalb der Kirche kaum noch gebraucht werden: Worte wie Sünde und Gnade, wie Heiligkeit und Ewigkeit, wie Erbarmen oder Heil.
Wir drücken damit aus, dass wir es mit einer Wirklichkeit zu tun haben, die größer und weiter ist als die Wirklichkeit dieser Welt, und darum brauchen wir auch andere Worte als die, die wir für unseren Alltag in der Welt gebrauchen.
Und wir drücken damit auch aus, dass wir verbunden sind mit denen, die vor uns geglaubt haben und Worte für ihren Glauben gefunden haben: so singen wir auch ihre Lieder und sprechen auch ihre Gebete.
Das hat seinen guten Sinn, der sich auch erschließen kann, wenn wir an anderen Stellen ganz bewusst in verständlichen Worten reden.

Darin sehe ich ganz besonders meine Aufgabe als Prediger: Gottes Wort in verständlichen Worten weitersagen.

Es ist aber nicht allein meine Aufgabe. Es ist Aufgabe eines jeden Christen, seinen Glauben verständlich zu leben; auskunftsfähig zu sein über seinen Glauben. So sind wir manchmal sogar prophetische Boten des Gotteswortes. So bauen wir uns als Gemeinde auf. So sind wir einladend. So wecken wir Begeisterung.

Wenn wir von der Liebe bestimmt sind, wenn Gottes Geist uns begabt, wenn wir verstehen und verständlich werden, dann sind wir begeisternd, einladend, aufbauend. – Die Beispiele, die ich am Anfang gesagt habe, wo Menschen positiv auf unsere Worte, auf unsere Gottesdienste, auf unsere Art, als Gemeinde zu leben, reagieren, sie zeigen, wie das sein kann – wie das sein kann, wenn Gottes Geist unter uns wirkt. – Das tut gut, das baut auf.

Sonntag, 10. Juni 2012

Predigt am 10. Juni 2012 (1. Sonntag nach Trinitatis)

So spricht der HERR Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch; denn sie verkünden euch Gesichte aus ihrem eigenen Herzen und nicht aus dem Mund des HERRN. Sie sagen denen, die des HERRN Wort verachten: Es wird euch wohl gehen –, und allen, die nach ihrem verstockten Herzen wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen. Aber wer hat im Rat des HERRN gestanden, dass er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat sein Wort vernommen und gehört? Siehe, es wird ein Wetter des HERRN kommen voll Grimm und ein schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen niedergehen. Und des HERRN Zorn wird nicht ablassen, bis er tue und ausrichte, was er im Sinn hat; zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen.
Ich sandte die Propheten nicht, und doch laufen sie; ich redete nicht zu ihnen, und doch weissagen sie. Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren.
Bin ich denn nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe? spricht der HERR. Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt? spricht der HERR. 
Ich höre es wohl, was die Propheten reden, die Lüge weissagen in meinem Namen und sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt. Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weissagen und wollen, dass mein Volk meinen Namen vergesse über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt, wie auch ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal? Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen? spricht der HERR. Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?

Jeremia 23, 16-29





Liebe Schwestern und Brüder,

„Das war ein ganz cooler Gottesdienst. Die Pfarrerin hat genau gesagt, was ich denke.“ – Worte mit denen meine Frau von dem Gottesdienst erzählt hat, den wir am letzten Sonntag miterleben durften. – Ein cooler Gottesdienst also, weil die Pfarrerin sagt, was ich selber denke und empfinde. Da fühle ich mich aufgehoben, angenommen, bestärkt und bestätigt. Ja, so hätten wir es doch alle gern, oder? Die Pfarrerin oder der Pfarrer spricht uns aus dem Herzen, sagt, was wir selber denken, nur mit noch schöneren Worten. Und so gibt die Religion unserem Leben eine höhere Weihe.

Nur, wer sagt uns, dass das, was wir denken und empfinden, auch das ist, was Gott uns sagen will? Ist Gottes Wort eine verbale Kuschelmassage für unsere Seele? Oder ist Gottes Wort nicht viel mehr wie ein Feuer und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt? – Das jedenfalls sind die Worte unseres Predigttextes. Das sind die Worte des Propheten Jeremia. Das sind die Worte, die er als Gottes Wort verkündet.

Jeremia hat es schwer. Er würde auch gerne Wohlfühlpredigten halten, seinen Zuhörern Bestätigung geben und ihrem Leben religiöse Weihe verleihen. Aber er darf nicht. Jeremia hat einen anderen Auftrag von Gott. Er ist zum Unheilspropheten berufen. Zu einer Zeit, als es ausnahmsweise mal friedlich aussah und es den Menschen im Land Juda ziemlich gut ging, sollte er den Untergang ankündigen: Es wird nicht so bleiben. Wiegt euch nicht in falscher Sicherheit. Vertraut nicht auf die Politik der Regierenden; sie wird euch ins Verderben führen. – Damit stand er ziemlich allein da. – Es gab ja noch mehr Propheten und Priester, Zukunftsforscher und politische Analysten. Sie alle sagten etwas anderes. Das, was sich die Menschen wünschen: Alles wird immer besser. – Jeremia sagte das Gegenteil: Das Ende ist nahe.

Manchmal in der Bibel, gerade beim Propheten Jeremia, hat man den Eindruck: Der rechte Prophet, der wirklich den Willen Gottes sagt, das ist der Unheilsprophet. Wer den Menschen Gutes verkündigt, steht von vornherein im Verdacht, nur die Herzenswünsche der Menschen zu bedienen …

Aber ist es so? Wer Unheil und Untergang verkündigt hat Recht? Wer den Menschen die Seele streichelt, liegt verkehrt?

Heute scheint es manchmal fast schon umgekehrt zu sein: Pfarrer und Kirchenvertreter predigen Unheil und Untergang. So lange ich mich erinnern kann, wird immer alles noch schlimmer: Früher hatten wir lokale Umweltprobleme, weil ein Industriebetrieb zu viel Dreck ausgestoßen hat; heute ist die ganz große Katastrophe dank Klimawandel angesagt. Seit Jahrzehnten hören wir, wie die Schere zwischen Arm und Reich immer größer wird und wie Hunger, Elend und Krankheit in großen Teilen der Welt immer weiter zunehmen. Und natürlich ist das immer alles unsere Schuld. Den anderen geht es schlecht, weil es uns gut geht. Und wir sind es natürlich auch, die die eigenen Lebensgrundlagen zerstören. – Inzwischen gilt schon derjenige von vornherein als böse, der das infrage stellt: der böse Klimaleugner, der doch tatsächlich nicht nur behauptet, sondern wissenschaftlich begründet, dass der Klimawandel auch andere als menschengemachte Ursachen haben könnte; der böse Neoliberale, der doch tatsächlich glaubt, dass auch die Armen reicher werden, wenn die Reichen reicher werden … – Alles wird schlimmer, die hausgemachten Probleme der Menschen nehmen zu und führen in den Untergang – das ist die heutige Mainstreambotschaft, die sich auch die Kirchenleute zu eigen gemacht haben. – Aber sagen sie damit nicht einfach nur das, was sowieso alle denken – so wie zur Zeit Jeremias die falschen Propheten auch nur den Leuten nach dem Munde geredet haben? – Mir scheint, es ist ganz folgerichtig, dass sich die Menschen von der Kirche abwenden: Wozu muss ich dorthin gehen, wenn der Pfarrer mir das sagt, was ich ohnehin schon wusste, weil es die Leute von Greenpeace und von der Gewerkschaft genau so sagen?

Zur Zeit Jeremias mangelte es an Unheilspropheten, die den Menschen sagten, wie es wirklich um sie stand – aus Gottes Sicht. Fehlen uns heute die Heilspropheten?

Ach nein, die gibt es ja auch zur Genüge. Das ist die andere Seite des Mainstreams: die Seelenstreichler und Verkünder einer Wohlfühlspiritualität: Lass es dir gut gehen, dann geht es dir gut! Sei wie du bist! Folge deinem Herzen, höre auf deine Träume! Usw. Einen Gott, der etwas von dir fordert, einen Gott, der dich gar prüfen oder strafen könnte, den gibt es nicht – Gott bewahre!

Wisst ihr, was die modernen Unheils- und Heilspropheten miteinander verbindet? – Ihre Gottvergessenheit, ihre Gottlosigkeit. Ihr Maßstab ist immer nur der Mensch: Was der Mensch dem anderen und der ganzen Schöpfung Böses tun kann – so schafft er sich selber das Unheil; und was der Mensch sich selbst und anderen Gutes tun kann – so schafft er sich das Heil. Das Heil, das von Gott kommt, ist nicht mehr so wichtig. Und dass von Gott Unheil kommen könnte, das wird gleich ganz und gar geleugnet.

Insofern steht Jeremia quer zu unserem Zeitgeist, auch zu unserem christlich-religiösen Zeitgeist. Sein alleiniges Maß ist Gott: Gottes Wort, das er hört. Gottes Wort, das er sagen muss, auch wenn es wehtut; das er sagen muss, auch wenn es ihm selber wehtut. Gottes Wort, das nicht besänftigt, das nicht beruhigt, sondern das wie ein Feuer ist und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt.

Trotzdem haben wir es – im Vergleich mit Jeremia – gut: Wir haben Gottes Wort in klarerer und verlässlicherer Form als er, der alttestamentliche Prophet, den das Wort Gottes überkam, überwältigte, ohne dass er einen Beweis, eine Bestätigung dafür hatte. Es bestätigte sich erst Jahre später, als das prophezeite Unheil eintraf. Im Gegenüber zu den anderen Priestern und Propheten stand Jeremias Aussage allein gegen die der anderen, die sich ja auch auf Gott beriefen. Eine Minderheitsmeinung, die man leicht abbügeln, niedermachen, ausgrenzen konnte; so wie man den Propheten selber abgebügelt, niedergemacht und ausgegrenzt hat. Was wahr ist und was falsch, was Gott sagt und will, das kann man halt nicht per demokratischer Mehrheitsentscheidung bestimmen. Das zeichnet gerade die Propheten und Wahrheitsboten aus, dass sie als einzelne gegen den Rest standen, bevor man ihnen im Nachhinein Recht gab. – Wir haben es insofern gut, dass Gottes Wort für uns eine verlässliche, nachprüfbare Form angenommen hat: Wir haben die Bibel als Maßstab. Wir können an ihr überprüfen, was Gottes Wort und Wille ist und was nicht.

Genau genommen aber ist Gottes Wort nicht Buchstabe, sondern Fleisch geworden. Wir haben Jesus Christus, der für uns der verlässliche Maßstab ist. Es mag ja oft genug unklar sein, wie wir die Bibel als Gottes Wort auszulegen haben. Dann ist Jesus Christus, seine Worte und seine Werke, der Maßstab für uns.

Wir haben es auch deshalb gut, weil wir – im Unterschied zu Jeremia – keine Propheten sein müssen. Manche Pfarrer und Kirchenvertreter machen es sich extra schwer, weil sie meinen, sie hätten einen prophetischen Auftrag. – Nein, Propheten, das sind immer nur einzelne, denen in besonderen Situationen ein besonderer Auftrag zukommt. Einer der wenigen, die ich außerhalb der Bibel einen Propheten nennen würde, ist Martin Luther gewesen. Er war es genau deshalb, weil er neu auf Gottes Wort gehört und Gottes Wort neu verstanden und gesagt hat.

Wir Pfarrer und Kirchenleute haben natürlich auch Gottes Wort zu sagen. Wir tun es, indem wir die Bibel auslegen. Indem wir sorgfältig darauf achten, was Gott einmal sagen wollte und was er womöglich heute sagen will. Das ist manchmal redliche Mühe und Arbeit. Das ist manchmal Inspiration und Ergriffenheit. Wie Propheten auftreten und sagen: „So spricht der HERR“, das werden wir wohl eher nicht. Aber darauf vertrauen, dass der Herr durch uns spricht, das schon. Und dass sein Wort etwas bewirkt, wie ein Feuer und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt.

Und ob es dann Zustimmung oder Widerspruch bewirkt, das ist gar nicht mehr so wichtig. Wichtig ist, dass es an uns arbeitet und uns verändert, so wie Gott selber es haben will. Zu unserem Heil. Amen.