Sonntag, 27. Oktober 2013

Predigt am 27. Oktober 2013 (22. Sonntag nach Trinitatis)

„Womit soll ich mich dem HERRN nahen, mich beugen vor dem hohen Gott? Soll ich mich ihm mit Brandopfern nahen und mit einjährigen Kälbern? Wird wohl der HERR Gefallen haben an viel tausend Widdern, an unzähligen Strömen von Öl? Soll ich meinen Erstgeborenen für meine Übertretungen geben?, meines Leibes Frucht für meine Sünde?“ – „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist, und was der HERR von dir fordert: nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.
Micha 6, 6-8


Liebe Schwestern und Brüder,
ihr kennt sicher diesen klassisch gewordenen Satz von Loriot: Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen. – Doch, immer wieder gibt es diese Momente, wo man das nur bestätigen kann. Ihr kennt das… – Natürlich, ich gebe es zu: es gibt auch noch diese anderen Momente, wo wir finden: Männer und Frauen passen sehr gut zusammen. So war das auch eigentlich gedacht, und manchmal funktioniert es sogar. – Es ist ein Grundkonflikt unserer menschlichen Existenz und unserer geschlechtlichen Identität. Es zieht uns zueinander hin, und manchmal passt es, und oft kracht es, weil wir doch so unterschiedlich gestrickt sind: Männer und Frauen.
In Anlehnung an Loriot könnte man den Grundkonflikt, um den es in der Bibel geht, so zusammenfassen: Gott und Menschen passen einfach nicht zusammen. Das ist so ähnlich wie in einer Ehe: Der eine ist vollkommen, der andere nicht. Der eine sagt, was er vom anderen will, aber der andere tut lieber, was er selber will. Und dann geht es schief. Man wendet sich voneinander ab, spricht nicht mehr miteinander. Lebt aneinander vorbei …
In der Tat wurde das Verhältnis zwischen Gott und Menschen immer wieder mit der Beziehung zwischen Mann und Frau verglichen: Braut und Bräutigam, Liebesgesäusel zwischen Gott und Mensch: Das Hohelied, dieses großartige Liebespoem etwa wurde als Gleichnis für die Beziehung zwischen Gott und Mensch verstanden. Aber eben auch zünftiger Ehekrach: Gott beschimpft sein Volk als Hure, sagt von sich selbst, er wäre eifersüchtig. Er hat aber auch Grund dazu: Seine geliebten Menschen hängen ihr Herz an andere Götter oder leben gleich so, als gäbe es IHN überhaupt nicht. – Und auf der anderen Seite: Menschen, die sich bitter über Gott beklagen: Wie kannst du nur! Warum hast du uns verstoßen und allein gelassen – gerade, als wir dich am meisten brauchten?
Mit unserem kleinen Bibelabschnitt heute erleben wir gewissermaßen ein Stückchen Ehestreit oder vielleicht auch Ehetherapie zwischen Gott und Mensch mit, auf jeden Fall ein Beziehungsgespräch. Offenbar ist da nach einigen hundert Jahren Ehe zwischen Gott und seinem Volk Israel der Wurm drin. Unzufriedenheit auf beiden Seiten. Ein gewisser Überdruss.
Gott macht das Fass auf: Was passt dir denn eigentlich nicht an mir? Hast du das vergessen, was ich alles für dich getan habe? Und er erinnert an die Anfänge: in Ägypten, in der Wüste, Mose und Aaron usw., der Weg ins Gelobte Land. Habe ich nicht ein bisschen mehr Dankbarkeit verdient? Ein bisschen mehr Liebe?
Und das Volk antwortet: Was willst du noch von uns? Wir haben das Gefühl, wir können es dir nicht recht machen, Gott. Was willst du eigentlich von uns? Und dann kommt die Aufzählung: Brandopfer von einjährigen Kälbern, geschlachtete Widder, Ströme von Öl, vielleicht sogar Menschenopfer? Gott, was willst du von uns? – Und zugleich schwingt in dieser Aufzählung mit: Das kann es ja letztlich alles nicht sein. – Und das ist es ja auch nicht: archaische Opfer, um Gott milde zu stimmen. So funktioniert die Beziehung Gott – Mensch nicht. Schon damals nicht, und heute erst recht nicht.
Nur: Heute stellen wir vielleicht noch nicht mal mehr die Frage: Gott, was willst du eigentlich von uns? Ja, interessiert uns das noch? Wollen wir überhaupt eine Antwort hören? Und welche Opfer hätten wir ihm denn anzubieten?
Viele von euch wissen es ja: Ich bin ein großer Fan von Martin Luther. Letzte Woche habe ich erst wieder an seine Frage erinnert: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? – Und das passt ja auch in diese Zeit rund um den Reformationstag. – Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Das war im Grunde genommen dieselbe Frage, die die Israeliten zur Zeit Michas auf ihre Weise gestellt haben: Was können wir denn tun, um die Beziehung mit Gott in Ordnung zu bringen? (Wieder ganz analog zur Ehe, wo wir uns manchmal fragen: Wie bekomme ich eine gnädige Gattin? … …  oder einen gnädigen Gatten) Für Martin Luther hieß, Gott gnädig zu stimmen, natürlich nicht mehr: Tieropfer darbringen. Für ihn hieß das ganz konkret: ins Kloster gehen. Ich stelle mein Leben ganz Gott zur Verfügung. Es hieß: Gebets- und Fastenzeiten einhalten, das Gewissen erforschen, beichten und Bußübungen vollbringen. Für die Menschen seiner Zeit hieß es: Messen stiften, Wallfahrten machen, Ablässe kaufen … Und am Ende blieb dann doch immer das Gefühl: Das kann es doch alles nicht sein! Gott, willst du das wirklich? Und andererseits: Reicht das, damit unsere Beziehung in Ordnung kommt? So in Ordnung kommt, dass du uns für immer bei dir haben willst im Himmel? Wie können wir es dir denn wirklich recht machen? Können wir es überhaupt? – Ja, was will Gott eigentlich wirklich von uns?
Eigentlich müssten wir ja hier sein, um das zu erfahren. Oder zumindest um auch so was wie Beziehungspflege mit Gott zu betreiben. Oder warum sind wir hier? – Doch weil uns Gott noch nicht gleichgültig ist! Doch weil uns diese Beziehung noch immer am Herzen liegt! Doch weil wir wissen, dass wir ohne ihn nicht leben können! Wir wollen es doch auch, dass es stimmt zwischen Gott und uns: dass Gott und Mensch eben doch zusammen passen!
In unserem Predigtwort antwortet Gott: Ihr wisst es doch schon, worauf es ankommt, was ich von euch erwarte. Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist…
Ja, es ist uns gesagt. Seit Jahrhunderten, seit Jahrtausenden. Und trotzdem muss es uns immer wieder neu gesagt werden. Manche lassen es sich ein paar wenige Mal im Leben sagen: bei Hochzeiten und Todesfällen, bei Kindstaufen und zu Weihnachten. Andere lassen es sich jede Woche sagen. Und bei einigen davon, scheint es, fruchtet es trotzdem nicht. Sie kommen ja nächste Woche schon wieder und bekennen, dass sie gesündigt haben mit Gedanken, Worten und Werken.
Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist… und offenbar kann es gar nicht oft genug gesagt werden, was der Herr von dir fordert.
Drei Dinge zählt der Prophet auf: Gottes Wort halten; Liebe üben; demütig sein vor Gott.
Ich muss es euch ganz ehrlich sagen – eh es euch jemand anders sagt, oder ihr es irgendwo lest: Es gibt wenige Bibelstellen, die von Martin Luther so ungenau übersetzt worden sind. Und die trotzdem, wie das bei Luther meistens ist, so treffend das sagen, worauf es wirklich ankommt.
Gottes Wort halten. – Man könnte meinen, Gottes Wort könnte man halten oder einhalten, so wie man Gesetze einhält. So wie ich die Höchstgeschwindigkeit von 120 auf der Autopista einhalte (viel schneller fahren wäre sowieso ein fast schon todesmutiges Unterfangen). Aber Gottes Wort ist eben viel mehr, nicht nur Gesetz. Es ist eben nicht wie in einer Ehe, wo die Frau zum Mann sagt: Dein Wort ist mir Befehl (das würde ich mir manchmal wünschen); oder der Mann zur Frau (so ist es halt manchmal). Gottes Wort ist vor allem Evangelium: frohe Botschaft, Liebeserklärung. Daran halte ich mich am liebsten, dass mir meine Frau sagt: Ich liebe dich. Und dass mir Gott sagt: Ich liebe dich. – Mit anderen Worten Gott erwartet eigentlich nicht mehr von dir, als dass du seiner Liebeserklärung glaubst. Er sagt: Ich bin für dich da. Und er wünscht, dass du dich daran hältst, dich darauf verlässt, daran nicht zweifelst. – So wird deine Beziehung mit Gott wieder stimmig.
Liebe üben. – Das ist doch ein wunderbarer Ausdruck! Liebe muss geübt werden, praktiziert werden. Ehen und andere Liebesbeziehungen gehen ja meistens deshalb ein, weil die Liebe nicht genug geübt wird. Und ich meine mit Liebe üben nicht – oder nicht nur – Liebe machen. Es gibt viele Formen und Wege, wie man sich Liebe zeigen und seine Liebe lebendig erhalten kann. Die Liebe hat viele Sprachen. (Aber das ist vielleicht mal ein anderes Thema.) Nur: Mit Gott ist das auch so. Wir brauchen sie eben auch, die Beziehungspflege mit Gott. Und der Gottesdienst könnte dazugehören. Das ist der eigentliche Sinn der Veranstaltung: Dass Gott mit uns redet durch sein Wort und wir mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang (auch das ist ein Lutherzitat). – Ach ja, und dass nicht nur die Liebe zu Gott sondern auch die Liebe zu unserem Nächsten, der Übung und der Praxis bedarf, ist auch noch mitgemeint.
Und demütig sein vor deinem Gott. – Das Wort Demut kommt uns vielleicht etwas sauer an. Wir sind nicht gerne demütig. – Nur: demütig sein vor Gott, das ist etwas völlig anderes, als demütig sein vor irgendwelchen Menschen. Wenn ich nämlich Gott über mir weiß, mich ihm unterordne – in Liebe und Vertrauen – dann macht mich das gerade frei von aller falschen Demut vor Menschen und Mächten. Vor Gott sind sie alle nur Menschen. Vor Gott gelten für alle die gleichen Bedingungen. Wer Gott über sich hat, hat immer den höchsten Chef auf seiner Seite. Das relativiert die Macht aller anderen Chefs. Das macht uns innerlich frei, selbst da, wo wir äußerlich unfrei sind.
Demütig sein vor Gott heißt: IHN über alle Dinge fürchten lieben und vertrauen (und auch das ist noch mal O-Ton Martin Luther).
Gott und Mensch passen einfach nicht zusammen? – Manchmal könnte man das meinen. Aber man könnte es auch hören und mitbekommen, dass Gott alles für uns getan hat, damit wir zueinander passen. Er hat sich selber passend gemacht für uns. Hat sich auf Menschenmaß begrenzt. Spricht menschliche Worte. Nimmt menschliche Gestalt an. Und erwartet von uns nichts Übermenschliches. Das ist das wahre Evangelium: Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist.

Sonntag, 20. Oktober 2013

Predigt am 20. Oktober 2013 (21. Sonntag nach Trinitatis)

Jesus sprach zu seinen Jüngern: „Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe. Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde. Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe. Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete. Ich sage hinfort nicht, dass ihr Knechte seid; denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich gesagt, dass ihr Freunde seid; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan.
Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und frucht bringt und eure Frucht bleibt, damit, wenn ihr den Vater bittet in meinem Namen, er’s euch gebe.
Das gebiete ich euch, dass ihr euch untereinander liebt.
Johannes 15, 9-17


Marcel Reich-Ranicki, liebe Schwestern und Brüder, Marcel Reich-Ranicki, der kürzlich verstorbene Literaturpapst hat mal gesagt, große Literatur habe nur zwei Themen: die Liebe und den Tod.
Insofern darf die Bibel zur großen, zur ganz großen Literatur gezählt werden. Auch sie hat eigentlich nur diese zwei Themen: die Liebe und den Tod.
Das sind die Menschheitsthemen. Das sind auch die Glaubensthemen: die Liebe und der Tod. Wenn Religion nichts mehr mit Liebe und Tod zu tun hat, dann kannst du sie vergessen!
Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.
Da sind wir mitten drin: Liebe und Tod. Es geht um alles. Es geht ums Ganze.
Aber stimmt das denn wirklich?
Letzte Woche haben wir zum Beispiel eine kleine Geschichte gehört, wo die Jünger von Jesus etwas Verbotenes getan haben: Sie haben Körner aus den Ähren gerauft und sie gegessen – am Sabbat. Und ein paar wild gewordene Religionswächter und Bibelausleger haben sich darüber beschwert. Da ging es offenbar gar nicht um Liebe und Tod! – Und genau das war das Problem: Die hatten die Bibel nicht als große Literatur verstanden sondern als engherziges Gesetzbuch, wo geregelt ist, was den Menschen erlaubt und was ihnen verboten ist. – Ihnen ging es nicht um Liebe und Tod, sondern um Ordnung und Sicherheit, um Kontrolle und Macht. Keine großen Themen. Sie hatten die Bibel und ihren Glauben missverstanden.
Jesus hat dieses Missverständnis gerade gerückt – oder zumindest es versucht – wahrscheinlich ist er nicht verstanden worden: Bei Gottes Geboten geht es nicht um Macht und Ordnung, sondern um Liebe und Tod. Ja: um die Liebe, die Menschen leben lässt und sie nicht in tödlicher Enge ersticken lässt.
Soll man am Sabbat Gutes tun oder Böses tun, Leben erhalten oder töten?, fragt Jesus kurz darauf  (Markus 3, 4). In Liebe das Leben erhalten oder dem Tod das Feld überlassen? Liebe oder Tod: Es geht immer ums Ganze.
Wisst ihr, was ich glaube? – Ich glaube, dass Kirche so langweilig geworden ist, so gleichgültig geworden ist, weil sie sich so viel mit dem Kleinklein beschäftigt, damit, wie wir leben sollen, was wir tun sollen und was nicht – möglichst immer schön ökologisch und sozial –, manchmal beschäftigt sie sich auch mit Baukosten und dem öffentlichen Auftreten ihrer Würdenträger. Aber die großen Fragen von Liebe und Tod sind das eher nicht.
Erstaunlicherweise ist Kirche aber heute immer noch gerade dann gefragt, wenn es um die großen Fragen geht, um Liebe und Tod.
Kirchliche Trauung, ja bitte! Auch für das homosexuelle Paar, ja bitte! Es geht um die Liebe, um etwas ganz Großes. Und da brauchen wir Gott, Kirche, Religion.
Christliche Bestattung, ja bitte! Wenn ein Mensch wirklich stirbt, dann brauchen wir ein bisschen mehr als „Dankeschön!“ und „Das Leben geht weiter“. Da brauchen wir die Kraft der Liebe, die den Tod aushält und überwindet.
Kirche war in ihrer Geschichte groß und spannend, als es um die großen Fragen ging. Zur Zeit Luthers zum Beispiel: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Mit anderen Worten: Was wird mit mir, wenn ich sterben muss? Komme ich in den Himmel oder in die Hölle oder ist dann einfach alles aus? Und wenn ich in den Himmel kommen will, wie geht das, was muss ich dafür tun? Das hat die Menschen wirklich bewegt, umgetrieben.
Wer heute noch was von der Hölle oder vom ewigen Tod zu sagen wagt, wird müde belächelt oder hart angegriffen. Und wenn wir heute nach dem Leben nach dem Tod gefragt werden, dann eiern wir rum mit Formulierungen wie „ewig geborgen bei Gott“ – Was soll das bitteschön sein?
Kirche war groß und spannend, als Luther damals die Botschaft von Gottes Liebe neu entdeckte: Die Liebe, mit der er die Menschen aus dem Tod und aus der Hölle rettet: Keine Angst mehr haben zu müssen vor dem ewigen Verderben. Weil Gott in seiner Liebe, den Tod auf sich genommen hat.
Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.
Weniger ist zu wenig. Die tiefste Liebe ist bereit, für den anderen zu sterben.
Kann ja sein, dass unsere Liebe nicht diese Tiefe hat. Gut möglich, dass wir davor zurückschrecken, das Leben zu geben für einen Freund, für einen geliebten Menschen. Da kommen wir an die Grenzen unserer menschlichen Möglichkeiten. Aber groß, wirklich groß ist ein Mensch, der bereit ist, sein Leben zu lassen für seine Freunde.
Wenn ich dieses Jesus-Wort höre muss ich immer an eine Filmszene denken: In dem Bonhoeffer-Film bereitet sich der Offizier Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff darauf vor, ein Selbstmordattentat auf Hitler zu verüben: mit einem Sprengsatz in der Manteltasche. Und er bittet Bonhoeffer um seinen Segen. Bonhoeffer sagt ihm, er möge an dieses Bibelwort denken: Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde. – Dieses Gespräch ist nicht historisch verbürgt. Aber der Attentatsversuch von Gersdorffs ist es. Er scheiterte, und von Gersdorff blieb am Leben.
Bonhoeffer selbst musste sein Leben lassen. Wir kennen seine Geschichte. Die Geschichte vieler anderer auch. Ob es Liebe war? Oder Verantwortung? Treue zu sich selbst? Treue zu Gott? – Im Ernstfall kann es immer ums ganze gehen, um Leben und Tod. Um Liebe und Tod.
Mutig, dieses Bibelwort in diesem Zusammenhang zu gebrauchen! Denn manche Todesanzeige und manche Trauerpredigt für Kriegsgefallene trug zur selben Zeit dasselbe Motto. – Da war es missbraucht, ja geschändet. Denn kaum ein Soldat ist damals wirklich aus Liebe zu seinen Freunden gestorben. Alle sind sie sinnlos gestorben für eine Sache, für ein Volk, für einen Führer, für die zu sterben es nicht wert war. Alle wurden sie in den Tod gezwungen. Zu Helden gemacht, die sie nicht sein wollten und nicht waren.
Aber gibt es das überhaupt: Etwas, das es wert ist, dafür zu sterben? Kann es richtig sein, sein Leben aufzuopfern, hinzugeben für andere? – Das ist doch die große Frage.
John Lennon hat in seinem berühmten Lied Imagine von einer Welt geträumt, in der es nichts mehr gäbe, wofür man töten oder sterben müsste: nothing to kill or die for – and no religion too – ja, und natürlich auch keine Religion mehr. – Wenn ich darüber nachdenke, komme ich zu dem Schluss: Das wäre eine schreckliche Welt, eine Welt, in der es nichts Großes mehr gäbe, keine wirklichen Werte, keine Freiheit, keine Liebe, keine Menschlichkeit und keinen Gott.
Nein, es ist nicht schön, um der Liebe willen sterben zu müssen. Aber viel schlimmer ist es, wenn keiner mehr bereit ist, sein Leben für andere einzusetzen.
Jesus hat sein Leben gelassen für seine Freunde. Und wir zählen dazu, zu seinen Freunden. Wir Menschen, jeder einzelne, du und ich, wir sind ihm so viel wert, dass er für uns in den Tod geht. – Das ist die Liebe Gottes! Gerade durch Jesu Tod wissen wir, wie wertvoll wir Gott sind. Wie sehr er uns liebt!
Wenn wir unsere Bibel und unseren Glauben richtig verstehen, glaube ich, dann geht es ums Ganze: um Liebe und Tod. Am Ende sogar um die Liebe, die stärker ist als der Tod. Es geht ums Leben!
Genau dafür ist Kirche da: die großen Fragen zu stellen und die großen Antworten zu geben: von der Liebe und vom Tod und vom ewigen Leben. Amen.

Sonntag, 13. Oktober 2013

Predigt am 13. Oktober 2013 (20. Sonntag nach Trinitatis)

Es begab isch, dass Jesus am Sabbat durch ein Kornfeld ging, und seine Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren auszuraufen. Und die Pharisäer sprachen zu ihm: „Sieht doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist?“ Und er sprach zu ihnen: „Habt ihr nie gelesen, was David tat, als er in Not war und ihn hungerte, ihn und die bei ihm waren: wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit Abjatars, des Hohenpriesters, und aß die Schaubrote, die niemand essen darf als die Priester, und gab sie auch denen, die bei ihm waren?“ Und er sprach zu ihnen: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. So ist der Menschensohn ein Herr auch über den Sabbat.“
Markus 2, 23-28


Liebe Schwestern und Brüder,
es kann ja ganz schnell gehen, dass man mit dem Gesetz in Konflikt kommt. Ein bisschen zu schnell gefahren, und schon blitzt es, und ein paar Tage später kriegt man dann das unbestellte Foto zugeschickt: schlechte Qualität, aber ziemlich teuer …
Deutschland ist stolz auf seinen Blitzermarathon am vergangenen Donnerstag. Großkampftag gegen alle, die sich noch immer nicht an die Gesetze halten wollen. Zumindest im Straßenvekehr. Es lebe die Volkserziehung! – Ich finde, die spinnen, die Deutschen.
Deutschland ist auch stolz auf seine Jagd auf Steuersünder. Man tut sich mit Gesetzesbrechern zusammen, nämlich Datenräubern, um mit dubiosen CDs von Schweizer Banken andere Gesetzesbrecher, nämlich Steuerhinterzieher, ausfindig zu machen. Wenn Leute ihr Geld selbst behalten oder ausgeben wollen und es nicht freiwillig dem Staat geben, dann ist das offenbar eines der schlimmsten Verbrechen. Schlimmer jedenfalls als Hehlerei. – Die spinnen, die Deutschen.
Dazu passt die Geschichte eines Gesetzesbrechers, die ich diese Woche gelesen habe: Ein Bäckermeister in Sachsen soll 5000 Euro Steuern nachzahlen – für übrig gebliebene Backwaren, die er an die örtliche Tafel gespendet hatte. Die waren nämlich umsatzsteuerpflichtig. Wenn er sie weggeschmissen hätte, nicht. Aber wenn er sie kostenlos abgibt … – So sind nun mal die Gesetze. – Die spinnen, die Deutschen.
Ich sage das, damit wir zu unserer kleinen Jesus-Geschichte nicht allzu leichtfertig sagen: Die spinnen, die Juden. Weil uns das natürlich auch absurd erscheint. Da macht Jesus mit seinen Freunden einen Sonntags-, respektive Sabbatspaziergang, und wie heutzutage Polizisten hinter den Büschen hocken und Finanzbeamte dein Geschäft durchschnüffeln, so sind damals die Pharisäer vom Thora-Überwachungsverein sofort zur Stelle: „Ja, Bruder Jesus, was haben wir denn falsch gemacht? – Körner aus den Ähren am Feldrand geklaubt und gegessen! Und damit das Gesetz übertreten, das Arbeit, auch Erntearbeit am Feiertag verbietet. So geht das nicht! Sag deinen Jüngern, sie sollen das künftig unterlassen!“ – Boah, sind die kleinlich!
Aber, wie gesagt: Vielleicht sind wir heute an anderen Stellen nicht weniger kleinlich. Gesetz ist Gesetz, und da muss man sich dran halten. Sagen viele. Wo kämmen wir denn sonst hin!
Erst recht wenn es Gottes Gesetze sind.
Mit dieser kleinen Begebenheit aus dem Leben von Jesus sind wir speziell bei einem Thema, das auch heute noch ganz wichtig ist für manche: Der Schutz von Sonn- und Feiertagen.
Da gibt es zuerst schon mal die, für die der Sonntag sowieso schon der falsch Tag ist. Und in der Tat: Jesus hat ja den jüdischen Sabbat nicht abgeschafft. – Darum sind namentlich die Siebenten-Tags-Adventisten irgendwann dahin zurückgekehrt, den Samstag als Feiertag zu begehen. – Und haben sich damit von der ganzen übrigen Christenheit abgesetzt.
Ich finde das auch kleinlich. Als ob es darauf ankäme, wann wir frei machen und Gottesdienst feiern! Die Christen haben sich von Anfang an – das kann man schon im Neuen Testament nachlesen – am ersten Tag der Woche, dem Sonntag, versammelt. Das war und ist der Auferstehungstag. Er hat für uns Christen ein größeres Gewicht bekommen als der letzte Schöpfungstag, der Sabbat. Denn mit dem Ostersonntag hat Gottes neue Schöpfung begonnen. Dabei wurde die für den Sabbat gebotene Arbeitsruhe nicht abgeschafft, sondern dem Sonntag zugeschlagen. Gute Sache eigentlich!
Diese sonntägliche Arbeitsruhe ist nun immer wieder mal ein großes kirchenpolitisches Thema. Mit wenigen anderen Dingen kann man die evangelische Kirche und die evangelischen Christen so leicht auf die Palme bringen wie mit einer Ausweitung von Ladenöffnungszeiten am Sonntag. Da sind in den letzten Jahren große Schaukämpfe geführt worden. – Wahrscheinlich auch deshalb, weil sich da so ziemlich alle in der Kirche einig sind. Anders als etwa bei familienpolitischen und sexualethischen Fragen.
Ich muss sagen: Mir kommt da auch manches kleinlich vor. Dem Händler, der an den Adventswochenenden seinen Hauptumsatz macht, wird das Leben schwer gemacht; aber Sonntags tanken, Sonntags Zug fahren, Sonntags Essen gehen, Sonntags auf den Rummel, ins Kino, ins Theater – das ist alles ok. Als ob da keine Leute für arbeiten müssten!
Wer von uns war denn noch nicht froh, dass in Deutschland am Sonntagabend doch noch eine Tankstelle offen hatte, oder hier unten ein 24/7-Supermarkt, wenn was Wichtiges fehlte!
Ich finde es kleinlich, da etwas zu verbieten. Und ich fände es großartig und großzügig, wenn die Menschen selber entscheiden dürften, ob sie am Sonntag ihr Geschäft öffnen oder nicht, und umgekehrt natürlich auch: ob sie am Sonntag wirklich einkaufen gehen wollen oder lieber nicht …
Jesus war nicht kleinlich, sondern großzügig. Er hat sich vor seine Jünger gestellt, die es mit der sonntäglichen bzw. sabbatlichen Arbeitsruhe nicht so genau genommen haben: Der Sabbat ist für den Menschen da, und nicht der Mensch für den Sabbat.
Natürlich, die Medaille hat auch eine andere Seite, und die kenne und liebe ich allzu sehr. Es ist immer noch etwas Besonderes und etwas Anderes für mich, wenn ich aufstehe und es ist Sonntag. – Nun könnte man meinen, für den Pfarrer, ist der Sonntag doch Dienst-Tag. Ja, aber eben Gottes-Dienst-Tag. Ich darf mit euch Gottesdienst feiern. Die Kirche hat heute gerade nicht geschlossen. Wir haben Kirchencafé, und keiner stört sich dran, dass jemand sich auch am Sonntag bei uns in die Küche stellen muss. – Und dann kommt der Nachmittag, Zeit zum Ausruhen oder Ausfliegen, keine Verpflichtungen mehr bis Montag früh. Das ist mir ziemlich wichtig, um nicht zu sagen heilig.
Für andere mag das anders sein. Aber für viele ist und bleibt der Sonntag ein besonderer Tag. – Ich finde es ehrlich gesagt auch schade, wenn manche am Sonntag Abend schon wieder bei den Aufgaben sind, die sie am Montag Morgen erwarten.
Ein unter der Woche sehr viel beschäftigter Handwerksmeister in meiner früheren Gemeinde, sagte, er würde, egal wie viel anliegt, Sonntags nichts machen. Er hätte die Erfahrung gemacht, dass da einfach kein Segen drauf liege. Wenn er zum Beispiel am Sonntag Abend ein Angebot geschrieben hatte, bekam er den Auftrag einfach nicht.
Das Tolle daran ist für mich: Er hat das selber für sich rausbekommen. Und lebt damit gut. Er macht das nicht, weil es ihm jemand vorschreibt.
Ich empfinde das auch so: Der Sonntag ist ein Geschenk, ein geschenkter Tag. Ich darf ihn feiern und genießen. Aber ich möchte nicht überwacht und bestraft werden, wenn ich mich nicht an die Regeln der Sonntagsruhe halte.
Denn der Sonntag ist für den Menschen da und nicht der Mensch für den Sonntag.
Und so ist das überhaupt mit Gottes Lebensordnungen und Geboten. Sie sind für den Menschen da, und nicht der Mensch für Gottes Gebote.
Manchmal sind wir kleinlich wie die Pharisäer: Da tut jemand, was nicht erlaubt ist!
Ich kann mich erinnern, wie sich meine Mutter aufgeregt hat, wenn Sonntags jemand Wäsche rausgehängt hat. Oder Rasen gemäht, oder sein Auto gewaschen. Aber Sonntags stundenlang in der Küche stehen und Essen kochen, war ok, oder am Abend Würste grillen. – Merkwürdige und kleinliche Unterschiede zwischen Verboten und Erlaubt.
Wie wir mit dem Sonntag und dem Feiertagsgebot umgehen, liebe Schwestern und Brüder, ist nur ein Beispiel.
Wenn ich an die Themen Ehe und Familie denke, an die heißen Diskussionen um die Orientierungshilfe der EKD, an die Fragen nach dem Umgang mit Homosexuellen, mit Geschiedenen, Alleinerziehenden, Patchwork-Familien usw., da nehme ich auch manchen kleinlichen, pharisäischen und gesetzlichen Zungenschlag wahr.
Kann man nicht ganz analog sagen: Gottes Ordnungen von Ehe und Familie sind für den Menschen da, und nicht der Mensch für diese Ordnungen? So wertvoll wie der Sonntag ist, so wenig können wir den Menschen dazu zwingen, ihn auf eine bestimmte Weise zu begehen. So wertvoll wie Ehe und Familie sind, so wenig können wir Menschen in Strukturen hineinzwingen, die für sie nicht passen.
Ja, wir lieben klare Ordnungen und Strukturen und wollen unsere Sicherheiten. Und es ist gut, dass Gott uns dafür Angebote macht. Aber Jesus Christus ist nicht gekommen, um Ordnung zu schaffen, sondern um Freiheit zu bringen. Der Menschensohn ist Herr über den Sabbat, sagt er. Er, Christus, der Mensch gewordene Gott, steht über dem Gesetz. Der Menschensohn ist Herr über die Ordnungen unseres Lebens. Zur Freiheit hat uns Christus befreit.
Amen.

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Sonntag, dem 13. Oktober 2013

Guten Morgen, liebe Hörer,

Danket dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währet ewiglich.

Vielleicht kennen Sie diesen Vers als Tischgebet oder auch aus dem Gottesdienst. Dieser Aufruf, Gott zu danken, ist uralt, er war schon zu biblischen Zeiten eine feststehende Gebetsformulierung, der Leitvers in mehreren Dankliedern der alten Israeliten.

Am schönsten kommt das vielleicht im 107. Psalm zum Ausdruck. Da werden Situationen aufgezählt, in denen Menschen in Not waren, Gott um Hilfe riefen und gerettet wurden, und dann heißt es jedes Mal: Die sollen dem Herrn danken für seine Güte und für seine Wunder, die er an ihnen tut.
  • Menschen, die sich in der Wüste verirrt hatten – und die Gott wieder herausfinden ließ. – Sie sollen dem Herrn danken.
  • Menschen, die in Gefangenschaft geraten waren – und die Gott wieder ins Freie geführt hat. – Sie sollen dem Herrn danken.
  • Menschen, die krank waren – und die Gott wieder heilte. – Sie sollen dem Herrn danken.
  • Menschen, die in Seenot geraten waren – und die mit Gottes Hilfe wieder festen Boden unter die Füße bekamen. – Sie sollen dem Herrn danken.

Darum immer wieder: Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich.

Wüste, Gefangenschaft, Krankheit, Seenot – wir können das auch als Bilder für unser Seelenleben verstehen, als Bilder für Schuld, Verzweiflung, Ausweglosigkeit und Depression. – Wie wunderbar, wenn wir aus solcher Seelenverfassung herausgefunden haben!

Wie wunderbar aber erst, wenn uns das alles erspart geblieben ist!

In Not geraten und gerettet werden, das ist eine dramatische Erfahrung, es kann auch eine dramatische Gotteserfahrung sein. Gar nicht erst in Not geraten, ist nicht so dramatisch. Aber sollten wir Gott dafür nicht erst recht danken?

Es ist im Grunde genommen ein Wort für jeden Tag und für unser ganzes Leben: Danket dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währet ewiglich!

Samstag, 12. Oktober 2013

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Sonnabend, dem 12. Oktober 2013

Guten Morgen, liebe Hörer,

ums Danken und um die Dankbarkeit ging es mir in den letzten Tagen an dieser Stelle. Die Bibel erzählt zwei schöne Beispielgeschichten über richtige und über falsche Dankbarkeit.

In der einen Geschichte begegnet Jesus zehn Aussätzigen, also Leprakranken, die ihn um Hilfe bitten. Jesus hört ihre Bitte und schickt sie entsprechend dem jüdischen Gesetz zu den Priestern, die ihre Heilung feststellen. Einer von den Zehn kommt zu Jesus zurück und dankt ihm für die Heilung. Jesus wundert sich: „Du allein? Wo sind denn die neun anderen?“ Und dann fügt er hinzu: „Dein Glaube hat dir geholfen.“

Dankesagen sollte selbstverständlich sein. Ist es aber offensichtlich nicht. – Wie ist das bei uns?

Eine andere  Geschichte erzählt Jesus: Da gehen zwei Menschen ins Gotteshaus um zu beten. Der eine dankt, der andere nicht. Der erste, der dankt, ist ein sehr gläubiger Mensch, der darauf achtet, nach Gottes Geboten zu leben. Der zweite ist ein Betrüger, ein Zöllner. Der erste spricht ein Dankgebet: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute, kein Räuber, kein Betrüger, kein Ehebrecher, kein Zöllner. Ich bete und faste regelmäßig. Ich gebe den Zehnten von allen meinen Einnahmen für kirchliche und wohltätige Zwecke.“ – Der andere, der Zöllner, dankt nicht. Er spricht nur einen Satz: „Gott sei mir Sünder gnädig!“

Merkwürdig: Der erste hat etwas richtig verstanden: Dass er Gott danken soll, aber in Wahrheit tut er etwas anderes: Er rückt sich selber in ein besonders gutes Licht. Der Dank ist nur Vorwand: „Ich danke dir, dass ich so toll bin!“ In Wahrheit dankt er sich selber.

Der andere dankt nicht. Noch nicht. Aber er wird Gott danken, denn Gott hat sein Gebet erhört: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ – Gott ist dem Sünder gnädig. Dafür kann er dankbar sein.


Gnade und Dank gehören zusammen. Gracias kommt von gratia, der Gnade. Dass Gott uns unvollkommene und fehlerbehaftete Menschen – in der Sprache der Bibel: uns Sünder – leben lässt und uns gibt, was wir zum Leben brauchen, und ewiges Leben obendrein, das ist der tiefste Grund zum danken!

Freitag, 11. Oktober 2013

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Freitag, dem 11. Oktober 2013

Guten Morgen, liebe Hörer,

gestern habe ich über Dankgebete gesprochen. Aber nicht jeder möchte Gott seinen Dank abstatten.

Wir alle kennen wahrscheinlich genug Menschen, die nicht – oder nicht mehr – an Gott glauben. Und wenn es für sie Gott nicht gibt, warum sollten sie ihm dann danken?

Andere sind mit Gott unzufrieden. Es geht ihnen nicht gut, sie sind krank oder behindert, haben keinen Erfolg im Leben, sind unglücklich. Warum sollten sie Gott danken?

Wieder anderen geht es gut; sie haben etwas getan für ihren Erfolg, haben sich etwas erarbeitet und mit den eigenen Händen aufgebaut. Was sie sind, verdanken sie sich selbst. Warum sollten sie Gott danken?

Wahrscheinlich ist es am einfachsten, dieser letzten Gruppe zu antworten: Ja, sicher, du verdankst dir selber sehr viel. Das verdient Anerkennung. Aber war dein Erfolg einfach so vorprogrammiert, oder waren da nicht auch glückliche Umstände, die dazu beigetragen haben und die du nicht in der Hand hattest? Und wenn dir dein Erfolg, dein Geschick und dein Lebensglück schon in die Wiege gelegt war – wer hat es dir dort hineingelegt? – Vielleicht doch Gott? Vielleicht hat er dir schon im Voraus gegeben, womit du dein Leben erfolgreich und glücklich gestalten konntest. Vielleicht hast gerade du Grund, Gott zu danken!

Schwieriger ist es, den Unglücklichen und Gescheiterten zu antworten. Hat Gott sie nicht wirklich vergessen und benachteiligt? – Ich kann sicher niemandem einreden, dass Gott es auch da gut mit ihm meint, wo es für ihn nicht gut ist. Aber ich kann daran erinnern, dass ich Menschen kenne, denen es wahrlich nicht gut geht und die trotzdem Gutes in ihrem Leben entdecken und die glauben und spüren können, dass sie gerade auch im Unglück nicht allein sind und die Gott dafür danken.

Ja, und dann sind da die, für die es Gott gar nicht gibt. Aber das Schöne ist: Auch die meisten von ihnen kennen das Gefühl der Dankbarkeit: für Gutes, für Glück, dafür, dass sie auf der Welt sind. Sie staunen, dass sie leben und ihrem Leben Sinn geben können. Vielleicht sind sie dem Leben dankbar, dem Universum, dem Sein. Vielleicht meinen sie damit sogar dasselbe wie wir, wenn wir es Gott nennen.

Wenn Sie namentlich Gott nicht danken können, vielleicht können Sie ja dennoch dankbar sein.

Donnerstag, 10. Oktober 2013

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Donnerstag, dem 10. Oktober 2013

Guten Morgen, liebe Hörer,

dass man vor dem Essen betet, ist vielen noch irgendwie geläufig, auch wenn es wohl nur noch in wenigen sehr frommen Familien üblich ist. Bei einem guten Freund von mir wird auch noch nach dem Essen gebetet, das heißt: gedankt. Das Tischgebet vor dem Essen ist die Bitte um Gottes Segen. Das Gebet nach dem Essen ist der Dank für das, was Gott uns gegeben hat: Alle guten Gaben, alles, was wir haben, kommt, o Gott, von dir, wir danken dir dafür. Zum Beispiel. – Natürlich kann man auch Dank und Segensbitte miteinander verbinden, so wie viele es tun. Aber inzwischen wohl noch mehr vergessen.

Das Tischgebet scheint außer Gebrauch zu kommen, außer in ein paar ganz frommen Familien.

„Tischgebet ist christlich verbrämtes Spießbürgertum“, hat schon vor über einem halben Jahrhundert ein bedeutender Theologe gemeint. – Vielleicht war da was dran – damals. Heute, glaube ich, kann man das nicht mehr so sagen. Die Spießer beten schon lange nicht mehr. Tischgebet ist fast schon eine kleine Revolution. Eigentlich aber eine Erinnerung an Gott, der sonst kaum noch Platz hat in unserem Alltag.

Es ist eine Erinnerung daran, dass wir das, was wir haben, unsere Lebensmittel, tatsächlich nicht nur und nicht zuerst uns selbst verdanken, sondern Gott, dem Schöpfer und Geber aller guten Gaben.

Natürlich kann es zur Gewohnheit werden, bei der wir uns vielleicht gar nicht mehr so viel denken. Aber genauso ist es ja eine Gewohnheit, einfach Danke zu sagen, wenn wir von einem anderen Menschen etwas geschenkt bekommen. Da denken wir auch nicht groß drüber nach; wir haben es einfach so gelernt, dass man Danke sagt. Genauso kann es, sollte es mit dem Dank an Gott sein. Wir müssen nicht immer groß darüber nachdenken; es könnte einfach eine Selbstverständlichkeit sein, ihm zu danken.

Das Tischgebet ist eine Möglichkeit dazu.

Eine andere Möglichkeit ist das Morgen- und Abendgebet. Immer wieder höre ich von älteren Menschen den Satz: Ich danke Gott jeden Morgen …: Dass es mir so gut geht, zum Beispiel. Dass ich gesund bin, für meine Familie … Was auch immer. Es gibt viele Gründe, Gott zu danken.

Sollten Sie schon lange nicht mehr Gott Danke gesagt haben, dann mögen Sie ja vielleicht heute oder gerade jetzt darüber nachdenken, wofür Sie ihm danken können. – Und dann tun Sie’s doch einfach!

Mittwoch, 9. Oktober 2013

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Mittwoch, dem 9. Oktober 2013

Guten Morgen, liebe Hörer,

„und was sagt man da?“, wurden wir als kleine Kinder ermahnt, wenn jemand uns ein Bonbon oder irgendwas Anderes geschenkt hatte. – „Danke“ – das war die richtige Antwort. Wahrscheinlich haben wir es uns eingeprägt, und wir sagen ganz selbstverständlich Danke, wenn jemand uns was gibt oder schenkt oder was Gutes tut. Und wahrscheinlich – hoffentlich! – haben wir es unseren Kindern auch beigebracht, Danke zu sagen.

Danke sagt man, wenn man etwas bekommt, worauf man keinen Anspruch hat.

Wenn mein Arbeitgeber mir meinen vertraglich festgesetzten Lohn überweist, brauche ich nicht Danke zu sagen. So wenig, wie er sich bei mir bedanken muss, dass ich meine Arbeit gemacht habe. Hier und an vielen anderen Stellen besteht eine vertragliche Pflicht, die keinen Dank verdient.

Wenn ich eine Gehaltserhöhung bekomme, wenn ich eine Prämie oder Auszeichnung erhalte oder ein Geschenk, dann ist das etwas anderes. Darauf habe ich keinen Anspruch, und deshalb werde ich mich dafür bedanken.

Es ist ein bisschen paradox. Es besteht keine gegenseitige Verpflichtung, und gerade deshalb bin ich zum Dank verpflichtet.

Dank ist eine kleine, symbolische Gegenleistung für etwas Größeres, das ich empfangen habe.

Wir leben davon, dass wir einander nicht nur geben, wozu wir verpflichtet sind, sondern immer auch ein bisschen mehr: ein kleines Geschenk – vielleicht sogar außer der Reihe; eine Hilfe oder Unterstützung, wo wir alleine nicht so gut klarkommen; ein gutes Wort, ein freundliches Lächeln; vielleicht sogar, dass jemand über einen Fehler hinwegsieht, den wir gemacht haben. Und wir leben auch davon, dass wir einander Danke sagen.


Vielleicht fällt Ihnen ja heute jemand ein, dem Sie einfach mal Danke sagen sollten – mit einem guten Wort, mit einem kleinen Geschenk, und vielleicht lächelt er und sagt seinerseits Danke! Und schon ist das Leben ein bisschen schöner.