Sonntag, 29. Mai 2016

Predigt am 29. Mai 2016 (1. Sonntag nach Trinitatis)

Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.
Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt. Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe.
Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.
Wenn jemand spricht: „Ich liebe Gott“, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.
1. Johannes 4, 16b-21
*
Es ist, was es ist, sagt die Liebe.
Mit dem Gedicht von Erich Fried endete die Predigt von Wolfgang Gerth letzte Woche.
Und damit beginnt auch die Predigt von heute:
Es ist, was es ist, sagt die Liebe.
Die Liebe lässt sich nicht auf einen Begriff bringen.
Sie lässt sich nicht definieren, nicht beschreiben, nicht erklären.
Aber sie lässt sich leben und erleben.
Sie lässt sich fühlen und sie lässt sich üben.
Und wenn sie da ist, dann wissen wir es:
Das muss Liebe sein.
Es ist, was es ist.
Gerhard Schöne hat vor vielen Jahren ein Lied davon gesungen:
Wenn Dreizehnjährige nachts im Taschenlampenkegel
den ersten Brief beginnen an ihr Rockidol
am Schluss mit rotem Lippenstift
noch einen Kuss als Unterschrift.
Und wenn die Tante jeden Tag vorm Vogelbauer
dem lieben, guten Bubi Küsschen-Küsschen gibt.
Wenn sie ihn vorsichtig berührt
und dann sein Herz so pochen spürt.
Das ist alles Liebe…
Es ist, was es ist.
*
Die Liebe ist göttlich.
Das wussten die Menschen schon immer.
Und sie haben sie als Gott verehrt.
Eros – Amor: der mit dem Bogen Pfeile verschießt in die Herzen der Menschen: und da ist sie – die Liebe.
Wie eine brennende Wunde, die wir uns nur gegenseitig heilen können.
Und das auf die Gefahr hin, dass mit dem Herzschmerz am Ende auch die Liebe weggeheilt ist.
Amor zieht weiter und verschießt seine Pfeile anderswo.
Die Liebe ist ein Gott: Unberechenbar.
Und wunderbar.
Es ist, was es ist.
Was die Menschen noch nicht immer wussten:
dass es in Wahrheit umgekehrt ist.
Nicht: Die Liebe ist Gott – ein Gott, neben anderen.
Sondern: Gott ist die Liebe.
Der eine Gott ist die Liebe.
Nada más.
Alles andere, was von Gott zu sagen ist, sind Liebesgeschichten, ist seine Liebesgeschichte.
Gott ist die Liebe.
Das macht den Unterschied.
Auch wenn wir über andere Religionen sprechen.
Manche haben Raum für die Liebe, vielleicht sogar eine eigene Gottheit dafür.
Andere glauben vielleicht an den einen Gott, aber er ist für sie etwas anderes: mächtig, fordernd, gerecht oder ganz auf der Seite seiner Anhänger; aber er ist nicht die Liebe.
Und das merkt man dann:
An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.
Und natürlich auch bei der eigenen Religion: Wenn für manche Christen Gott etwas anderes ist als die Liebe, dann erkennt man das auch an den Früchten.
*
Gott ist die Liebe.
Alles, was von Gott zu sagen ist, ist seine Liebesgeschichte.
Letzten Sonntag war Trinitatis, der Tag der Heiligen Dreifaltigkeit – oder Dreieinigkeit.
Das Geheimnis der Dreieinigkeit heißt schlicht und einfach: Gott ist die Liebe.
Gott ist in seinem tiefsten Wesen Miteinander, Zueinander, Ineinander.
Nicht einfältig, nicht einsam, sondern zweisam, dreisam, dreifaltig und dreieinig.
Das ist alles Liebe.
Das Geheimnis der Schöpfung heißt schlicht und einfach: Gott ist die Liebe.
Er kann und will nicht für sich sein, sondern mit der Welt, für die Welt, in der Welt.
Das ist alles Liebe.
Das Geheimnis der Erlösung heißt schlicht und einfach: Gott ist die Liebe.
Er kann und will es nicht hinnehmen, dass seine Geschöpfe sich von ihm trennen.
Er leidet daran.
Und er tut alles, um mit ihnen zusammen zu sein:
Die ganze Geschichte von Jesus –
das ist alles Liebe.
Das Geheimnis der Kirche heißt schlicht und einfach:
Gott ist die Liebe.
Er ruft uns zusammen, dass wir ihm begegnen und einander begegnen und gemeinsam in der Liebe leben.
Zum Wesen des christlichen Glaubens gehört die Gemeinschaft der Heiligen.
Das ist alles Liebe.
*
Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.
In ihm leben und weben und sind wir.
Hat Paulus mal gesagt über Gott – in Athen, auf dem Areopag (Apostelgeschichte 17, 28).
In Gott - das heißt: in der Liebe.
Hat Johannes geschrieben – in diesem Brief, aus dem ich vorgelesen habe.
Die ganze Welt ist voller Liebe:
Da, wo die alte Tante ihren Wellensittich küsst.
Da, wo sich die Eheleute streiten und versöhnen.
Da, wo zwei Männer miteinander baden.
Da, wo die Schwester den Oberarzt anhimmelt.
Und da, wo eine den andern füttert und windelt: ob als Baby oder als alten Menschen.
Und da, wo sie später noch jahrelang Blumen zum Friedhof bringt.
Die ganze Welt ist voller Liebe.
Die ganze Welt ist voller Gott.
Manchmal übersehen wir ihn.
Weil wir nicht dran denken, dass er da ist, wo die Liebe ist (weil er ja selber die Liebe ist).
Martin Luther hat etwas Wunderbares gesagt:
Gott ist ein glühender Backofen voller Liebe, der da reichet von der Erde bis an den Himmel
[Martin Luther: Acht Sermone gepredigt zu Wittenberg in der Fastenzeit]. Manchmal spüren wir seine Wärme. Manchmal, wenn in diesen Tagen die Sonne auf meine Haut brennt, denke ich daran: Gottes Liebe ist wie die Sonne, sie ist immer und überall da. Aber genau genommen ist da gar kein Unterschied zwischen Gott und seiner Liebe. Er ist die brennende, wärmende, wohltuende Liebe. In ihr, in ihm leben und weben und sind wir.
*
Das ist das eine:
Gott ist immer schon da.
Die Liebe ist immer schon da.
Das andere ist:
Liebe ist kein Etwas, kein Ding, das irgendwie irgendwo vor sich hin existiert.
Liebe ist Lieben.
Liebe ist Tätigkeit.
Ist: einen Brief schreiben.
Ist: einen Wellensittich küssen, oder einen anderen Mann.
Ist: ein Auto pflegen, oder einen Menschen.
Ist: sich für jemanden interessieren, sich seine Geschichten anhören und ihm das Herz öffnen.
Liebe ist, wenn wir Liebe machen.
Im engeren und auch im ganz weiten Sinne.
Liebe üben, heißt es auch in der Bibel.
Liebe ist wie Musik.
Musik existiert nur, wenn sie gespielt wird.
Alles andere ist Musiktheorie, Noten, die Idee von Musik.
Liebe existiert nur, wenn sie gelebt wird.
Alles andere ist Verhaltensforschung, Moral und Ethik.
Gott existiert nur, wenn er geglaubt wird.
Alles andere ist Theologie, eine Idee von Gott.
Und Gott glauben, ist: die Liebe leben.
Ist: die Musik spielen, die uns von Ewigkeit her umgibt.

Es ist, was es ist, sagt die Liebe.
Es ist Gott, sagt der Glaube.

Sonntag, 15. Mai 2016

Predigt am 14. und 15. Mai 2016 (Pfingsten)

Predigttext: Apostelgeschichte 2, 1-18.21-24.36

Es kam das Pfingstfest. An diesem Tag waren sie alle wieder am selben Ort versammelt. Plötzlich setzte vom Himmel her ein Rauschen ein wie von einem gewaltigen Sturm; das ganze Haus, in dem sie sich befanden, war von diesem Brausen erfüllt. Gleichzeitig sahen sie so etwas wie Flammenzungen, die sich verteilten und sich auf jeden Einzelnen von ihnen niederließen. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt, und sie begannen, in fremden Sprachen zu reden; jeder sprach so, wie der Geist es ihm eingab.
*


Sie haben gewartet. Gewartet, dass endlich etwas passiert. Jesus war weg, und sie wussten nicht, wie es weiter geht. Sie hatten keinen Plan. Sie wussten nur: Irgendwas würde geschehen. Es kommt was. Oder wer. Der Heilige Geist, so hatte er ihnen gesagt. Wie das ist, wussten sie nicht. Sie haben gewartet, gebetet, gehofft. Und dann kam Pfingsten.
Der Heilige Geist. Kein Gespenst. Kein laues Lüftchen. Kein sanftes Säuseln. Nein: Sturmwind. Brausen, Rütteln. Türen, Fenster und Wände konnten ihn nicht aufhalten. Er fuhr ihnen in die Glieder, in die Leiber, in die Herzen, in die Zungen. Feuer und Flammen. Licht und Kraft. Energie.
Der Heilige Geist. Kein stilles Meditieren. Keine sanfte Spiritualität. Kein neues Bewusstsein. Nein: Laute Worte. Viele Worte. Neue Sprache. Unerhört. Unverständlich für die einen. Überverständlich für die anderen.
Der Heilige Geist. Nicht eingesperrt in Kirchenmauern. Nicht domestiziert in wohlgesetzten Liturgien. Nicht ausformuliert in gut durchdachten Dogmen. Sondern unbändiges Gotteslob. Die herrliche Freiheit der Kinder Gottes. Geradezu von Gott besoffen sind sie.
Sie haben gewartet. Aber das haben sie wohl nicht erwartet. Gottes unberechenbarer Geist kommt wie ein Sturmwind und wirbelt alles durcheinander.
*
Wegen des Pfingstfestes hielten sich damals fromme Juden aus aller Welt in Jerusalem auf.  Als nun jenes mächtige Brausen vom Himmel einsetzte, strömten sie in Scharen zusammen. Sie waren zutiefst verwirrt, denn jeder hörte die Apostel und die, die bei ihnen waren, in seiner eigenen Sprache reden. Fassungslos riefen sie: »Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? Wie kommt es dann, dass jeder von uns sie in seiner Muttersprache reden hört? Wir sind Parther, Meder und Elamiter; wir kommen aus Mesopotamien und aus Judäa, aus Kappadozien, aus Pontus und aus der Provinz Asien, aus Phrygien und Pamphylien, aus Ägypten und aus der Gegend von Zyrene in Libyen. Sogar aus Rom sind Besucher hier, sowohl solche, die von Geburt Juden sind, als auch Nichtjuden, die den jüdischen Glauben angenommen haben. Auch Kreter und Araber befinden sich unter uns. Und wir alle hören sie in unseren eigenen Sprachen von den wunderbaren Dingen reden, die Gott getan hat!« Alle waren außer sich vor Staunen. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte einer den anderen, aber keiner hatte eine Erklärung dafür. Es gab allerdings auch einige, die sich darüber lustig machten. »Die haben zu viel süßen Wein getrunken!«, spotteten sie.
*
Der Heilige Geist ist kein heimlicher Geist. Ein unheimlicher Geist eher. Er versteckt sich nicht und lässt sich nicht verstecken. Er ist laut. Und schrill. Und öffentlich. Und ärgerlich. Vielleicht auch ein peinlicher Geist.
Alle kriegen es mit, alle sind sie da und alle wundern sie sich und fragen sich: Was ist das? Was soll das? Was wird das?
Sie verstehen die Worte, und verstehen nicht, dass sie sie verstehen. Die Provinztölpel aus Galiläa reden Griechisch und Latein und die Lateiner sind mit ihrem Latein am Ende.
Der Heilige Geist ist offenbar sprachbegabt. Und macht sprachbegabt. Leute, die nicht reden konnten, tun ihren Mund auf. Menschen, denen die Worte fehlten, haben was zu sagen. Personen, die begriffsstutzig waren, beginnen zu begreifen. Und Verständnislosen geht ein Licht auf.
Das Pfingstwunder ist ein Sprachwunder, ein Wortwunder. Der die Welt durch das Wort geschaffen hat, ergreift das Wort. Ergreift seine Geschöpfe mit dem Wort und gibt ihnen Ant-Worten: ins Herz und auf die Lippen. Ant-Worten: Worte, die auf Worte folgen. Keine Widerworte, sondern Worte, die einander ergänzen, aufeinander reagieren. Die hin- und herfliegen wie Bälle. Von Gott zu Mensch, von Mensch zu Gott und von Mensch zu Mensch. Der Heilige Geist jongliert mit Worten.
Gott schafft seinen Worten Gehör. Die Leute staunen, weil sie hören. Weil sie verstehen. Und weil sie nicht verstehen, dass sie verstehen. Ein Wunder aus Worten.
Ok, manche spotten: „Die sind ja besoffen!“, sagen sie. Und müssten doch genau wissen, dass Betrunkene nicht verständlich, sondern unverständlich reden.
Aber für alle, die es noch nicht verstanden haben, hat Petrus verständliche Worte. Worte, in der Sprache, die sie alle verstehen:
*
Jetzt trat Petrus zusammen mit den elf anderen Aposteln vor die Menge. Mit lauter Stimme erklärte er: »Ihr Leute von Judäa und ihr alle, die ihr zur Zeit hier in Jerusalem seid! Ich habe euch etwas zu sagen, was ihr unbedingt wissen müsst. Hört mir zu! Diese Leute hier sind nicht betrunken, wie ihr vermutet. Es ist ja erst neun Uhr morgens.  Nein, was hier geschieht, ist nichts anderes als die Erfüllung dessen, was Gott durch den Propheten Joel angekündigt hat.  ›Am Ende der Zeit‹, so sagt Gott,›werde ich meinen Geist über alle Menschen ausgießen. Dann werden eure Söhne und eure Töchter prophetisch reden; die Jüngeren unter euch werden Visionen haben und die Älteren prophetische Träume. Sogar über die Diener und Dienerinnen, die an mich glauben, werde ich in jener Zeit meinen Geist ausgießen, und auch sie werden prophetisch reden. [...] Jeder, der dann den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden.‹
*
Dem Petrus war selber gerade erst das Licht aufgegangen: Was da unerwartet über sie gekommen war, war das, worauf sie warten sollten. War der Geist des Herrn. Und da war es da in seinem Geist: das Prophetenwort von Joel, der genau so etwas vorhergesagt hatte: prophetische Rede – Worte direkt von Gott zu Mensch, Visionen und Träume – Gott tut sich den Menschen kund. Sie sollten verstehen, was Gott sagt und tut und will. Und antworten, ihn anrufen und gerettet werden.
Wir spinnen nicht. Wir sind auch nicht besoffen. Nicht schon früh um Neun. Und auch nicht abends um Zehn. Nicht besoffen, sondern begeistert. Und ihr könnt auch begeistert sein. Von Gott, der Wunder tut. Von Gott, der zu euch redet. Von Gott, der euch rettet.
Aber Petrus spricht nicht nur irgendwie so allgemein von Gott und der Welt. Er spricht konkret: von Jesus.
*
Ihr Leute von Israel, hört her! Bei dem, was wir euch zu sagen haben, geht es um Jesus von Nazaret. Durch diesen Mann hat Gott – wie ihr alle wisst – in eurer Mitte mächtige Taten vollbracht, Wunder gewirkt und außergewöhnliche Dinge getan. Damit hat er ihn euch gegenüber als seinen Gesandten bestätigt. Was dann geschah, wusste Gott schon lange im Voraus; er selbst hatte es so geplant: Jesus wurde verraten und an euch ausgeliefert, und ihr habt ihn durch Menschen, die nichts vom Gesetz Gottes wissen, ans Kreuz schlagen und töten lassen. Doch Gott hat ihn aus der Gewalt des Todes befreit und hat ihn auferweckt; es zeigte sich, dass der Tod keine Macht über ihn hatte und ihn nicht festhalten konnte. [...]
Es steht also unzweifelhaft fest, und ganz Israel soll es erkennen: Gott hat Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Messias gemacht.«
*
Petrus spricht konkret von Jesus:
Jesus, den kennt ihr doch. Von dem habt ihr doch gehört oder habt ihn selber gesehen. Ist ja erst sieben Wochen her, dass er zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Denkt nicht, dass das mit ihm nun alles erledigt ist. Im Gegenteil: jetzt geht es richtig los. Denn er lebt; das können wir bezeugen. Er ist zu Gott gegangen und schickt uns jetzt diesen Gottesgeist. Was wir gerade erleben ist sein Lebenszeichen vom Himmel – für euch.
Und dann kommt das größte Pfingstwunder: Ganz viele glauben seinen Worten. Die Worte gehen ihnen zu Herzen. – Ganz ehrlich: Wenn ich die Pfingstpredigt von Petrus heute lese – naja, das reißt mich rhetorisch und theologisch nicht vom Hocker. Aber die sie damals als erste gehört haben, die waren zutiefst bewegt, ergriffen und fragten: Was sollen wir tun? Petrus sagt: Glaubt und lasst euch taufen! Weiter nichts. – 3000 Leute glauben und lassen sich taufen. Weiter nichts. – Und da ist sie: die heilige christliche Kirche. Geschaffen vom Heiligen Geist.
Das ist Pfingsten.
*
Liebe Freunde, ich kann und will euch nicht erklären, was der Heilige Geist genau ist; ich kriege ihn nicht zu fassen. Ich kann und will euch nicht erklären, was damals wirklich passiert ist; ich weiß es nicht. Ich kann und will euch nicht erklären, wie Glaube und Taufe funktioniert; ich weiß es nicht. Ich kann und will euch nicht erklären, was die heilige christliche Kirche ist; auf jeden Fall mehr, als ich sehen und in Worte fassen kann.
Der Heilige Geist hat sich nicht erklärt, sondern ist einfach über die Menschen gekommen, hat sie genommen und verwandelt, hat ihnen Worte gegeben und Wunder gewirkt. Da war Glaube, da war Begeisterung, da war Gemeinschaft – da war Kirche.
Manchmal höre und sehe ich heute ähnliches: begeisterte Menschen. Leute, die die großen Taten Gottes preisen und von Jesus erzählen. Einzelne, die anfangen an Gott zu glauben – gegen alle Vernunft und Berechnung. Viele, für die die Sache mit Gott mehr ist als Tradition und Brauchtum.
Manchmal sehe ich auch nichts, und dann warte ich, dass endlich etwas passiert. So wie die Apostel, bevor Pfingsten wurde. Nicht, dass wir etwas machen, etwas entwickeln, auf die Beine stellen, darauf kommt es an, sondern darauf, dass Gott macht, dass sein Geist kommt und es anfängt zu brausen und zu wehen, zu brennen und zu leuchten. Dass er uns neue Worte gibt. Dass Gott sich neu verständlich macht.

Zu Pfingsten besonders beten wir darum:
Komm Heiliger Geist!
Erfülle die Herzen!
Erwecke die Menschen!
Erbaue das Reich Gottes!
Mitten unter uns.

Sonntag, 8. Mai 2016

Predigt am 8. Mai 2016 (Exaudi, Proprium Christi Himmelfahrt)

Jesus zeigte sich den Aposteln nach seinem Leiden durch viele Beweise als der Lebendige und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang und redete mit ihnen vom Reich Gottes. Und als er mit ihnen zusammen war, befahl er ihnen, Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten auf die Verheißung des Vaters, „die ihr“, so sprach er, „von mir gehört habt; denn Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber sollt mit dem Heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen.“
Die nun zusammengekommen waren, fragten ihn und sprachen: „Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel?“ Er aber sprach zu ihnen: „Es gebührt euch nicht, Zeit und Stunde zu wissen, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat; aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde.“
Und als er das gesagt hatte, wurde er zusehends aufgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg. Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern. Die sagten: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.“
Apostelgeschichte 1, 3-11
*
Guck auf die Straße!, sagt mein Schutzengel.
Schwierig, wenn da am Flughafen gerade ein Flugzeug startet.
Himmelfahrt, also Luftfahrt, ist spannender als Aufofahrt.
Wenn sich am Himmel etwas bewegt oder wenn von fern das Summen der Motoren klingt, dann gehen die Augen nach oben.
Ich bin ein Hanns-guck-in-die-Luft.
Wenn der Hanns zur Schule ging,
stets sein Blick am Himmel hing.
Nach den Dächern, Wolken, Schwalben
schaut er aufwärts allenthalben.
Vor die eignen Füße dicht,
ja, da sah der Bursche nicht,
also dass ein jeder ruft:
„Seht den Hanns Guck-in-die-Luft!“
*
Nicht nur Hanns guckt in die Luft, auch Peter, Andy und Jakob, Philipp und Barth, Matze und Tom und wie sie alle hießen, und Mary war wohl auch dabei – da stehen sie und gucken in die Luft.
Weil: Es ist Himmelfahrt.
Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.
Dort ist er jetzt.
Irgendwie, irgendwo da oben in grenzenloser Vogelfreiheit.
Sie gucken in die Luft, starren Löcher hinein, aber ihre Augen haben schon jenen winz’gen Punkt verloren.
Und nun? –
Der da oben.
Wir hier unten.
Er sieht uns.
Wir sehen ihn nicht.
Wir gucken in die Luft.
Besser als in die Röhre.
Aber was soll werden?
Guck auf die Straße!
Nicht in den Himmel!
Sieh neben dich!
Da sind noch andere unterwegs.
Sagen die Schutzengel.
Männer in weißen Gewändern, sagt die Bibel, damit wir verstehen, dass es Engel sind.
Aber Gottes Boten haben natürlich nicht immer weiße Gewänder an.
Manchmal schwarze.
Oft aber ganz normal Jeans und T-Shirt.
Oder ein Sommerkleid.
Sie sind mit uns unterwegs, und wenn es uns gerade zu fromm ums Herz wird, wenn wir zu lange in den Himmel starren, wenn wir beim Beten zu lange die Augen schließen, dann holen sie uns auf den Boden der Tatsachen zurück:
Guck auf die Straße!
Schau, wo es lang geht!
Achte auf die anderen Verkehrsteilnehmer auf den Autobahnen und Feldwegen des Lebens.
Der da oben hat zwar den Überblick, aber hier unten fahren musst du.
Ja, er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, aber darauf achten, dass du dich nicht an einem Stein stößt, musst du auch selber.
So machen sie das mit dem Behüten:
Dich anstoßen, damit du nicht irgendwo anstößt, und dir sagen:
Guck auf die Straße!
*
Die lange, lange Straße.
Wann sind wir endlich da?, wollen sie wissen:
Hanns und Jakob, Peter und Andy, und die Mary auch. Wie lang sind sie, die Autobahnen und Abwege unseres Lebens?
Wann kommen wir an:
dort, wo das Leben wirklich gut ist, so, wie es sein soll?
Alle glücklich und zufrieden?
Wann sind wir endlich da?
Wann hat das Kämpfen und Leiden, das Streiten und Verletztwerden ein Ende?
Wann halten die Idioten endlich ihre Klappe?
Wann hören die Bekloppten auf sich zu kloppen?
Die Hasser zu hassen?
Und die Selbstgerechten ihr Gutsein zu feiern?
Machst du das, Herr?
Machst du das bald?
Wann ist es endlich so weit?
Keine Ahnung, Gott weiß, wann.
Jedenfalls nicht gleich.
Ihr seid noch auf dem Weg.
Und der Weg ist nicht das Ziel.
Und das Ziel ist nicht der Weg.
Ihr müsst nicht wissen, wann.
Und eigentlich wollt ihr es doch auch gar nicht wissen.
Jetzt seid ihr unterwegs.
Und jeder Tag ist neu.
Und jeder Wegabschnitt ist anders.
Die Bekloppten sind heute anders bekloppt als früher.
Und was die Selbstgerechten heute gut finden, ist, was ihre selbstgerechten Großeltern noch schlecht fanden.
Es bleibt spannend.
Auch früher war nicht alles schlecht, und erst recht nicht alles besser.
Und heute ist vieles anders und nicht nur alles schlecht, wie manche meinen.
Unter den Idioten findest du Freunde.
Obwohl es so viel Hass gibt, kennst du Menschen, die dich lieben – und die du liebst.
Gemeinsam seid ihr unterwegs, ein kurzes oder langes Stück, und es ist gut so.
Selbst ohne Ziel.
Irgendwann wird das Ankommen wichtig.
Erst mal ist es wichtig, unterwegs zu sein.
In Jerusalem, in Judäa und Samaria, in Deutschland und Teneriffa und bis ans Ende der Welt.
Unterwegs, um Seine Zeugen zu sein.
Nicht, um den Himmel auf Erden zu schaffen.
Nur Zeugen sein.
Erzählen, wie er bei uns war.
Auf unseren Straßen und Wegen.
Mit uns geredet hat, und unsere Herzen brannten.
Mit uns gegessen und gefeiert.
Wunderbare Geschichten erzählt und wunderbare Wunder getan.
So wunderbar, dass wir manchmal dachten, das wäre schon der Himmel auf Erden.
Aber dann auch erzählen von den Missverständnissen und dem Hass der Menschen und wie sie ihn in ihrer Selbstgerechtigkeit verleumdet haben, ans Messer geliefert und aufs Kreuz gelegt.
Und wie er durch die Hölle gegangen ist.
Für uns.
Schließlich davon, dass er den Tod überlebt hat.
Und als erster von allen angekommen ist – dort oben. Bei Gott.
Wo alles endlich endlos gut ist.
Seine Zeugen sein.
Auch wir haben es erlebt.
Ein Stück Himmel mit ihm.
Vielleicht auch schon ein Stück Hölle,
aber eben auch mit ihm.
Und da war die Hölle keine Hölle mehr.
Wir haben den Tod überlebt.
Das Leben hat gesiegt.
Und die Hoffnung auf den Himmel.
Das können wir bezeugen.
Jetzt stehen wir hier, manchmal, und suchen mit den Augen nach jenem winzigen Punkt.
Bis die Engel uns sagen:
Guck auf die Straße und fahr weiter:
Bis ans Ende der Welt!
*
Guck auf die Ampel!, sagt mein Schutzengel.
Sie ist gerade Rot.
Wir stehen hier, und es geht nicht weiter.
Stillstand auf dem Lebensweg.
So komme ich nie bis ans Ende der Welt, denkst du.
Die Ampel rot; nichts passiert.
Die andern fahren; du stehst und wartest.
Bevor er abgereist ist, hat Jesus zu seinen Freunden, zu Hanns und Peter und Mary, gesagt: Wartet!
Wartet hier in Jerusalem, bis ich euch grünes Licht gebe.
Geht nicht auf eigene Faust los, sondern wartet auf Gottes Geist.
Rote Ampeln auf den Lebenswegen.
Wartezeiten, wo nichts passiert.
Wo Jesus weg ist und der Heilige Geist noch nicht da – die Exaudi-Phasen des Lebens.
Die gibt es, und auch die kannst du aushalten.

Die Ampel ist rot.
Ich stehe still.
Am Himmel sehe ich einen winzigen Punkt, und ich habe Zeit nach oben zu schauen.
Ob da ein Flugzeug kommt.
Oder vielleicht sogar dieser Jesus?