Montag, 31. Oktober 2016

Predigt am 30. Oktober 2016 (Reformationsgedenken)

Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben.
Denn es ist hier kein Unterschied: Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollen, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Jesus Christus geschehen ist.
Den hat Gott für den Glauben hingestellt zur Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher begangen wurden in der Zeit der Geduld Gottes, um nun, in dieser Zeit, seine Gerechtigkeit zu erweisen, auf dass er allein gerecht sei und gerecht mache den, der da ist aus dem Glauben an Jesus.
Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.
Römer 3, 21-28

Er wäre jetzt Zwanzig. Aber vor acht Jahren ist er gestorben, mit Zwölf, an Krebs. Er war unser Nachbar. Wir haben mit ihm hinterm Haus Flugzeuge fliegen lassen oder mit seinen Eltern und Freunden gegrillt. Andrea hat mit ihm gebastelt, oder wir haben mit ihm zusammen Computerspiele gezockt. Jahrelang hat er gekämpft, lange Operationen über sich ergehen lassen, für einige Zeit sah es mal fast gut aus, dann kam der Krebs zurück, schlimmer als zuvor. Das hat ihn zu einem besonderen Kind gemacht. Körperlich war er etwas zurückgeblieben, dafür sagte er manchmal Dinge, die sehr, sehr altersweise klangen. Und er konnte böse sein, aggressiv; es war so viel Wut in ihm wegen dieser Scheiß-Krankheit! Weihnachten 2008 war er nur noch schwach, konnte nur für kurze Zeit mal aufstehen, die Geschenke ansehen, dann hat er sich, schwach und müde wie er war, wieder hingelegt. Am vorletzten Tag des Jahres ist er gestorben. Stumm und friedlich lag er da, der Kampf war ausgekämpft. Wenige Tage später haben wir ihn an einem sonnigen Wintertag in einem bunt bemalten Sarg zu Grabe getragen. Manchmal denken wir an ihn. Oder an seine Eltern.
Seine Mutter ist lange nicht damit fertig geworden, schon lange vor seinem Tod nicht und lange danach nicht. Für manche ist es ein Vorteil, eine Hilfe, den Glauben an Gott als Trost zu haben. Für sie hat es der Glaube nur noch schlimmer gemacht. Wenn es einen Gott gibt, warum lässt er das geschehen? Da sind so viele glückliche Familien mit gesunden Kindern, und sie darf dieses Glück nicht haben. Sie, die doch besonders christlich war, sie, die sogar Pfarrerstochter war! Womit hatte sie das verdient? Gott ist extrem ungerecht!
Paulus schreibt: Nun ist die Gerechtigkeit Gottes offenbar geworden.
Die Gerechtigkeit Gottes? – Gott ist extrem ungerecht. So empfinden es viele.
Den einen geht es gut, den anderen geht es schlecht. Die einen sind gesund, die anderen sind krank.
Der Kettenraucher wird 96, einer, der gesund lebt und Sport treibt, stirbt mit Anfang 40.
Die einen kommen in Aleppo zur Welt oder in Mossul oder irgendwo in Eritrea, die anderen in Frankfurt, Wien oder Santa Cruz.
Die einen sind reich und schön, die anderen sind arm und krank.
Man könnte ja sagen: Die Welt ist ungerecht. Aber wenn man an Gott glaubt, dann muss man eigentlich auch sagen: Gott ist ungerecht. Er hätte es doch anders machen können: besser, gerechter.
Philosophen haben es versucht zu erklären: Gott ist trotzdem gerecht. Es könnte ja alles noch viel schlimmer sein. Vielleicht ist es ja so, dass nicht mal Gott es besser machen könnte. Aber ich weiß nicht: Möchte ich an einen Gott glauben, der es nicht besser kann?
Paulus schreibt: Nun ist die Gerechtigkeit Gottes offenbar geworden.
Martin Luther, schon alt und krank – ja mit 62 Jahren war man damals schon alt – blickt auf seine frühen Kämpfe zurück und erinnert sich, wie er mit der Gerechtigkeit Gottes gerungen hat. Aber sein Problem mit Gott war nicht gewesen, dass Gott ungerecht ist. Sein Problem war, dass Gott gerecht ist. „Ich hasste nämlich dieses Wort Gerechtigkeit Gottes“, schreibt er. „Ich konnte den gerechten, die Sünder strafenden Gott nicht lieben, im Gegenteil, ich hasste ihn sogar.“
Versteht ihr das? Für Luther war klar: Wenn Gott gerecht ist, dann bin ich verloren. Wenn Gott gerecht ist, dann kann er mich armen, elenden, sündigen Menschen nur strafen und verurteilen. Wenn Gott gerecht ist, dann bin ich ungerecht – und auf ewig verloren.
So kann man sie nämlich auch verstehen, die Gerechtigkeit Gottes: Nicht als einen Anspruch, den wir Menschen gegenüber Gott hätten, den Anspruch, dass er es allen gut gehen lassen müsste und dass er alle gleich gut behandeln müsste. Sondern als einen Anspruch, den Gott an uns hat: dass wir gerecht leben, weil er gerecht ist. Und wer Gottes Anspruch nicht genügt? – Nun, der ist verloren.
Luther grübelte über die Gerechtigkeit Gottes, weil er ahnte, dass damit noch etwas anderes gemeint sein müsste, weil er wusste, dass Gott doch nicht den Tod des Sünders will, sondern das Leben. Und er fand die Antwort – im Römerbrief: Der Gerechte lebt aus dem Glauben. Oder, wie es an unserer Stelle heißt: die Gerechtigkeit, die durch den Glauben an Jesus Christus kommt. Also: Gottes Gerechtigkeit kommt zu den Menschen. „Da fing ich an, die Gerechtigkeit Gottes als eine solche zu verstehen, durch welche der Gerechte als durch Gottes Gabe lebt, nämlich aus dem Glauben.“ Und weiter: „ Da zeigte mir die ganze Schrift ein völlig anderes Gesicht. Ich ging die Schrift durch, soweit ich sie im Gedächtnis hatte, und fand auch bei anderen Worten das gleiche, z.B.: Werk Gottes bedeutet das Werk, welches Gott in uns wirkt; Kraft Gottes - durch welche er uns kräftig macht; Weisheit Gottes - durch welche er uns weise macht. Das gleiche gilt für Stärke Gottes, Heil Gottes, Ehre Gottes. Mit so großem Haß, wie ich zuvor das Wort Gerechtigkeit Gottes gehasst hatte, mit so großer Liebe hielt ich jetzt dies Wort als das allerliebste hoch.“
Paulus schreibt: Nun ist die Gerechtigkeit Gottes offenbar geworden.
Und Luther übersetzt statt einfach nur Gerechtigkeit Gottes: die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Denn darauf kommt es an: Unsere menschliche Gerechtigkeit gilt vor Gott nicht. Sie reicht dem gerechten Gott nicht. Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, das ist Gottes eigene Gerechtigkeit, die er uns schenkt. Und Gottes eigene Gerechtigkeit, das ist seine Liebe, mit der er uns in Christus liebt. So ist Martin Luther die Gerechtigkeit Gottes offenbar geworden.
Halten wir fest:
Gerechtigkeit Gottes heißt nicht: Gott muss es uns recht machen.
Gerechtigkeit Gottes heißt auch nicht: Wir müssen es Gott recht machen.
Gerechtigkeit Gottes heißt: Gott macht uns ihm recht.
Gott macht uns ihm recht – das nennen wir Rechtfertigung. Das ist die Mitte der reformatorischen Botschaft. Das ist die Mitte des Evangeliums: die Rechtfertigung des Sünders allein aus Glauben.
Ist Gott ungerecht? – In gewisser Weise: ja. Er gibt uns nicht nach unserem Verdienst und Würdigkeit, wie Luther sagen würde, er gibt uns auch nicht weniger als wir verdienen, er gibt uns viel mehr: nämlich das wahre Leben, die ewige Seligkeit. Das ist ungerecht, wir haben es nicht verdient. – So ungerecht ist die Gerechtigkeit Gottes!
Wenn wir dieser Gerechtigkeit Gottes vertrauen, dann müssten sich unsere Perspektiven verschieben:
Manches, was wir hier in dieser Welt als ungerecht ansehen, ist es dann wohl nur deshalb, weil wir nicht weiter sehen, nicht so weit wie Gott.
Ja, wenn ein Kind mit 12 sterben muss, dann ist das schrecklich, weil wir meinen, es müsste das Leben doch noch vor sich haben. Und, ja, es ist auch schrecklich für Eltern und Freunde, wo wir doch so viel Liebe, Kraft und Geduld gegeben haben und so viel Hoffnung begraben müssen. Aber wenn ein Kind zu Gott geht, dann ist es doch auch unendlich gut, weil es ins Leben geht, weil Liebe, Kraft und Geduld vor Gott gewiss nicht umsonst waren und weil bei ihm nicht das Ende der Hoffnung ist, sondern der Anfang.

Ja, die Welt ist ungerecht. Ja, wir Menschen sind ungerecht. Aber Gott ist gerecht und macht gerecht. Dieser Glaube tröstet mich: Diese Welt ist nicht das Reich Gottes. Und unsere Ungerechtigkeit ist nicht das letzte Wort. Gott macht uns ihm recht; wir sind ihm recht, um Jesu willen. Wenn wir das glauben, dann müssen wir keine Angst haben vor dem Ungenügen, vor dem Scheitern, vor dem Sterben. Denn, das ist ein paar Seiten später, das große Fazit des Paulus: ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist, unserm Herrn. (Römer 8, 38f)

Sonntag, 23. Oktober 2016

Predigt am 23. Oktober 2016 (22. Sonntag nach Trinitatis)

Ich danke meinem Gott – immer wenn ich an euch denke, allezeit, mit jedem meiner Gebete für euch alle.
Ich danke ihm, dass ihr dem Evangelium treu seid vom ersten Tag an bis heute.
Ich danke ihm, denn ich bin gewiss, dass er, der in euch das gute Werk begonnen hat, es auch vollenden wird, bis der Tag Jesu Christi kommt.
Ich kann gar nicht anders, als so von euch zu denken, weil ich euch in meinem Herzen habe: Ich bin gefangen und verteidige und bekräftige das Evangelium, und ihr alle habt mit mir zusammen Anteil an der Gnade.
Weiß Gott, ich habe Sehnsucht nach euch aus tiefstem Herzen, aus dem Herzensgrund Jesu Christi.
Und dafür bete ich: dass eure Liebe immer mehr zunehme an Erkenntnis und aller Erfahrung, damit ihr beurteilen könnt, worauf es ankommt, und damit ihr rein und makellos seid für den Tag Christi, reich an Früchten der Gerechtigkeit durch Jesus Christus zur Ehre und zum Lob Gottes.
Philipper 1, 3-11

Ein Brief mit Herzchen. So was schreiben Teenie-Girls. Heutzutage vielleicht eher Nachrichten im Messenger voller Herzchen-Emotes: „Hab dich lieb, meine Süße! – Küsschen, Herzchen“.
Und Jungs, wenn sie ein bisschen älter sind und noch ein bisschen Stil haben: „Dein ist mein ganzes Herz“ oder sowas.
Ich schreibe heute unter meine E-Mails häufig: „Mit herzlichen Grüßen!“ Klingt verbindlicher als bloß „freundliche Grüße“; nur: sind meine Grüße wirklich so herzlich, oder ist das nur eine Floskel?
*
Paulus sitzt in einer engen Zelle. Nur wenig Sonnenlicht dringt durch die Fensterschlitze und malt sich auf den Boden; ansonsten ist es kühl und dunkel. Paulus hat einen Hocker und einen Tisch. Vor ihm liegt ein Stoß Papyrusblätter, daneben steht ein Gefäß mit Tinte: was für ein Luxus hier im Gefängnis! Die Feder kratzt auf dem Papyrus und aus großen ungelenken Buchstaben werden Worte und Sätze. Sie füllen die Blätter bis an den Rand. Da ist kein Platz für Herzchen. Aber für Herzlichkeit.
Paulus schreibt mit herzlichen Grüßen. Und er hebt sie sich nicht bis zum Ende auf, sondern er bringt sie gleich in den ersten Zeilen unter. Man spürt es seinen Worten ab, dass sie von Herzen kommen:
Ich danke Gott von Herzen, dass es euch gibt,
dass ihr ihm vertraut,
dass er in euch wirkt.
Ich danke Gott, dass ihr mit mir verbunden seid, auch wenn ich nicht zu euch kommen kann, auch wenn ich im Gefängnis bin.
Ihr seid in meinem Herzen.
Ich habe Sehnsucht nach euch von ganzem Herzen, Sehnsucht aus dem Herzensgrund Christi.
Und ich bitte Gott von Herzen: dass er alles gut und vollkommen macht bei euch.
Wenige Wochen später sind sie in Philippi zusammengekommen im Haus der Lydia, der gut betuchten Purpurhändlerin: ihre Freundinnen und ihre Mitarbeiter, der Kerkermeister mit Frau und Kindern und noch ein paar andere. Epaphroditos hat den Brief von Paulus mitgebracht und liest ihn vor. Schweigend hören sie zu, und als die Worte von der Sehnsucht fallen, da stehen einigen schon Tränen in den Augen. Es sind Worte, die zu Herzen gehen. Nicht nur Grußformeln und fromme Floskeln. Sie spüren es: Wir sind viele Tagesreisen voneinander entfernt, aber unsere Herzen schlagen im selben Takt. Das Evangelium verbindet uns. Unsere Gebete verbinden uns. Jesus Christus verbindet uns. Glaube ist Herzenssache.
*
Wer ist eigentlich auf die Idee mit dem Herzen gekommen?
Das Herz ist eine große Pumpe, ein Muskel, kunstvoll konstruiert, um zwei Blutkreisläufe am Laufen zu halten und miteinander zu verbinden. Sie arbeitet normalerweise 70 bis 80 Jahre am Stück, oft auch noch länger. Manchmal gibt es auch vorher schon Schwierigkeiten: Sie stottert oder die Leitungen verstopfen. Dann muss der Techniker ran mit einem künstlichen Taktgeber oder mit einer Verstärkung der Leitungen, oder er legt eine Umleitung, oder der Chemiker tut etwas, damit das Blut besser fließt. Denn, klar, wenn das Herz aufhört zu pumpen, dann hört alles auf. Dann sind wir innerhalb weniger Minuten tot. Lebenswichtig, das Herz. Gut geschützt, eingeschlossen in unserem Brustkorb, pumpt es und pumpt und pumpt. Und es sieht nicht mal aus wie ein Herz.
Was wir fühlen, wünschen, empfinden und teilen, das ist eigentlich anderswo. Nicht in der Pumpe, sondern im Kopf, im Rückenmark, vielleicht sogar im Bauch. Und trotzdem haben wir das Gefühl: Wir fühlen mit dem Herzen. Bewusst oder unbewusst legen wir die Hand aufs Herz, wenn wir von unserem Innersten sprechen.
Die Bibel spricht vom Herzen, von dem, was im Herzen ist, aus dem Herzen kommt und zu Herzen geht. Auch wenn Gott selber es natürlich besser weiß, wo was im menschlichen Körper passiert. Aber er spricht so, wie wir es verstehen.
Das Herz, von dem wir meistens sprechen, das Herz, von dem auch die Bibel spricht, das ist kein Körperteil, sondern es ist die Mitte unserer Seele. Das Tiefste, das Innerste, das Heiligste. Der Ort, wo die Liebe wohnt – und der Hass. Der Ort, wo Gott uns regiert – oder der Teufel. Was uns zu Herzen geht, das trifft uns im Zentrum unseres Seins. Was von Herzen kommt, das sind wir selber. Und wem wir unser Herz schenken, dem gehören wir ganz.
Erhebet eure Herzen. – Wir erheben sie zum Herren.
Oder: Nun gehören unsre Herzen ganz dem Mann von Golgatha. So soll es sein. Dass ER unsre Herzen besitzt – dass er der Herr unsres Lebens ist.
*
Unsre katholischen Schwestern und Brüder verehren das heiligste Herz Jesu. Jedem ist schon mal so eine Darstellung begegnet: Zum Beispiel steht eine kleine Jesus-Statue oben am Teide, an der Seilbahnstation, und auf seiner Brust dargestellt das Herz – umwunden mit dem Dornenkranz, gekennzeichnet mit dem Kreuz, eine Feuerflamme schlägt heraus und ein Strahlenkranz umgibt es. So wird es meistens dargestellt – das heiligste Herz Jesu. Für uns Protestanten und selbst für viele Katholiken mutet die Herz-Jesu-Frömmigkeit befremdlich an. Und doch lohnt es sich, diese Symbolik zu bedenken und zu meditieren.
Das Herz Jesu:
Es ist Gottes menschliches Herz für uns.
Er zeigt uns sein Herz in Jesus.
Er schenkt uns sein Herz in Jesus.
Weil er uns liebt.
Er fordert nicht einfach, dass wir ihm unser Herz schenken.
Nein, er schenkt uns sein Herz zuvor.
Er gibt sich ganz für uns hin.
Er ist selbst die Liebe.
Leidenschaftliche Liebe:
Liebe, die Leiden schafft,
zuerst und vor allem ihm selbst.
Da ist das Kreuz und die Dornenkrone:
Er leidet an uns und für uns.
Und da ist die Feuerflamme und der Strahlenkranz:
Sein Herz brennt für uns.
Und seine Liebe strahlt aus –
in die Welt, zu uns Menschen.
Gott hat ein Herz für uns.
Ein offenes Herz.
Ein liebendes Herz.
Ein brennendes Herz.
Ein durchbohrtes Herz.
Das Herz Jesu.
*
Paulus sitzt in seiner Zelle und schreibt einen merkwürdigen Satz. Epaphroditos und die Philipper lesen ihn wenige Wochen später:
Gott weiß, ich habe Sehnsucht nach euch aus tiefstem Herzen, aus dem Herzensgrund Jesu Christi.
Eigentlich kann man diesen Satz kaum übersetzen, denn schon im Griechischen ist er ungewöhnlich. Und das tiefste Herz Jesu, sein Herzensgrund, der ist noch viel tiefer, als ihr denkt.
Aber genau aus dieser Tiefe kommt die zu Tränen rührende Herzlichkeit zwischen Paulus und seinen Geschwistern in Philippi. Es ist mehr als menschliche Sympathie. Es ist mehr als herzliche Zuneigung. Es ist göttliche Liebe. Die Liebe von Gott und zu Gott, die Herz und Herz zueinander zieht und beieinander hält.
Und weil sie göttlich ist, schreibt sie sich nicht nur Briefe mit Herz, sondern dankt Gott für den anderen und bittet Gott für den anderen – von Herzen.
Wir alle sind im Herzen Jesu. Und wir alle haben Jesus im Herzen.
Und so sollen unsere Herzen beieinander sein, füreinander schlagen, füreinander brennen. Wahrscheinlich ist das ein Ideal, dem wir entgegengehen bis zum jüngsten Tag.
Aber jeden Tag können wir miteinander und füreinander danken.
Und jeden Tag können wir miteinander und füreinander beten. Glaube ist Herzenssache.

Sonntag, 16. Oktober 2016

Predigt am 16. Oktober 2016 (21. Sonntag nach Trinitatis)

Seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke. Zieht an die Waffenrüstung Gottes, damit ihr bestehen könnt gegen die listigen Anschläge des Teufels. Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel. Deshalb ergreift die Waffenrüstung Gottes, damit ihr an dem bösen Tag Widerstand leisten und alles überwinden und das Feld behalten könnt. So steht nun fest, umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit und angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit, und an den Beinen gestiefelt, bereit einzutreten für das Evangelium des Friedens. Vor allen Dingen aber ergreift den Schild des Glaubens, mit dem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösen, und nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.
Epheser 6, 10-17

Ich hatte eine Kinderbibel, die hieß: Schild des Glaubens. Die war nicht neu; wenn ich mich richtig erinnere, hatte meine Mutter die schon als Kind. Die Seiten waren schon ein bisschen vergilbt. Aber ich mochte sie. Ich habe viel darin gelesen. Besonders die Geschichten aus dem Alten Testament: von Abraham und Lot, von Saul und David, von Elia und Elisa – die waren spannend. Und am Ende etwas, was ich überhaupt nicht verstand, und was mich doch faszinierte: ein Abschnitt aus der Johannes-Offenbarung: vom neuen Jerusalem, der Stadt, die aus dem Himmel kam. Mir gefielen die strengen und klaren Illustrationen von Paula Jordan; kein Mensch braucht bunte Bilder zu farbigen Geschichten. So habe ich die Bibel kennengelernt. Natürlich auch im Kindergottesdienst und in der Christenlehre; aber es war schön, wenn ich die Geschichten schon vorher kannte oder hinterher nachlesen konnte. Das Schild des Glaubens – das gab mir etwas, was andere nicht hatten. Es half mir, Christ zu sein und an Gott zu glauben, in einer eher gottlosen Umgebung.
Heute weiß ich auch etwas über die Geschichte dieses Buches – Schild des Glaubens. Ich weiß, dass es nach dieser Bibelstelle im Epheserbrief genannt ist, die heute im Predigttext steht. Ich weiß, dass heute kein Mensch mehr auf die Idee käme, eine Kinderbibel so zu nennen. Ich weiß, dass sie sogar noch älter ist als meine Mutter, von der ich sie bekommen habe. Ende der 30-er Jahre wurde der Badener Religionslehrer Jörg Erb beauftragt, eine neue, zeitgemäße Kinderbibel für den Religionsunterricht zu erarbeiten. Als sie 1941 veröffentlicht wurde, war sie zeitgemäßer, als sich viele vorgestellt hatten. Sie war zeitgemäß durch ihre Unzeitgemäßheit. Sie enthielt keinerlei moralisierende oder politisierende Belehrungen; sie erzählte einfach die wichtigsten biblischen Geschichten in enger Anlehnung an die Lutherbibel und stellte einzelne Bibelsprüche und Liedverse daneben (so wie es damals üblich war, Sprüche und Lieder auswendig zu lernen). Sie sollte den Kindern auch in den schlimmsten Zeiten Halt und Sicherheit in Gottes Wort geben, eine geistliche Rüstung gegen gottfeindliche Mächte und Ideologie:
Seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke. Zieht an die Waffenrüstung Gottes, damit ihr bestehen könnt gegen die listigen Anschläge des Teufels.
Schild des Glaubens – das blieb nach dem Krieg für etwa zwei Generationen die prägende Kinderbibel – sowohl im Westen als auch im Osten des geteilten Deutschlands. Danach gab es wohl nichts Vergleichbares mehr.
*
Manchmal merken wir, dass wir unterschiedliche Sprachen sprechen im Westen und im Osten, unterschiedliche Ausdrücke verwenden, auch in kirchlichen Dingen. Ein typischer DDR-Kirchen-Ausdruck ist die Rüstzeit. Während Kindergruppen oder Konfirmanden im Westen Freizeiten hatten, gab es im Osten Rüstzeiten. Da steckt das Wort Rüstung drin. Politisch waren wir ja durchaus für Frieden und Abrüstung, geistlich aber haben wir aufgerüstet, zugerüstet. Vielleicht, wahrscheinlich hat diese Ausdrucksweise mit dem Umfeld zu tun. Wir konnte und wollten nicht einfach Freizeit machen. Es ging darum, stark zu werden im Herrn und in der Macht seiner Stärke.
Wir wussten, dass wir im Kampf stehen. Nicht im Kampf mit Fleisch und Blut, nicht im Kampf mit Menschen. Die Menschen, das waren ja unsere Klassenkameraden und Lehrer, unsere Nachbarn und Kollegen, auch die Parteisekretäre, Volkspolizisten, Stasi-Spitzel und was es so gab. Manchmal machten sie uns das Leben schwer. Sie konnten über unsere Karrieren und Lebenswege bestimmen. Sie konnten uns drohen und einsperren. Sie konnten uns dazu bringen, dass wir Dinge sagten und Dinge taten, von denen wir nicht überzeugt waren oder von denen wir sogar wussten, dass sie falsch waren. In der Kirche lernten wir: Ihr kämpft nicht gegen diese Menschen. Ihr müsst sie nicht hassen. Sie sind, wie sie sind. Überzeugt oder angepasst. Böswillig oder gutmeinend. Ihr kämpft gegen geistige Mächte, gegen eine gottlose Ideologie, eine Ideologie, die unter dem Deckmantel einer höheren Humanität und Gerechtigkeit in Wahrheit Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit schafft. Dazu müsst ihr gerüstet sein.
Manche haben sich intensiv mit ihnen auseinandergesetzt, mit diesen geistigen Mächten, haben den Marxismus studiert, um mit den Genossen auf Augenhöhe kämpfen zu können. Manche sind darüber zu besseren Kommunisten geworden, als es die SED-Genossen waren. Aber eigentlich war das nicht der Weg der Kirche. Geistliche Zurüstung, das hieß vor allem: stark sein in dem, was unser Eigenes ist: Die Waffenrüstung Gottes tragen. Mit der Bibel leben. Wahrhaftig sein und fest im Glauben. Am Gebet festhalten. Und in der Gemeinschaft der Christen zusammenhalten. Das vor allem waren Rüstzeiten für uns: Zeiten intensiver Gemeinschaft, Zeiten des gemeinsamen Betens, Zeiten mit der Bibel, Zeiten, die uns im Glauben gestärkt haben. So konnten wir als Christen überleben in einer gottlosen Gesellschaft:
Seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke. Zieht an die Waffenrüstung Gottes, damit ihr bestehen könnt gegen die listigen Anschläge des Teufels.
*
Christlicher Glaube ist keine Freizeitaktivität. Christlicher Glaube ist Kampf.
Wir haben Zeiten erlebt, die letzten 26 oder 72 Jahre, wo es leicht war, Christ zu sein. Glaube gehörte einfach dazu: Wir waren ein bisschen fromm und der liebe Gott war es auch: ein frommer Mann – für alle Fälle. Wir können dankbar sein für diese guten Zeiten. Ich habe das Gefühl – andere auch –, sie gehen zu Ende. Noch feiert sich die Kirche selbst. Das Reformationsjubiläum im kommenden Jahr wird eine ganz große Sause. Noch liegen sich Kirche und Staat liebestrunken in den Armen: Pastoren und ihre Töchter machen Politik. Christlich imprägnierte Gesinnungsethik hat über die politische Verantwortung gesiegt. Jedoch: Die Ideologien, die gott- und menschenfeindlichen Mächte lassen sich nicht besiegen, indem man sie umarmt. Es gibt sie, und sie sind gefährlich. Ich nenne sie auch beim Namen:
Der politische Islam ist eine menschenfeindliche Ideologie, auch wenn sie sich auf Gott beruft, weil sie alle anderen unterwerfen will.
Sozialismus und Kommunismus sind Ideologien, die mit ihren Gleichheitsidealen die Vielfalt und die Freiheit menschlichen Lebens zerstören.
Und genau so sind Nationalismus und alle Formen von Rassismus unmenschliche und gottfeindliche Ideologien, weil sie bestimmte Menschen und Menschengruppen über andere stellt.
Ich sehe diese Ideologien erstarken. Ich sehe den Hass, den Terror, die Zerstörung, die sie bringen. Und ich sehe, wie viele die Gefahr immer nur auf der einen oder der anderen Seite sehen. Ich sehe, wie sie zwischen Mensch und Ideologie nicht unterscheiden. So entsteht Hass: Anstatt die Ideologie zu bekämpfen, an die einer glaubt, bekämpfen sie die Menschen, die an sie glauben. Statt gegen den Islamismus geht es gegen Flüchtlinge. Statt gegen den Nationalismus geht es gegen die Anhänger von AfD und Pegida. Statt gegen den Sozialismus geht es gegen bestimmte Politiker. Ich sehe den Hass zunehmen und die Gewalt. Und ich sehe, wie schon heute Christen Opfer werden von Hass und Gewalt – von allen Seiten.
Das wäre unsere Aufgabe als Kirche, als Christen heute, dass wir diese Unterscheidung stark machen und selber danach leben: Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen – mit den gottfeindlichen Geistesmächten unserer Zeit. Wir kämpfen nicht gegen Menschen, sondern gegen Dämonen!
Christlicher Glaube ist Kampf. Wir werden es künftig nicht mehr so leicht haben. Wir werden zwischen den Stühlen sitzen und angefeindet werden. Wir werden unsere Privilegien verlieren. Christlicher Glaube wird nicht mehr selbstverständlich sein. Ein bisschen fromm reicht nicht mehr, und auch der liebe Gott wird kein frommer Mann mehr sein, sondern ein General.

Wie gut, wenn wir gerüstet sind für alles, was kommen mag. Wie gut, wenn wir den Schild des Glaubens tragen. Und den Helm des Heils. Und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes. Wie gut, wenn wir in der Gemeinschaft der Christen bleiben, im Gebet und im Hören auf die Bibel. Wie gut, wenn wir bei dem bleiben, was unser eigenes ist. Ganz unzeitgemäß und gerade dadurch zeitgemäß: stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke.

Sonntag, 2. Oktober 2016

Predigt am 2. Oktober 2016 (Erntedanktag)


Der Apostel Paulus hat ein großes Spendenprojekt. In den griechischen Gemeinden, wo immer er auch hinkommt, sammelt er Geld. Oder schickt Leute, die für ihn Geld sammeln. Es geht darum, die armen Christen in Jerusalem zu unterstützen. Dort hat alles angefangen – mit Jesus und den Aposteln und dem Evangelium vom Reich Gottes. Und genau dort in Jerusalem haben sie es besonders schwer. So spektakulär die Anfänge gewesen sind, sie bleiben doch eine angefeindete Minderheit und eine arme Gemeinde; vielleicht haben sogar eigene Fehler dazu beigetragen, dass sie jetzt so arm sind. Wie auch immer: Paulus hat versprochen zu helfen, die Verbindung mit der Urgemeinde in Jerusalem hochzuhalten und bei den griechischen Heidenchristen für sie eine Kollekte zu sammeln. Und nun trommelt er um möglichst große Beiträge.
Die Epistel für den Erntedanktag stammt aus dem Spendenaufruf des Paulus, den er an die Gemeinde in Korinth geschickt hat:
Denkt daran: Wer wenig sät, der wird auch wenig ernten. Und wer in Fülle und mit Segen sät, der wird auch in Fülle und mit Segen ernten. Jeder soll für sich selbst entscheiden, wie viel er geben möchte, und soll den Betrag dann ohne Bedauern und ohne Widerstreben spenden. Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.
Er hat die Macht, euch mit all seiner Gnade zu überschütten, damit ihr in jeder Hinsicht und zu jeder Zeit alles habt, was ihr zum Leben braucht, und damit ihr sogar noch auf die verschiedenste Weise Gutes tun könnt. In der Schrift heißt es ja von dem, der in Ehrfurcht vor Gott lebt: „Er teilt mit vollen Händen aus und beschenkt die Bedürftigen; das Gute, das er tut, hat immer Bestand.“
Derselbe Gott, der dafür sorgt, dass es dem Bauern nicht an Saat zum Aussäen fehlt und dass es Brot zu essen gibt, der wird auch euch mit Samen für die Aussaat versehen und dafür sorgen, dass sich die ausgestreute Saat vermehrt und dass das Gute, das ihr tut, Früchte trägt. Er wird euch in jeder Hinsicht so reich beschenken, dass ihr jederzeit großzügig und uneigennützig geben könnt. Und wenn wir dann eure Spende überbringen, werden die, die sie empfangen, Gott danken.
Ihr seht also: Dieser Dienst, der zur Ehre Gottes getan wird, trägt nicht nur dazu bei, die Nöte der Gläubigen in Jerusalem zu lindern, sondern bewirkt noch weit mehr, indem er zu vielfachem Dank gegenüber Gott führt. Euer Einsatz bei diesem Projekt zeigt, dass ihr in eurem Glauben bewährt seid, und dafür werden die, denen ihr dient, Gott preisen. Sie werden ihn dafür preisen, dass ihr euer Bekenntnis zum Evangelium von Christus ernst nehmt und eure Verbundenheit mit ihnen und allen anderen auf eine so großzügige Weise zum Ausdruck bringt. Und wenn sie für euch beten, werden sie das voll Sehnsucht nach euch tun, weil Gott seine Gnade in so reichem Maß über euch ausgeschüttet hat.
Dank sei Gott für das unbeschreiblich große Geschenk, das er uns gemacht hat.
2. Korinther 9. 6-15 (nach NGÜ)

Erntedank. Und ich denke daran, wie wir ernten.
Vor zwei Wochen waren wir in Casimiras Weinberg und haben Körbe voll Weintrauben gelesen: süß und saftig.
Das ging ganz schnell, ohne viel Aufwand und Mühe.
Wir hatten die Früchte für wenig Geld, und Casimira war froh, dass sie sie loswurde.
Irgendwann hat einer diesen Weinberg angelegt mit viel Aufwand und Mühe, hat hunderte Weinstöcke gepflanzt, andere haben ihn gepflegt, auch in diesem Jahr.
Am leichtesten war das Ernten.
Ich denke daran, wie das früher bei uns war mit dem Erten, als ich Kind war:
Im Garten hinter dem Haus haben wir Erdbeeren gepflückt oder Bohnen, Kartoffeln ausgegraben, Kirschen, Äpfel, Birnen und Pflaumen mit Leitern von den Bäumen geholt, Beeren von den Sträuchern.
Das hat meistens Spaß gemacht, und es war auch viel weniger mühevoll als Umgraben oder Unkraut jäten.
Ich denke daran, wie die Mähdrescher fuhren.
Vorn verschlangen ihre gewaltigen Schneidwerke das Getreide auf dem Feld, hinten fiel das Stroh heraus und an der Seite die Körner in breitem Strom auf große Anhänger.
Lärm, Staub, Sonne, Schweiß; aber irgendwie kam es mir auch schön vor: die Ernte.
Vor der Ernte steht das Säen oder Pflanzen.
Im Frühjahr oder schon im Herbst hatten sie die Saat ausgebracht, und dann waren die Halme aufgegangen, gewachsen, haben Ähren und neue Körner hervorgebracht.
Auch Bohnen und Gemüse wurde im Frühjahr augesät, um es im Sommer ernten zu können.
Und auch Blumen.
Bäume, Sträucher und Weinstöcke hatte man schon Jahre zuvor irgendwann gepflanzt, nachdem die Pflanzen aus Samen oder kleinen Trieben großgezogen worden waren.
Vor der Ernte steht das Säen oder Pflanzen, das ist trivial.
Aber zwischen Saat und Ernte steht das Wunder.
Das Wunder des Wachsens.
Das Wunder des Lebens.
Das Weizenkorn fällt in die Erde und bringt hundertfältig Frucht.
Der Weinstock, der mal ganz klein war, trägt Trauben über Trauben, jahraus jahrein.
Aus wenig wird viel.
Aus klein wird groß.
Wir nennen das Überfluss.
Wir nennen das Segen.
Und wir danken Gott dafür.
Das ist Erntedank.
Wir wollen ernten.
Denn wir wollen leben, gut leben.
Wir wollen Wohlstand, Erfolg und Anerkennung ernten.
Das geht nur, wenn wir zuvor auch säen.
Von nichts wird nichts.
Wenn alle nur ernten wollen, wo keiner gesät hat, dann ist irgendwann alles abgeerntet und nichts übrig zum Verteilen.
Wo keiner sät, da wächst nichts, und wo nichts wächst, da kann man nichts ernten.
Und wo man nichts erntet, kann man nicht neu säen.
Oder deutlicher, für die Wachstumskritiker und Wirtschafts-Analphabeten: Wo es keine Investitionen gibt, gibt’s kein Wachstum, und ohne Wachstum gibt’s keinen Gewinn, der verteilt werden kann bzw. der auch reinvestiert werden kann.
Wachstum heißt: Aus wenig wird viel.
Wir nennen das Segen.
Ja, wir wollen gut leben.
Aber wir wollen auch, dass die anderen gut leben, dass alle gut leben. Nicht nur wir.
Dass Menschen schlecht leben, während es uns gut geht, das ist schlimm.
Dass manche Hunger leiden, während wir satt sind, das ist übel.
Dass Menschen durch Bomben sterben und durch Waffen verletzt werden, während wir friedlich in unseren Betten schlafen, das ist schrecklich.
Dass Menschen im Meer ertrinken, ja dass es ihnen überhaupt so schlecht geht, dass sie das Risiko einer solchen Reise auf sich nehmen, während wir im Flugzeug darüber hinweg an unsere Ferienorte und Winterquartiere fliegen, das ist skandalös.
Das können wir nicht wollen.
Ja, wir wollen gut leben, aber die anderen sollen es doch auch.
Und nein, das heißt nicht, dass wir daran schuld sind, dass es den anderen schlechter geht.
Und es heißt auch nicht, dass wir ein schlechtes Gewissen haben müssten oder dass es uns schlechter gehen müsste, damit es ihnen besser geht.
Aber es heißt: Wenn wir ernten wollen, dann müssen wir auch säen, und wenn die anderen, die nichts zum Säen haben, auch ernten sollen, dann müssen wir für sie mit säen. Oder ihnen was zum Säen geben.
Das ist es, was Paulus in seinem Spendenaufruf sagt: Ihr habt schon gesät und geerntet in eurem Leben. Lasst aus der Ernte wieder Saatgut werden, dass neues Leben wächst. Gebt dem Wunder des Wachstums Raum. Gebt dem Wunder des Lebens Raum. Gebt Gottes Segen Raum. Diesmal konkret: für eure armen Schwestern und Brüder in Jerusalem. Sie sollen auch gut leben. Gebt, was ihr geben könnt. Ihr sollt darüber nicht arm werden. Nein, ihr werdet dadurch sogar reicher werden. Denn auch bei euch wird etwas wachsen: Liebe, Verbundenheit im Glauben, Gottvertrauen und Freude.

Erntedank.
Dazu gehört es seit alters her, dass wir denen abgeben, die weniger geerntet haben als wir, die vielleicht gar nichts zum Ernten haben.
Verschuldet oder unverschuldet egal.
Wir haben auch in diesem Jahr Gaben für das Kinderprojekt in Valle San Lorenzo zusammengestellt – aus euren Spenden. Letzte Woche erst haben wir für diesen Zweck gesammelt.
Und Spenden dafür nehmen wir immer an.
Darüber hinaus kennt jeder von euch auch andere Vereine und Projekte, durch deren Arbeit Vertrauen, Hoffnung und Gerechtigkeit wächst – irgendwo in der Welt, wo es so vielen nicht so gut geht wie uns.
Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.