Sonntag, 27. Juli 2014

Predigt am 27. Juli 2014 (6. Sonntag nach Trinitatis)

Kommt zu dem Herrn als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar.
Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus.
Darum steht in der Schrift: „Siehe, ich lege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein; und wer an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden.“
Für euch nun, die ihr glaubt, ist er kostbar; für die Ungläubigen aber ist „der Stein, den die Bauleute verworfen haben und der zum Eckstein geworden ist, ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses“; sie stoßen sich an ihm, weil sie nicht an das Wort glauben, wozu sie auch bestimmt sind.
Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht; die ihr einst „nicht ein Volk“ wart, nun aber „Gottes Volk“ seid, und einst nicht in Gnaden wart, nun aber in Gnaden seid.
1. Petrus 2, 4-10


Lebendige Steine
Du immer mit deinen Steinen. Steine sind so was Totes, sage ich zu meiner Frau, als sie sich mal wieder am Strand nach einem Stein bückt, der aussieht wie ein Herz. Steine sind Steine, hart, kalt, unbeweglich – tot, denke ich. Andrea sieht mehr in diesem Stein. Sie hebt ihn auf, sie sieht ihn an, entdeckt seine Maserung, spürt sein Gewicht, seine weiche Form, seine Wärme, die er von der Sonne empfangen hat; in ihren Händen und unter ihren Augen wird er lebendig: Stein-Herz, Herz-Stein. Ein lebendiger Stein.

Es ist eine Glaubensfrage, was ich sehe in diesem Stein: den Tod oder das Leben, das Harte oder das Weiche, das Kalte oder das Warme, den Stein oder das Herz.
Es ist eine Glaubensfrage, was ich in einem Menschen sehe: das Harte oder das Weiche, das Äußere oder das Innere, das Anstößige oder das Anziehende, das Gewöhnliche oder das Besondere.
Auf den Glauben kommt es an.
Darum steht in der Schrift: „Siehe, ich lege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein; und wer an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden.“ Für euch nun, die ihr glaubt, ist er kostbar; für die Ungläubigen aber ist er „ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses”; sie stoßen sich an ihm, weil sie nicht an das Wort glauben.
*
Lebendige Steine
Irgendwann sind wir dann doch nach Freiberg gefahren – in die Terra Mineralia; das ist die größte Mineralienausstellung Deutschlands. Ganz viele Steine. Tote Steine. In Vitrinen. Ein dunkler Raum, nur die Ausstellungsstücke beleuchtet. Sie glänzen und schimmern in allen Farben. Riesige Kristalle ragen aus grauem Fels; das Innere von steinernen Blasen ist über und über mit solchen Kristallen belegt. Lebendige Steine, gewachsen, geworden im Innern der Erde, durch vulkanische Eruptionen, im Zusammenspiel von Feuer, Wasser, Luft und Erde. Lebendig im Spiel des Lichtes und der Farben. Kostbare Steine, mit Mühe aus der Tiefe der Erde geborgen, zusammengetragen aus allen Erdteilen sind sie nun Teil dieser wunderbaren Sammlung und bringen mich zum Staunen.

Ich denke an Verse aus dem Buch Hiob (28, 1-6. 9-12):
Es hat das Silber seine Gänge und das Gold seinen Ort, wo man es läutert. Eisen bringt man aus der Erde, und aus dem Gestein schmilzt man Kupfer. Man macht der Finsternis ein Ende, und bis ins Letzte erforscht man das Gestein, das im Dunkel tief verborgen liegt. Man bricht einen Schacht fern von da, wo man wohnt; vergessen, ohne Halt für den Fuß, hängen und schweben sie, fern von den Menschen. Man zerwühlt wie Feuer unten die Erde, auf der doch oben das Brot wächst. Man findet Saphir in ihrem Gestein, und es birgt Goldstaub… Auch legt man die Hand an die Felsen und gräbt die Berge von Grund aus um. Man bricht Stollen durch die Felsen, und alles, was kostbar ist, sieht das Auge. Man wehrt dem Tröpfeln des Wassers und bringt, was verborgen ist, ans Licht. Wo will man aber die Weisheit finden? Und wo ist die Stätte der Einsicht?

Unser Predigtwort sagt:
Kommt zu dem Herrn als dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar.
*
Lebendige Steine
Da sitzt er, vier Jahre alt, vor einem riesigen Berg bunter Steine, Plastikbauklötzchen, die man mittels einer ebenso einfachen wie genialen Technik miteinander verbinden kann; da sitzt er vor seinen Lego-Steinen und baut – in sich versunken, konzentriert – Häuser, oder lieber noch Fahrzeuge. Und dann wird das Lego-Männchen ins Auto gesetzt und es fährt los, und es beginnt eine Geschichte. Lebendige Steine, mit denen Kinder die Welt entdecken, sich ihre Welt erfinden: bauen, gestalten, entdecken, konstruieren.
Eine bunte Welt aus Lego-Steinen. Alle passen zusammen, und doch kann jeder immer wieder einen anderen Platz einnehmen. Nicht immer werden alle gebraucht, aber vielleicht gerade in diesem Moment dieser eine ganz spezielle…

Petrus schreibt:
Auch ihr als lebendige Steine lasst euch erbauen zu einem geistlichen Haus.
*
Lebendige Steine
Wenn man in den achtziger Jahren über den Dresdner Neumarkt ging, dann sah man da einen großen Haufen Steine, von Gras und jungen Bäumen überwuchert; da heraus ragten schwarz die Reste von Mauern und Fensterbögen – die Ruine der Frauenkirche. Tote Steine. Steine des Anstoßes. Eine mahnende Erinnerung an den Wahnsinn des Krieges. Am 13. Februar gingen wir dahin, um schweigend zu gedenken und zu beten.
Wenn man in den neunziger Jahren über den Dresdner Neumarkt ging, dann sah man überdimensionale Regale, in denen Steine einsortiert waren, mit Nummern versehen. Stein für Stein hat man die Überreste der Frauenkirche abgetragen und wie bei einem gigantischen Puzzle für jeden Stein genau bestimmt, wo sein Platz im Bauwerk gewesen war. Und genau dort sollte er wieder seinen Platz finden in der neu errichteten Frauenkirche.
Wenn man in den zweitausender Jahren über den Dresdner Neumarkt ging, dann erhob sich an der Stelle der alten Ruine die wieder erbaute Frauenkirche. Aus hellen und dunklen Steinen waren die alten Mauern neu erstanden. Die dunklen Steine, das waren die, die übrig geblieben waren von der alten Frauenkirche; und sie nahmen wieder ihren alten Platz ein in der neuen Frauenkirche. Daneben die hellen Steine, die waren aus einem Steinbruch neu herbeigeschafft und zurechtgehauen worden, damit sie ihren Platz dort fanden, wo es keine brauchbaren alten Steine mehr gab. Jeder hatte seine genaue Form. Keiner durfte fehlen.
Und so überragt dieses mächtige Gotteshaus mit seiner gewaltigen Kuppel heute wieder die Altstadt von Dresden. Und erzählt davon, wie aus Tod und Zerstörung neues Leben wächst, erzählt vom Krieg und vom Frieden, erzählt von der Versöhnung, erzählt von der Begeisterung und der Opferbereitschaft der Menschen, um wieder zusammenzubringen und aufzubauen, was zerstört und zerstreut war. Erzählt vom Leben. Erzählt von Gott.

Und auch ihr als lebendige Steine lasst euch erbauen zu einem geistlichen Haus und zu einer heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus.
*
Lebendige Steine
Mir geht ein Lied aus Kindertagen durch den Kopf:
Gott baut ein Haus, das lebt,
aus lauter bunten Steinen,
aus großen und aus kleinen,
eins, das lebendig ist.
Gott baut ein Haus, das lebt,
wir selber sind die Steine,
sind große und auch kleine,
du, ich und jeder Christ.

Sonntag, 13. Juli 2014

Predigt am 13. Juli 2014 (4. Sonntag nach Trinitatis)

Vergeltet niemand Böses mit Bösem! Seid allen Menschen gegenüber auf Gutes bedacht! Soweit es euch möglich ist, haltet mit allen Menschen Frieden! Rächt euch nicht selber, meine Lieben, sondern lasst Raum für den Zorn Gottes; denn in der Schrift steht: „Mein ist die Rache, ich werde vergelten, spricht der Herr.“ Vielmehr: „Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu trinken; tust du das, dann sammelst du glühende Kohlen auf sein Haupt.“ Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse mit Gutem!
Römer 12, 17-21


Liebe Schwestern und Brüder,
Lass dich nicht besiegen, sondern siege!
Um Sieg oder Niederlage geht es. Heute Abend beim Fußball.
Lass dich nicht besiegen, sondern siege!
Beide Trainern werden das auf ihre Weise ihren Mannschaften nahebringen.
Wie macht man das: siegen? Wenn einem einer gegenübersteht, der genau dasselbe will: Siegen?
Nun: kämpfen, das Beste geben, Strategie und Taktik beachten, die Schwächen des Gegners kennen und ausnutzen, im Team und für das Team spielen.
Und vielleicht das Wichtigste: sich selbst besiegen.
Ich weiß nicht, ob jemals bei einer vergangenen Weltmeisterschaft so viel über die Psychologie des Spiels gesprochen worden ist. Auf jeden Fall kann das spielentscheidend sein: dass das Mindset stimmt, der Wille zu siegen und das Bewusstsein, siegen zu können, dass die Coolness da ist, auch gegen die Zuschauer zu spielen, und vor allem: sich von einem Rückstand oder einer erfolglosen Spielphase nicht aus der Bahn werfen zu lassen.
Wahrscheinlich war das am Dienstag der ausschlaggebende Punkt bei den Brasilianern für die hohe Niederlage: dass sie mit dem frühen Rückstand nicht umgehen konnten und beim 0:2 schon in der Seele, in Kopf und Herz zerstört waren. Da ging nichts mehr. Und dann kam immer noch ein Schlag obendrauf, und die Welt hat gesehen, wie Verlierer aussehen. Auch bis gestern haben sie sich davon nicht erholt.
Lass dich nicht besiegen, sondern siege!
Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse mit Gutem!
Besiege das Böse in dir. Den inneren Schweinehund. Das falsche Mindset, das verkehrte Bewusstsein, das dir einflüstert: Ich schaffe es sowieso nicht. Es ist sinnlos. Ich habe schon verloren. Oder auch: Ich schaffe das sowieso, ich bin der Größte. Ich muss nicht mehr viel tun, um zu siegen. Beides ist falsches Bewusstsein.
Hier geht es um mehr als um Fußball. Das ist nur ein Spiel. Und im Grunde genommen ist es egal, wer Weltmeister wird. Der alte Papst betet für Deutschland, der neue Papst für Argentinien. Aber am Ende entscheidet sich das Spiel nicht daran, wer den besseren Draht zum lieben Gott hat. Der wird sich wohl aus den fußballerischen Entscheidungen heraushalten; er ist ja kein Fußballgott; das habe ich schon heut morgen im Radio gesagt. Am Ende entscheidet, wer in der Lage ist, im entscheidenden Augenblick nicht nur den Gegner auszuspielen, sondern sich selbst zu übertreffen und die bestmögliche Leistung abzurufen.
Nein, hier geht es nicht um Fußball; es geht um das Spiel deines Lebens. Es geht darum, dass du am Ende als Sieger vom Platz gehst. Den Pokal erhältst und die Goldmedaille. – Paulus braucht ja an anderen Stellen auch dieses Bild vom Wettkampf im Stadion und vom Kranz für den Sieger (1. Korinther 9,24-27). Und dabei geht es nicht darum, dass du die anderen besiegst, sondern dass du dich selbst überwindest, das Böse in dir besiegst.
Ja, wir kämpfen gegen das Böse. Manchmal verwechseln wir das und kämpfen gegen die Bösen. Es ist einfacher, wenn die anderen die Bösen sind.
Der hat mich ungerecht behandelt. Die hat was gesagt, was mich geärgert hat. Der hat mich nicht ernst genommen. Die hat mich hintergangen. Der kann mich offenbar nicht leiden. Die geht mir aus dem Weg. – Und wir fühlen uns erst gekränkt und dann berechtigt, den anderen auch ungerecht zu behandeln, ihr etwas Böses zu sagen, ihn nicht mehr ernst zu nehmen, sie zu hintergehen, ihn zu verachten, ihr aus dem Weg zu gehen.
Wie wäre es, erst mal einen Moment innezuhalten: Hat er das wirklich bewusst getan? Wollte sie mir wirklich schaden? So schnell ist etwas aus Unachtsamkeit geschehen. Oder aus allen anderen nur nicht aus persönlichen Gründen. Missverständnisse haben Freundschaften zerstört, Familien gespalten, Gemeinden kaputt gemacht. – Martin Luther sagt in seiner Auslegung zum 8. Gebot (für die Reformierten das 9. Gebot): Wir sollen von unserm Nächsten Gutes reden und alles zum besten kehren. Mit anderen Worten: Immer nach guten Gründen und Entschuldigungen für ihn und sein Verhalten suchen.
Ist er wirklich der Böse? Kommt das Böse wirklich aus ihm? Und selbst wenn, kommt es nicht erst dann zum Zuge, wenn ich es über mich herrschen lasse. Dann ist es mein Böses geworden, dann bin ich dafür verantwortlich und habe es zu beherrschen und zu besiegen.
Wenn du nicht rechtschaffen bist, dann lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie! Das steht schon im Alten Testament, ganz am Anfang (Genesis 4,7). Gott sagt es Kain zur Warnung, bevor dann doch das Böse in ihm siegt und er seinen Bruder tötet. Herrsche über die Sünde! Besiege das Böse! Es ist nicht in deinem Bruder, es ist in dir, es lauert vor deiner Herzenstür. Lass es nicht ein!
*
Vergeltet niemand Böses mit Bösem! Rächt euch nicht selber! Das ist gar nicht besonders christlich oder jesuanisch, wie viele meinen. Es ist jüdisch und alttestamentlich. Paulus führt die Schriftzitate aus dem Alten Testament an.
Ich finde, das ist eine wichtige Beobachtung. Denn irgendwie ist das Klischee von der „alttestamentarischen Rache“ nicht auszurotten.
Gerade in den letzten Tagen und Wochen, wo die palästinensische Hamas drei jüdische Jugendliche getötet hat, daraufhin israelische Jugendliche einen Palästinenser grausam ermordeten, wo Israel seit Wochen unter Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen liegt und die israelische Armee Ziele im Gazastreifen angreift, fallen die Worte Rache und Vergeltung besonders häufig, und immer sind damit die Aktionen seitens Israels gemeint. Immer wieder wird den Juden der Durst nach Rache und Vergeltung unterstellt und ausgesprochen oder unausgesprochen erwartet, sie sollten darauf verzichten. Dass es Israel nicht in erster Linie um Vergeltung geht, sondern darum, dem Terror etwas entgegenzusetzen, ihn zu erschweren, wenn es schon nicht gelingt, ihn ganz unmöglich zu machen, das wird selten gesehen und akzeptiert.
Unser Bibeltext ist sehr realistisch: Soweit es euch möglich ist, haltet mit allen Menschen Frieden! – Es ist nicht immer möglich. Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben,... – ihr kennt das.
Israel tut trotzdem, was die Bibel, ihre Bibel, unser Altes Testament, sagt: Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen, wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken; tust du das, dann sammelst du glühende Kohlen auf sein Haupt. – Israel stellt die Versorgung des Gazastreifens mit Energie, mit Treibstoff, mit Lebensmitteln nicht ein. Oder mit Mineraldünger, der dann dazu verwendet wird, Raketentreibstoff daraus zu machen.
Israel tut alles, um zivile Opfer zu vermeiden. Im eigenen Land, indem es das Abfangsystem Iron Dome installiert hat, indem es überall Warnsysteme, Sirenen und Schutzräume gibt. Und im gegnerischen Land, wo Israel nur Ziele angreift, die unmittelbar dem Terror dienen und die Bevölkerung zuvor ausdrücklich warnt. Bevor ein bestimmtes Ziel bombardiert wird, erhalten die Anwohner einen Anruf oder eine SMS vom israelischen Militärgeheimdienst, oder es werden Flugblätter abgeworfen. Dann gibt es einen Warnschuss mit einer Rakete ohne Sprengsatz. Erst einige Minuten später kommt die scharfe Bombe oder Rakete. Dabei muss man wissen, dass Abschussrampen und Raketenwerkstätten, Kommandozentralen und Waffenlager von der Hamas bewusst in Wohngebieten, Wohnhäusern, ja in Schulen und Krankenhäusern angelegt werden und dass die Zivilsten von der Hamas aufgefordert werden, die Warnungen des israelischen Militärs zu ignorieren. So haben sich Anwohner auf den Dächern von Häusern versammelt, deren Bombardierung Israel angekündigt hatte, als menschliche Schutzschilde; und die Israelis haben den Angriff abgebrochen, in einem Fall war es allerdings zu spät, da war die Rakete schon unterwegs.
Israel tut alles, um zivile Opfer zu vermeiden. Im Land Israel und im Land der Palästinenser. Denn Israel will nicht vergelten, nicht Rache üben, sondern Frieden schaffen – für Juden und Palästinenser im Heiligen Land. – Ja, sicher heißt das auch für viele Israelis, die dort leben und kämpfen, Hass und Rachegefühle, das Böse in sich selber zu überwinden. Meistens gelingt es. Manchmal auch nicht...
*
Eines noch finde ich bemerkenswert an diesem Bibelwort: die Begründung. Wir sollen auf Rache und Vergeltung verzichten, weil das Gottes Sache ist. Wir sollen dem Zorn Gottes Raum geben; so brauchen wir nicht selber zu zürnen und zu hassen. Das ist befremdlich, denn wir sollten meinen: Wir sollten die Feinde lieben, weil auch Gott sie liebt, und barmherzig sein, weil auch Gott barmherzig ist. Aber davon ist keine Rede. Es geht hier nicht um Liebe, sondern um Gerechtigkeit.
Rache und Vergeltung sind unsere menschlichen Versuche, Gerechtigkeit herzustellen. Weil uns Unrecht getan wurde, tun wir Unrecht, damit sich das Unrecht aufhebt. Wir wissen, dass das schlecht funktioniert. Wir überziehen, wir schaffen das Unrecht nicht durch neues Unrecht aus der Welt. Darum sollen wir die Wiederherstellung der Gerechtigkeit – das ist die eigentliche Bedeutung von Rache – Gott überlassen. Er hat sozusagen das Gewaltmonopol*. Er ist Richter und Vollstrecker der letzten Gerechtigkeit. Unsere Versuche, Gerechtigkeit zu schaffen, sind nur Selbstjustiz, die neue Ungerechtigkeit erzeugt.
Ich muss sagen, ich finde es ausgesprochen tröstlich und hilfreich zu wissen, dass die letzte Gerechtigkeit bei Gott liegt. Ich muss nicht damit hadern, dass es in der Welt so ungerecht zugeht. Ich muss nicht mit meinem Kampf für Gerechtigkeit neue Ungerechtigkeit schaffen. Ich muss nicht das Böse in der Welt besiegen und schon gar nicht die Bösen.
Es reicht, wenn ich das Böse in mir besiege. Da habe ich genug zu tun.
Um Sieg und Niederlage geht es. Nicht heute Abend beim Fußball. Sondern heute und morgen und immer, wann und wo ich das Böse in mir zu überwinden habe.

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* Folgerichtig ist das staatliche Gewaltmonopol als vorläufige Realisierung des göttlichen Gewaltmonopols zu verstehen (Luthers Zwei-Reiche-Lehre). Rö 13 schließt nicht zufällig an unseren Abschnitt an.

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Sonntag, dem 13. Juli 2014

Guten Morgen, liebe Hörer,

heute steht das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft an. Und da ich meine Zündfunken schon vor über einer Woche aufgenommen habe, weiß ich noch nicht, welche Mannschaften da heute im Finale stehen werden. 
Egal wie sehr wir mitgefiebert haben, wie sehr uns die Spiele, Ergebnisse und Ereignisse der letzten Wochen in Beschlag genommen haben, am Ende ist es eigentlich auch völlig egal, wer gewinnt. Fußball ist eine Nebensache, manche meinen die schönste der Welt, andere können sich da noch was anderes vorstellen, egal. Es kommt nicht wirklich drauf an.
Und trotzdem haben wir so viel Emotionen, so viel Hingabe, so viel Jubel und Verzweiflung erlebt in diesen letzten Wochen.
Und so viele Gebete. Spieler, die über sich das Kreuz schlagen, wenn sie den Rasen betreten; Spieler, die den Blick und die Arme zum Himmel erheben, wenn sie das Tor getroffen haben; Mannschaften, die im Spielerkreis Gebete sprechen, und Zuschauer in Gebetshaltung, deren Lippen sich bewegen. Fußball und Religion sind sehr nahe beieinander.
Früher war auch öfters mal vom Fußballgott die Rede. Der war zuständig, wenn Torpfosten im Wege standen oder auch nicht oder wenn das kleine Quäntchen Glück da war oder fehlte, das am Ende den Unterschied ausmachte zwischen Sieg und Niederlage.
Wo so viele Dinge unberechenbar sind, wo so vieles von Kleinigkeiten, Zufällen und Zentimetern abhängt, da wissen wir, dass es eben nicht nur an der Form und der Spielkunst einer Mannschaft abhängt, sondern auch von so etwas wie Glück. Oder von der wundersamen Führung und Fügung eines Gottes.
Ehrlich gesagt, fällt es mir schwer zu glauben, dass Gott sich in fußballerische Belange einmischt und gewissermaßen die Spiele vom Himmel her manipuliert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er die Gebete der einen Seite erhört und die der anderen nicht.
Aber ich kann mir vorstellen, dass er sich freut, wenn Menschen überhaupt wieder auf die Idee kommen zu beten, und sei es im Fußballstadion. Und ich könnte mir vorstellen, dass er sich über die gleiche Begeisterung und Hingabe freuen würde, wenn wir sie nicht nur für den Fußball, sondern für ihn aufbringen würden.
Wie auch immer: Ich wünsche Ihnen einen schönen Fußballabend – und überhaupt einen gesegneten Sonntag!

Samstag, 12. Juli 2014

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Sonnabend, dem 12. Juli 2014

Guten Morgen, liebe Hörer,

warum es eigentlich ganz vernünftig ist, an Gott zu glauben, das möchte ich Ihnen in dieser Woche erklären. Und dabei setze ich mich auch mit Argumenten der Atheisten auseinander, der Leute also, die glauben, dass es keinen Gott gibt.
Zu ihren beliebten Argumenten gehört, dass die Religionen bzw. der Glaube an Gott zu Krieg, Gewalt und Verbrechen im Namen des Glaubens führten. Und natürlich kennen wir alle die Belege dafür: von den gewalttätigen biblischen Kriegsberichten über Kreuzzüge und Ketzerverfolgung bis hin zu Selbstmordattentaten und Glaubenskriegen unserer Tage. Schuld daran soll sein, dass religiöse Menschen ihren Gott oder ihren Glauben für den einzig wahren halten und deshalb alle anderen bekehren oder vernichten wollen.
Nun lässt sich nicht bestreiten, dass es das gab und gibt. Aber es lässt sich ebensowenig bestreiten, dass die größten Kriege und der brutalste Terror in den vergangenen hundert Jahren eben nicht im Namen der Religion geführt wurden, sondern im Namen von atheistischen Weltanschauungen, dem Nationalsozialismus nämlich und dem Kommunismus. Wer sagt, dass Krieg und Terror allein eine Folge der Religion seien, liegt definitiv falsch.
Im Gegenteil: Ich würde sogar behaupten, die christliche Religion hat dazu beigetragen, dass die Welt friedlicher wird; einfach weil der christliche Glaube Nächstenliebe und Friedfertigkeit lehrt und Krieg und Gewalt nur als Notlösung zur Verteidigung und zum Schutz von Menschen zulässt.
Wenn es einen Gott gibt, der für Recht und Gerechtigkeit sorgt, dann müssen wir Menschen unsere Interessen nicht mit Gewalt durchsetzen.
Wenn es einen Gott gibt, der Gute belohnt und Böse bestraft, dann schreckt das auch davor ab, Gewalt und Unrecht zu tun; wir sind schließlich Gott verantwortlich.
Wenn es einen Gott gibt, der uns ewiges Leben verspricht, dann müssen wir nicht in diesem Leben mit Gewalt und Rücksichtslosigkeit alles zu erreichen versuchen, was geht.

Der Glaube an Gott, jedenfalls der Glaube an Gott, wie Jesus ihn gelehrt hat, sollte uns Menschen besser und friedlicher machen.

Freitag, 11. Juli 2014

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Freitag, dem 11. Juli 2014

Guten Morgen, liebe Hörer,

Leute wie der erklärt atheistische Evolutionsbiologe Richard Dawkins wollen uns erklären, dass der Glaube an Gott aus wissenschaftlicher Perspektive unvernünftig ist. Und in der Tat: Die Naturwissenschaften müssen ohne die Arbeitshypothese Gott auskommen. Wer nämlich alle wissenschaftlichen Fragen gleich mit Gott beantwortet, verstellt sich den Weg zur Erkenntnis. Warum blitzt und donnert es? – Weil Gott es blitzen und donnern lässt. Warum erscheint dort ein Regenbogen? –  weil Gott ihn in die Wolken gehängt hat. Usw. – Nein, die Naturwissenschaften müssen immer weiter fragen nach natürlichen Ursachen. Dabei stoßen sie auf allgemeine Naturgesetze und -konstanten, die miteinander das bewirken, was wir wahrnehmen. Für die wissenschaftliche Welterklärung müssen wir in der Tat ohne Gott auskommen.
Auf der anderen Seite machen Wissenschaftler wie Dawkins dann aber Annahmen, die über die Wissenschaft weit hinausgehen. So etwa, dass die Gene das Ziel verfolgten, sich selber zu reproduzieren und weiterzugeben. Beim Kampf ums Überleben der Stärksten geht es am Ende nicht um die stärksten Organismen, sondern um die überlebensfähigsten Gene. Der Witz dabei ist, dass den Genen, die ja nichts weiter sind als eine Folge von Aminosäuren auf der DNA, so etwas wie eine Absicht oder ein Ziel unterstellt wird. Das ist aber keine wissenschaftliche Aussage mehr.
Wenn es in der Natur so etwas wie Absichten oder Ziele gibt, dann muss es eigentlich auch eine geistige Instanz geben, die solche Ziele bestimmt. Als geistiges Wesen, als Mensch kann ich mir ein Ziel setzen und mir bestimmte Mittel suchen, um dieses Ziel zu erreichen. Ein nichtmenschliches Lebewesen kann das vielleicht noch begrenzt, etwa wenn ein Affe mit einem Stöckchen nach Insekten stochert. Die Gene aber haben sich bestimmt nicht vorgenommen, sich erfolgreich zu reproduzieren; sie tun es einfach.
Wenn es trotzdem so etwas wie zielgerichtetes, zweckmäßiges Verhalten in der Natur gibt, dann ist es vielleicht am Ende gar nicht so dumm anzunehmen, dass ein Schöpfer die Dinge so eingerichtet hat, dass sie funktionieren. Funktionieren heißt: die Aufgaben erfüllen, zu denen sie bestimmt sind. Im Falle der Gene: das Leben weiterzugeben.
Dass die Natur sinnvoll eingerichtet ist sehen wir. Aus der Natur selber aber können wir das nicht erklären. Es muss mehr geben. – Ich glaube lieber an Gott als an die Gene.

Donnerstag, 10. Juli 2014

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Donnerstag, dem 10. Juli 2014

Guten Morgen, liebe Hörer,

bei der Frage nach Gott, die mich diese Woche besonders beschäftigt, geht es nicht nur darum, was wir davon haben, wenn es ihn gibt, sondern darum, ob es ihn denn wirklich gibt, welche Hinweise es dafür gibt und wie stichhaltig sie sind.

In früheren Zeiten war man überzeugt, dass sich die Existenz Gottes beweisen lasse. Theologen und Philosophen haben mehr oder weniger komplizierte Gottesbeweise ersonnen. Später sind andere Philosophen gekommen und haben diese Gottesbeweise auseinandergenommen und gezeigt, dass sich darin eigentlich immer irgendwelche logischen oder kategorialen Fehlschlüsse eingeschlichen haben. Darum sprechen wir heute kaum noch von Gottesbeweisen. Aber wir können immer noch Hinweise auf Gott finden, die uns im Glauben an Gott bestärken.

Ein solcher Hinweis auf Gott liegt in der Existenz unserer wohl geordneten Welt. Wir staunen über die Natur, das Leben, den menschlichen Geist; wir staunen über die Perfektion, mit der Fliegen fliegen, Adleraugen ihre Beute erspähen, Menschenhände Geige spielen usw. usf. Manchmal heißt es: Die Natur hat das so eingerichtet. Aber wer oder was ist die Natur? Sollten wir nicht vielleicht doch lieber sagen: Der Schöpfer hat es so eingerichtet?

Zu den Grundlagen unseres Denkens gehört die Gewissheit: Von nichts wird nichts. Kein Tisch ohne Tischler, kein Auto ohne Konstrukteur, kein Buch ohne Schrifsteller. – Aber eine perfekt eingerichtete Welt ohne Schöpfer?

Die Naturwissenschaften haben mit den Theorien vom Urknall und von der Evolution Modelle geschaffen, die ohne Schöpfer auskommen sollen. Es gibt Ursachen, Mechanismen, Naturgesetze in dieser Welt, die zu der Ordnung der Dinge und des Lebens führen, die wir kennen. Das Zauberwort heißt Entwicklung.

Ich frage mich dennoch: Sind das auch ausreichende Gründe? Oder deutet nicht alles auf ein größeres Gesamtkonzept hin? Und heißt das Wort Entwicklung nicht wörtlich, dass da alles schon im Ursprung eingewickelt sein muss, damit es sich dann ent-wickeln kann. Also: das Leben und der Geist kein Zufall, sondern von Anfang an in die Schöpfung mit hineingelegt – vom Schöpfer hineingelegt?

Ja, ist es am Ende nicht viel verrückter zu glauben, alles wäre aus Nichts geworden, als dass alles von Gott geschaffen ist?

Mittwoch, 9. Juli 2014

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Mittwoch, dem 9. Juli 2014

Guten Morgen, liebe Hörer,

Gott nahe zu sein ist mein Glück, sagt die Jahreslosung für 2014. Wie sieht es aus mit Gott und dem Glück?
Manchmal liest man etwas über Studien, in denen festgestellt wird, dass Gläubige Menschen etwas zufriedener sind als andere, etwas gesünder, etwas wohlhabender. Und deshalb wahrscheinlich etwas glücklicher.
Aber sind das wirklich Gründe, um an Gott zu glauben?
Ahteisten werben mit dem Spruch: „Gott gibt es (höchstwahrscheinlich) nicht. Also machen Sie sich keine Sorgen.“ – Sie unterstellen also, dass gläubige Menschen eher weniger glücklich sind, weil sie sich zu viele Sorgen und Gedanken machen. Denn schließlich können sie nicht einfach drauf los leben, sondern glauben, dass sie Gott Rechenschaft schulden für ihr Leben; ja, manche glauben, dass sie für ein schlechtes Leben in die Hölle kommen. Mach dir keine Sorgen, sagen die Atheisten, wenn es keinen Gott gibt, dann gibt es auch keine Hölle.
Dem könnten wir Christen entgegenhalten: Wenn es keinen Gott gibt, dann gibt es aber auch keinen Himmel. Dann gibt es keine Verantwortung für unser Tun und Lassen und keine ausgleichende Gerechtigkeit für das Unrecht auf Erden. Darum sorgen sich Christen, nicht nur um ihr Seelenheil, sondern auch um das Wohl der anderen und um die Gerechtigkeit.
Der Philosoph Pascal hat den Glauben mit einer Wette verglichen. Er wettet darauf, dass es Gott gibt. Sein Gegner wettet darauf, dass es Gott nicht gibt. Wenn es Gott wirklich gibt, dann hat der Gläubige das ewige Leben gewonnen und im irdischen Leben nichts verloren dadurch, dass er in der Verantwortung vor Gott gelebt hat. Wenn es Gott nicht gibt, dann steht er auch nicht schlechter da als der Ungläubige. Du kannst also nur gewinnen, wenn du in deinem Leben auf Gott setzt.
Mir gefällt dieser Gedanke auch deshalb, weil er zum Glauben einlädt nicht mit der Drohung der ewigen Verdammnis, sondern mit der Aussicht auf das ewige Leben.
Wenn Christen wirklich glücklicher sein sollten als andere, dann deshalb, weil sie immer noch etwas Gutes zu erwarten haben.

Dienstag, 8. Juli 2014

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Dienstag, dem 8. Juli 2014

Guten Morgen liebe Hörer,

der Glaube an Gott ist nicht mehr selbstverständlich. Gestern habe ich Ihnen von den verschiedenen Sorten von Atheisten erzählt, also von erklärten Gottlosen, Menschen, die glauben, dass es keinen Gott gibt.

Ich finde es wichtig, dass wir uns als Christen oder überhaupt als religiöse Menschen mit der Tatsache auseinandersetzen, dass immer mehr Leute ohne Gott und ohne Religion leben. Denn je weniger an Gott glauben, um so schwerer wird es für uns, am Glauben festzuhalten.

Es ist immer einfacher, der Mehrheitsmeinung zu folgen. Noch sind wir Christen nicht in der Minderheit, aber es könnte bald so weit sein. Und dann ist es nicht mehr normal, an Gott zu glauben, sondern es ist normal, nicht an Gott zu glauben. Dann brauchen wir schon gute Gründe, warum wir nicht der Mehrheit folgen und tun, was alle tun.

Dazu kommt ja, dass wir tagtäglich sehen, dass Menschen ohne Gottesglauben genau so gut, glücklich, gesunde und zufrieden leben, wie andere auch. Gott straft sie nicht für ihren Unglauben. Er lässt keinen Schwefel vom Himmel fallen, der die Ungläubigen vernichten würde. Und umgekehrt sehen wir, dass Menschen, die an Gott glauben, auch Probleme haben, unglücklich sind, schwere Krankheiten erleiden und mit ihrem Schicksal hadern. Manche haben es sogar nur deshalb schwer, weil sie an ihrem Glauben festhalten. Nicht so sehr bei uns, aber anderswo in der Welt: in Nordkorea oder manchen islamischen Staaten, wo Christsein lebensgefährlich ist. Was habe ich dann überhaupt von meinem Glauben? Oder ist es Gott egal? Oder eben: Gibt es am Ende gar keinen Gott, den das interessieren würde, ob es mir gut oder schlecht geht?

Ein bisschen tröstlich finde ich es da, dass schon in biblischen Zeiten Menschen genau so gefragt haben. Sieh dir die Gottlosen an, die sind glücklich in der Welt und werden reich. Soll es denn umsonst sein, dass ich mein Herz an Gott hänge? – So heißt es in einem alten Psalm (73,12f).


Beeindruckend, dass sie trotzdem an Gott festgehalten haben. Im selben Psalm steht ein Satz, der uns in diesem Jahr als Losung besonders begleitet: Gott nahe zu sein, ist mein Glück.

Montag, 7. Juli 2014

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Montag, dem 7. Juli 2014

Guten Morgen, liebe Hörer,

in einem Gespräch fiel der Ausdruck Atheismus, und mein Patenkind, 14 Jahre, fragt: „Und was ist Atheismus?“ – O seliges Nichtwissen, o kindliche Unschuld!, denke ich. Für mich wäre das mit 14 Jahren keine Frage gewesen, denn ich musste mich schon als Kind und Jugendlicher ständig mit dem Atheismus auseinandersetzen: Es gibt keinen Gott – das war Partei- und Staatsdoktrin in der DDR, und wir, die wir noch – noch! – an Gott glaubten, galten als etwas dumm und zurückgeblieben.

Ja, Atheismus ist, wenn man nicht an Gott glaubt, bzw. genauer gesagt: wenn man glaubt, dass es keinen Gott gibt.

Dabei ist eines klar: Auch zu glauben, dass es keinen Gott gibt, ist ein Glaube. Eine Grundannahme fürs Leben, die das Tun und Denken bestimmt, genau so wie die Grundannahme, dass es einen Gott gibt, das Leben bestimmt.

Atheismus – man kann auch sagen Gottlosigkeit – kommt in unterschiedlichen Formen vor:

Die verbreitetste ist die, dass so was wie Gott überhaupt nicht vorkommt, gar keine Rolle spielt im Leben. Schon die Großeltern waren aus der Kirche ausgetreten, die Eltern haben keinen Gottesglauben weiter gegeben und die Kinder merken gar nicht, dass ihnen was fehlen könnte. Wie der frühere Bischof Axel Noack mal sagte: „Die Menschen haben vergessen, dass sie Gott vergessen haben.“

Eine andere Form von Atheismus ist aus dem eigenen Nachdenken und möglicherweise aus Glaubenszweifeln entstanden. Vor solchen Atheisten, die sagen: „Ich kann nicht mehr an Gott glauben, obwohl ich es möchte und obwohl ein Leben im Gottvertrauen sicher leichter wäre“, vor solchen Atheisten habe ich viel Respekt. Sie haben es sich nicht einfach gemacht mit ihrem Nicht-Glauben.

Dazwischen liegt die große Gruppe derer, denen Gott gleichgültig geworden ist, die es vielleicht sogar offen lassen, ob es ihn gibt oder nicht, die aber praktisch so leben, als gäbe es ihn nicht.

Und dann gibt es die richtigen Hardcore-Atheisten, die den religiösen Glauben aktiv bekämpfen, weil sie ihn für dumm, gefährlich und rückschrittlich halten. Solche wie der bekannte Evolutionsbiologe Richard Dawkins, der ein Buch mit dem Titel „Der Gotteswahn“ geschrieben hat.

Mögen Sie mit mir darüber nachdenken, was es für Gründe gibt, kein Atheist zu sein, sondern auch heute noch an Gott zu glauben? Wenn ja, dann schalten sie auch morgen wieder den Zündfunken ein.

Sonntag, 6. Juli 2014

Predigt am 6. Juli 2014 (3. Sonntag nach Trinitatis)

Des HERRN Wort geschah zu mir: Was habt ihr unter euch im Lande Israels für ein Sprichwort: „Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne stumpf geworden“? So wahr ich lebe, spricht Gott, der HERR: dies Sprichwort soll nicht mehr unter euch umgehen in Israel. Denn siehe, alle Menschen gehören mir; die Väter gehören mir so gut wie die Söhne; jeder der sündigt, soll sterben.
Wenn sich aber der Gottlose bekehrt von allen seinen Sünden, die er getan hat, und hält alle meine Gesetze und übt Recht und Gerechtigkeit, so soll er am Leben bleiben und nicht sterben. Es soll an alle seine Übertretungen, die er begangen hat, nicht gedacht werden, sondern er soll am Leben bleiben um der Gerechtigkeit willen, die er getan hat. Meinst du, dass ich Gefallen habe am Tode des Gottlosen, spricht Gott, der HERR, und nicht vielmehr daran, dass er sich bekehrt von seinen Wegen und am Leben bleibt? Und wenn sich der Gerechte abkehrt von seiner Gerechtigkeit und tut Unrecht und lebt nach allen Gräueln, die der Gottlose tut, sollte der am Leben bleiben? An alle seine Gerechtigkeit, die er getan hat, soll nicht gedacht werden, sondern in seiner Übertretung und Sünde, die er getan hat, soll er sterben.
Darum will ich euch richten, ihr vom Hause Israel, einen jeden nach seinem Weg, spricht Gott der HERR. Kehrt um und kehrt euch ab von allen euren Übertretungen, damit ihr nicht durch sie in Schuld fallt. Werft von euch alle eure Übertretungen, die ihr begangen habt, und macht euch ein neues Herz und einen neuen Geist. Denn warum wollt ihr sterben, ihr vom Hause Israel? Denn ich habe kein Gefallen am Tod des Sterbenden, spricht Gott der HERR. Darum bekehrt euch, so werdet ihr leben.
Hesekiel 18, 1-4. 21-24. 30-32


Liebe Schwestern und Brüder,
Lebe!, sagt Gott, denn Ich will, dass du lebst.
Ja, du! Du, du und du! Jeder einzelne.
Willst du auch leben?
Dann halte dich an mich, sagt Gott, denn ich lebe.
Und ich gebe das Leben.
Und ohne mich gibt es kein Leben.
Ohne mich gibt es nur den Tod.
Ja, ohne Gott gibt es kein Leben,
ohne Gott gibt es nur den Tod.
Gottlosigkeit ist der Tod.
Gottesnähe ist das Leben.
Uns stören solche Sätze: Jeder, der sündigt, soll sterben. So hier bei Hesekiel im Alten Testament.
Der Sünde Sold ist der Tod. So bei Paulus im Neuen Testament (Römer 6,23).
Wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr auch alle umkommen. So Jesus im Lukasevangelium (13, 5).
Angstmachen mit dem Tod oder der ewigen Verdammnis, was ja im Grunde dasselbe ist. Das haben wir nicht so gerne.
Aber überlegt mal:
Es ist nur der letzte Ernst, die logische Konsequenz, wenn wir mit Gott zum Leben einladen.
Wer sich nicht für das Leben entscheidet, der hat sich schon für den Tod entschieden.
Sünde und Gottlosigkeit sind Synonyme,
Wörter die dasselbe bedeuten.
Sünde ist ja nicht nur irgendeine Tat,
sondern ein Zustand:
der Zustand, von Gott getrennt zu sein,
der Zustand der Gottlosigkeit.
Und der drückt sich dann in einzelnen Taten aus, die wir auch Sünden nennen.
Aber in ihrem Wesen ist Sünde Gottlosigkeit,
nichts anderes.
Wenn ich sündige, wie auch immer, in Gedanken, Worten und Werken, dann bin ich in diesem Augenblick gottlos.
Wenn ich ganz in Gottes Nähe leben würde, ich in Gott und Gott in mir, dann würde ich ja nicht sündigen, dann könnte ich ja gar nicht gottlos handeln.
Wenn ich aber gottlos bin, wenn ich Gott los bin, dann bin ich getrennt von der Quelle des Lebens.
Mir ist der Lebensatem abgeschnitten.
Es ist wie Ersticken.
Ich gehe zugrunde.
Die Drohung des Todes, des ewigen Todes, der Hölle, der Verdammnis, wie immer wir es nennen mögen, das ist nicht die Strafandrohung eines unbarmherzigen Gottes; es ist nur die Konsequenz eines Lebens, das schon zu Lebzeiten kein Leben ist, weil es gott-los ist.
Wer ohne Gott lebt, wer in der Sünde lebt, der ist eigentlich schon tot.
So klar, so krass.
Aber: Gott will das nicht.
Er ist ja das Leben,
und er gibt das Leben,
und er will das Leben und nicht den Tod.
Darum sagt er dir: Lebe! Ja, du!
Gott liegt an deinem Leben!
Und dir sollte auch an deinem Leben liegen!
Darum auch: Lebe dein Leben!
Nicht das Leben deiner Eltern.
Nicht das Leben deiner Schwester oder deines Bruders.
Nicht das Leben deiner Klassenkameraden.
Nicht das Leben deiner Kollegen oder Nachbarn oder Freunde.
Lebe dein Leben!
Denn du allein bist verantwortlich für dein Leben.
Dafür gibt es keine Ausrede.
Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne stumpf geworden, sagte man damals in Israel.
Unsere Väter haben gesündigt, und wir werden dafür bestraft, sollte das heißen.
Kinder tragen an der Schuld ihrer Eltern.
Gottlosigkeit vererbt sich.
Deine Großeltern waren Nazis, deine Eltern waren Kriegskinder, darum kommst du heute nicht mit deinem Leben klar, sagen manche.
Du kommst aus einer alten Trinkerdynastie, auch du wirst Probleme mit Alkohol haben, heißt es manchmal.
Deine Großeltern waren Gastarbeiter, deine Eltern waren Türken, und du hast Migrationshintergrund – das klingt ein bisschen wie eine Krankheit.
(Oder auch, wie ich gestern in Twitter las: Wir sind seit fünf Generationen in der SPD – was es doch für Familienschicksale gibt!)
Das Familienschicksal, der soziale Hintergrund, die Traumata einer schlimmen Kindheit – das sind heute alles akzeptierte Entschuldigungen für ein verpfuschtes Leben. Vor Gericht wird so was regelmäßig als strafmindernd anerkannt. Wir sprechen Menschen von ihrer eigenen Verantwortung frei, indem wir erklären sie seien ja nur das Produkt der Verhältnisse, in denen sie leben oder aufgewachsen sind. Arme Schweine im Grunde genommen, die nicht anders können, als ihre Frauen und Kinder zu schlagen, weil sie es zu Hause nicht anders gelernt haben.
So nicht!, sagt Gott. Du kannst sehr wohl anders.
Du bist du.
Du bist nicht deine Eltern oder was sie aus dir gemacht haben.
Du bist nicht das Produkt der sozialen Verhältnisse, aus denen du kommst, sondern Gottes Geschöpf.
Du musst nicht tun, was andere vor dir getan haben.
Du musst nicht leben, wie andere neben dir leben.
Du bist für dein Leben verantwortlich!
Nicht deine Eltern.
Nicht deine Freunde.
Niemand außer dir allein.
Klingt das zu hart?
Oder klingt es nicht auch nach einer Chance,
dass du anfängst, wirklich dein Leben zu leben;
dass du dich frei machst von den Kindheitsmustern,
von den elterlichen Zwängen,
von dem Betteln um Anerkennung,
von dem Tun-was-man-eben-tut?
Ja, für mich klingt es nach einer Chance.
Denn du trittst in die Freiheit,
du trittst ins Leben hinein,
und du trittst auf die Seite Gottes, der dir das Leben gab und der dein Leben will.
Darum bist du nicht allein.
Nicht auf dich gestellt.
Sondern auf ihn gestellt.
Du kannst.
Denn er will es.
Er will dein Leben.
Gott sagt zu dir: Lebe!
Und er sagt: Lebe heute!
Lebe nicht im Gestern, sondern im Heute.
Wenn du gestern Mist gebaut hast, dann musst du es heute nicht wieder tun.
Wenn du gestern gesündigt hast, dann musst du es heute nicht wieder tun.
Wenn du gestern gottlos warst, dann musst du es heute nicht mehr sein.
Umkehr ist möglich.
Du kannst dein Leben ändern.
Heute.
Und das ist die richtig gute Nachricht von Gott:
Er legt dich nicht darauf fest, was du gestern getan hast, wer du gestern gewesen bist.
Er hält dir deine Gottlosigkeit von gestern nicht mehr vor, wenn du heute umgekehrt bist,
wenn du begonnen hast, dein Leben ernsthaft zu ändern,
wenn du ihm eine neue Richtung gegeben hast,
wenn du es an Gott gehängt hast.
Für Gott bist du nicht, was deine Eltern oder die Umstände aus dir gemacht haben.
Für Gott bist du nicht, wer du einmal gewesen bist.
Für Gott bist du, der du heute bist, wenn du zu ihm kommst und vor ihm stehst.
Denn Sünde ist keine Last, die du ewig mit dir tragen musst, sondern ein Zustand, den du jederzeit ändern kannst.
Du musst nicht gottlos bleiben.
Du kannst Gott nahe sein.
Weil Gott dir nahe sein will.
Du kannst leben, weil Gott dein Leben will und nicht deinen Tod.
Gott sagt zu dir: Lebe! Du! heute!
Lebe mit mir!
Fall nicht zurück in die Gottlosigkeit.
Oder wie Jesus sagt: Sündige hinfort nicht mehr.
Ist das zu viel, ist das zu schwer?
Ja, wir fallen zurück in Kindheitsmuster,
wir tun, was wir gelernt haben,
wir leben heute, wie wir gestern gelebt haben,
wir vergessen Gott und entfernen uns von ihm.
Immer wieder.
Aber Gott vergisst uns nicht.
Wir können jederzeit umkehren zu ihm.
Wie der verlorene Sohn.
Und unser Vater wartet schon auf uns.

Jeden Sonntag bekennen wir, dass wir gesündigt haben mit Gedanken, Worten und Werken.
Und wir kehren um zu Gott,
kommen in seine Nähe, in sein Vaterhaus,
heim aus der Gottlosigkeit,
lassen uns sagen, dass der barmherzige Gott sich über uns erbarmt, wie sich ein Vater über Kinder erbarmt.
Und wir feiern mit ihm – so wie heute.
Und wir leben auf in seiner Nähe,
und wir gehen wieder hinaus ins Leben in der Kraft seines Geistes.
Um zu leben –
mit Gott, der das Leben ist,
und das Leben gibt
und das Leben will.
Dein Leben, mein Leben, unser Leben.
Heute. Morgen. Und in Ewigkeit.
Amen.