Sonntag, 28. Oktober 2012

Predigt am 28. Oktober 2012 (21. Sonntag nach Trinitatis)

Dies sind die Worte des Briefes, den der Prophet Jeremia von Jerusalem sandte an den Rest der Ältesten, die weggeführt waren, an die Priester und Propheten und an das ganze Volk, das Nebukadnezar von Jerusalem nach Babel weggeführt hatte:
So spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels, zu den Weggeführten, die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen: Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; nehmt Frauen und zeugt Söhne und Töchter; nehmt für eure Söhne Frauen, und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehret euch dort, dass ihr nicht weniger werdet. Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohlgeht, so geht's auch euch wohl.
Denn so spricht der HERR: Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, so will ich euch heimsuchen und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe. Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe das Ende, des ihr wartet. Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten, und ich will euch erhören. Ihr werden mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen, spricht der HERR, und will eure Gefangenschaft wenden und euch sammeln aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch verstoßen habe, spricht der HERR, und will euch wieder an diesen Ort bringen, von wo ich euch habe wegführen lassen.
Jeremia 29, 1.4-7.10-14


Liebe Schwestern und Brüder,

die Wahrheit hat oft zwei Seiten. Die Zeit ist kurz, habe ich vorige Woche gepredigt. Das war die eine Seite der Wahrheit. Heute kommt die andere: Die Zeit ist lang.


Das eine Grundproblem unseres Lebens ist, dass die Zeit zu kurz ist, zu schnell vergeht, dass wir auf ein Ende, oder, besser gesagt: auf ein Ziel hin leben. Wir wollen den Weg dahin gern ausdehnen, weil er ja meistens auch schön ist.


Aber da ist eben auch das andere Grundproblem: dass uns die Zeit zu lang wird. Wir haben’s eilig, wir sind ungeduldig, wir können’s nicht erwarten, unser Ziel zu erreichen.


Ich denke an junge Männer, mit denen ich das Zimmer in einer muffigen Armeebaracke geteilt habe, eineinhalb Jahre lang als Bausoldat damals in der DDR. Die waren oft schon 26 Jahre alt, hatten Frau und kleine Kinder und durften nur aller paar Wochen mal raus: von Freitag Abend bis Montag früh, einmal im halben Jahr auch mal eine ganze Woche. Und dazwischen gab es nur Briefe, Telefongespräche auch nur einmal in der Woche für ein paar Minuten, verbunden mit großem Aufwand. Diesen jungen Männern wurde die Zeit sehr lang. Manche haben die letzten 150 Tage immer einen Zentimeter von einem Bandmaß abgeschnitten. Dass ihnen die Zeit dadurch schneller verging, glaube ich nicht.


Ich denke überhaupt immer wieder an diese Jahre, die ich in der DDR gelebt habe. Eine Zeit, in der wir das Warten eigentlich schon aufgegeben hatten. Wir hatten uns an unser Gefängnis gewöhnt, meinten, es sei für lebenslänglich, und hofften darauf, vielleicht mal zum runden Geburtstag der Westtante für ein paar Tage Freigang zu bekommen. Anfangs hatte das ja kaum einer geglaubt, dass eine Grenze, die Deutschland undurchlässig teilte, lange Bestand haben könnte. Am Ende hat es kaum noch einer geglaubt, dass diese Grenze jemals verschwinden würde. Das, was nicht gut war, redete man sich irgendwie gut. Während gleichzeitig die Verzweiflung wuchs, weil nichts besser wurde, und doch auch die Hoffnung wuchs, weil es so nicht weitergehen konnte. Aus dieser Hoffnung wurde zuletzt drängende Ungeduld, und dann ging alles ganz schnell; wir kennen die Geschichte …


Ich denke nicht nur an die schlechte alte Zeit, ich denke auch an Menschen, denen heute die Zeit lang wird. Menschen, die auf einen anderen Menschen warten, der um ihn sei, weil es nicht gut ist, dass der Mensch allein sei. Menschen, die noch immer auf einen Arbeitsplatz warten, der zu ihnen passt. Menschen auch, die warten, dass das Glück bei ihnen vorbeischaut, ohne sich selber noch darum zu bemühen; die werden wohl immer warten und nie glücklich werden. Schließlich denke ich aber auch an Menschen, die warten, dass ihre lange Lebenszeit ein  Ende nimmt. “Mich hat der liebe Gott vergessen”, habe ich schon manche sagen hören, denen das Leben erfüllt war und nun nur noch Last war. Manchmal sind es auch die Angehörigen, die darauf warten, dass das Leiden eines lieben Menschen ein Ende haben möge. “Es war eine Erlösung”, sagen sie, wenn dann das Ende gekommen ist.


Die Zeit ist lang, zu lang: Wenn die erfüllte Zeit schon zurückliegt und nichts mehr zu erwarten ist. Oder wenn die erfüllte Zeit noch nicht da ist und immer noch nicht kommen will.



Die lange Zeit, nicht nur die kurze Zeit, ist ein Grundproblem des christlichen Glaubens. Jesus hat seinen Jüngern angekündigt, bald wiederzukommen. Und nun warten sie, und die Zeit wird immer länger. Paulus hatte noch – das war der Hintergrund des Predigttextes letzte Woche – gemeint, die Zeit sei so kurz, dass man sich am besten von allen irdischen Verpflichtungen wie Ehe, Familie, Haus und Geschäften frei machen sollte. Aber dann wurde die Zeit lang und immer länger. Wir Christen haben uns gut in der Welt eingerichtet, und warten nicht mehr ernsthaft darauf, dass morgen der Herr Jesus kommen und alles neu und anders machen könnte.


Nur bei einigen wenigen ist die Naherwartung lebendig geblieben. Sie sind ungeduldig schon seit bald 2000 Jahren, rechnen anhand der biblischen Prophezeiungen und apokalyptischen Visionen die Zeit nach und kommen regelmäßig zu dem Ergebnis, dass das Ende nun ganz, ganz nahe ist. Seit bald 2000 Jahren schon ist das so: Das Kommen Jesu wird als ganz, ganz nahe erwartet. Und jedes Mal dauert es doch länger als erwartet. Die Zeit ist gar nicht so kurz, die Zeit ist lang.


Ein Problem ist das deshalb, weil es niemand so erwartet hatte. Weil es uns zur Anfechtung werden kann: Die endgültige Erlösung bleibt aus. Die Welt geht ihren Gang, immer weiter, und das Ziel rückt auch in immer weitere Ferne. Vor ein paar Jahrzehnten haben wir noch geglaubt, wir Menschen könnten selber das Ende herbeiführen – im schlechten Sinne: die Welt zerstören. Inzwischen sieht es eher so aus, als hätten wir uns da überschätzt: so leicht gelingt uns das nicht. Der Weltuntergang fällt offensichtlich aus, und die Zeit wird immer länger. Und dass Jesus in nächster Zeit sichtbar wiederkommt, glauben nur die wenigsten. Also: Die Zeit ist lang. Und wir müssen sie sinnvoll gestalten.



Unser Predigtwort führt uns heute wieder in jene alte Zeit, als das Volk Israel seinen Staat und sein Heiligtum verloren hatte und die wichtigsten, klügsten und einflussreichsten Teile des Volkes, einschließlich Priester und Propheten, ins ferne Babylon verbracht worden waren. Ich habe vor ein paar Wochen schon mal darüber erzählt, wie dort, im babylonischen Exil das eigentliche Judentum mit seiner Bibel und seinen Synagogen entstanden ist. Viele der Juden in Babylon lebten auch zuerst in so einer Art Naherwartung: Sicher würden sie schon sehr bald zurückkehren dürfen in ihr Heimatland, in ihr geliebtes Jerusalem, die Stadt und den Tempel wieder aufbauen. Religiöse Träumer mit überspannter Naherwartung gab es damals auch schon: Sehr bald würde alles wieder gut werden, verkündeten sie.


Jeremia, der Prophet war noch dort, wo sie herkamen und wieder hinwollten, er erlebte das ganze Elend und die Hoffnungslosigkeit eines zerstörten und seiner Eliten beraubten Landes. Und er schrieb ihnen einen Brief nach Babylon, den wir in großen Ausschnitten gehört haben. Seine Botschaft hieß – genau: Die Zeit ist lang. Stellt euch aufs Warten ein! Aber nicht aufs tatenlose Abwarten, bis Gott irgendwann mal eingreift, sondern aufs aktive Warten. Gestaltet die Zeit, die ihr jetzt habt! – Jeremia nennt eine Zahl: 70 Jahre. Eine schreckliche Zahl für die, die sie hören, denn sie bedeutet: Keiner von euch, die ihr jetzt in Babylon lebt, wird seine Heimat Jerusalem wiedersehen. Deshalb baut für eine lange Zeit vor. Sorgt dafür, dass ihr da, wo ihr seid, ein vernünftiges Leben führen könnt: mit Häusern und Gärten: Sorgt für euren Lebensunterhalt. Mit Kindern und  Enkeln: Sorgt dafür, dass neue Generationen heranwachsen, die einmal dorthin zurückkehren, woher ihr aufgebrochen seid. Mehret euch, dass ihr nicht weniger werdet. – Ein Satz, über den es sich auch heute nachzudenken lohnte. – Und schließlich dieses bekannte Wort: Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn ihr’s wohlgeht, so geht’s auch euch wohl. – Für Babylon beten – das ist ein Stück gelebte Feindesliebe. Aber es ist auch ein Stück gelebter Eigennutz. Es geht ums Überleben, ums Durchhalten unter widrigen Bedingungen, die man sich nicht selber ausgesucht hat. Es geht darum, die Zeit des Wartens so zu gestalten, dass es keine leere, keine verlorene, keine sinnlose Zeit ist.



Auch in meiner Erinnerung an unsere schlechte alte Zeit spielt dieser Satz eine Rolle. Wir haben damals darüber gestritten, wie das auszusehen hätte, der Stadt oder des Staates Bestes zu suchen, in dessen babylonischer Gefangenschaft wir uns befanden und der nun seinerseits gerade nicht unser Bestes suchte. Wie viel oder wie wenig sollte man mittun? Sollte man vielleicht auf kommunaler Ebene in der Ost-CDU mitarbeiten oder sich doch lieber in kritischen Umwelt- oder Friedensgruppen engagieren? Sollte man sich in seine private Nische zurückziehen? Oder sollte man lieber die erstbeste Gelegenheit zur Flucht ergreifen – mit der Nebenwirkung, dass man selber den Zurückgebliebenen fehlte?


Ja, und auch heute kann man sich fragen: Ist dieser Satz als Aufforderung für ein bewusst politisches Christentum oder im Gegenteil gerade für ein unpolitisches Christentum zu verstehen? – Oder ist sogar ein äußerlich nicht so politisches Christentum unterderhand gerade politisch?



Wir sind mit diesen Fragen mitten in unserer Welt angekommen, in der wir leben. Dabei sind wir ja eigentlich nicht von dieser Welt. Manchmal merkt man uns das auch an, dass wir nicht ganz von dieser Welt sind. Wir sind ja eigentlich im Reich Gottes zu Hause. Nur leben wir nun mal in der Welt und haben voraussichtlich auch noch eine lange Zeit in dieser Welt vor uns. Und darum sagt uns Gott: Lebt bewusst in dieser Welt. Mit Haus und Garten, Familie und Kindern. Übernehmt Verantwortung für die Menschen und Gemeinschaften, mit denen ihr lebt. Und betet für sie alle. Das ist euer Privileg, dass ihr für die anderen beten dürft, denn ihr habt ja die exklusive Verbindung ins Reich Gottes.


Und das ist nun genau so wichtig: Haltet diese Verbindung aufrecht, die Verbindung ins Reich Gottes! Betet, dass es kommen möge! Betet aber auch, dass Gottes Wille geschehe hier auf Erden, auch und gerade weil wir noch nicht im  Reich Gottes angekommen sind!


Mag sein, dass die Zeit noch lang ist. Mag sein, dass unsere Zeit nur noch kurz ist. Wir wissen es nicht. Aber wir wissen, dass Gott Gutes mit uns vorhat, dass er Gedanken des Friedens für uns hat. Mit seinen guten Gedanken muss uns die Zeit nicht lang werden.

Sonntag, 21. Oktober 2012

Predigt am 21. Oktober 2012 (20. Sonntag nach Trinitatis)

Die Zeit ist kurz. Fortan sollen auch die, die Frauen haben, sein, als hätten sie keine; und die weinen, als weinten sie nicht; und die sich freuen, als freuten sie sich nicht; und die kaufen, als behielten sie es nicht; und die diese Welt gebrauchen, als brauchten sie sie nicht. Denn das Wesen dieser Welt vergeht.

1. Korinther 7, 29-31

Liebe Schwestern und Brüder,


die Zeit ist kurz. – Ich höre es immer wieder: Die Zeit rast, sie vergeht immer schneller, je älter wir werden. Und ich erlebe es auch selber: Schon ein Jahr und acht Monate hier; dabei haben wir doch gerade erst angefangen. Die 5 als erste Ziffer meines Lebensalters rückt immer näher, wo ich doch gerade erst die 4 gefeiert habe. Noch gar nicht so lange her, da waren meine Eltern so alt. Und da war ich doch auch schon ein erwachsener Mann ...


Es ist die unaufhaltsame Beschleunigung, weil das, was wir kennen und erlebt haben, immer mehr wird, das, was wir noch zu erleben haben, immer weniger. Und so stürzen wir, scheint es, durch die Zeit, obwohl wir uns in Wahrheit immer langsamer bewegen. Was haben wir doch für eine Entwicklung durchgemacht in den ersten zehn Lebensjahren: vom schreienden Baby zum munteren Zehnjährigen. Und dann immer noch zum jungen Erwachsenen von 20 Jahren – was für eine Entwicklung! Damals waren wir schnell, aber die Zeit langsam. Jetzt werden wir immer langsamer, aber die Zeit vergeht um so schneller.


Die Zeit ist kurz. Wie kurz, wissen wir nicht. Aber da ist auf einmal dieses und jenes, was früher immer nur andere hatten: Was mit dem Herzen, was mit den Augen, was mit den Beinen, was mit dem Kopf … – Es sind Symptome; ich meine nicht Krankheitssymptome, sondern ich meine: Unsere Krankheiten sind Symptome. Unsere Krankheiten sind Symptome, die anzeigen, dass unser Körper nicht für die Ewigkeit gemacht ist – nur für eine bestimmte Zeit, und diese Zeit ist kurz.


Im Grunde genommen ist das unser Dauerthema, das Dauerthema von Religion und Philosophie: Wie gehen wir um mit uns, mit unserem Leben, mit unserer Welt angesichts der kurzen Zeit, die wir nur haben?


Zur Zeit geht der Trend wohl in Richtung Ignorieren: Wir tun so, als stimmte es nicht, dass die Zeit kurz ist. Wir leben, als hätten wir unendlich Zeit. Das Ideal einer alternden Gesellschaft ist paradoxerweise die ewige Jugend. Die Band Kettcar singt passenderweise: Opa skatet wieder, Oma hat jetzt noch ein Tattoo. – Und ich, der ich Bands wie Kettcar kenne und höre, stelle fest: Es ist dieselbe Musik, die meine Kinder hören, denn an Mozartsonaten im Autoradio kann ich mich immer noch nicht gewöhnen. Offenbar habe auch ich Probleme mit dem Älterwerden … Also: Ignorieren! Ignorieren, so lange es geht.


Selbst manche Formen von Religion bieten dieses Rezept an: Ignorieren. Seelenwanderung, Wiedergeburt, die nächste Chance. Ich glaube, östliche Religionen sind auch deshalb so populär geworden bei uns, weil sie diesen scheinbaren Ausweg bieten: Immer wieder von vorn anfangen. Da ist die Zeit dann nicht mehr kurz, sondern sie wird lang und länger: Ich komme wieder und wieder und wieder. – Nur dass man im Westen gerne übersieht, dass die Hindus und Buddhisten im Osten das gar nicht so gut finden. Da wollen die Menschen lieber raus aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburten und ins Nirwana verschwinden. Denen ist die Zeit nicht zu kurz, sondern zu lang.


Ehrlicherweise müssen wir sagen: Mit dem christlichen Glauben ist das auch nicht immer besser gewesen. Da meinte man, im Himmel ginge es immer und unendlich weiter – so ähnlich wie auf der Erde. Mit weniger Arbeit und mehr Freizeit, mit mehr Musik und weniger Schwerkraft, aber im Grunde doch ein verlängertes Erdenleben. Wenn man anfängt sich das auszumalen, entdeckt man fast zwangsläufig: Das muss doch langweilig sein! Zeit ohne Ende, und keine Ziele mehr zu erreichen; denn man ist ja schon am Ziel, und ein Ziel wäre ja auch wieder ein Ende, aber das soll es ja nicht mehr geben. – Langweilig!


Nein, so stimmt das nicht. Im Himmel wird die Zeit nicht lang, denn im Himmel gibt es keine Zeit mehr. Im Himmel ist Ewigkeit. Und Ewigkeit, das ist etwas anderes als unendlich lange Zeit. Etwas, das wir uns nicht vorstellen können. Etwas, das wir nur in manchen Augenblicken erahnen, in Augenblicken, in denen wir die Zeit vollständig vergessen, wo wir einfach nur da sind, eins mit uns, eins mit der Welt, eins mit Gott. Ergriffen vielleicht von einer großen Musik, einer gewaltigen Natur, einer tiefen Liebe, oder von der Gegenwart Gottes. Aber so ein Augenblick vergeht wieder, dann fallen wir in die Zeit zurück, wir können die Ewigkeit nicht festhalten. Das Leben geht weiter in der Zeit, und die Zeit ist kurz und wird immer kürzer.


Irgendwann ist keine Zeit mehr. Dann ist Schluss. Bzw. dann ist Ewigkeit. Und wie die Ewigkeit für uns aussehen wird, das hängt davon ab, wie wir zu Gott, dem Herrn der Ewigkeit, stehen. Sind wir bei ihm, ist unser zeitliches Leben mit ihm verbunden, dann sind wir auch in Ewigkeit bei ihm. Sind wir fern von ihm, haben wir uns mit unserem zeitlichen Leben von seinem ewigen Leben getrennt, dann sind wir in Ewigkeit fern von ihm. Das ist der Sinn der Bilder von Himmel und Hölle: In Ewigkeit bei Gott sein, oder in Ewigkeit von Gott getrennt sein. Die Entscheidung darüber fällt in der Zeit, nicht erst in der Ewigkeit.


Die Zeit ist kurz. – Wie gehen wir um mit uns, mit unserem Leben, mit unserer Welt angesichts der kurzen Zeit, die wir nur haben?


So, dass diese Zeit Sinn macht für die Ewigkeit. So, dass wir uns auf den ewigen Gott ausrichten. Alle Lebensziele, die wir sonst erreicht haben, werden wir am Tor zur Ewigkeit hinter uns lassen. Alle Positionen und Titel, die wir in dieser Welt hatten, werden wir ablegen müssen. Vor Gott sind wir alle nur Bettler, das ist wahr. Unseren Besitz und unseren Zugewinn werden wir zurücklassen müssen. Ja, und auch unsere Lieben bleiben zurück. Am Tor zur Ewigkeit, im Angesicht Gottes steht jeder für sich. Jesus wurde gefragt, wie das denn wäre, wenn eine Frau mit mehreren Männern verheiratet gewesen war und einer nach dem anderen stirbt: Wessen Frau würde sie in der Ewigkeit sein? – Jesus sagt: Im Himmel wird nicht mehr geheiratet. Die Ehe ist für die Lebenszeit auf Erden gemacht – ja, für die Lebenszeit, nicht nur für einen Lebensabschnitt! Aber sie ist nicht gemacht für die Ewigkeit. Nichts ist für die Ewigkeit, denn das Wesen dieser Welt vergeht.


Aber wir Menschen, du und ich, wir alle, wir sind für die Ewigkeit gemacht. Und deshalb sollen wir in unserer kurzen Lebenszeit so leben, dass wir für die Ewigkeit bereit werden. Wir sollen mit Gott leben, der uns dazu bestimmt hat, in Ewigkeit bei ihm zu sein. Wir sollen, wie Luther es im Katechismus sagt, Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen.


Nichts anderes sagt der Apostel Paulus, wenn er schreibt, dass wir alles, was wir in dieser unserer Lebenszeit haben – Ehegatten, Freude, Schmerz, Gewinn und Eigentum –, dass wir alles so haben sollen, als hätten wir es nicht. Alles kann wunderbar und gut sein. Und dann sollen wir es dankbar genießen, solange wir es haben. Aber alles kann uns genommen werden. Ja, alles wird uns genommen werden. Aber an dem ewigen Gott sollen wir festhalten. Ihn kann uns keiner nehmen. Er gibt allem seinen ewigen Sinn.


Nutzen wir also die kurze Zeit, um unser Leben bei dem ewigen Gott festzumachen!

Sonntag, 14. Oktober 2012

Predigt am 14. Oktober 2012 (19. Sonntag nach Trinitatis)

Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen. Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden. Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.

Jakobus 5, 13-16

Liebe Schwestern und Brüder,


alles ist gut, denn alles war gut – gut geschaffen – und alles wird gut – gut vollendet. Alles ist gut – das habe ich letzte Woche im Erntedankgottesdienst gesagt. Ja, wenn alles gut ist, dann ist es leicht, guten Mutes Psalmen zu singen. Wenn es aber nun nicht gut ist? Wenn es erst noch gut werden muss? – Darum vor allem geht es heute in unserem Predigtwort.


Was ist mit dem, der leidet? Was ist mit dem, der krank ist? Was ist mit dem, der schuldig geworden ist?
Was ist mit mir, wenn ich leide? Wenn ich krank bin? Wenn ich schuldig geworden bin? Wie kann es wieder gut werden mit mir?


Stellst du dir überhaupt diese Frage: Wie kann es wieder gut werden mit mir? Oder klagst du nur, dass es ist, wie es ist, ohne Veränderung zu erhoffen? Klagst du noch oder hoffst du schon?


Ich wage mal einen unverschämten Satz. Vielleicht stimmt er nicht zu hundert Prozent. Aber höre ihn erst mal an, und denke mit mir darüber nach! Der Satz heißt: Du bist selber dafür verantwortlich, wie es dir geht!


Ich meine damit nicht, dass du selber etwas dafür kannst, wenn dich ein Auto anfährt und du verletzt wirst, oder wenn du krank wirst, vielleicht sogar schwer krank wirst, so dass es kaum noch Hoffnung auf Heilung gibt. Nein, ich halte nichts von solchem vereinfachenden Unsinn, dass du nur richtig und gesund leben musst, damit du auch gesund bleibst oder wieder gesund wirst. So einfach ist das nicht. Selbst nachgewiesene Zusammenhänge sind da nur statistischer Art. Es ist wahrscheinlicher, dass du als Raucher Lungenkrebs bekommst als als Nichtraucher. Aber es ist nicht ausgemacht, dass du als Raucher Lungenkrebs bekommst oder als Nichtraucher keinen. Beides ist möglich.


Nein, Krankheiten, Unfälle, Schicksalsschläge können dich und mich und jeden treffen, unabhängig davon, wie wir leben. Dafür bist du nicht verantwortlich. Aber du bist dafür verantwortlich, wie du mit dem Leiden umgehst. Hat die Krankheit dich, oder hast du die Krankheit? Hat es dich erwischt, oder hast du dir etwas eingefangen? Bist du das Opfer deines Geschickes, oder bist du der Meister deines Lebens? Macht das etwas mit dir, oder machst du etwas damit?


Mach etwas damit!, sagt unser Bibelwort. Sei nicht Opfer, sondern Täter! Werde aktiv!


Ganz konkret: Warte nicht auf andere! Warte nicht darauf, dass sich jemand anders für dein Leben verantwortlich erklärt. Du bist verantwortlich!


Das heißt nicht, dass du mit deinem Leiden, mit deiner Krankheit, mit deiner Schuld allein bleiben musst. Ganz und gar nicht. Gott will dir helfen. Deine Menschen- und Christenbrüder und -schwestern wollen dir helfen. Aber sie müssen es wissen, dass du ihre Hilfe brauchst. Du musst es ihnen sagen, musst sie rufen. Gott herbeibeten. Die Geschwister herbeirufen. So kann man die griechischen Wörter wortwörtlich übersetzen. – Die Initiative liegt bei dir. Es ist deine Entscheidung, ob du Gott oder Menschen in deine Leidenssituation einbeziehst.


Manchmal spüre ich die unausgesprochene Erwartung, da müsste sich doch der Pfarrer oder jemand von der Kirche um mich oder diesen oder jenen kümmern. Und ich muss gestehen: Ich bin nicht so ein großer Kümmerer, der den Leuten hinterherläuft. Das liegt mir nicht so. Aber wenn jemand es sagt, dass er meine Hilfe braucht, einen Besuch von mir wünscht, ein Krankengebet, ein Hausabendmahl, dann bin ich auch da. Nein, du musst mit deinem Leiden nicht allein bleiben: Bitte um Hilfe, und du wirst sie erhalten.


Hier geht es in erster Linie um christliche, um geistliche Hilfe. Und da ist die erste Adresse Gott: Leidet jemand unter euch, der bete. Gott ist ja nie weiter weg als einen Gebetsruf. Um Menschen zu Hilfe zu rufen, müssen wir losgehen oder das Telefon nehmen oder eine Nachricht durchs Internet schicken. Um Gott zu Hilfe zu rufen, müssen wir nur unseren Mund auftun oder sogar nur unser Herz, und schon hat ihn unser Anruf erreicht. Rufe mich an in der Not, so werde ich dich erretten, und du sollst mich preisen. 50 15 – die Telefonnummer Gottes, haben wir als Jugendliche gelernt – Psalm 50, Vers 15: Rufe mich an in der Not!


Es kann sein, dass du von Gottes Hilfe, Nähe und Zuspruch wenig spürst auf so ein Notruf-Gebet hin. Ja, das kommt vor. Vielleicht bist du zu sehr in deinem Leiden gefangen, vielleicht steht etwas wie eine Mauer zwischen dir und Gott. Dann hole dir Verstärkung: Ist jemand krank – wörtlich: ist jemand schwach, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde … Die Funktion der Ältesten im geistlichen Sinne wird bei uns in erster Linie durch den Pastor ausgeübt.

Wenn du Hilfe erbittest von Gott und Menschen, dann bist du auf einmal nicht mehr allein verantwortlich dafür, wie es dir geht. Du hast Verantwortung übernommen, gerade indem du um Hilfe gerufen hast. Du hast gemerkt: Ich schaffe es nicht allein, und du hast dir Hilfe von Gott und Menschen geholt. Wenn Gott dir zu Hilfe kommt, wenn ein Mensch dir zu Hilfe kommt, dann übernimmt er Verantwortung für dich.


Hilfe von Menschen – da denke ich auch über unser Bibelwort hinaus. Wenn du krank bist, dann sollst du nicht nur beten, dir nicht nur geistliche Gebetsverstärkung holen, sondern du sollst auch dorthin gehen, wo Menschen dir mit den Möglichkeiten helfen können, die Gott den Menschen gegeben hat. Also zum Arzt. Im Ernstfall ersetzt die 50 15 nicht die 112. Freilich auch nicht umgekehrt. Auch und gerade wenn du bei deinem Arzt in guten Händen bist, dann darfst du trotzdem noch den Pastor rufen, und natürlich zu Gott beten.


Im Jakobusbrief bekommt das Krankengebet noch eine besondere Form: die Salbung mit Öl. Diese Anweisung in der Bibel ist in den alten Zeiten der Kirche für so wichtig gehalten worden, dass man die Krankensalbung als Sakrament verstanden hat, als heilige, biblisch gebotene Handlung, so wie Taufe und Abendmahl. In der katholischen Kirche ist sie es bis heute. Und ich bin mir gar nicht sicher, ob es so gut ist, dass wir die Krankensalbung in unserer evangelischen Tradition so gut wie vergessen haben. Sicher, es liegt nicht am Öl, ob dem Kranken geholfen wird, aber das Öl könnte ein starkes sichtbares, spürbares Zeichen sein für Gottes Nähe, Gottes Zuwendung, Gottes heilende Kraft.


Und da wir gerade schon von vergessenen Sakramenten reden: Noch etwas wird hier angesprochen: Das Bekenntnis und die Vergebung von Sünden. Also die Beichte. Oft höre ich: “Ich wusste gar nicht, dass es das in der evangelischen Kirche gibt.” – Doch, ja, gibt es. Bekennt also einander eure Sünden, heißt es ausdrücklich. Sünden bekennen und Sünden vergeben bekommen, das heißt Beichte und Absolution. Und das ist genau in dem Falle besonders wichtig, den ich schon angesprochen habe: Es steht etwas zwischen dir und Gott, der Kontakt ist gestört, du dringst nicht zu Gott durch. Dann brauchst du Hilfe. Gott will ja zu dir durchdringen. Und dabei können dir Menschen helfen. Vornehmlich wieder die Ältesten der Gemeinde, also der Pastor und seine geistlichen Mitarbeiter.


Und so ein Beichtbekenntnis hat auch wieder damit zu tun, dass du die Verantwortung, die du für dein Leben hast, an Gott übergeben kannst. Wo du schuldig geworden bist, da bist du verantwortlich. In der Beichte übernimmt Gott die Verantwortung für dich.


Alles soll gut werden. Es soll gut werden mit Gott und dir. Es soll gut werden mit den Dingen und Menschen, an denen du leidest. Es soll gut werden mit deinem Leib und mit deiner Seele. Dafür bist zuerst du verwantwortlich. Aber du kannst, du sollst und du darfst Gott und Menschen herbeirufen, und ihnen die Verantwortung übertragen für dein Wohlergehen an Leib und Seele: deinem Arzt, deinem Pastor, deinem Gott. Und dann wirst du spüren, dass es leichter wird, besser wird, gut wird.

Sonntag, 7. Oktober 2012

Predigt am 7. Oktober 2012 (Erntedanktag)

Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.
1. Timotheus 4, 4-5



Liebe Schwestern und Brüder,

Alles ist gut.

Der ernte-dankbare Blick in die Welt entdeckt, was gut ist. Jeden Tag neu.

Mir ist Dankbarkeit leicht, so leicht in dieser Zeit, an diesem Ort. Ich trete morgens auf den Balkon. Das Morgenlicht ist so klar. Mein Blick geht ins Weite, übers Meer, lichthell und tiefblau. Die andere Insel da drüben. Jeden Morgen derselbe Wettlauf zwischen den zwei Fähren. Die eine bekommt eine Viertelstunde Vorsprung. Die andere ist trotzdem eher drüben. Das Leben ist schön, ich bin beschenkt. Wenn ich rausgehe, wärmt mich die Sonne auf der Haut und kühlt mich der Wind. Jeden Tag kann ich unter Palmen wandeln. Manchen Tag am Strand liegen. Leben wie im Paradies! Ich bin dankbar und glücklich.

Und da ist die Frau, die mich liebt und die ich liebe. Da sind die Kinder in Deutschland, denen es gut geht. Wir sind dankbar und glücklich.

Ich lebe, ich bin gesund. Wenn ich nicht in dieser wunderbaren Zeit mit ihren großartigen medizinischen Möglichkeiten leben würde, wäre ich schon vier- oder fünfmal gestorben. Aber ich lebe und ich bin dankbar und glücklich.

Mühe und Arbeit ist dem Menschen aufgetragen. Meine Arbeit ist mein Beruf, meine Berufung. Sie erfüllt mich, macht mich glücklich. Es ist Arbeit am Sinn des Lebens. Es ist Begegnung mit Menschen und Begegnung mit Gott. Ja, es ist gut mit Gott und den Menschen, und ich darf davon singen und sagen.

Alles ist gut.

Der ernte-dankbare Blick ist darauf gerichtet, was gut ist, was gelungen ist, was geschenkt ist. In jedem Leben ist Gutes. Davon bin ich überzeugt. Manchmal müssen wir etwas genauer hinschauen, etwas mehr danach suchen, manchmal liegt es auf der Hand.

Es ist wie mit dem Erntedanktag: Wir feiern ihn jedes Jahr. Weil Gott immer wachsen lässt, weil Gott immer Leben gibt. Mal mehr und mal weniger. Ja, es gibt unfruchtbare Jahre und Zeiten der Dürre, Missernten und Unwetter, die die Mühe und Arbeit von Monaten zunichte macht. Aber es kommen auch wieder fruchtbare Jahre mit reicher Ernte. Menschen die fröhlich und zuversichtlich in den Winter gehen, weil sie reichlich Vorräte in die Scheuern eingefahren haben. – Wir sind hier auf unserer Insel sicher weniger betroffen und berührt vom landwirtschaftlichen Jahreslauf als in Deutschland. Und doch ahnen wir ja auch hier in diesem trockenen Jahr etwas davon, wie gefährdet Wachstum und Gedeihen sein können. Von Dieter weiß ich, wie katastrophal und existentiell bedrohlich so ein Dürrejahr vor Jahrzehnten noch war. Heute sind wir – dank Globalisierung und weltweiter Warenströme – vor Hungerkatastrophen ziemlich sicher. Gott sei Dank! – Was ich sagen will: Dass nach schlechten Jahren wieder gute Jahre kommen, dass nach Missernten wieder reiche Ernten kommen – das ist auch ein Bild für unser Leben. Mal ist es mehr, mal ist es weniger, wofür wir danken können. Aber wir können, sollen, dürfen danken.

Alles ist gut.

Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut.
Und Gott hat alles geschaffen.
Also ist alles gut.
Logisch.

Zumindest war alles gut, als er es geschaffen hatte: Und Gott sah an, alles was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut … Und Gott … ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte. Gottes Erntedankfest, wenn man so mag: „Es ist gelungen! Alles ist gut geworden! Mir sei Dank!“ Und so sagen wir, seine Geschöpfe: Gott sei Dank! Jede Woche. Für alle gute Gabe.

Aber dann kam der achte Tag, und nichts war mehr gut. Der Mensch wollte nicht mehr danken. Denn Danken ist ein Zeichen von Abhängigkeit. Ich will doch unabhängig sein, niemandem etwas verdanken, selber der Herr meines Lebens sein: Ich will selber sein wie Gott! – Das ist der Sündenfall. Der Riss, der durch die Schöpfung geht. Der Mensch nimmt in die Hand, was Gott geschaffen hat, und es gerät ihm unter der Hand zum Verderben. Sünde bedeutet Zielverfehlung: Unser Leben, das wir selber in die Hand nehmen, indem wir uns von Gottes Hand losreißen, verfehlt sein Ziel. Die Dinge, die wir in die Hand nehmen, ohne sie betend in Gottes Hand zurückzugeben, verderben und verfehlen ihr Ziel:

Aus Lebensmitteln werden Reichtümer.
Aus Lust wird Begierde.
Aus Mitmenschlichkeit wird Missgunst.
Aus Missgunst wird Mord und Totschlag.
Aus Werkzeugen werden Waffen.
Aus Welterkenntnis wird Gottesleugnung.
Aus Gottesfurcht wird Heidenangst.

Das durchsetzt unser Leben, zersetzt unser Leben. Nichts ist gut, meinte deshalb eine bekannte Bischöfin – damals noch Bischöfin – in einer umstrittenen Predigt. Im Blick auf unsere existentielle Situation jenseits von Eden hatte sie Recht: Nichts ist mehr wirklich und vollkommen gut. Alles, was der Mensch anfasst, ist infiziert, angekränkelt von Sünde und Tod.

So kann es nicht bleiben. Und so ist der Wunsch da, die Hoffnung, die Verheißung: Alles wird gut. Alles wird wieder gut. Wie es war im Anfang.

Manchmal ist das nur ein Trostwort für das weinende Kind: Alles wird gut. Und meistens sind die Tränen auch bald getrocknet.
Manchmal ist es auch ein Vertröstungswort: Alles wird gut. Wir glauben selber kaum noch daran.
Oder eine Beschwörungsformel: Wir sprechen die Dinge gut, reden sie schön: Alles wird gut.
Oder es ist nur noch ein zynischer Spruch, wo in Wirklichkeit alles schlechter wird.

Wenn Menschen sagen: Alles wird gut, dann ist auch dieses Wort angekränkelt und infiziert von Sünde und Tod. Es ist nicht wirklich vertrauenswürdig. Es reicht nicht über die Grenzen unserer Möglichkeiten hinaus. Es reicht vor allem nicht über die Grenze des Todes hinaus. Wie war das doch im Evangelium? – Alles wird gut, sagte sich der reiche Kornbauer. Aber Gott sagte: Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?

Wenn Gott sagt: Alles wird gut, dann ist dieses Wort wahr und gewiss.

Gott sagt: Siehe, ich mache alles neu. Er wird die Tränen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein. – Alles wird gut!

Das steht am Ende der Bibel. Und ganz am Ende stehen die Worte von Jesus Christus: Ich bin das A und das O, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende.

Ja, wie es war im Anfang … Am Anfang war alles gut – so auch am Ende: Am Ende wird alles gut sein.

Aber jetzt, hier, in der Mitte, mitten in unserem von der Sünde angekränkelten Leben?

Hier in der Mitte, da ist er auch – Jesus Christus. Gerade! Mitten unter uns Menschen, die wir wirklich alles verderben, und darunter leiden, dass wir es verderben. Mitten unter uns Menschen, die wir ihn selber, den wahren Menschen, den Menschensohn verderben – ihn töten, hier, mitten unter uns, da lebt er. Das ist das große, wunderbare Paradox des Kreuzes: Wo nichts gut ist, wo alles am allerschlimmsten ist, da wird alles gut, da ist alles gut: Karfreitag wird Ostern, Tod wird Auferstehung. Der Tod stirbt, die Sünde verfehlt ihr Ziel. Der Sündenfall läuft rückwärts ab: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. Es ist vollbracht. Alles ist gut.

Alles ist gut.

Geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet. Geheiligt durch das eine Wort Gottes – Jesus Christus. Wo wir ihn hören, wo wir das Wort Gottes hören, und wo wir ganz zu ihm hin sind, zu ihm beten, da ist alles gut. Da ist unser Leben wieder in Gottes Hand gelegt. Und die Dinge dieser Welt, die uns ängsten und sorgen, beschweren und belasten, sie sind wieder in Gottes Hand gelegt. Und wir werden wieder dankbar. Sehen die Welt mit dankbaren Augen. Sehen sie, wie sie von Gott gemeint war: als Paradies. Da ist alles gut. Weil es gut geschaffen ist und weil es gut vollendet wird.

Alles ist gut, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Mittwoch, 3. Oktober 2012

Ich gehöre zu Deutschland. Zum Tag der Deutschen Einheit

Das Thema des Nationalfeiertags, des Tags der Deutschen Einheit ist für mich Zugehörigkeit.

Ich gehöre dazu, zu Deutschland.

Die Deutschen in der DDR vor 22 Jahren wollten auch dazugehören: Wir sind ein Volk.

Schwierig damals und in den letzten 22 Jahren wurde es immer, wenn diese Zugehörigkeit infrage gestellt wurde. Das Gefühl: Diese Ossis gehören eigentlich nicht zu uns; sie sind anders. Das hat sie verletzt, die doch auch Deutsche waren, sich vielleicht mehr noch als Deutsche gefühlt haben als mancher westdeutsche Internationalist, dem nach eigenen Bekunden Paris oder Mailand näher war als Dresden oder Rostock.

Sie haben doch schon vorher dazugehört, die Ostdeutschen. Haben dieselben Sender gesehen und gehört, über Loriot und Otto gelacht, Sonntags Tatort gesehen (wenn sie denn Westempfang hatten), den Wahlabend der Bundestagswahl mit Spannung verfolgt und gewusst, wen sie gewählt hätten ...

Wir sind ein Volk. Wir gehören dazu. Und jetzt auch in einem Staat, einem Vaterland. Angekommen, dort, wo wir hingehören. In Deutschland.

Wahrscheinlich war es für die Ostdeutschen gar nicht so schwer, im vereinten Deutschland anzukommen, auch wenn sich so vieles geändert hat. Für die Westdeutschen war es schwerer, vielleicht auch weil sich viel weniger geändert hat. Schwerer diese Perspektive einzunehmen: Nicht nur: Jetzt gehören die Ostdeutschen zu uns. Sondern auch: Jetzt gehören wir zu den Ostdeutschen.

Zugehörigkeit ist eben auch Zusammengehörigkeit. Vereinigung ist nicht einseitiges Eindringen oder Vereinnahmung.

Zugehörigkeit zu Deutschland und Zusammengehörigkeit der Deutschen spüre ich gerade auch hier in Spanien. Es macht einen Unterschied: Hier bin ich Gast, ich bin willkommen, aber ich gehöre nicht dazu. Ich bleibe Ausländer, mit anderer Muttersprache und anderer Kultur. Mich beschäftigt Berlin mehr als Madrid. Hier gehöre ich allenfalls zu einer deutschen Enklave, einer Parallelgesellschaft, in der ich über maximal einen Bekannten mit jedem anderen Inseldeutschen bekannt bin. Es ist hier ganz deutlich: Wir gehören zusammen, weil wir Deutsche sind. Wie oft sage ich Soy alemán, und mache damit meine nationale Zugehörigkeit klar! Das wird verstanden und ist genauso klar wie Soy inglés oder Soy sueco, aber es ist auch ganz klar nicht dasselbe.

Zugehörigkeit zu Europa ist eben bei weitem nicht dasselbe, wie Zugehörigkeit zu (m)einem Vaterland.

Zugehörigkeit ist nichts Statisches. Bindungen wachsen. Auch über nationale Grenzen hinweg, durchaus. Meine Wurzeln, meine Heimat, meine ursprüngliche Zugehörigkeit aber werde ich nicht verlieren.

Ich gehöre zu Deutschland.