1. Timotheus 4, 4-5
Liebe
Schwestern und Brüder,
Alles
ist gut.
Der
ernte-dankbare Blick in die Welt entdeckt, was gut ist. Jeden Tag
neu.
Mir
ist Dankbarkeit leicht, so leicht in dieser Zeit, an diesem Ort. Ich
trete morgens auf den Balkon. Das Morgenlicht ist so klar. Mein Blick
geht ins Weite, übers Meer, lichthell und tiefblau. Die andere Insel da drüben.
Jeden Morgen derselbe Wettlauf zwischen den zwei Fähren. Die eine
bekommt eine Viertelstunde Vorsprung. Die andere ist trotzdem eher
drüben. Das Leben ist schön, ich bin beschenkt. Wenn ich rausgehe,
wärmt mich die Sonne auf der Haut und kühlt mich der Wind. Jeden
Tag kann ich unter Palmen wandeln. Manchen Tag am Strand liegen.
Leben wie im Paradies! Ich bin dankbar und glücklich.
Und
da ist die Frau, die mich liebt und die ich liebe. Da sind die Kinder
in Deutschland, denen es gut geht. Wir sind dankbar und glücklich.
Ich
lebe, ich bin gesund. Wenn ich nicht in dieser wunderbaren
Zeit mit ihren großartigen medizinischen Möglichkeiten leben würde,
wäre ich schon vier- oder fünfmal gestorben. Aber ich lebe und ich
bin dankbar und glücklich.
Mühe
und Arbeit ist dem Menschen aufgetragen. Meine Arbeit ist mein Beruf,
meine Berufung. Sie erfüllt mich, macht mich glücklich. Es ist
Arbeit am Sinn des Lebens. Es ist Begegnung mit Menschen und
Begegnung mit Gott. Ja, es ist gut mit Gott und den Menschen, und ich
darf davon singen und sagen.
Alles
ist gut.
Der
ernte-dankbare Blick ist darauf gerichtet, was gut ist, was gelungen
ist, was geschenkt ist. In jedem Leben ist Gutes. Davon bin ich
überzeugt. Manchmal müssen wir etwas genauer hinschauen, etwas mehr
danach suchen, manchmal liegt es auf der Hand.
Es
ist wie mit dem Erntedanktag: Wir feiern ihn jedes Jahr. Weil Gott
immer wachsen lässt, weil Gott immer Leben gibt. Mal mehr und mal
weniger. Ja, es gibt unfruchtbare Jahre und Zeiten der Dürre,
Missernten und Unwetter, die die Mühe und Arbeit von Monaten
zunichte macht. Aber es kommen auch wieder fruchtbare Jahre mit
reicher Ernte. Menschen die fröhlich und zuversichtlich in den
Winter gehen, weil sie reichlich Vorräte in die Scheuern eingefahren
haben. – Wir sind hier auf unserer Insel sicher weniger betroffen
und berührt vom landwirtschaftlichen Jahreslauf als in Deutschland.
Und doch ahnen wir ja auch hier in diesem trockenen Jahr etwas davon,
wie gefährdet Wachstum und Gedeihen sein können. Von Dieter weiß
ich, wie katastrophal und existentiell bedrohlich so ein Dürrejahr
vor Jahrzehnten noch war. Heute sind wir – dank Globalisierung und
weltweiter Warenströme – vor Hungerkatastrophen ziemlich sicher. Gott
sei Dank! – Was ich sagen will: Dass nach schlechten Jahren wieder
gute Jahre kommen, dass nach Missernten wieder reiche Ernten kommen –
das ist auch ein Bild für unser Leben. Mal ist es mehr, mal ist es
weniger, wofür wir danken können. Aber wir können, sollen, dürfen
danken.
Alles
ist gut.
Denn
alles, was Gott geschaffen hat, ist gut.
Und Gott hat alles geschaffen.
Also ist alles gut.
Logisch.
Und Gott hat alles geschaffen.
Also ist alles gut.
Logisch.
Zumindest
war alles gut, als er
es geschaffen hatte: Und Gott sah an, alles was er gemacht
hatte, und siehe, es war sehr gut … Und Gott … ruhte am siebenten
Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte. Gottes
Erntedankfest, wenn man so mag: „Es ist gelungen! Alles ist gut
geworden! Mir sei Dank!“ Und so sagen wir, seine Geschöpfe: Gott
sei Dank! Jede Woche. Für alle
gute Gabe.
Aber
dann kam der achte Tag, und nichts war mehr gut. Der Mensch wollte
nicht mehr danken. Denn Danken ist ein Zeichen von Abhängigkeit. Ich
will doch unabhängig sein, niemandem etwas verdanken, selber der
Herr meines Lebens sein: Ich will selber sein wie Gott! – Das ist
der Sündenfall. Der Riss, der durch die Schöpfung geht. Der Mensch
nimmt in die Hand, was Gott geschaffen hat, und es gerät ihm unter
der Hand zum Verderben. Sünde bedeutet Zielverfehlung: Unser
Leben, das wir selber in die Hand nehmen, indem wir uns von Gottes
Hand losreißen, verfehlt sein Ziel. Die Dinge, die wir in die Hand
nehmen, ohne sie betend in Gottes Hand zurückzugeben, verderben und
verfehlen ihr Ziel:
Aus
Lebensmitteln werden Reichtümer.
Aus Lust wird Begierde.
Aus Mitmenschlichkeit wird Missgunst.
Aus Missgunst wird Mord und Totschlag.
Aus Werkzeugen werden Waffen.
Aus Welterkenntnis wird Gottesleugnung.
Aus Gottesfurcht wird Heidenangst.
Aus Lust wird Begierde.
Aus Mitmenschlichkeit wird Missgunst.
Aus Missgunst wird Mord und Totschlag.
Aus Werkzeugen werden Waffen.
Aus Welterkenntnis wird Gottesleugnung.
Aus Gottesfurcht wird Heidenangst.
Das
durchsetzt unser Leben, zersetzt unser Leben. Nichts ist
gut, meinte deshalb eine
bekannte Bischöfin – damals noch Bischöfin – in einer umstrittenen
Predigt. Im Blick auf unsere existentielle Situation jenseits von
Eden hatte sie Recht: Nichts ist mehr wirklich und vollkommen gut.
Alles, was der Mensch anfasst, ist infiziert, angekränkelt von Sünde
und Tod.
So
kann es nicht bleiben. Und so ist der Wunsch da, die Hoffnung, die
Verheißung: Alles wird gut. Alles
wird wieder gut. Wie
es war im Anfang.
Manchmal
ist das nur ein Trostwort für das weinende Kind: Alles wird gut. Und
meistens sind die Tränen auch bald getrocknet.
Manchmal ist es auch ein Vertröstungswort: Alles wird gut. Wir glauben selber kaum noch daran.
Oder eine Beschwörungsformel: Wir sprechen die Dinge gut, reden sie schön: Alles wird gut.
Oder es ist nur noch ein zynischer Spruch, wo in Wirklichkeit alles schlechter wird.
Manchmal ist es auch ein Vertröstungswort: Alles wird gut. Wir glauben selber kaum noch daran.
Oder eine Beschwörungsformel: Wir sprechen die Dinge gut, reden sie schön: Alles wird gut.
Oder es ist nur noch ein zynischer Spruch, wo in Wirklichkeit alles schlechter wird.
Wenn
Menschen sagen: Alles wird gut, dann ist auch dieses Wort
angekränkelt und infiziert von Sünde und Tod. Es ist nicht wirklich
vertrauenswürdig. Es reicht nicht über die Grenzen unserer
Möglichkeiten hinaus. Es reicht vor allem nicht über die Grenze des
Todes hinaus. Wie war das doch im Evangelium? – Alles wird gut,
sagte sich der reiche Kornbauer. Aber Gott sagte: Diese Nacht wird
man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du
angehäuft hast?
Wenn
Gott sagt: Alles wird gut, dann ist dieses Wort wahr und
gewiss.
Gott
sagt: Siehe, ich mache alles neu. Er wird die Tränen abwischen,
und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch
Schmerz wird mehr sein. – Alles wird gut!
Das
steht am Ende der Bibel. Und ganz am Ende stehen die Worte von Jesus
Christus: Ich bin das A und das O, der Erste und der Letzte, der
Anfang und das Ende.
Ja,
wie es war im Anfang … Am Anfang war alles gut – so auch am
Ende: Am Ende wird alles gut sein.
Aber jetzt, hier, in der
Mitte, mitten in unserem von der Sünde angekränkelten Leben?
Hier
in der Mitte, da ist er auch – Jesus Christus. Gerade! Mitten unter
uns Menschen, die wir wirklich alles verderben, und darunter leiden,
dass wir es verderben. Mitten unter uns Menschen, die wir ihn
selber, den wahren Menschen, den Menschensohn verderben – ihn
töten, hier, mitten unter uns, da lebt er. Das ist das große,
wunderbare Paradox des Kreuzes: Wo nichts gut ist, wo alles am
allerschlimmsten ist, da wird alles gut, da ist alles gut:
Karfreitag wird Ostern, Tod wird Auferstehung. Der Tod stirbt, die
Sünde verfehlt ihr Ziel. Der Sündenfall läuft rückwärts ab:
Heute wirst du mit mir im Paradies sein. Es ist vollbracht. Alles
ist gut.
Alles
ist gut.
Geheiligt
durch das Wort Gottes und Gebet. Geheiligt durch das eine Wort
Gottes – Jesus Christus. Wo wir ihn hören, wo wir das
Wort Gottes hören, und wo wir ganz zu ihm hin sind, zu ihm beten, da
ist alles gut. Da ist unser Leben wieder in Gottes Hand
gelegt. Und die Dinge dieser Welt, die uns ängsten und sorgen,
beschweren und belasten, sie sind wieder in Gottes Hand gelegt. Und
wir werden wieder dankbar. Sehen die Welt mit dankbaren Augen. Sehen
sie, wie sie von Gott gemeint war: als Paradies. Da ist alles gut.
Weil es gut geschaffen ist und weil es gut vollendet wird.
Alles ist
gut, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu
Ewigkeit. Amen.
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