Donnerstag, 31. Januar 2013

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Donnerstag, dem 31. Januar 2013

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

Komm, Herr Jesus, sei du unser Gast, und segne, was du uns bescheret hast.


Das ist wohl das bekannteste Tischgebet. Im Grunde genommen sind solche gereimten Gebete Kindergebete. Mit dem Tischgebet vor jeder Mahlzeit haben wir die Selbstverständlichkeit des Betens gelernt. Für Christen gehört es dazu, das Essen nicht ohne Dank und Segensbitte entgegenzunehmen.

Eigentlich! – Inzwischen scheint das Tischgebet aus der Mode gekommen zu sein. Wir finden es ehrlicher, nur noch dann zu beten, wenn es uns so ist.


Aber warum eigentlich? – Ist so ein Ritual nicht eine gute Erinnerung daran, dass wir alles, was wir haben, letztlich Gott zu verdanken haben?


Alle guten Gaben, alles, was wir haben, kommt, o Gott, von dir. Wir danken dir dafür! – so ein anderes Tischgebet.

Gerade das tägliche Brot ist auch Gebetsanliegen im Vaterunser, der Mutter aller Gebete.


Wahrscheinlich ist uns die Nahrung, das tägliche Brot, allzu selbstverständlich geworden. Wer weiß schon noch, was Hunger ist! Meine Generation jedenfalls nur noch vom Hörensagen. – Wäre nicht gerade auch das Grund zum Danken, Grund an Gott zu denken?


Ach, ich weiß. Viele von uns haben nichts anderes gelernt als die alten Kindertischgebete, und irgendwie kommt man sich dann albern vor, wenn man die mit 40, 50 oder 60 Jahren immer noch aufsagt.


Aber das müssen wir ja nicht. Ein kurzes Innehalten vor dem Essen, ein dankbarer Gedanke zu Gott hin, eine kurze Bitte um seinen Segen, das würde es ja auch tun.


Vielleicht aber sind irgendwann mit 50, 60 oder 70 Jahren Enkel da. Und mit ihnen könnten wir dann auch wieder die guten alten Kindertischgebete einüben:


Segne, Vater, dieses Essen. Lass uns deiner nicht vergessen. Amen.

Mittwoch, 30. Januar 2013

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Mittwoch, dem 30. Januar 2013

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

manche Menschen beten einfach dann, wenn ihnen so ist: wenn sie Gottes Hilfe brauchen oder wenn sie erfüllt sind von Dankbarkeit. Denn: Wovon das Herz voll ist, davon geht der Mund über, heißt es in der Bibel.


Manche Menschen haben sich das Beten zur Gewohnheit gemacht. Früh und Abends sprechen sie regelmäßig ihr Gebet. Morgen- und Abendgebete gibt es entsprechend viele.


Ich persönlich bete oft Martin Luthers Morgen- und Abendsegen. Luther wollte ja den Menschen immer einfache Anleitungen für ihr Glaubensleben an die Hand geben, und so schlägt er vor, man möge sich mit dem Kreuzeszeichen segnen – ja, warum evangelische Christen das Bekreuzigen abgeschafft haben, ist nicht so richtig nachzuvollziehen; auf Luther können sie sich jedenfalls nicht berufen – und dann solle man das Vaterunser und das folgende Morgengebet sprechen:


Ich danke dir, mein himmlischer Vater durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn, dass du mich in dieser Nacht vor allem Schaden und Gefahr behütet hast, und bitte dich: Du wollest mich diesen Tag auch behüten vor Sünden und allem Übel, dass dir all mein Tun und Leben gefalle, denn ich befehle mich, meinen Leib und Seele und alles in deine Hände. Dein heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde.

Und Luther fügt hinzu: „Alsdann mit Freuden an dein Werk gegangen und etwa ein Lied gesungen oder was dir deine Andacht eingibt.“

Das Schöne an diesem Morgengebet, ist seine schlichte Form: Der Dank für Gottes Schutz in der Nacht, die Bitte um sein Behüten und Segnen am neuen Tag. Alles soll in seinen Händen sein. Seine Engel mögen um mich sein, und der böse Feind soll keine Macht über mich finden. Mehr brauche ich nicht.


Mit ganz ähnlichen Worten kann ich nach Luther auch den Tag beenden. Gott hat mich behütet, und er möge mir meine Sünden vergeben und in der kommenden Nacht wiederum behüten. Beide Gebete findet man im Evangelischen Gesangbuch. Mir bedeuten sie viel.

Dienstag, 29. Januar 2013

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Dienstag, dem 29. Januar 2013

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

„Herr, lehre uns beten!“ (Lukas 11,1) – Die Jünger von Jesus fragen ihn ganz direkt, wie sie das machen können – mit Gott reden – zu Gott beten.


Gewiss, ein kurzes Stoßgebet – „O Gott!“ – oder ein kurzes Dankgebet – „Gott sei Dank!“ – ist schnell gesagt. Aber darüber hinaus? Was und wie können wir mit Gott reden? – Manchmal fällt es uns schon schwer genug, im Gespräch mit anderen Menschen die richtigen Worte zu finden. Wie schwierig mag es erst sein, die richtigen Worte für Gott zu finden?


Jesus gibt seinen Jüngern ein ganz kurzes Mustergebet. Seit damals ist dieses Gebet bei allen Christen bekannt und wird überall und immer wieder gebetet: Das Vaterunser – die Mutter aller Gebete.


Eigentlich müsste es ja Unservater heißen. Aber direkt vom lateinischen Paternoster übernommen ist der Vater auch in unserer deutschen Fassung an allererster Stelle geblieben, denn das ist auch das allerwichtigste Wort des ganzen Gebets: Vater – Gott ist unser Vater. Er ist nicht fern, fremd und unpersönlich, sondern er ist unser Vater, der ideale Vater, der es gut mit uns meint. Das ist die Grundlage, dass wir überhaupt zu ihm beten: Wir vertrauen darauf, dass er uns immer gut ist, dass er immer das Beste für uns will und tut.


Und dass das so ist und bleibt, das erbitten wir mit diesem und mit jedem Gebet. Wir sagen es nicht nur ihm, wir bringen es uns auch jedesmal selber in Erinnerung, wenn wir zu ihm beten: Gott ist unser guter Vater. Darum ist es für uns so wichtig und gut, mit ihm in Verbindung zu bleiben. Darum erbitten wir alles, was wir zum Leben brauchen, von ihm.


Eigentlich müsste ich jetzt jedes einzelne Wort des Vaterunsers mit Ihnen bedenken. Dazu haben wir nicht genügend Zeit. Aber wir haben noch genügend Zeit, dass ich dieses wunderbare Gebet ganz spreche. Und wenn Sie mögen, dann sprechen Sie, dann beten Sie mit mir:


Vater unser im Himmel. Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Montag, 28. Januar 2013

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Montag, dem 28. Januar 2013

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

vor etlichen Jahren hat mich das Ergebnis einer Umfrage überrascht, nach dem ein großer Anteil der Deutschen zumindest gelegentlich betet. Dabei war die Zahl dieser Beter sogar höher als die Zahl derer, die an einen persönlichen Gott glaubten.


Das fand ich seltsam: Wie kann ein Mensch beten, der nicht an Gott glaubt? Ich hätte es mir andersherum gedacht: Mancher glaubt schon, dass es Gott gibt, aber er lässt ihn, wie man so schön sagt, einen frommen Mann sein: Gott macht sowieso, was er will – was soll ich dann mit ihm bereden?

Aber nein, die Mehrzahl der Menschen hat gelegentlich etwas zu bereden mit Gott. Oder vielleicht ist es ja nicht mal unbedingt Gott, sondern das Universum, die Macht des Guten oder gute Mächte. Irgendwas, was Hilfreiches wird da schon sein – so empfinden es die meisten. Und selbst wenn ich es nicht sicher weiß, ich kann es probieren.


Hand aufs Herz: Für die meisten von uns gibt es Situationen, in denen es uns einfach nach Beten ist.


Not lehrt beten, sagt der Volksmund. Wenn mich die schlimme Nachricht erreicht, dass mein Freund oder meine Frau lebensgefährlich erkrankt ist, dann ist das Bedürfnis zu beten auf einmal riesengroß: „O Gott, hilf! Mach was! …“


Unsere Umgangssprache hat solche kurzen Stoßgebete aufbewahrt. Manchmal denken wir gar nicht dran, dass wir ein Gebet sprechen, wenn wir „O Gott!“ sagen, oder „Um Himmels willen!“ oder auch „Gott sei Dank!“


Es sind ja nicht nur die Notsituationen, die uns das Beten lehren, sondern auch die guten Erfahrungen, die kleinen und großen Wunder im Alltag, die uns dankbar machen und uns vielleicht auch ein kurzes Dankgebet auf die Lippen bringen.


Nützt Beten etwas? – Ich glaube schon. Wenn da einer ist, der sich von unseren Gebeten ansprechen lässt, dann wird er auch darauf antworten.


Wie das mit dem Beten ist und wie wir beten können, darüber möchte ich in den nächsten Tagen weiter mit Ihnen nachdenken.

Predigt am 27. Januar 2013 (Sonntag Septuagesimä)

Überarbeitete Fassung einer Predigt von 2007

Jesus sah einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: „Folge mir!“ Und er stand auf und folgte ihm. Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern. Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: „Warum isst euer Meister mit Zöllnern und Sündern?“ Als das Jesus hörte, sprach er: „Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Geht aber hin und lernt, was das heißt (Hosea 6, 6): ‚Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer.‘ Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.“
Matthäus 9, 9-13


Liebe Schwestern und Brüder,


„Du solltest mal zum Arzt gehen“. Wahrscheinlich hören wir so einen Satz nicht besonders gerne. Denn das heißt ja auch: „Du bist krank. Mit dir stimmt was nicht.“ Und wir wollen natürlich, dass es mit uns stimmt; wir wollen gesund sein, nicht krank. Aber gerade darum hat ja wohl auch der besorgte Mitmensch das zu uns gesagt: „Du solltest mal zu Arzt gehen“; er möchte auch nur, dass wir gesund sind.

Aber – so  ein Arztbesuch ist eben auch mit gewissen Ängsten verbunden: Was ist, wenn er eine gefährliche Krankheit diagnostiziert? Was ist, wenn er mich arbeitsunfähig schreibt, wo ich gerade so viel zu tun habe oder wo der Chef sowieso immer schon böse guckt, wenn Leute fehlen? Was ist, wenn der Arzt mir Einschränkungen verordnet, mir sagt, dass ich nicht so weiter leben kann wie bisher? Besonders beim Essen sind wir da ja empfindlich – und beim Trinken.


Der Arzt ist eigentlich dazu da, um uns gesund zu machen. Aber erstmal macht er uns krank: Er stellt fest, was uns fehlt. Er gibt unserem Unwohlsein einen Namen, und das heißt dann „Krankheit“. Der Arzt bescheinigt es mir: „Du bist krank.“


Irgendwie wissen wir schon, dass wir alle irgendwo was haben, was uns krank macht. „Gesund ist, wer nicht genug untersucht ist“, hat Manfred Lütz in seinem schönen Buch „Lebenslust“ geschrieben. – Und im Übrigen leben die Ärzte ja nicht davon, dass die Leute krank sind; warum sollen sie sie dann für gesund erklären?


Jesus spricht eine einfache Wahrheit aus, wenn er sagt: Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Und jeder versteht, dass Jesus sich selber mit dem Arzt meint. Wenn er zu den Menschen geht, mit ihnen redet, mit ihnen isst, sie in die Nachfolge ruft oder sie auch leiblich gesund macht, dann ist das jedes Mal wie ein Krankenbesuch: Der Arzt geht zu den Kranken. Und Jesus geht zu den Menschen, bei denen was nicht stimmt. Weil er möchte, dass ihr Leben in Ordnung kommt.


Der Zöllner Matthäus ist so ein Beispiel. Wahrscheinlich hat er sich bis eben noch ganz gesund gefühlt. Denn es ging ihm gut.


Die viel zitierten Zöllner in den Evangelien arbeiteten gewissermaßen als Pächter der römischen Besatzungsmacht. So wie es heute Tankstellen- oder auch WC-Pächter gibt, oder Franchise-Nehmer von McDonalds oder Burger King, so hatten Sie vom römischen Staat die Zollstation gepachtet. Sie mussten einen bestimmten Anteil ihrer Einnahmen an den römischen Staat abführen, und den Rest durften sie für sich behalten. – Interessant, dass schon die alten Römer staatliche Aufgaben einfach privatisiert haben. Dieses Modell war nämlich effektiv für den Staat, weil die privaten Zollpächter ein Eigeninteresse daran hatten, möglichst viel Zoll und Steuern zu erheben – anders als Beamte, die einfach ihre Vergütung kriegen und dazu vielleicht sogar noch bestechlich sind. Die Kehrseite war natürlich, dass diese Zöllner oft überhöhte Steuern und Zölle kassierten, ohne dass man sich dagegen wehren konnte. – Man stelle sich das vor: Unsere Finanzbeamten würden nach Höhe der aufgebrachten Steuer bezahlt und es gäbe keine Rechtsmittel gegen falsche Steuerbescheide. Wir können uns vorstellen, dass die Finanzbeamten unter diesen Bedingungen einen noch viel schlechteren Ruf hätten als so schon.


So einer war der Zöllner Matthäus. Für ihn war das Leben in Ordnung, denn es ging ihm auf gut – jedenfalls materiell. Nur seine Mitbürger sahen das anders: „Das ist doch krank!“, sagten sie, „dass sich da einer einfach so die eigenen Taschen füllen darf.“ Und sie behandelten ihn entsprechend wie einen Aussätzigen. Aussätzig war er auch aus religiösen Gründen, denn er machte sich die Finger schmutzig, indem er für den Staat arbeitete – für einen heidnischen, gottlosen Staat! Er beschmutzte seine Seele, indem er sich über Gottes Gebote hinwegsetzte. Er war unrein – wie ein Kranker. So sahen es die Gläubigen seiner Zeit.


Als Jesus zu ihm kam – als Arzt auf Krankenbesuch –, verordnete er ihm sofort seine Therapie: „Komm mit! Folge mir!“ – Das ist schon krass und kaum zu begreifen, dass Matthäus tatsächlich auf ein Wort von Jesus hin alles stehn und liegen lässt, sein altes, gesichertes Leben aufgibt und mit ihm mitgeht in eine ungesicherte Zukunft. Sicher hat das eine umfassendere Vor- und Nachgeschichte. Vielleicht gibt uns ja der Evangelist nur eine absolut gekürzte Fassung des Patientengesprächs wieder, das Jesus mit ihm führt.


Ja, dass die Leute ihn für krank hielten, das wusste er schon lange. Aber Hilfe haben sie ihm trotzdem nicht angeboten. Und so gab es gar keinen Weg für ihn heraus aus diesem kranken Leben. Bis Jesus kam, von dem er mit Sicherheit schon gehört hatte. Jesus erklärte ihn nicht nur für krank, sondern er verordnete ihm ein neues, verändertes Leben.


War es eine leichte Entscheidung, sich darauf einzulassen, oder ist sie ihm schwer gefallen? – Immerhin sollte er seinen bisherigen sicheren und gut bezahlten Job aufgeben. Aber wie und warum auch immer: Matthäus ließ sich darauf ein.


Der Evangelist Matthäus erzählt uns die Geschichte vom Zöllner Matthäus, weil an dieser Stelle sein krankes Leben in Ordnung gekommen ist, geheilt wurde – durch Jesus, den Arzt.


Die Pharisäer ärgert das. „Darf der denn das?“ – Ja, Jesus darf. Er muss sogar, das ist sein Auftrag – als Arzt.


Wahrscheinlich haben die pharisäischen Kritiker Jesu das nicht verstanden, dass er Gottes Arzt ist für die Menschen, deren Leben ziemlich krank ist. Zu denen geht Jesus hin auf Krankenbesuch. Er ist überhaupt auf Krankenbesuch in dieser Welt, wo so vieles einfach nur krank ist und so viele einfach nur krank sind.


Aber sie hatten etwas anderes erwartet von Gott, von seinem Messias. Er sollte zu ihnen kommen, zu den Gesunden, zu den Gerechten. Das hatten sie sich verdient, weil sie so fromm lebten. Wenn an einem Tag alle Juden alle 613 Gebote des Alten Testaments einhalten würden, dann würde der Messias kommen, so hatten sie es erwartet. Er würde zu ihnen kommen, den Frommen und zum Lohn für ihre Treue Israel erlösen und befreien und mit ihnen Gottesreich errichten.


Aber dann kam Jesus, und er kam wohl mit dem Anspruch, der Gesandte Gottes zu sein. Aber er kam nicht zu ihnen, nicht zu den Frommen, den Treuen, den Gerechten, die es verdient hätten. Er ging an ihnen vorbei und gab sich lieber mit den Zöllnern ab, die auch nicht einen Tag wirklich nach Gottes Geboten lebten; er ging zu den Unreinen, die schon durch ihre bloße Existenz Gott beleidigten; er ging zu den Armen, die es sich gar nicht leisten konnten, nach dem Gesetz zu leben. – Das war die große Enttäuschung der Pharisäer. Jesus kam nicht zur Belohnung für die, die keine Hilfe brauchten, weil sie sich selber helfen konnten, er kam aus Gnade zu denen, die Gottes Hilfe am nötigsten hatten, zu den Kranken, den Armen, zu den Kaputten.


Den Frommen und Gerechten, den Starken und Gesunden hat Jesus einen biblischen Vers des Propheten Hosea ins Stammbuch geschrieben: Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht an Opfer. – Ja, die Frommen brachten sicher Opfer, indem sie sich große Mühe gaben, nach Gottes Willen zu leben, alle Vorschriften einzuhalten – das waren damals natürlich auch Opfervorschriften – und auch um ihre Synagogen und den Jerusalemer Tempel zu unterhalten – das kostete mit Sicherheit auch finanzielle Opfer, aber das war es ihnen wert. Und doch, sagt Jesus: Das ist es nicht wirklich, woran Gott Gefallen hat. Er möchte lieber Barmherzigkeit. Die zeigt sich daran, wie Menschen miteinander umgehen, insbesondere, wie sie mit denen umgehen, die als Kranke, als Schwache, als Sünder leben. Die nicht allein herausfinden aus dem, was sie krank macht an Leib und Seele. Genau diese sind Jesus wichtig. Genau zu denen ist er als Arzt gekommen.



Für uns, liebe Schwestern und Brüder, kann diese Geschichte in zweierlei Hinsicht wichtig werden.


Erstens: Wir sollen wissen: Er ist auch unser Arzt. Wo wir mit unserem Leben nicht mehr weiter kommen, nicht mehr weiter wissen, wo wir mit unseren Anstrengungen scheitern, Gott und uns selbst zu genügen, da wo uns Probleme und Nöte, Ängste und Zweifel über den Kopf wachsen, da ist er als Arzt für uns da. Auch wenn es schwer fällt: Wenn es so ist, dann sollten wir es auch zugeben, dass wir krank sind, Sünder sind, hilfsbedürftig sind. Und dann hingehen, zum Arzt, zu Jesus. Er kann uns helfen, und er will uns helfen.

Zweitens ist diese Geschichte auch wichtig für den Pharisäer in uns. Machen wir es uns klar, dass Jesus nicht für die Gerechten gekommen ist, sondern für die Sünder, nicht für die Gesunden, sondern für die Kranken! Unsere Gottesdienste und Veranstaltungen, unsere Feste und Feiern sind eigentlich gar nicht so sehr für die Frommen, die Rechtgläubigen und die Geisterfüllten gedacht, sondern in erster Linie für alle die, bei denen irgendwas nicht stimmt. – Den Gedanken: „Was will der denn hier? Ist der denn überhaupt gläubig?“, den sollten wir ganz schnell wieder vergessen; es ist ein pharisäischer Gedanke.


Martin Luther hat mal gesagt, der Gottesdienst sollte eine „öffentliche Aufreizung zum Glauben“ sein – also eine Einladung, ein Anreiz zum Glauben für alle, die nicht glauben, wenig glauben, zweifeln. Wer mit Gott im Reinen ist, der braucht keine Kirche. Aber wer nach Sinn und Halt und Hilfe sucht, weil in seinem Leben was nicht stimmt, der ist richtig bei uns.


Willkommen in der Gemeinschaft der Zöllner und Sünder!

Sonntag, 20. Januar 2013

Predigt am 20. Januar 2013 (Letzter Sonntag nach Epiphanias)

Das Volk sprach zu Jesus: „Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Christus in Ewigkeit bleibt; wieso sagst du dann: ‚Der Menschensohn muss erhöht werden‘? Wer ist dieser Menschensohn?“ Da sprach Jesus zu ihnen: „Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch. Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überfalle. Wer in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wo er hingeht. Glaubt an das Licht, solange ihr’s habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet.“ Das redete Jesus und ging weg und verbarg sich vor ihnen.
Und obwohl er solche Zeichen vor ihren Augen tat, glaubten sie doch nicht an ihn, damit erfüllt werde der Spruch des Propheten Jesaja, den er sagte (Jesaja 53, 1): „Herr, wer glaubt unserm Predigen? Und wem ist der Arm des Herrn offenbart?“ Darum konnten sie nicht glauben, denn Jesaja hat wiederum gesagt (Jesaja 6, 9.10): „Er hat ihre Augen verblendet und ihr Herz verstockt, damit sie nicht etwa mit den Augen sehen und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren, und ich ihnen helfe.“ Das hat Jesaja gesagt, weil er seine Herrlichkeit sah und redete von ihm.
Johannes 12, 34-41


Liebe Schwestern und Brüder,

Dunkel und noch dunkler – so hat die FAZ vor ein paar Tagen einen Artikel überschrieben. Darin geht es – ihr habt vielleicht davon gehört – um die Geschichte von Zwillingsbrüdern aus Belgien: 45 Jahre alt, von Geburt an taub, gehörlos. Und nun begannen sie auch noch zu erblinden. Worauf sie sich gemeinsam entschieden, sich töten zu lassen. „Ihr ganzes Leben haben sie Seite an Seite verbracht“, schreibt die FAZ, „gemeinsam bewohnten sie ein Appartement, gemeinsam absolvierten sie eine Ausbildung zum Schuhmacher und gemeinsam starben sie nun kurz vor Weihnachten 2012. Es waren Ärzte des Brüsseler Universitätsklinikums, die ihnen die tödlichen Injektionen spritzten.“


Dunkel und noch dunkler – so schien ihnen die Welt zu sein, der sie entgegen gingen, eine Welt ohne Töne, ohne Licht, ohne Bilder, ohne sichtbare Zeichen. – Wir können uns das kaum vorstellen. In die stille Welt eines Gehörlosen mögen wir uns mit Mühe hineinversetzen können. Die dunkle Welt eines Blinden, in der er sich durch Töne und Klänge, durch Tasten und Führen doch noch orientieren kann, das mag uns möglich erscheinen. Und wir kennen ja auch Menschen, die nicht sehen oder nicht hören. Aber die beiden wichtigsten Sinne zu verlieren, das ist schon unerhört. Blind und gehörlos. Was spüre ich da noch von der Welt, in der ich lebe, von den Menschen, mit denen ich lebe?


Dunkel und noch dunkler – ja, noch dunkler – finster, kalt, grausam – ist es für mich aber, wenn ein Mensch – oder hier zwei Menschen gemeinsam – ihr Leben für wertlos erklären. Nicht mehr lebenswert. Lebensunwertes Leben. Tötet uns! Macht uns weg! – Und schon sind sie zur Stelle, die Ärzte mit der Todesspritze.

Taubblinde können nicht sehen und nicht hören, gewiss. Aber sie können fühlen, tasten. Sie können kommunizieren – sich in die Hände schreiben, lesen – die Blindenschrift. Mithilfe von Computern schreiben und am sozialen Leben teilnehmen. Sie können denken, dichten, sich ausdrücken, arbeiten und basteln. Sie können riechen, schmecken, Wind, Wasser, Wärme spüren. Sie können einen anderen Menschen neben sich spüren, berühren, riechen, fassen, streicheln, küssen, lieben. – Das soll alles nichts sein? Leben, das es nicht wert ist, gelebt zu werden?


Ich denke an Andreas, der im letzten Sommer hier war; einige haben ihn kennengelernt. Andreas ist blind. Erblindet auf Grund einer Stoffwechselkrankheit. Andreas ist gehbehindert – auf Grund derselben Stoffwechselkrankheit; es wird nicht besser, im Gegenteil. Andreas ist schwerhörig, auf seine Hörgeräte angewiesen, auch das infolge derselben Krankheit. Es wird alles nicht besser, auch wenn die Verschlimmerung mit richtiger Ernährung verzögert werden kann. Vielleicht wird er trotzdem eines Tages nicht mehr selber gehen können und kaum noch hören können. – Andreas hat es genossen, dass er hier war. Auch wenn er die Berge und das Meer, die Sonne und die Weite nicht sehen konnte, hat er die Luft und das Wasser gespürt, hat sich zeigen und erklären lassen, was er nicht sehen konnte; er hat glückliche Tage mit uns erlebt. Ich könnte mir nicht vorstellen, dass Andreas sagt: „Gebt mir die Spritze! Mein Leben ist nichts mehr wert!“


Zugegeben, das Thema Sterbehilfe ist ein schwieriges Thema. Wer sich, so wie ich, dagegen positioniert, wird schnell als unbarmherzig hingestellt, als jemand, der Menschen Leiden zumutet, das er ja selber nicht ertragen muss. Weiß ich, wie sich auswegloses Leidens-Dunkel anfühlt? Bin ich vielleicht einer von diesen arroganten Freunden Hiobs, die sagen: So darfst du nicht reden, denken, fühlen? – Aber nein, ich möchte ja niemanden verurteilen, dem das Leben so unerträglich geworden ist, dass er lieber sterben möchte. Das ist dem Hiob in der Bibel auch nicht anders ergangen oder auch dem Jeremia. – Ich finde es nur erschreckend, wenn auf das Verzweilfungs-Dunkel von Menschen so bereitwillig mit dem Todes-Dunkel geantwortet wird: Wenn er nicht mehr will, blasen wir ihm eben das Lebenslicht aus. Gäbe es nicht noch Möglichkeiten, Licht ins Dunkel zu bringen? So dass Leben bleibt, wenn auch eingeschränkt? So dass Liebe bleibt, weil einer dem andern Licht ist, auch da, wo das Todes-Dunkel nahe ist?


Ich glaube an das Licht. Ich glaube, dass es auch in der tiefsten Dunkelheit scheint und dass keine Finsternis es auslöschen kann. Ich glaube, dass dieses Licht, Gottes Licht, in die Welt gekommen ist. Damals, Weihnachten. Damals, als Jesus zur Welt gekommen ist. Daran glaube ich.


Und darum bin ich ratlos, wenn es in dieser Welt dunkel und noch dunkler wird, wenn es in Menschenherzen so dunkel wird, dass sie gar kein Licht mehr sehen können.


Offensichtlich gibt es sie, unzählige Menschen, die das Licht nicht sehen können – oder nicht sehen wollen. Oder die dem Licht nicht trauen.


Können wir ihm denn trauen? Ist es denn wirklich heller geworden, seit Jesus gekommen ist? Ist dieses Hoffnungslicht von Weihnachten nicht doch wieder verglommen?


Weihnachten minus Engel und Hirten minus Stern und Könige – da bleibt eine Familie auf der Flucht und ein Massaker an Kleinkindern. Es ist wieder dunkel in Bethlehem.


Christ, der Retter, ist da – ja für ein paar Jahre. Da und dort wird es hell, als er Blinden die Augen öffnet und Tauben die Ohren. Aber dann ist er wieder weg. Stirbt am Kreuz. Und über Golgatha ist es dunkel.


Und dann doch das Licht sehen. Den Ostermorgen. In Jesus mehr sehen als den Gescheiterten. Dem Auferstandenen begegnen. – Das ist ein Geschenk. Das ist Gnade.


Ich glaube an das Licht. Und ich weiß: Dass ich glauben kann, liegt nicht an mir. Es liegt an ihm. Er hat sein Licht in meinem Herzen angezündet. Irgendwann. Vielleicht war es Weihnachten: Das strahlende Kinderlachen Gottes. Vielleicht war es Ostern: der starke Herr an meiner Seite. Vielleicht war es immer wieder: Lichtstrahlen da und dort, die mein Herz erreicht haben.


Ich glaube an das Licht. Vielleicht habe ich Glück, dass ich glauben kann. Vielleicht weiß ich noch nicht, was wirkliches Dunkel ist. Vielleicht aber war es sein Licht in mir, dass die Finsternis immer wieder vertrieben hat. Ich kann mir jedenfalls keine Finsternis vorstellen, die so dunkel wäre, dass nicht noch ein Fünkchen Licht da hinein scheinen könnte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Leben absolut dunkel und lebensunwert werden könnte.


Liebe Freunde, unser Glaube an das Licht ist ein schwacher und angefochtener Glaube – in einer dunklen Welt, in der nicht nur da und dort gelitten wird, sondern in der das Leiden, der Zweifel und die Verzweiflung plötzlich ganz nahe sein können. – Aber und gerade deshalb: Sucht das Licht! Haltet euch an das Licht! Glaubt an das Licht! Werdet Kinder des Lichts! Damit euch kein Dunkel je verschlingen kann!

Sonntag, 6. Januar 2013

Predigt am 6. Januar 2013 (Epiphanias)

Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir! Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.
Und die Heiden werden zu deinem Lichte ziehen und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht.
Hebe deine Augen auf und siehe umher: Diese alle sind versammelt und kommen zu dir. Deine Söhne werden von ferne kommen und deine Töchter auf dem Arm hergetragen werden. Dann wirst du deine Lust sehen und vor Freude strahlen, und dein Herz wird erbeben und weit werden, wenn sich die Schätze der Völker am Meer zu dir kehren und der Reichtum der Völker zu dir kommt. Denn die Menge der Kamele wird dich bedecken, die jungen Kamele aus Midian und Efa. Sie werwden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des HERRN Lob verkündigen.

Jesaja 60, 1-6


Liebe Schwestern und Brüder,


Gottesaufgang! – Was für eine Vision: Über dir geht auf der HERR und seine Herrlichkeit erscheint über dir.


Wir kennen Sonnenaufgänge: Dort hinten wird’s hell, und Schwarz wird zu Grau, wird zu Rot, wird zu Licht, und benommen, verschwommen, erkennen, was man will … – Ok, die Worte sind geklaut, weil sie’s so gut treffen.*


In letzter Zeit wird der Sonnenaufgang noch angekündigt durch den Morgenstern. Wenn alle anderen Sterne schon schlafen gehen, weil es ihnen zu hell wird, strahlt er noch am dämmernden Morgenhorizont und kündigt den Aufgang der Sonne an, bis sie selber da ist und auch ihn im Glanze ihrer Strahlen verblassen lässt.


Und dann das klare Licht, in dem nicht mehr alle Katzen grau und alle Kühe schwarz sind. Das Licht, in dem unsere Welt Konturen und Gestalt gewinnt. Das Licht, in dem sich die Blüten wieder öffnen, das die Körper wieder wärmt. Das Licht, dass die Schreckgespenster der Nacht verscheucht, das unsere Alpträume lächerlich aussehen lässt, das unsere Sorgen leicht aussehen lässt.



Sonnenaufgang – Gottesaufgang – Aufklärung!

Ja, Aufklärung. Diese Vorstellung davon, wie das Licht aufgeht und die Finsternis vertreibt, steht hinter allen Versuchen von Aufklärung. Menschen, die im Dunkel von Unwissen und Aberglauben leben, deren Sinn von Unmündigkeit und Höllenängsten verfinstert ist, sollen vom Dunkel ins Licht geführt werden.


Es ist das Licht des Verstandes, der sich nicht mehr im Halbdunkel ein X für ein U vormachen lässt. Es ist der berühmte Mut, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. Nichts zu glauben, weil es andere behaupten, sondern weil es der eigenen vernünftigen Überprüfung standhält.


Wir verdanken der Aufklärung viel. Wir verdanken ihr überprüfbares Wissen über unsere Welt und die Anwendung dieses Wissens in Technik und Medizin. Wir verdanken ihr ein unglaubliches Maß an Wohlstand und Wohlbefinden. Und wer das unter Berufung auf angebliches mittelalterliches Geheimwissen und unüberprüfbare Esoterik-Lehren in Zweifel zieht, der weiß wahrscheinlich nicht, was wir der empirischen Forschung und der evidenzbasierten Medizin verdanken.


Wir verdanken der Aufklärung viel. So viel, dass uns dabei aber auch leicht der Glauben mit unter die Räder kommt. Wo wir etwas wissen können, müssen wir ja nicht mehr glauben. Wohl wahr. Und darum ist es auch so fruchtlos und sinnlos, wenn Gläubige wissenschaftliche Erkenntnisse bestreiten, weil ja nicht wahr sein könne, was anders in der Bibel steht. Als ob die Bibel ein Lehrbuch über Astronomie oder Biologie sein wollte! Wo man sie so verstanden hat, weil man nichts anderes hatte, da muss man heute einfach sagen: Als naturwissenschaftliches Lehrbuch ist die Bibel veraltet.


Aber dann schütten sie das Kind mit dem Bade aus, die Aufklärer. Für sie bleibt nur noch, was der Verstand verstehen kann: Musik ist nichts als angewandte Physik – Akustik. Malerei ist nichts als angewandte Chemie und Physik – Farbmischerei und Optik. Sprache ist nichts als Informationsaustausch zwischen biologischen Systemen, so was ähnliches wie die Bits und Bytes der Computer; ist ja logisch, man kann die Sprache ja auch in Bits und Bytes verwandeln. Und Liebe ist nichts als Biochemie. Glück ist nichts als eine Frage des Hormonhaushalts. Und der Sinn des Lebens ist es, seine Gene weiter zu geben. – Immerhin! Denn das ist ja in unserer aufgeklärten Gesellschaft auch nicht mehr selbstverständlich. Die Aufklärung im engeren Sinne von Sexualaufklärung hat sich ja auch gewandelt: Früher hat man die jungen Leute aufgeklärt, wie man Kinder kriegt; heute klärt man sie darüber auf, wie man keine Kinder kriegt … – Aus einer großen Bewegung geistiger Befreiung – der Aufklärung eben – ist ein kleingeistiger Reduktionismus geworden, dessen Kennzeichen dieses nichts als ist. Was sich nicht messen und berechnen lässt, gibt es danach gar nicht, oder es ist nur Illusion: Schönheit, Freiheit, Liebe … Das Staunen über das Unerklärliche, das Wunderbare, das Erhabene, das Ewige soll uns abgewöhnt werden von jenen kleingeistigen Möchtegern-Aufklärern, die alles erklären wollen und doch nichts verstanden haben.


Und das kommt ja noch hinzu: Sie schwingen sich zu Erziehern auf. Anstatt den Leuten Mut zu machen, sich ihres eigenen Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen – das ist ja nach Kant gerade das Wesen der Aufklärung –, wollen sie uns bevormunden und uns vorschreiben, in welchen Bahnen wir zu denken haben … Das macht mir geradezu Angst.


Doch, wir brauchen Aufklärung. Zünd uns ein Licht an im Verstand, bittet schon ein uralter Pfingsthymnus. Ja bitte! Christlicher Glaube soll nicht unverständig, nicht unverstanden, nicht ungebildet und obskur sein.


Aber das ist nicht alles, ist nicht das Entscheidende. Wir brauchen nicht nur eine Aufklärung des Verstandes, sondern vor allem eine Aufklärung des Herzens. Wir brauchen das Licht, das uns nicht nur die Welt erklärt, sondern das uns selbst, einander und Gott besser sehen lässt. Wir brauchen das Licht der Liebe.



Die Geschichte dieses Tages, die Geschichte von den Hl. Drei Königen, den Magiern oder Weisen aus dem Osten ist so eine Geschichte vom aufgehenden Licht. Ihnen geht wortwörtlich ein Licht auf, als sie ihren Stern entdecken im Morgenland. Da ist etwas, anders, größer, heller, als sie es kennen. Und da ist der unbändige Drang, diesem Stern zu folgen, sich aufzumachen. Über einen Umweg finden sie den neu geborenen König, das Gotteskind, den Herrn der Welt. Sie sehen mehr, als Sinne und Verstand erfassen können; sie sehen Gott. Sie sehen sich selber in seinem Licht. Sie gehen verändert wieder heim. Sie haben ihre Gaben da gelassen, und nehmen viel mehr mit, als sie gebracht haben: Gottes Liebe.


Wisst ihr, warum aus den Magiern, den Sterndeutern aus dem Osten in der Überlieferung drei Könige geworden sind? – Wegen unseres Prophetenwortes aus dem Alten Testament: Die Heiden werden zu deinem Lichte ziehen und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht. – Genau diese Bibelstelle hat man erfüllt gesehen in der Geschichte von den Weisen. Und dann war da ja auch noch die Rede von Kamelen voller Gold und Weihrauch. – Und was haben die Weisen gebracht? Genau: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Drei verschiedene königliche Gaben: also müssen es drei gewesen sein, drei Könige. Und auf Kamelen sind sie gekommen. Das tun sie noch heute hierzulande – habe ich jedenfalls gestern im Internet gesehen.


Auch wenn das alles fromme Legende ist, es ist doch wahr: Es ist die Wahrheit von Weihnachten, dass mit dem Kind von Bethlehem Gottes Licht in der Welt aufgegangen ist. – Gottesaufgang!


Da beginnt die wahre Aufklärung. Wo uns Gott aufgeht – im Staunen über das Wunder einer Geburt. Im Staunen über das Wunder dieser Geburt.


Aber auch im Staunen über den Menschen neben mir, den Gott wunderbar gemacht hat – und ganz einzigartig. Und im Staunen darüber, was dieser Mensch kann und vermag. Und wie er von Gott angerührt wird.



Ich habe vor wenigen Tagen so einen Gottesaufgang erlebt. Wie viele wissen, war ich ja kurz mal in Deutschland, um bei Bachs Weihnachtsoratorium mitzusingen. Als dann nach all den Proben das Jauchzet, frohlocket! erklang, mit Pauken und Trompeten, mit Geigen, Flöten und Oboen und mit diesem großartigen Chor, dessen Teil ich war, da war es in mir wie eine große Erleuchtung: Was für ein Wunder, dass Menschen miteinander so eine wunderbare Musik machen können, dass aus der Idee eines großen Künstlers Töne werden, die viele miteinander musizieren und daraus ein großes klingendes Ganzes machen! Tausendemal ist es schon gespielt worden, und doch hat es noch nie ganz genau so geklungen wie an diesem Abend! – Und warum das alles? – Weil Menschen ergriffen waren von dieser Geschichte Gottes, von seiner Geburt in dieser Welt: Schaut her, da liegt im armen Stall, des Herrschaft gehet über all. Wo Speise vormals sucht ein Rind, da lieget jetzt der Jungfrau Kind. Und weil sie wollten, dass er nicht nur im Stall von Bethlehem, sondern auch in ihrem Herzen zu Hause sei: Ach mein herzliebes Jesulein, mach dir ein rein sanft Bettelein, zu ruhn in meines Herzens Schrein, dass ich nimmer vergesse dein. Und das haben sie in Worte und Töne gefasst und zum Singen und Klingen gebracht. – Da ist mir selber das Licht vom Stall und von der Krippe neu aufgegangen. Und manchem anderen wohl auch, der ergriffen und bewegt zugehört hat.


Gottesaufgang! – Es wird hell über dir und in dir und durch dich. Es muss kein Weihnachtsoratorium sein. Vielleicht war es nur ein schlichtes Weihnachtslied in unserer Kirche. Ein Wort, das dich bewegt hat und was du im Herzen weiter bewegt hast. Ein Augenblick, wo Gott ganz nahe war, wo du ihn ganz tief verstanden hast  und dich ganz fest in seiner Hand geborgen wusstest.


Es ist diese Art von Aufklärung, die wir brauchen: Licht von Gott, das unser Leben heller macht.


Gottes Licht, das können wir nicht nach Bedarf anknipsen. Aber wir können es suchen und dorthin gehen, wo es uns scheinen könnte: in der Stille, in der Bibel, in der Musik, in der Kunst, im vertrauten Gespräch, vielleicht sogar in der Predigt.


Möge Gottes Licht über uns aufgehen in diesem neuen Jahr!


* Kettcar, Nacht