Sonntag, 16. Juni 2013

Predigt am 16. Juni 2013 (3. Sonntag nach Trinitatis)

Jesus ging nach Jericho hinein und zog hindurch. Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war reich. Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen. Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: „Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren.“ Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden. Als sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: „Bei einem Sünder ist er eingekehrt.“ Zachäus aber trat vor den Herrn und sprach: „Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück.“ Jesus
aber sprach zu ihm: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist Abrahams Sohn. Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.“
Lukas 19,1-10


Liebe Schwestern und Brüder,
letzten Sonntag habe ich davon gesprochen, wie Gott Werbung macht, und ich habe gesagt, dass sein Angebot ein Gratis-Angebot ist: Gott gibt, aber er verlangt nichts dafür. Und ich habe auch gesagt, dass es bei Gott keine versteckten Kosten gibt. Nein, es ist eben nicht so, dass du erst Kirchensteuern oder Gemeindebeitrag bezahlen musst, in der Gemeinde mitarbeiten und ein anständiges Leben führen, um Gottes Angebot wahrnehmen zu können. Wer etwas anderes behauptet, verfälscht das reine Evangelium.
Aber über dieser Aussage schwebt natürlich ein riesengroßes Fragezeichen. Ist es praktisch nicht doch anders? Wer sich auf Gott einlässt, wird der nicht zwangsläufig mit einer Änderung seines Lebens bezahlen? Geht es denn wirklich, Christ zu sein, ohne sein Leben nach Gottes Geboten auszurichten?
Zachäus, der kleine Zöllner, vielen von uns seit Kinderstundenzeiten gut bekannt, er verfällt der Werbung Gottes, Gottes ganz persönlicher Werbekampagne mit Jesus von Nazareth als Werbeikone. Er ist hingerissen von ihm, sucht sich den besten Platz, um ihn sehen, ihm nahe sein zu können, und ist auf einmal tatsächlich der, der nicht nur sieht, sondern gesehen wird und der Jesus so nahe kommt, wie er es nicht für möglich gehalten hätte. Er wird persönlich angesprochen, von der Besuchertribüne im Maulbeerbaum geholt und auserwählt, dass sein Star zu ihm persönlich ins Haus kommt.
Zachäus hat nichts dafür getan, er hat es sich bestimmt nicht verdient, dass Jesus, der Prophet – vielleicht ist er sogar der Messias –, gerade zu ihm kommt. Er weiß es selber ganz genau und am allerbesten: Er ist ein Sünder. Ein Zöllner ist immer ein Sünder. Er arbeitet für die gottlosen Besatzer. Er nimmt seinen Landsleuten Geld ab, um es den Römern zu übergeben. Er verdient selber ganz gut daran. Und er ist korrupt: Er nimmt sich mehr, als ihm zusteht, und gewährt Vergünstigungen gegen persönliche Zuwendungen. Seinen Nachbarn und Landsleuten gefällt das nicht. Jesus, den er bewundert, gefällt das sicher auch nicht. Denn es gefällt Gott nicht. Das alles weiß er.
Er weiß, dass er es von allen am wenigsten verdient hat, dass Jesus gerade zu ihm kommt. In sein Haus. Ja, das ist für ihn ein Geschenk, ganz und gar unverdient: Er ist von Jesus auserwählt, er steht im Mittelpunkt. Ohne, dass er irgendwas dafür geleistet hätte. Im Gegenteil: Bei einem Sünder ist er eingekehrt! So ist das mit Gottes Liebe, die er gratis verschenkt: Er verschenkt sie gerade an die, die sie nicht verdient haben.
Aber das ist nun auch genau der Punkt, wo die Kosten beginnen. Jesus lädt sich als Ehrengast ein, und Zachäus muss Gastgeber sein. Natürlich nicht nur für Jesus, sondern für seine ganze Anhängerschaft; das sind mindestens 12 Jünger und noch eine ganze Reihe Frauen und Fans, die mit ihm ziehen; vielleicht auch noch für diesen oder jenen der Honoratioren von Jericho, die von sich aus niemals sein Haus betreten hätten, nun aber im Gefolge von Jesus dabei sein möchten. Da ist das Haus voll, und der Keller leer. „Komm, Herr Jesu sei du unser Gast“ – ja, unser Gast ist Jesus gerne, aber bezahlen tut er nicht. Bezahlen musst du – als Gastgeber. – Man könnte also schon sagen: Sich auf Jesus einzulassen hat seinen Preis.
Aber es kommt ja noch dicker: Zachäus gibt vor Jesus eine Erklärung ab: Die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. – Hui! Das wird aber sehr teuer! Gleich schon mal die Hälfte weg und vom Rest dann noch vierfachen Schadensersatz für alle, die er jemals übers Ohr gehauen hat. Da bleibt nicht viel zum Leben, vermutlich. – Und das Bisschen Bewirtungskosten für Jesus ist dann auch nicht mehr der Rede wert.
Ist das nicht genau das, was viele befürchten? Sich auf Jesus einzulassen, mit Gott zu leben hat einen hohen Preis, weil Gott erwartet, dass ich mein Leben ändere, dass ich Unrecht wieder gut mache und kein Neues begehe, dass ich sozial handle statt egoistisch, dass ich nicht lüge, begehre, stehle und ehebreche und dass ich Sonntags nicht den Rasen mähe, und was zu einem anständigen christlichen Leben sonst noch so alles gehören mag. Die Vorstellungen differieren da durchaus. – Aber wie auch immer, ein Leben, das Gottes Gebote ernst nimmt, das kann ganz schön heftige Kosten verursachen.
Hat Zachäus das gewusst, als er Jesus in sein Haus einließ? – Wir wissen es nicht. Vermutlich ist es ihm erst aufgegangen, als Jesus schon da war, und mit ihm Gottes Liebe und Gottes Nähe.
Ihr Lieben, man kann es auch ganz anders sehen. Weder Jesus noch sonst jemand hat irgendwas dergleichen von Zachäus verlangt. Keiner hat gesagt: „Du musst jetzt aber beweisen, dass du ein Christ bist. Du musst jetzt aber den Leuten ihr Geld zurückgeben.“ Nichts dergleichen. Du musst gar nichts.
Was Zachäus tut, das tut er nicht unter Zwang und Nötigung, sondern freiwillig. Es ist ihm mit einem Mal ein Bedürfnis. Er spürt es wie noch nie, dass er so wie bisher nicht weiter leben will. Und darum zieht er von sich aus eine radikale Konsequenz und ändert sein Leben. Jesus in seinem Haus ist sozusagen nur der Katalysator dafür.
Ich stelle mir vor, wie es schon lange in Zachäus gearbeitet hat, wie er schon lange diese Unzufriedenheit gespürt hat, diese Sehnsucht nach Veränderung, wie schon lange das schlechte Gewissen an ihm nagte, weil er sich zwar sagen konnte, dass er eben seinen Job machte und dass es alle so machten wie er, also die Gesetze zu ihrem eigenen Vorteil auslegten und Bestechungsgelder erwarteten usw., dann aber doch immer mal wieder diese leise Stimme in ihm sagte: Du bist ein Betrüger, ein Dieb, ein Sünder, und die dich verachten, verachten dich zu Recht. Und dann ist da Jesus, der ihn so annimmt, wie er ist, der eben nichts verlangt, der ihn freundlich und herzlich mit seiner Gegenwart beehrt. Da weiß er: Jetzt kann alles anders werden, jetzt kann alles neu werden.
Dass er sich von seinem unrecht erworbenen Gut und Geld trennt, das mag ein schwerer Schritt sein; aber es ist ein unglaublich befreiender Schritt. Die Last des alten Lebens, die Schuld, die er auf sich geladen hat, die muss er nicht mehr mit sich herumtragen. Es ist Befreiung, Erlösung, neues Leben. Jetzt zählt was anderes im Leben. Ich stelle mir einen glücklichen, jubelnden, tanzenden Zachäus vor. Ich stelle mir vor, wie er Jesus um den Hals fällt und ihm dankt, dass er ihn frei gemacht hat.
Nein, das ist kein hoher Preis, den er bezahlt, es ist Befreiung, die er erlebt. Das, was Gott schenkt und wofür Jesus wirbt, das, wofür auch wir als seine Kirche werben, das ist und bleibt das großes Gratis-Angebot eines neuen Lebens.
Dafür musst du nicht bezahlen. Das ist der Gewinn des Lebens.
Bei Gott musst du gar nichts: Du musst keine Kirchensteuer bezahlen, du musst nichts in den Klingelbeutel tun, du musst nicht in der Gemeinde mitarbeiten, du musst kein besonders anständiges Leben führen. – Aber du darfst und du kannst ein Leben führen, das erfüllt ist von Gottes Liebe, das begeistert ist und andere begeistert, das reich ist, indem es sich verschenkt. Und wo Gottes Liebe und Begeisterung dein Leben trifft, da wird es von alleine gut. So wie damals bei Zachäus. Oder so ähnlich. Oder ganz anders.

Montag, 10. Juni 2013

Predigt am 9. Juni 2013 (2. Sonntag nach Trinitatis)

Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben!
Jesaja 55, 1-3b


Liebe Schwestern und Brüder,
Gott macht Werbung.
Zum Beispiel da und dort an deutschen Autobahnen, da sieht man hunderte Meter weit aus allen Richtungen riesige Plakate: Ich halte dich! – Gott. Oder: Ich bin dir näher als du glaubst. – Gott. Darunter, wie es sich gehört, Gottes Internetadresse: gott.net.
gott.net macht auch große Plakate für Baugerüste an Kirchtürmen. Oder Postkarten. Und Denkanstöße mit Bild und Text im Internet.
Gott macht Werbung. Ich find’s gut.
Genau genommen sind es Menschen, evangelische Christen, die mit dieser Aktion und dieser Website Werbung machen für Gott, ein Verein, der mit Spenden diese Aktionen finanziert. Damit Gott auf sich aufmerksam machen kann – in unserer Zeit, wo alles voll ist mit Werbung. Wo inzwischen auch schon die Atheisten zum Gegenschlag ausgeholt haben und Busse bekleben mit der Aufschrift: „Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott.“ – Aber das ist natürlich witzlos: Warum sollte man Werbung für etwas machen, das es gar nicht gibt? Oder erreicht man damit vielleicht sogar das Gegenteil: Dass Menschen sich anfangen Gedanken zu machen, ob es Gott vielleicht doch gibt?
Wie auch immer: Gott macht Werbung, und bringt sich ins Gespräch. Und wie immer tut er das durch Menschen, die für ihn Werbung machen.
Hast du vielleicht ein komisches Gefühl, wenn so großformatig für Gott plakatiert wird? Findest du das aufdringlich oder peinlich? Oder gar tendenziell fundamentalistisch?
Ich nicht. Für jeden Mist wird heute Werbung gemacht, und wer sein Produkt an den Mann oder an die Frau bringen will, der kommt um Werbung kaum herum. – Warum sollte für Gott, der ja nun gerade kein Mist ist, dann keine Werbung gemacht werden? Er will sich doch auch an den Mann und an die Frau bringen!
Gott macht schon lange Werbung: Ein Kirchturm, auch ohne großformatiges Plakat daran, ist Werbung für Gott. Das Glockenläuten vom Kirchturm ist Werbung für Gott. Gottesdienst mit offenen Türen hier im Touristenzentrum, das ist Werbung für Gott. Unsere täglichen kleinen Rundfunkandachten bei der Megawelle – Werbung für Gott. Und im Unterschied zu anderen Werbetreibenden müssen wir nicht mal dafür bezahlen.
Gott macht schon lange Werbung. Einer seiner ältesten Werbetexte ist unser heutiger Predigtabschnitt aus dem Jesaja-Buch.
Kommt her und kauft!, ruft Gott durch seinen Werbefachmann, den Propheten.

Und was gibt’s da zu kaufen bei Gott? – Wasser …
Wasser? Sonst nichts?
Du weißt doch wie wichtig Wasser ist – sauberes, trinkbares Süßwasser. Der Ozean vor unserer Nase ist voller Wasser, aber es ist nicht trinkbar. Du kannst auf dem Meer treiben und doch verdursten. Das Wasser, das in unseren Hotels und Wohnanlagen aus dem Hahn kommt, ist auch nicht unbedingt so gut zum Trinken. Höchstens im Notfall und abgekocht. Nein, hierzulande kaufen wir uns ständig Wasser in Flaschen und Kanistern. Wir brauchen es einfach als Lebensmittel.
Genau das ist es, was Gott uns verkaufen möchte: Wasser als Lebensmittel, Wasser zum Leben. Das Grundnahrungsmittel gegen das Verdursten, frisch und rein, nicht versalzen, nicht gechlort. Quellwasser, das uns erfrischt. Damit unsere Seele nicht verdurstet. Das verstehen wir schon!
Aber nicht nur Wasser will uns Gott verkaufen; auch Wein und Milch. – Das finde ich gut. Milch und Wein waren zwar schon damals sehr selbstverständliche Lebensmittel in einer Gesellschaft, wo viele Viehzüchter und Weinbauern waren. Aber es ist doch mehr als nur Wasser, mehr als nur das absolut Lebensnotwendige. Milch ist gut und nahrhaft. Wein schmeckt und macht das Herz fröhlich, wie es auch in der Bibel heißt. Gott wirbt nicht für ein asketisches Leben, nicht für Enthaltsamkeit oder für vegane Ernährung. Gott wirbt für Lebensfreude, fürs Feiern, für das, was mehr ist als Wasser und Brot, was mehr ist als gesunde Ernährung und langes Leben. Seine Lebensmittel versprechen gutes Leben.
Das ist ein Unterschied zu dem, was heute in ist. Da verwechselt man langes Leben mit gutem Leben. Manfred Lütz hat ja mal sarkastisch bemerkt, dass alle, die sich mit Joggen und ähnlichem abquälen, ihr Leben vielleicht gerade mal um die Zeit verlängern, in der sie sich mit ihren asketischen Leibesübungen abquälen. Eigentlich ein Nullsummenspiel. Anstatt sein kurzes Leben zu genießen, quält man sich, um es ein bisschen zu verlängern. Man tut alles, um möglichst alt zu werden, aber alt sein möchte man dann auch nicht.
Gott verspricht nicht langes Leben, sondern gutes Leben – ewiges Leben.
Ja, darum geht es vor allem: gutes Leben, ewiges Leben!
Werbung, wie wir sie kennen, verspricht meistens mehr, als sie halten kann. Ein Auto bringt mich nicht nur von A nach B, sondern es begeistert mich und macht mich glücklich. Ein Waschmittel wäscht nicht nur, sondern verschafft mir ein wunderbares Tragegefühl für meine Kleidung. Eine Bank bewahrt nicht nur mein Geld auf oder gewährt mir einen Kredit, sondern nimmt mir meine Sorgen ab. Usw. – Bei Gott scheint es andersherum zu sein. Er hält mehr, als er versprechen überhaupt versprechen kann. Wasser, Wein, Milch – na gut, das klingt nicht nach viel; aber es steht in Wahrheit für viel, viel mehr – mehr, als wir uns vorstellen können!
Gott wirbt geradezu mit Understatement. Wir als Kirchen und Christen haben uns dieses Understatement wohl ein bisschen zu sehr zu eigen gemacht: „Ja, wir sind schon Christen; ja, es ist schon nicht ganz schlecht bei uns in der Kirche; ja, vielleicht hast du ja auch mal Lust vorbeizuschauen.“ – Aggressive Werbung sieht anders aus. Und selbst die 140 Quadratmeter an der Autobahn sind ja nicht wirklich aggressiv.
Gott macht Werbung. Und wir machen Werbung für Gott. Wer euch hört, der hört mich (Lk 10,16), sagt Jesus - Wochenspruch der vergangenen Woche. – Hoffentlich stimmt das auch: dass wir Ihn hörbar machen, dass wir für Ihn Werbung machen, und nicht nur für uns selbst!

Gott macht Werbung. Er lockt mit einem Gratisangebot: Kauft ohne Geld und umsonst!, sagt er. Ihr gebt Geld aus für unnützen Müll, für Dinge, die euch nicht satt und nicht glücklich machen und die ihr in zwei, drei Jahren wieder wegschmeißt: Mode, Technik, ihr wisst schon. Bei mir bekommt ihr, was ewig hält und was seinen Reiz niemals verliert, und ihr bekommt es umsonst: gutes Leben, ewiges Leben.
Ich halte dich! – Gott. – So kann man das zum Beispiel beschreiben. Gehaltensein in allen Lebenslagen – das ist wahrhaft gutes Leben! Es kann nichts wirklich schief gehen, auch wenn es schief geht. Ich halte dich! – Gott. – Ein großartiges Angebot!
Warum kommen die Leute dann nicht? – Sind sie misstrauisch gegenüber Gratisangeboten? Oder haben sie nicht mal für Umsonst Interesse am ewigen Leben? – Ich glaube, sie befürchten eine Hintertür eine Falle, einen Preis, der nicht genannt wird, den sie dann aber doch zahlen müssen.
Auf der Hand liegt, dass Kirche eben doch nicht umsonst ist. 9 % auf die Einkommenssteuer drauf als Kirchensteuer – in Deutschland. Oder 60 Euro im Jahr – hier. Und dann werden Spenden erwartet: Kein Gottesdienst ohne Klingelkörbchen. Kein Kirchencafé ohne Spendenpreisliste. Das summmiert sich im Laufe des Lebens, kann ich dir sagen. Und wenn du drei Mal in der Kirche warst, dann wirst du gleich angesprochen, ob du nicht mitarbeiten möchtest – ehrenamtlich versteht sich. – Also von wegen: Gratisangebot. Lauter versteckte Kosten. – Ich kann es verstehen, dass manche da zurückschrecken.
Und viele vermuten noch viel höhere Kosten. Dieser Gott, der da für sich Werbung macht, der will letztlich über mein Leben bestimmen, befürchten sie. Der hat so bestimmte Gebote und Erwartungen, wie ich als Mensch sein sollte, wie ich leben sollte. Will ich das wirklich? Muss ich da nicht den Spaß am Leben aufgeben, den ich ohne ihn haben kann? – Mich auf Gott einzulassen, das könnte mich am Ende sehr, sehr viel kosten. – Von wegen Gratisangebot!
Nein, ihr Lieben! Wahrscheinlich haben wir da als Kirche immer wieder was falsch gemacht. – Immer dann, wenn wir für Gottes Angebot Gegenleistungen erwarten, ob nun finanziell oder durch Mitarbeit oder durch einen so genannten christlichen Lebenswandel – was immer heute auch darunter zu verstehen sein mag. Immer dann, wenn wir gesagt oder gedacht haben: Du musst aber!
Evangelische Kirche hat damit angefangen, dass einer gesagt hat: Bei Gott musst du nicht bezahlen! Damit die Seele in den Himmel springt, muss nicht erst das Geld im Kasten klingen. Martin Luther hat das Wörtchen gratis in der Bibel wiederentdeckt. Es ist verwandt mit gratia, der Gnade. Gott ist gnädig – das heißt: Gott gibt umsonst, gratis, kostenlos.
Nein, sagt Gott, du musst nicht bezahlen. Du musst nur zugreifen, bei meinem Angebot. Oder denkst du, du kommst in die Hölle, weil du nichts in die Kollekte legst? Meinst du, ich lasse dich verloren gehen wegen deiner paar Sünden? – Nein, mache ich nicht, sagt Gott. Gott bietet dir Vergebung und ewiges Leben an, und dieses Angebot ist und bleibt gratis. Du musst es nur annehmen.

Gott macht Werbung. Und wir als seine Kirche machen mit. Als seine Werbeagentur.

Sonntag, 9. Juni 2013

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Sonntag, dem 9. Juni 2013

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

ein Mann hatte zwei Söhne. In dieser Woche habe ich abschnittweise diese Gleichnisgeschichte erzählt, die man für gewöhnlich die Geschichte vom verlorenen Sohn nennt. Der eine nämlich war von zu Hause weggegangen und fürchterlich gescheitert, verloren gegangen sozusagen. Aber er kehrte heim, und es gab ein Freudenfest. Der andere Sohn war zu Hause geblieben. Aber er konnte sich nicht mit freuen über die Heimkehr seines Bruders. Manche meinen, er sei auf seine Art auch verloren gegangen. Wenn alle feiern und einer fehlt, dann kann man das so nennen. Aber in Wahrheit lässt die Geschichte es offen, ob er noch dabei sein wird oder nicht. Sein Vater sagt ihm – und das sind die letzten Worte des Gleichnisses: „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir und alles, was mein ist, ist dein. Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden.“

Am Ende sind sie doch alle beide zu Hause bei ihrem Vater, der sie liebt. Am Ende sind sie doch alle zu Hause bei Gott. Jedenfalls können sie es sein: Der, der weggegangen ist in die gottlose Fremde und sich dann an sein Zuhause erinnert und umkehrt. Und der, der nie weggegangen ist und gar nicht bemerkt hat, wie gut er es eigentlich hat in Gottes Vaterhaus.

Jesus erzählt diese Geschichte, weil er möchte, dass die Verlorenen heimfinden und die Daheimgebliebenen nicht verloren gehen.

Und Jesus erzählt diese Geschichte, weil sie von der Güte, der Liebe und der Geduld Gottes handelt. Das ist seine gute Nachricht an uns: Dein Leben kann so verloren sein, wie es will – Gott liebt dich und nimmt dich bei sich auf. Dein Leben kann so gut und gelungen, ja heilig sein, wie es will – Gott liebt dich. Aber nicht weil du so heilig bist, sondern weil du sein Kind bist.


Die Geschichte von den verlorenen und geliebten Söhnen ist unsere Geschichte, ist Gottes Geschichte mit uns.

Samstag, 8. Juni 2013

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Sonnabend, dem 8. Juni 2013

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

es war einmal ein Vater, der hatte zwei Söhne – zwei! Der eine war in die weite Welt gezogen, gescheitert und wieder heimgekehrt. Umkehr, Buße, Vergebung, Freude: „Die Heimkehr des verlorenen Sohnes“ – Ende gut, alles gut – für ihn!

Und der andere Sohn, der ältere? Er war die ganze Zeit daheim geblieben bei seinem Vater. Hatte nichts Böses gemacht, kein Geld verplempert, nicht gesoffen, nicht gehurt, treu und brav auf dem Hof des Vaters mitgearbeitet.

Als er von weitem hört, dass im Hause eine Party steigt, wundert er sich: Das ist nicht üblich! Was ist da los? Von einem aufgeregten Mitarbeiter erfährt er: „Denk dir, dein Bruder ist heimgekehrt und dein Vater ist überglücklich und hat das Kalb geschlachtet und gibt ein großes Fest, weil er ihn gesund wiederhat.“ – Und da ist er sauer. Zu diesem Fest geht er nicht!

Sein Vater geht zu ihm hin, lädt ihn noch mal ganz persönlich ein, dabeizusein und mitzufeiern. Aber er entgegnet bitter: „Ich bin die ganze Zeit bei dir und lebe und arbeite auf deinem Hof; und für mich und meine Freunde gibt es nie ein Fest. Aber wenn der da, dein Sohn, der dein ganzes Geld mit Huren durchgebracht hat, wiederkommt, dann ist Party angesagt?“

Liebe Hörerinnen und Hörer, ein bisschen kann ich ihn schon verstehen, diesen älteren Sohn. Da kann man doch eifersüchtig werden, wenn nicht das eigene Wohlverhalten honoriert wird, sondern im Grunde genommen das Fehlverhalten des anderen!

So ähnlich habe ich es vor Jahren in einer Kirchengemeinde erlebt: Da kamen Leute von außen in die Gemeinde, wollten wieder in die Kirche eintreten und wurden von mir mit Freude und Wohlwollen aufgenommen. Und andere, die schon lange dabei waren, zogen sich zurück: „Wir haben die ganzen schweren Jahre in der DDR in der Gemeinde mitgemacht und immer treu zur Stange gehalten. Und die, die haben sich angepasst, waren in der Partei und hatten keine Probleme. Und jetzt werden sie hier hofiert. Ohne uns!“ – Tragisch, wenn die Eifersucht so weit geht, dass man sich nicht mehr mitfreuen kann, wenn jemand anders auf den rechten Weg zurückfindet. – Ihr habt ja vielleicht Recht, habe ich ihnen gesagt, aber sollen wir nicht vor allem da sein für die Sünder, die Buße tun?

Freitag, 7. Juni 2013

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Freitag, dem 7. Juni 2013

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

ein Vater hatte zwei Söhne. Nachdem der jüngere in der weiten Welt das Erbe seines Vaters durchgebracht hatte, kehrte er runtergekommen, mittellos und reumütig zu seinem Vater zurück.

Und der Vater? – Er empfing ihn mit offenen Armen, herzte und küsste ihn und war außer sich vor Freude. Ganz schnell ließ er ihn in neue teure Klamotten stecken, schenkte ihm gleich noch eine teure Uhr dazu und begann auf der Stelle ein Festessen zu organisieren. Bzw. in der Bildwelt Jesu gesprochen: Er ließ ihm das beste Gewand bringen, gab ihm einen Ring und ließ das gemästete Kalb fürs Festessen schlachten. „Dieser, mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden“ – so seine Worte.

Man hätte – auch von guten Eltern – etwas anderes erwarten können: „Wie siehst du denn aus? Wo kommst du denn her? – Und du wagst es noch, mir unter die Augen zu treten?“ – Nichts dergleichen. Nur Freude und Wiedersehensglück.

Das ist Liebe! Richtig große Liebe, bedingungslos. Mag gewesen sein, was da will, mag er mich ausgenutzt haben, mag er getan haben, was ich nie gutheißen konnte – jetzt ist er wieder da. Er ist mein geliebter Sohn, und er hat nie aufgehört mein geliebter Sohn zu sein.

So ist Gott, will uns Jesus mit dieser Geschichte sagen. So ist Gott mit uns, mit seinen geliebten Menschen. Wir mögen sein, wie wir wollen, wir mögen vor Gott weggelaufen sein, wir mögen ihn vergessen haben, ihn hintergangen haben, seinen Geboten zuwider gelebt haben – wir sind und bleiben seine geliebten Kinder. Und er ist überglücklich, wenn wir zu ihm zurückkehren.


Für den verlorenen Sohn endet die Geschichte damit. Er ist heimgekehrt, und alles ist gut geworden. Er ist gescheitert, aber am Ende doch wieder in Gottes Armen gelandet. So kann, so soll unser Leben sein. Egal, welche Um- und Abwege wir gegangen sind, Gottes offene Arme erwarten uns. Laufen wir nicht weiter weg vor ihm, sondern ihm entgegen!

Donnerstag, 6. Juni 2013

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Donnerstag, dem 6. Juni 2013

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

ein Vater hatte zwei Söhne, der jüngere wollte in die weite Welt hinausziehen und ließ sich von seinem Vater das Erbe auszahlen. Aber innerhalb kurzer Zeit verprasste er alles, was er hatte, so dass er sich schließlich als Schweinehirte durchschlagen musste. Als es ihm am schlechtesten ging, beschloss er, nach Hause, zu seinem Vater zurückzukehren.

Als er noch ein ganzes Stück entfernt war, sah in sein Vater schon weitem kommen und fiel ihm um den Hals, umarmte und küsste ihn, so dreckig und heruntergekommen er auch war. Und er, der dreckige und heruntergekommene und doch wieder heimgekehrte Sohn sprach die Worte aus, die er sich schon die ganze Zeit zurechtgelegt hatte: „Vater, ich habe Unrecht getan, ich habe gesündigt; ich bin nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.“

Jetzt ist er also wieder zu Hause angekommen, der verlorene  Sohn. Ganz anders, als er aufgebrochen war. Vor allem auch mit einer anderen Einstellung. War er losgezogen, als hätte er einen ganz selbstverständlichen Anspruch auf die Vorauszahlung seines Erbes, so steht er jetzt da mit leeren Händen, ohne Anspruch, angewiesen auf Gnade und Wohlwollen. Sein Vater hätte alles Recht ihn rauszuschmeißen. Er hatte seine Chance gehabt … Auf einen Neuanfang, auf eine zweite Chance besteht kein Anspruch.

„Ich habe mich doch entschuldigt“, höre ich manchmal sagen. Da artikuliert sich tatsächlich so was wie ein Anspruch auf Vergebung und eine zweite Chance. – Aber es stimmt ja nicht: Ich kann mich nicht entschuldigen. Ich kann nur um Entschuldigung bitten. Der andere, der, an dem ich schuldig geworden bin, mein Mitmensch und mein Gott, der kann mich entschuldigen, mir vergeben und einen neuen Anfang ermöglichen. Ich nicht, denn ich stehe in seiner Schuld.

Wenn ich um Entschuldigung bitte, dann übernehme ich die Verantwortung für das, was ich getan habe. Und damit zeige ich eine gewisse Größe, auch dort, wo ich gescheitert bin.

Joachim Gauck erzählte einmal, wie ihn einer seiner Stasi-Spitzel weinend und offensichtlich ehrlich erschüttert um Verzeihung bat; und die sei ihm in dieser Situation sehr leicht gefallen. Denjenigen, die so taten, als wäre nichts gewesen, denen konnte er nicht so einfach vergeben.


Nein, es ist keine Schande, sondern eine Chance, um Entschuldigung und Vergebung zu bitten.

Mittwoch, 5. Juni 2013

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Mittwoch, dem 5. Juni 2013

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

ein Vater hatte zwei Söhne, der jüngere wollte in die weite Welt hinausziehen und ließ sich von seinem Vater das Erbe auszahlen. Aber innerhalb kurzer Zeit verprasste er alles, was er hatte, so dass er sich schließlich als Schweinehirte durchschlagen musste.

Als er da hungernd im Schweinestall saß, erinnerte er sich an sein Zuhause, an seinen Vater und dessen Hof, wo es, so lange er denken konnte, noch niemals Hunger gegeben hatte und wo selbst die Knechte und Tagelöhner ihr Auskommen hatten. Und er sagte sich: „Ich will mich auf den Weg machen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: ‚Vater, ich habe Unrecht getan. Ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen; aber mach mich doch wenigstens zu einem deiner Tagelöhner!‘“ Nachdem er sich diese Worte zurechtgelegt hatte, ließ er die Schweine Schweine sein und machte sich auf den Weg zu seinem Vater.

Eigentlich ist es eine ganz einfache Sache, umzukehren, wenn man sich in die Sch..., in den Dreck manövriert hat. Zurück an den Anfangspunkt. Und doch ist es eine ganz, ganz schwere Sache. Denn man muss sich und anderen und – ja, letztlich Gott – eingestehen, dass man Mist gebaut hat, versagt hat, gescheitert ist. Es ist dieser schwere Moment, wo man sich sein Versagen nicht mehr schön lügen kann. Und wo man auch nicht mehr alles auf die Umstände schieben kann: Ich bin ausgenutzt worden. Ich hatte kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu. Sondern, wo man sagen muss: Ich habe es verbockt, ich habe es verkehrt gemacht.

Aber eigentlich sind Menschen bewundernswert, die an diesen Punkt kommen, dass sie es sich und anderen eingestehen. Es ist der Augenblick, wo etwas neues beginnen kann, wo es nicht mehr immer noch schlimmer wird, sondern wo ein Fünkchen Hoffnung aufglimmt.

Ich denke an Menschen mit Suchtproblemen, die endlich sagen konnten: Ich kann nicht mehr, ich brauche Hilfe. Ich denke auch an Menschen, die zu mir gekommen sind und zugeben mussten: Ich bin hier auf der Insel gescheitert; ich will nur noch in den nächsten Flieger und heim nach Deutschland. – Das haben wir zusammen möglich gemacht, und dann kam nach ein paar Wochen eine kurze Meldung aus Deutschland, dass es jetzt langsam besser wird.


Wie gut, wenn der Tiefpunkt zum Wendepunkt wird.

Dienstag, 4. Juni 2013

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Dienstag, dem 4. Juni 2013

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

in dieser Woche erzähle ich Ihnen Stück für Stück eine der schönsten und bekanntesten Gleichnisgeschichten von Jesus. Und damit Sie mitkommen, fange ich jeden Tag wieder von vorne an; nur dass ich diesen Was-bisher-geschah-Abschnitt natürlich ganz kurz halte.

Also: Ein Vater hatte zwei Söhne, der jüngere wollte in die weite Welt hinausziehen und ließ sich von seinem Vater das Erbe auszahlen.

Und nun geht die Geschichte so weiter: Angekommen im Land seiner Träume, gab er das Geld großzügig aus; es war ja so unermesslich viel. Er lebte in den teuersten Hotels, er gab rauschende Partys und hatte alle Frauen, die er wollte. Bis er eines Tages in seine Tasche griff, bezahlen wollte – und da war nichts mehr. – Er flog raus aus dem Hotel und stand auf der Straße. Für kurze Zeit bekam er noch von dem einen oder anderen seiner Partyfreunde eine Kleinigkeit zu essen oder ein Bett für ein, zwei Nächte, aber irgendwann war Schluss. Wie es in einem Blusklassiker heißt: „Nobody knows you when you’re down and out“. – Nun, dann musste er sich halt Arbeit suchen. Aber es waren Krisenzeiten, und er fand nichts. Außer letzten Endes einen üblen Job für freie Kost und Logis, mehr nicht: Schweine hüten mit Schlafplatz im Schweinestall und der Erlaubnis, sich was vom Schweinefutter zu nehmen. – So ähnlich erzählt es Jesus.

Aus der Geschichte von der großen Freiheit und vom Glück in der weiten Welt ist im Handumdrehen eine Geschichte des Scheiterns geworden. Es ist das Gegenteil von Glück und Freiheit, was er gefunden hat.
Was ist geschehen? Abgeschnitten von Gott haben sich die guten Gaben und Möglichkeiten des Lebens aufgebraucht.

Nein, nicht jeder, der von Gott wegläuft landet im Schweinestall. Aber mancher zieht doch eine traurige Bilanz: Was ist mir nach Jahren des rauschenden Lebens geblieben? – Bin ich glücklich, mit dem, was ich erreicht habe? Bin ich frei? Oder nur ein Gefangener der Umstände, in die ich mich hineinmanövriert habe?

Für den verlorenen Sohn im Gleichnis wird der Tiefpunkt zum Wendepunkt seines Lebens. Davon morgen mehr.

Montag, 3. Juni 2013

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Montag, dem 3. Juni 2013

Es war einmal ein Mann, der hatte zwei Söhne. Sie lebten bei ihm auf dem Hof und arbeiteten dort mit, hatten alles, was sie brauchten und mussten sich um nichts sorgen. Doch der jüngere der beiden Söhne wurde dessen mehr und mehr überdrüssig. Es gab da eine große weite Welt außerhalb des Hofes und des Dorfes seines Vaters; davon wollte er etwas sehen und erleben, da wollte er sein Glück machen. Und so trat er eines Tages vor seinen Vater und sprach zu ihm: „Vater, zahle mir mein Erbteil aus; ich will damit in die Welt gehen und mein Glück machen.“ Der Vater nickte und machte in den nächsten Tagen eine Aufstellung über seinen ganzen Besitz, und dann zahlte er die Hälfte davon an seinen jüngeren Sohn aus. Der suchte seine Siebensachen zusammen und machte sich auf in die weite Welt, in ein fernes Land, um dort das Glück zu finden.

Liebe Hörerinnen und Hörer, was wie der Beginn eines Märchens klingt, ist eigentlich eine Beispielgeschichte, ein Gleichnis aus dem Neuen Testament, das Jesus erzählt. Genau genommen ist es eines der schönsten und tiefsinnigsten Gleichnisse von Jesus. Es erzählt in märchenhaften Bildern von der Geschichte zwischen Gott und seinen Menschen. Ich möchte diese Gleichnisgeschichte im Zündfunken diese Woche Stück für Stück erzählen und auslegen.

Schon der Beginn der Geschichte sagt uns etwas darüber, wie wir Menschen sind und wie Gott zu uns ist. Wie Söhne und ihr Vater, wie Kinder und ihre Eltern. Wir kommen aus einem guten Elternhaus, wir haben alles, was wir zum Leben brauchen, und wir haben einen Vater, der uns liebt.

Aber merkwürdig: egal, wie gut es uns geht – irgendwann stellt sich doch Unzufriedenheit ein: Es muss doch noch mehr geben! Das Glück ist immer anderswo. Und so macht sich manch einer auf den Weg in ein Leben fern von Gott. Nicht mehr eingesperrt in die enge Welt der Kirche und des Glaubens.

Es ist erstaunlich, wie leicht das geht. Es ist erstaunlich, wie unkompliziert Gott seine Kinder in die Freiheit entlässt. Sollen sie doch gehen, sollen sie doch ihre Erfahrungen sammeln! Auch wenn er, Gott, die Risiken, die damit verbunden sind, wohl am besten kennt: Er hält uns nicht auf. Er gibt uns sogar noch alles mit, was wir brauchen, um alleine zurecht zu kommen.


Und allein schon damit beweist er, dass es bei ihm gar nicht so eng zugeht, wie manche vermuten. Gott ist großzügig. Gott gewährt Freiheit.

Sonntag, 2. Juni 2013

Predigt am 2. Juni 2013 (1. Sonntag nach Trinitatis)

Jesus ging ringsum in alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen. Und als er das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben. Da sprach er zu seinen Jüngern: „Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.“
Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unreinen Geister, dass sie sie austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen. Die Namen aber der zwölf Apostel sind diese: zuerst Simon, genannt Petrus, und Andreas, sein Bruder; Jakobus, der Sohn des Zebedäus, und Johannes, sein Bruder; Philippus und Bartholomäus; Thomas und Matthäus, der Zöllner; Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Thaddäus; Simon Kananäus und Judas Iskariot, der ihn verriet.
Diese Zwölf sandte Jesus aus, gebot ihnen und sprach: „Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht in keine Stadt der Samariter, sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel. Geht aber und predigt und sprecht: „Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“
Matthäus 9, 35-38; 10, 1-7


Liebe Schwestern und Brüder,
erinnert ihr euch an die Geschichte vor 14 Tagen, am Pfingstsonntag? – Da ging es um den Heiligen Geist, der seine Gaben und Aufgaben auf viele Menschen verteilt. Mose, der Anführer der Israeliten auf dem Weg in die Freiheit, er fühlte sich überfordert, konnte und sollte nun nicht mehr allein für das ganze Volk die Verantwortung tragen. Deshalb wurden 70 Älteste berufen, die mittragen sollten, aber vor allem die mitbegeistert waren: vom Geist des Mose, nein: vom Geist Gottes. Und mit Leichtigkeit und Begeisterung sind sie ans Werk gegangen, und Gottes Geschichte mit seinem Volk konnte weiter gehen: Menschen werden zu Multiplikatoren des Gottesgeistes.
Heute haben wir einen ganz wichtigen Abschnitt der Geschichte Jesu gehört, wo es ähnlich ist. Jesus, von Gott zu den Menschen gesandt als Anführer auf dem Weg in die Freiheit, er schafft es nicht mehr alleine, für das ganze Volk da zu sein: Jesus ging ringsum in alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen. – Man muss sich mal klar machen, was für ein Programm, was für ein Stress in diesem Satz steckt: alle Städte und Dörfer, alle Krankheiten, alle Gebrechen und immer wieder predigen. – Ich brauche fast einen ganzen Arbeitstag, um eine Predigt vorzubereiten. Krankenbesuche und -gebete sind geistig und geistlich kräftezehrend; das kenne ich auch. – Wie schafft Jesus das nur?
Wenn man zurückblättert und die letzten zwei Kapitel liest, dann geht es Schlag auf Schlag, fast ohne Pause: Heilung eines Aussätzigen, Fernheilung des Knechtes vom Stadthauptmann – das ist ja auch eine neue Erfahrung für Jesus! –, dann Besuch bei Petrus mit Heilung der kranken Schwiegermutter, eine Predigt über die Nachfolge, und als er sich endlich bei der Fahrt übern See ausruht, bekommen seine Jünger Panik, weil es stürmt und schaukelt. Drüben auf der andern Seite zwei Wahnsinnige, Besessene: Dämonenaustreibung – wir haben nur noch wenig Ahnung von solchen geistlichen Kämpfen –, dann mit dem Schiff wieder zurück, Heilung eines Gelähmten, Berufung eines Zöllners, ein Lehrgespräch mit Anhängern des Johannes, dann der verzweifelte Vater, dem die Tochter gestorben ist: Jesus soll sie auferwecken, und während er noch unterwegs ist, die Frau mit dem Blutfluss, die sich Heilung von ihm erwartet. Kaum hat er das Haus verlassen, wo das Kind verstorben war, kommen zwei Blinde, die geheilt werden wollen, und dann gleich noch ein Stummer. Alle werden geheilt, allen wird geholfen. – Die meisten dieser Begebenheiten kennen wir ganz gut; wir lesen sie abschnittweise, oder sie sind verteilt über die Jahre als Predigttexte oder Evangelienlesungen dran, aber eben immer nur in einzelnen Abschnitten. Aber wenn ich mal über ein paar Seiten hinweg die Bibel hintereinander lese, dann erschlägt mich geradezu die Wucht und die Fülle dessen, was da geschieht, was Jesus da zu tun hat.
Und genau aus dieser Fülle heraus entsteht nun dieser Augenblick des Innehaltens, von dem ich gelesen habe: Jesus sieht das Volk vor sich und es jammerte ihn; denn sie waren wie die Schafe, die keinen Hirten haben. – Jesus ist da und dort und möglichst für jeden da, der Hilfe von ihm erwartet, aber es reicht nicht. Das Volk schmachtet nach dem, was da geschieht, was durch Jesus geschieht: Das Gottesreich bricht an: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt (so sagt es Jesus selbst; Mt 11, 5). So viel zu tun und zu sagen, zu viel für einen allein: Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter.
Und darum zuerst: Bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende. – Also, nicht gleich selber loslegen, sondern zuerst ganz still werden, Hände falten und Gott bitten.
Und Jesus die Initiative überlassen. Bzw. dem Heiligen Geist.
Die Initiative des Heiligen Geistes ist dieselbe wie damals bei Mose: Nicht mehr einer allein trägt die ganze Verantwortung, nicht mehr einer allein ist für alles zuständig. Nein, verteilt die Aufgaben an seine Jünger. Jünger, das heißt ja genau genommen: Schüler. Sie lernen von Jesus. Zuerst durch Zusehen – so war es die letzten Tage –, dann aber durch nachmachen und üben. Und jetzt beginnt diese Phase. Los geht’s: Dämonen vertreiben, Kranke heilen, vom Himmelreich predigen! – Jesu Jünger werden zu seinen Multiplikatoren, zu Multiplikatoren des Himmelreiches. Was Jesus tut, das tun sie auch.
Eigentlich schon an dieser Stelle, nicht erst zu Pfingsten, ist die Geburtstunde der christlichen Kirche. Menschen gehen los und tun, was Jesus tut. Das ist christliche Kirche: Menschen gehen los und tun, was Jesus tut. Oder wie Dietrich Bonhoeffer mal formulierte: Kirche ist Christus als Gemeinde existierend.
Und wir? Wie sind wir Kirche? Gehen wir los und tun, was Jesus tut?
Es gibt drei große Missverständnisse über diese Bibelstelle, wie Jesus seine Jünger aussendet.
Das erste Missverständnis könnte man das historische Missverständnis nennen: Das war damals so, einmalig; da hat Jesus seine zwölf Apostel losgeschickt. Mit uns hat das nichts zu tun. – Ja, das ist ein Missverständnis; denn nicht umsonst nennt sich die Kirche in ihrem großen Glaubensbekenntnis: heilige, katholische und apostolische Kirche. Die Apostel sind die ersten Angehörigen und Vertreter dieser Kirche, aber nicht die einzigen; es sind immer mehr dazu gekommen. Am Ende genau dieses Matthäusevangeliums schickt Jesus sie los mit dem Auftrag: Macht zu Jüngern alle Völker!, also: multipliziert die Botschaft des Gottesreiches weiter, macht immer neue Jünger, die in meinem Namen losgehen, um Dämonen zu vertreiben, Kranke zu heilen und vom Himmelreich zu predigen! Dieser Auftrag gilt bis heute. So ist die Kirche apostolische Kirche: Wenn sie tut, was den Aposteln aufgetragen war.
Das zweite Missverständnis nenne ich mal das katholische Missverständnis, und das geht so: Der apostolische Auftrag setzt sich in den kirchlichen Amtsträgern fort. Die Bischöfe sind die Nachfolger der Apostel und durch die ununterbrochene Folge von Bischofsweihen seit den Tagen der Apostel sind alle Bischöfe und die durch die Bischöfe geweihten Geistlichen der Kirche in diesen Auftrag eingeschlossen. Es ist ein Auftrag an die Geistlichen, und nicht an die Laien. – Ein Teil der Krise der katholischen Kirche besteht heute wohl darin, dass ihr die geweihten Geistlichen ausgehen, die diesen Auftrag wahrnehmen können. – Aber, wie gesagt: Es ist ein Missverständnis. Denn Jünger Jesu wird man nicht durch die Priesterweihe, sondern durch die Taufe und die Unterweisung im christlichen Glauben. Denn der Auftrag Jesu nach Ostern geht ja so weiter: Macht zu Jüngern alle Völker, indem ihr sie tauft auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes und sie lehrt, alles zu halten, was ich euch befohlen habe. – Der Auftrag Jesu ist prinzipiell ein Auftrag an alle Christen. Also nicht nur an mich als Geistlichen, sondern auch an euch als so genannte Laien. Aber genau genommen gibt es diesen Unterschied gar nicht: Wir alle, die wir glauben und getauft sind, sind Geistliche. Wir sind mit Gottes Geist begabt und als Jesu Jünger in die Welt gesandt. Wir sollen tun, was Jesus tut und was die Apostel getan haben.
Und nun gibt es aber noch ein drittes Missverständnis, ich möchte es das aktivistische Missverständnis nennen: Wir müssen doch was tun!, sagen viele und legen einfach los. Tun irgendwas: um Menschen zum Glauben zu überreden, um die Welt zu retten, um was für die Gesundheit zu tun, für den Frieden, die Gerechtigkeit, die Bewahrung der Schöpfung – je nachdem, wofür das Herz besonders schlägt. Wir müssen doch was tun!
Aber das ist nicht der Auftrag Jesu: Guckt mal, was ihr tun könnt, und dann an die Arbeit! Sein Auftrag ist: Betet, dass der Herr Arbeiter in die Ernte sende. Ja, da waren wir vorhin schon mal: Nicht gleich selber loslegen, sondern zuerst ganz still werden, Hände falten und Gott bitten.
Und dann auch hören: Was hat Gott mit dir vor? Wohin sendet er dich? Was ist sein Auftrag für dich?
Der Auftrag Jesu ist eng umrissen: vom Himmelreich predigen, Kranke heilen, Dämonen austreiben. – Doch wie macht man das?
Ich glaube, dafür gibt es unterschiedliche Wege, und da wird der Auftrag Jesu dann doch wieder weit. Je nachdem, was der Heilige Geist dir für Gaben und Möglichkeiten gegeben hat. Eine Predigt muss nicht aus großen Worten bestehen. Bei manchen ist einfach ihr Leben eine Predigt. Kranke werden nicht nur durch spektakuläre Wunder geheilt, sondern auch durch liebevolle und geduldige Pflege, Verständnis und Begleitung. Und Dämonen müssen fliehen, wo wir uns nicht vom Bösen überwinden lassen und selber böse werden, sondern das Böse durch das Gute überwinden, das in uns ist.
Die Apostel, die Jesus ausgesandt hat, waren keine Hochleistungschristen, es waren Menschen, die in der Gegenwart Jesu gelebt und von ihm gelernt haben, und die – wahrscheinlich zuerst mit Zittern und Zagen – begonnen haben, zu tun, was Jesus tut. Dabei stand am Anfang nicht die Aktion, sondern die Kontemplation: die Stille, das Gebet: Herr, sende Arbeiter in deine Ernte. Und dann wuchs daraus die Bereitschaft: Herr, sende mich.
So wollen auch wir Gott bitten, dass er seine Jünger aussende als Multiplikatoren des Himmelreichs und dass wir durch Gottes Geist solche Multiplikatoren sein können.