Sonntag, 25. Januar 2015

Predigt am 25. Januar 2014 (Letzter Sonntag nach Epiphanias)

Nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie auf einen hohen Berg. Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. Petrus aber fing an und sprach zu Jesus: „Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: „Die ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!“
Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: „Steht auf und fürchtet euch nicht!“ Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein.
Und als sie vom Berg hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: „Ihr sollte von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.“
Matthäus 17, 1-9



Liebe Schwestern und Brüder,
wir sind Christen. Nicht nur irgendwie Gottgläubige. Nicht nur irgendwie religiös; weil: etwas Höheres wird es schon geben; positive Energie vom Universum oder so. Wir sind Christen. Christus-Gläubige. Jesus-Christus-Gläubige. Ohne Jesus Christus geht unser Glaube nicht. Ohne Jesus Christus geht unser Leben nicht. Und unser Sterben schon gar nicht.
Jesus Christus – er ist für uns nicht auswechselbar. Weise und vorbildliche Menschen gab es viele: Sokrates oder Buddha. Mahatma Gandhi oder Nelson Mandela. Propheten gab es manche: Mose und Elia – oder Mohammed. Jesus ist anders. Einzigartig. Wir sind Jesus-Christus-Gläubige.
*
Wisst ihr, wer der erste Jesus-Christus-Gläubige war? – Das war Petrus. Jesus fragte seine Jünger: „Für wen halten mich die Leute eigentlich?“, und nach verschiedenen Antworten fragte er weiter: „Und für wen haltet ihr mich?“ – Da antwortete Petrus: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“ (Matthäus 16, 16) – Petrus war der erste für den Jesus mehr war als jeder noch so besondere Mensch: Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.
*
Sechs Tage später ist Petrus mit Jesus unterwegs; die Brüder Jakobus und Johannes sind auch dabei. Zu viert steigen sie auf einen Berg. Jesus geht voran.
Euch muss ich nicht erklären, wie toll eine Bergwanderung ist. Viele von euch machen das regelmäßig. Die Luft, das Licht, die Aussicht, die Bewegung – das tut gut. – Nur dass das zu Jesu Zeiten nicht üblich war. Man stieg nicht einfach auf einen Berg; wozu sollte das gut sein? – Jesus fand es gut. Manchmal war er allein in den Bergen unterwegs. Um zu beten, um Gott zu begegnen. – Auch das verstehen wir heute ganz gut: In der Natur Gott nahe sein. Sich von der Größe und Weite von Bergen und Meer überwältigen lassen. Die Größe des Schöpfers erahnen und bestaunen.
Diesmal nimmt Jesus seine drei engsten Jünger mit: Petrus und die beiden andern. Haben sie geredet auf dem Weg? Haben sie geschwiegen miteinander? Waren sie beeindruckt von der Aussicht? Haben sie die Größe Gottes gespürt in der Natur? – Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wir erfahren es nicht, weil es nicht mehr wichtig ist, nach dem, was dann geschah.
Da wurde es strahlend hell um Jesus herum. Da erschienen Mose und Elia, die großen Propheten Israels. Es war wie im Himmel. Sie waren ein paar hundert Meter in die Höhe gestiegen, und auf einmal war da der Himmel zu ihnen herabgestiegen. Mit einem Licht, das heller war als die Sonne. Mit den heiligen Männern, die vor langer Zeit zu Gott gegangen waren. Und mit Jesus, der dort bei ihnen im Himmel zu Hause zu sein schien.
Die Welt da unten ist nicht nur weit weg, sie ist vergessen. Hier will Petrus blieben. Im Himmel. Lasst uns Hütten bauen! Lasst uns diesen Augenblick festhalten! Heutzutage würden sie ihr Smartphone aus der Tasche ziehen: Selfie mit Mose und Elia.
Sie kommen nicht zum Hüttenbauen. Und nicht zum Selfie knipsen. Denn da ist auf einmal diese Wolke, so wie die Wolke in der Gott Mose und den Israeliten einst erschienen war. Und die Stimme Gottes: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!
Habt ihr schon mal die Stimme Gottes gehört? – Ich schon. Ganz leise, in meinem Herzen. – Aber so? Laut tönend aus einer Wolke? – Petrus und die beiden andern haut es um. Sie fallen auf ihr Angesicht. Ein heiliger Schrecken hat sie erfasst. Ich weiß nicht, wie sich Gottes Stimme wirklich anhört. Es heißt, sein Wort wäre wie Feuer und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt (Jeremia 23, 29). – Wir halten Gott gerne für einen lieben Opi, der uns über den Kopf streicht. Es gab eine Zeit, da sind Menschen erschrocken, wenn sie der  Majestät Gottes begegnet sind.
Und doch sagt Jesus: Ihr müsst nicht erschrecken. Steht auf und fürchtet euch nicht! Habt ihr nicht gemerkt? – Ihr seid im Himmel. Habt ihr nicht gesehen? Ich bin bei euch. Habt ihr nicht gehört? – Auf mich sollt ihr hören. Habt ihr nicht geglaubt? – Ich bin für euch da. Fürchtet euch nicht!
Doch, sie hatten es geglaubt. Petrus hatte es selbst herausbekommen: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Und jetzt hatte es die Stimme Gottes bestätigt: Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören.
Petrus blickte auf, und da war Jesus. Jesus allein. Kein Mose, kein Elia. Keine Hütten zum Bleiben. Kein Licht, keine Wolke, keine Stimme vom Himmel. Jesus allein. Jesus. Christus. Gottes Sohn.
*
Dann stiegen sie vom Berg herab. Was war das gewesen? – Das, was sie schon geahnt hatten, begonnen hatten zu glauben: dass dieser Jesus anders war, größer, einzigartig. Christus. Gottes Sohn. Was immer das auch heißen mochte.
Sprecht nicht drüber. Behaltet es für euch. Ihr könnt es ja selber noch nicht verstehen. Und worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.
Später haben sie darüber geredet. Mit den unvollkommenen Worten, die andere aufgeschrieben haben in den Evangelien. Das war für die bestimmt, die es selber schon entdeckt und geglaubt hatten: dass Jesus der Christus ist. Den anderen musste diese Geschichte fremd und unverständlich bleiben.
*
Diese Geschichte ist wie eine Meditation über die Einzigartigkeit Jesu. Mehr nicht.
Sie sagt uns nicht, was wir tun und lassen sollen. Sie hilft uns nicht, unsere Alltagsprobleme zu bewältigen. Sie gibt keine Anleitung, wie wir unsere Welt besser machen können oder wie wir den Himmel auf die Erde bekommen.
*
Vielleicht, so denke ich manchmal, sind wir damit dem Zentrum des christlichen Glaubens besonders nahe. Wenn wir nicht mehr nach Geboten und Handlungsanleitungen fragen. Wenn wir nicht mehr darum kämpfen, die Welt zu verbessern. Wenn wir nicht irgendwelchen Vorbildern oder Propheten hinterherlaufen. Sondern wenn wir stattdessen mit Jesus gehen, auf Jesus hören, bei Jesus bleiben. So wie Petrus und die anderen beiden, als sie mit ihm auf den Berg gestiegen sind.
Jesus allein. Denn wir sind Jesus-Christus-Gläubige. Ohne ihn geht unser Glauben nicht. Geht unser Leben nicht. Und unser Sterben schon gar nicht.
Bei dir, Jesu, will ich bleiben. Amen.

Sonntag, 18. Januar 2015

Predigt am 18. Januar 2015 (2. Sonntag nach Epiphanias)

Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, zu Gottes Lob. (Römer 15, 7)

Das ist die Jahreslosung für 2015. Das Jahr ist schon fast drei Wochen alt, und wir haben noch gar nicht drüber gesprochen. Wird Zeit, dass wir es tun.
Und damit wir die Jahreslosung ins Ohr und auch ins Herz bekommen, wollen wir sie miteinander singen. In Form eines Kanons, den ich von unserer Pfarrerkonferenz von letzter Woche mitgebracht habe.
Kanon: Nehmet einander an
Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, zu Gottes Lob.
Annehmen. Ein Geschenk zum Beispiel nehme ich an. Ich bekomme es überreicht. Ich nehme es in meine Hand. Ich packe es aus. Ich sehe es an. Es gefällt mir. Ich freue mich daran. Es findet seinen Platz in meinem Leben. Ich habe es angenommen, denn es ist mir angenehm.
Annehmen ist sonderbar. Eigentlich tue ich nichts. Ich bin passiv. Ich empfange etwas. Mir begegnet etwas. Und doch werde ich aktiv. Ich öffne meine Hand, um zu empfangen. Ich nehme etwas entgegen. Ich öffne meinen Mund und sage Danke. Ich gebe ihm einen Platz in meinem Leben.
Ablehnen ist das Gegenteil von Annehmen. Annahme verweigert. Oder aber ich nehme es äußerlich an und lehne es innerlich ab. Wir alle haben schon Geschenke angenommen, die wir eigentlich nicht mochten. Wir haben sie ausgepackt, angesehen, uns drüber geärgert und irgendwohin getan. Sie haben keinen Platz gefunden in unserem Leben. Sie waren uns unangenehm.
Ob ich ein Geschenk annehme oder ablehne, hat auch mit dem Schenkenden zu tun. Nehme ich sein Geschenk an, dann nehme ich auch ihn an. Und lehne ich ihn ab, dann lehne ich wohl auch sein Geschenk ab.
Nehmt einander an. – Das heißt: Ein Mensch kann dem anderen zum Geschenk werden. Und der Schenkende ist Gott.
Kanon: Nehmet einander an
Ein Mensch wird dem anderen zum Geschenk. Und der Schenkende ist Gott.
Das erleben wir ganz konkret und hautnah im Miteinander der Liebe zwischen zwei Menschen. Die christliche Trauung macht das besonders deutlich:
Ich nehme dich als meine Ehefrau/als meinen Ehemann aus Gottes Hand, so haben wir es uns bei der Trauung wörtlich gesagt.
Wir haben uns den anderen nicht einfach ausgesucht. Wir haben uns einander auch nicht gegenseitig zum Geschenk gemacht. Sondern Gott hat uns einander anvertraut. Und wir haben das Geschenk angenommen. Der andere hat seinen Platz in meinem Leben gefunden.
Wir waren berührt, als unsere Madrider Kollegen vorige Woche sagten: „Die Jahreslosung hat für uns eine ganz besondere Bedeutung. Das ist unser Trauspruch.“
Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, zu Gottes Lob.
Die Ehe ist der Modellfall für das Einander-Annehmen.
Kanon: Nehmet einander an
Ein Mensch wird dem anderen zum Geschenk. – Oder aber zur Last. Besonders schlimm, wenn uns ein Mensch einmal ein Geschenk war, ja, wenn wir ihn immer noch lieben, und er uns dennoch zur Last wird. Weil er nicht mehr der Alte ist. Oder gerade, weil er alt geworden ist. Wir haben ihn einst angenommen. Und jetzt nehmen wir uns seiner an. – Aber manchmal möchten wir ihn am liebsten wieder abgeben.
Ja, vielleicht sollten wir das sogar tun: Ihn abgeben. An Gott, im Gebet. Möge er sich um ihn kümmern. Wir schaffen es nicht allein. Möge Gott sich seiner annehmen, und unser.
Kanon: Nehmet einander an
Einander annehmen. Manche sagen, das passt in dieses neue Jahr mit seinen großen Konflikten. Wo Menschen sich täglich beweisen, dass sie einander nicht annehmen können und wollen.
Terroristen oder Faschisten nennen sie sich wechselseitig im Osten der Ukraine. – Wie sollen die einander annehmen?
Fast überall auf der Welt – inzwischen – töten, bekämpfen oder bedrohen die Anhänger einer Religion des selbstgerechten Hasses alles, was sich ihrer Ideologie nicht beugt. Wenn das in Paris geschieht, sind wir erschüttert. Wenn es tausendfach in Nigeria geschieht, dann nehmen wir es kaum noch zur Kenntnis. – Können, sollen, dürfen wir die annehmen? Mörder, Terroristen, Fanatiker? Und wie viel Angst ist erlaubt, wenn die Anhänger dieser mörderischen Religion mitten unter uns leben? Wie anfällig sind die viel beschworenen friedlichen Muslime? Auf welcher Seite stehen sie im Ernstfall?
Menschen in Dresden und anderswo artikulieren ihre Ängste, ihre Sorgen, manche auch ihren Hass. Sie bekunden ihre Verachtung für Politik, Medien und Mainstream. Und ihnen schlägt dieselbe Verachtung entgegen. Politiker, Medien, die linksliberale Öffentlichkeit sind sich einig: unannehmbar. – Und die Frage steht: Wen können, wen wollen wir annehmen, ernstnehmen? Wem wollen wir zuhören und wem nicht? Wo sind die Grenzen dessen, was wir ertragen können, an Fremdem, an Eigenem, an Kritik, an Hass?
Nehmt einander an! – Weltlich gesprochen heißt das Toleranz. Und es bedeutet: Einander ertragen. Auch die schwer Erträglichen. Auch die Intoleranten.
Wir werden daran weiter zu buchstabieren haben in diesem Jahr…
Kanon: Nehmet einander an
Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, zu Gottes Lob.
Das schreibt der Apostel Paulus an die christliche Gemeinde in der Welthauptstadt Rom. Das sind Juden, die angefangen haben an Jesus als den Messias zu glauben. Und das sind Heiden, Griechen und Barbaren, die ebenfalls angefangen haben an Jesus zu glauben, den Sohn des einzig wahren Schöpfergottes. Menschen, denen ihre Traditionen heilig sind, aus denen sie kommen. Und Menschen, die alte Traditionen über Bord geworfen haben, wegen des neuen Glaubens. Die miteinander diskutieren und streiten: Was gehört dazu zum Christsein? Was darf ich und was nicht? Menschen, die ohne ihren Glauben an Jesus nichts Gemeinsames haben, was sie sonst zusammengeführt hätte. – An diese bunte, spannungsvolle und immer vom Auseinanderbrechen bedrohte Gemeinde schreibt Paulus seinen Grundsatzbrief: Christus hat euch angenommen, so verschieden ihr auch seid. Und deshalb: Nehmt euch gegenseitig an, so verschieden ihr auch seid. Damit verkündigt ihr die Ehre Gottes.
Dieser eine Satz, die Jahreslosung fasst alles zusammen, was Paulus 16 Kapitel lang im Römerbrief erklärt: Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, zu Gottes Lob.
Das ist die kürzeste Beschreibung von Christsein, die es gibt: Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, zu Gottes Lob.
Kanon: Nehmet einander an
In der christlichen Gemeinde üben wir, wie das geht: einander annehmen. Auch in unserer. Ich glaube, wir sind da gar nicht so schlecht, denn wir sind schon ein sehr bunt zusammengewürfelter Haufen. Und doch halten wir es miteinander aus und nehmen wir einander an: Leute mit unterschiedlichen christlichen Traditionen: Evangelikale und Liberale, Lutheraner und Reformierte, Katholiken und Freikirchler. Leute unterschiedlicher Herkunft und Lebensart: Bayern und Fischköppe, Rheinländer und Sachsen, Niederländer und Polen…, Musikalische und Sportliche, Touristen und Residenten, Senioren und noch Ältere, Reiche und weniger Reiche…, Laute und Leise, Männer und Frauen.
Natürlich: der eine kann mit diesem besser, die andere mit jenem. Aber keiner sagt: Du darfst nicht dazugehören. Wir bemühen uns schon, einander anzunehmen. Und meistens gelingt uns das.
Kanon: Nehmet einander an
… wie Christus euch angenommen hat.
Angenommen, ich bin angenommen. Angenommen, ich kann ganz sicher sein, dass mich einer nicht ablehnt, nicht zurückweist, niemals. Angenommen, das ist wahr – dann kann mir eigentlich nichts Schlimmes mehr geschehen.
Angenommen, du bist angenommen, angenommen von Christus, so wie ich. Dann nehme auch ich dich gerne an. Als Mensch, als Schwester, als Bruder, als Gotteskind.

Kanon: Nehmet einander an

Zündfunke (Rundfunkandacht) am 18. Januar 2015

Guten Morgen, liebe Hörer,

die ganze Woche habe ich an dieser Stelle über Propheten gesprochen: Jesaja und Jeremia, Nathan und Jona zum Beispiel. Die haben aber alle vor zweieinhalb Jahrtausenden oder mehr gelebt. Schon zur Zeit Jesu waren viele der Meinung, die Prophetie wäre ausgestorben. Und viele Christen haben diese Meinung übernommen. Sogar mit biblischer Begründung: Früher, in alten Zeiten hat Gott durch die Propheten geredet; zuletzt hat er durch seinen Sohn Jesus Christus geredet. – So steht es im Hebräerbrief. Was er durch Jesus geredet hat, ist nicht mehr zu überbieten. Also: Schluss mit der Prophetie.

Aber stimmt das? – Propheten haben immer wieder Gottes Wort ganz aktuell für die Gegenwart gesagt. Brauchen wir das jetzt etwa nicht mehr? Reicht es, wenn wir einfach die Worte Jesu aus der Bibel nachsprechen? Ist das alles, was Gott heute noch zu sagen hat?

Unter den frühen Christen waren Propheten wieder etwas Normales. Wir lesen in der Apostelgeschichte, dass es in den Gemeinden da und dort Propheten gab; und der Apostel Paulus zählt die prophetische Rede zu den Gaben des Heiligen Geistes.

Heute nehmen Kirchen gerne für sich ein prophetisches Amt in Anspruch. Nur – die Verlautbarungen von Kirchenämtern sind noch lange nicht prophetisch. Und die Predigten, die Woche für Woche in tausenden von Kirchen gehalten werden, sind noch lange keine Prophetie. – Wir sollten da schon sehr vorsichtig sein, und uns nicht selber zu Propheten ernennen und unseren Worten damit eine besondere Weihe verleihen.

Nein, Propheten werden allein von Gott zu Propheten gemacht, und sie haben sich nie in diese Rolle gedrängt. Sie wurden zu ihren Lebzeiten oft genug missverstanden und missachtet. Und erst Jahre oder Jahrhunderte später wurden sie als Propheten erkannt.

Wo sind heute die wahren Propheten? – Ich muss gestehen: Ich habe darauf keine Antwort. Ich weiß nur, dass ich auf der Hut bin vor falschen Propheten. Aber ich weiß auch, dass mir da und dort schon ein Mensch zum Propheten geworden ist, der mir einen entscheidenden Wink von Gott her gegeben hat. Und ich möchte aufmerksam bleiben dafür, wann und wo Gott zu uns redet.

Samstag, 17. Januar 2015

Zündfunke (Rundfunkandacht) am 17. Januar 2015

Guten Morgen, liebe Hörer,

wir haben in den letzten Tagen verschiedene Typen von Propheten aus der Bibel kennengelernt: Da gab es die Propheten, die den Menschen Hoffnung gemacht haben in schwerer Zeit. Die Visionen von einer besseren Zukunft hatten und zum Gottvertrauen in der Gegenwart aufgerufen haben: So war es zum großen Teil beim Propheten Jesaja. Und dann gab es Propheten, die den Menschen Unheil ankündigten. Die ihnen auf den Kopf zu sagten, dass sie gegen Gottes Gebote handelten und Gottes Strafe zu erwarten hätten. So war es bei Nathan oder Micha, oder auch bei Jona. Sie hatten die unangenehmere Aufgabe. Gutes zu verkündigen und den Menschen Hoffnung zu machen, ist meistens leichter, als ihnen zu sagen: „Es wird alles noch viel schlimmer, als ihr denkt.“

Einer, der immer wieder Unheil ankündigen musste, das ihn dann auch selber mit traf, das war Jeremia.

Es wird erzählt, wie Jeremia mit einem Holzjoch herumlief als Zeichen dafür, wie die Völker unter dem Joch der Babylonier zu leiden hätten. Ein anderer Prophetenkollege trat ihm entgegen, nahm das Joch von seinem Nacken und zerbrach es: „So soll das Joch Nebukadnezzars, des Babylonier-Königs zerbrochen werden innerhalb von zwei Jahren“, sagte er. Jeremia konnte nur antworten: „Gebe Gott, dass du Recht hast.“ – Aber dann hörte Jeremia Gottes wahre Botschaft wieder und ging zu seinem Kollegen und sagte ihm: „Du hast das hölzerne Joch zerbrochen; Gott wird uns ein eisernes Joch auferlegen.“

Jeremia hat Recht behalten. Die babylonische Fremdherrschaft hatte gerade erst begonnen und sollte noch mehrere Jahrzehnte währen.

Jeremia war eine wirklich tragische Prophetengestalt. Er warnte vor der Flucht nach Ägypten; und seine Landsleute nahmen ihn als Gefangenen mit – nach Ägypten. Dort verlieren sich seine und ihre Spuren.

Was ist einfacher? Heil zu verkündigen oder Unheil? – Heute hat man fast den Eindruck, dass die Unheilspropheten lieber gehört werden.

Entscheidend ist allemal, was Gott zu sagen hat. Und ich frage mich nicht ohne Sorge: Wo sind die wahren Propheten, die uns heute sein Wort sagen?

Freitag, 16. Januar 2015

Zündfunke (Rundfunkandacht) am 16. Januar 2015

Guten Morgen, liebe Hörer,

einer der bekanntesten Propheten der Bibel ist Jona. Nicht weil er besonders viele und wichtige Botschaften hinterlassen hätte, sondern weil seine Geschichte so spektakulär ist. Und in gewisser Weise auch typisch für einen Propheten.

Jona erhält einen Auftrag von Gott: Er soll der großen assyrischen Stadt Ninive Gottes Gericht verkündigen: Weil sie dort so gottlos leben, wird die Stadt vernichtet werden. Und Jona läuft los – in die entgegengesetzte Richtung – ans Meer. Dort besteigt er das erstbeste Schiff und bezahlt die Überfahrt; er will, so heißt es, dem HERRN aus den Augen kommen. Aber eben dieser HERR lässt einen Sturm aufkommen; selbst die erfahrenen Seeleute bekommen es mit der Angst zu tun, sie werfen die Ladung über Bord – und dann stellen sie die Frage: Wer ist Schuld? Denn irgendjemanden an Bord – so glauben sie – würden die Götter wohl strafen wollen mit diesem Sturm. Das Los soll entscheiden wer es ist, und es trifft – Jona. Und Jona erzählt: „Ja, ich bin vor Gott auf der Flucht, dem großen Gott, der Himmel, Erde und auch das Meer gemacht hat.“ – Sie bekommen es noch mehr mit der Angst zu tun. Und auf seinen eigenen Vorschlag hin werfen sie ihn in das stürmische Meer. In diesem Moment hört der Sturm auf und das Meer wird wieder ruhig.

Und Jona? – Jona wird von einem großen Fisch verschluckt. Manche meinen, von einem Wal. So genau hat man das früher nicht unterschieden. Dort im Bauch des Fisches überlebt Jona, spricht ein Dankgebet und wird wieder an Land gespuckt.

Und die Geschichte beginnt von vorn: Gott sagt ihm, er soll der großen Stadt Ninive das Gericht verkündigen. Und Jona läuft los – diesmal in die richtige Richtung. Er sagt es in der ganzen Stadt: In vierzig Tagen wird Ninive untergehen. – Und wieder geschieht ein Wunder: Die Leute glauben seine Botschaft, erschrecken, tun Buße in Sack und Asche, beten zu Gott und hoffen auf Rettung. – Und: Gott setzt den Gerichtstermin ab; die Stadt bleibt unversehrt.

Jona sitzt derweil gegenüber auf einem Hügel unter einer Rhizinusstaude und ärgert sich, weil Gott die Stadt leben lässt. Als am nächsten Tag seine schattenspendende Staude verdorrt ist, ist er doppelt sauer. Aber Gott sagt ihm: „Dich jammert dieser Strauch, und mich sollte nicht eine ganze Stadt jammern mit 120.000 Menschen und dazu noch so vielen Tieren?“

Ein Prophet – so sehen wir an Jona – hat es nicht leicht mit Gott. Aber Gott hat es auch nicht leicht mit seinem Propheten.

Donnerstag, 15. Januar 2015

Zündfunke (Rundfunkandacht) am 15. Januar 2015

Guten Morgen, liebe Hörer,

gestern habe ich an dieser Stelle vom Hofpropheten des Königs David gesprochen; Nathan hieß der gute Mann.

Gut hundert Jahre später ist Davids Königreich zerfallen. Im Norden regiert König Ahab, und der hat nicht einen Hofpropheten, nein der hat gleich 400 Propheten. Das Weissagungswesen treibt merkwürdige Blüten. Im Süden regiert zur selben Zeit König Josaphat.

Während sich Josaphat, der Südkönig, zum Staatsbesuch im Norden aufhält, fragt ihn der Nordkönig Ahab: „Willst du nicht mit mir einen kleinen Krieg führen und den Aramäern die Stadt Ramot abnehmen, die früher mal uns gehörte?“ – Josaphat antwortet: „Im Prinzip ja. Aber“ – er ist ein gottesfürchtiger Mann – „hast du denn auch Gott gefragt, was er davon hält?“ – Und Ahab besinnt sich auf seine 400 Propheten, lässt sie alle zusammenkommen, damit sie ihm den Willen Gottes verkündigen sollen. Und einer nach dem andern sagt: „Zieh in den Krieg! Gott wird mit dir sein.“ – Josaphat aber bleibt skeptisch: „Hast du keinen echten Propheten des Herrn hier?“ – Ahab antwortet: „Doch, da ist noch dieser Micha, Micha ben Jimla. Aber ich mag ihn nicht; der weissagt mir immer nur Unglück…“ Schließlich wird Micha herbeigeholt. Zunächst sagt er: „Wenn alle dir Erfolg weissagen, dann zieh in den Krieg; Gott wird mit dir sein.“ Erst als Ahab ihn weiter bedrängt, rückt Micha heraus mit einer düsteren Vision: „Ich sah die Israeliten zerstreut über die Berge irren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und ich sah, wie ein Lügengeist über all die Propheten des Landes gekommen ist,“ – Da steht er, der eine Prophet, gegenüber 400 anderen und behauptet, er allein hätte Recht.

Natürlich sind die Könige in den Krieg gezogen. Micha wurde derweil inhaftiert. Und natürlich ist es schief gegangen. Ahab fiel in der Schlacht, und seine Soldaten zogen unverrichteter Dinge wieder ab. Zerstreut, wie Schafe, die keinen Hirten haben.

Gottes Geist ist nicht immer bei der Mehrheit. Gottes Geist ist nicht immer bei denen, die einander alles nachreden, vor allem, wenn es den Mächtigen gefällt. Wenn einer wirklich Mut hat, nicht mit der Masse mitzuschwimmen und zu sagen, was sonst keiner für möglich hält – das könnte unter Umständen ein Prophet sein.

Mittwoch, 14. Januar 2015

Zündfunke (Rundfunkandacht) am 14. Januar 2014

Guten Morgen, liebe Hörer,

im alten Orient hielten sich die Herrscher häufig einen oder mehrere Hofpropheten. Geistliche Ratgeber sozusagen. Im Grunde genommen war das ein riskanter Job. Gleichzeitig dem König verpflichtet zu sein und Gott. Was war, wenn Gott was anderes wollte, als der König? Das konnte den Propheten seinen Posten kosten – oder gleich seinen Kopf.

Auch König David hatte einen Hofpropheten. Nathan hieß er.

Der kam eines Tages zu ihm und erzählte ihm eine Geschichte:

Ein armer und ein reicher Mann wohnten in derselben Stadt: „Der Reiche besaß sehr viel Vieh, Schafe und Rinder. Der Arme hatte nur ein einziges Schäflein; das zog er ganz liebevoll auf und behandelte es wie sein eigenes Kind. Als der Reiche eines Tages Besuch bekam, mochte er keines von seinen eigenen Tieren schlachten, sondern nahm stattdessen dem Armen sein einziges Schäfchen weg und bereitete daraus das Gastmahl zu.“

König David wurde sehr zornig, als er das hörte: „Wer so was tut, soll sterben! Und das Schaf soll er vierfach ersetzen.“ – Er meinte, Nathan hätte ihm eine Begebenheit aus seinem Königreich erzählt.
Nathan antwortete: „Du bist der Mann, der das getan hat! Du hast dir selber das Urteil gesprochen.“

Tatsächlich hatte David unlängst seinem Nachbarn Uria, einem Soldaten im Dienste des Königs, die Frau weggenommen, mit ihr geschlafen, ein Kind gezeugt, und um die ganze Sache zu vertuschen, hatte er den Uria umbringen lassen; ihn ganz geschickt an der Kriegsfront ins Verderben laufen lassen.

Was passiert mit einem, der dem Mächtigen seine Verbrechen auf den Kopf zu sagt? – Nathan spielt mit seinem Leben. Aber es ist kein Spiel, denn er kann nicht anders. Gott treibt und drängt ihn zur Wahrheit, auch zur unbequemen, gefährlichen, ja tödlichen Wahrheit.

Nathan hat Glück; David ist im Grunde ein gottesfürchtiger Mann, er kommt zur Einsicht und bereut bitter, was er getan hat.

Andere in ähnlichen Situationen haben kein Glück gehabt und mussten mit ihrem Leben bezahlen.

Propheten wie Nathan sind Menschen, die Gottes Sicht der Dinge offen aussprechen. Gott sei Dank, gab es immer wieder solche Menschen.

Dienstag, 13. Januar 2015

Zündfunke (Rundfunkandacht) am 13. Januar 2014

Guten Morgen, liebe Hörer,

was ist ein Prophet? Einer, der die Zukunft vorhersagt?

Einer der bekanntesten Propheten der Bibel – jedenfalls der, der die meisten Kapitel in der Bibel hat –, das ist Jesaja.

Jesaja ist Ihnen vielleicht gut bekannt aus dem Weihnachtslied: Es ist ein Ros entsprungen. Das geht in der zweiten Strophe so: Das Röslein, das ich meine, davon Jesaja sagt… – Ja, Jesaja sagt einiges, worin die Christen späterer Jahrhunderte Jesus wiedererkannt haben. Zum Beispiel die Stelle, wo er von dem Reis (nicht Ros) gesprochen hat, das aus dem Stamm Isai hervorgehen sollte. Isai heißt auch Jesse. Deshalb auch im Weihnachtslied: von Jesse kam die Art.

Jesaja hat auch den berühmten Satz gesprochen: Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie Immanuel nennen. – Natürlich ist auch dieser Satz auf Jesus Christus und die Jungfrau Maria bezogen worden.

Wenn wir uns aber die Geschichte im Zusammenhang anschauen, ging es um etwas ganz anderes: Das Königreich Juda war von mächtigen Feinden bedroht, den Aramäern im Bunde mit den israelitischen Brüdern aus dem Norden. Und dem König Ahas schlotterten die Knie, weil er ihnen nicht genug Heeresmacht entgegensetzen konnte. In dieser Situation trat der Prophet Jesaja auf und rief seinen König auf, doch auf Gott zu vertrauen. Jesaja versprach dem König ein Zeichen: Eine junge Frau (eine Jungfrau wurde erst in einer späteren Fehlübersetzung daraus), eine junge Frau ist schwanger und wird einen Sohn gebären… und ehe der Knabe Gut und Böse unterscheiden kann, wird das Land der beiden feindlichen Könige verödet sein, und ehe er Vater und Mutter sagen kann, sollen sie entmachtet sein. – Und so kam es dann auch, weil sich die politischen Machtverhältnisse durch das erstarkende Ägypten in ganz kurzer Zeit radikal veränderten.

Jesaja hat also keine Vorhersagen für eine ferne Zukunft gegeben, sondern die Gegenwart und die allernächste Zukunft verstanden und gedeutet. Er hatte einen Durchblick für seine Zeit, wie andere ihn nicht hatten.

Er hat diesen Durchblick auf Gott zurückgeführt. Gott hatte ihm gezeigt, wie die Dinge wirklich standen.

Möge Gott auch uns Propheten schenken, die die Zeichen der Zeit erkennen und richtig deuten!

Montag, 12. Januar 2015

Zündfunke (Rundfunkandacht) am 12. Januar 2014

Guten Morgen, liebe Hörer,

das Jahr ist noch jung. Und was es bringen wird, wissen wir nicht. So viele offene Fragen haben wir mitgenommen aus dem alten Jahr. So viele ungelöste Probleme. Griechenland und der Euro sind wieder mal  Thema. Russland und die Ukraine beschäftigen uns weiter. Terroristenarmeen, die sich auf die islamische Religion berufen. Und Menschen, die Angst haben vor Gewalt und Überfremdung oder auch nur vor Veränderungen vor ihrer Haustür. – Was wird aus all dem werden im neuen Jahr?
Wir wissen es nicht. Und ich weiß es auch nicht. Ich bin ja kein Prophet.

Manche meinen, wir von der Kirche müssten so was wie Propheten sein. Denn Prophetie ist ja eine Gottesgabe. Und wir, die wir mit dem lieben Gott auf Du und Du stehen, wir müssten doch den Durchblick haben und sagen können, was die Zukunft bringt.

Tatsächlich ist das, was die Kirchen über die Zukunft sagen, nicht viel besser oder genauer als das, was andere auch denken und sagen. Manche betätigen sich als Unheilspropheten, malen zum Beispiel die ganz große Klimakatastrophe an die Wand. Aber genau genommen hat das weniger mit Prophetie zu tun als mit nachgeplapperten Prognosen anderer Herkunft. Und vor allem: Mit den viel dringenderen Problemen der Gegenwart haben solche Prognosen, wie die Welt in 30 oder 80 Jahren aussehen könnte, wenig zu tun. Wir wissen noch nicht mal, wie die Welt in einem Jahr aussehen wird.

Ich möchte Ihnen in den nächsten Tagen ein paar Propheten aus der Bibel vorstellen. Dabei werden Sie feststellen, dass diese Propheten meistens gar nicht viel über die Zukunft verraten haben. Sie haben meistens über ihre Gegenwart gesprochen. Und sie haben ihre Zeit anders gesehen als die meisten anderen. Weil sie von Gott her einen besonderen Durchblick hatten.

Ich befürchte, auch von diesem prophetischen Durchblick für unsere Gegenwart sind wir als Kirchen und Pfarrer oft meilenweit entfernt. Uns einfach selber zu Propheten aufschwingen – das können wir nicht. Bitten wir Gott um den richtigen Durchblick für das, was heute dran ist.

Sonntag, 4. Januar 2015

Predigt am 4. Januar 2015 (2. Sonntag nach dem Christfest)

Jesu Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passafest. Und als er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach dem Brauch des Festes. Und als die Tage vorüber waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb der Knabe Jesus in Jerusalem, und seine Eltern wussten’s nicht. Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten. Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wieder nach Jerusalem und suchten ihn. Und es begab sich nach drei Tagen, da fanden sie ihn im Tempel sitzen, mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten. Und als sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Und seine Mutter sprach zu ihm: „Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.“ Und er sprach zu ihnen: „Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?“ Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte. Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen untertan. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.
Lukas 2, 41-52




Die heilige Familie. Vor einer Woche noch haben wir sie im Stall von Bethlehem besucht – mit unseren Liedern. Es ist die Idylle von Mutter-Vater-Kind – wenn auch in der Krippe zwischen den Tieren. Trotzdem Idylle: Maria ist erschöpft, aber glücklich, dass alles gut gegangen ist. Josef ist erleichtert, dass sie doch noch einen Platz gefunden haben. Und ein bisschen fühlt er auch den Stolz und die Verantwortung eines Vaters; ja, er wird die Rolle übernehmen. Die Besucher vom Feld nebenan und die reichen Reisenden aus der Ferne machen sie verlegen, erst recht mit ihren Worten und ihren Gaben. Aber der Knabe in der Krippe ist meistens ruhig und zufrieden, und manchmal lächelt er sogar. – So sieht sie aus die heilige Familie – zu Weihnachten.
*
Und dann: Schnitt. 12 Jahre später. Der Knabe ist munter und aufgeweckt. Das erste Mal nimmt er an der Pilgerreise nach Jerusalem teil. Mit den Eltern. Und Verwandten. Und Nachbarn. Der halbe Ort ist unterwegs. Wahrscheinlich mit Eseln und vielleicht sogar ein paar Wagen und Zelten und Proviant für drei oder vier Tagesreisen. Eine ganze Karawane.
Und dann Jerusalem. Die Stadt. Die Unmengen von Pilgern. Der Tempel. Der Lärm und das bunte Gedränge. Die Feierlichkeiten. Die Opfer. Was für einen Eindruck muss das auf einen Zwölfjährigen aus der Provinz gemacht haben!
Was für einen Eindruck muss das auf IHN gemacht haben. Der in sich etwas zu ahnen begann von seiner besonderen Berufung, von seiner besonderen Herkunft – erste unbestimmte Regungen in seinem Herzen. Da war eine Leidenschaft für den Glauben der Väter, für Gottes Gesetze und Verheißungen. Und ein tiefes Empfinden für die Gegenwart Gottes. Und da war das alles: der Tempel, der Gottesdienst, die Priester und die besten Gesetzeslehrer. Da zog es ihn hin, und da vergaß er alles rundherum. Die Zeit. Die Eltern. Da war er wirklich zu Hause. In Gottes Haus, in der heiligen Familie der Gläubigen.
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Josef und Maria sind schon wieder auf dem Heimweg. In heiliger Gelassenheit vertrauen sie darauf, dass ihr Junge irgendwo bei den andern ist in der Karawane, bei seinen Vettern oder Freunden. Erst als er am Abend immer noch nicht auftaucht, beginnen sie sich Sorgen zu machen. Suchen überall, fragen herum, und müssen feststellen: Er ist gar nicht erst mitgekommen. Josef und Maria machen sich offenbar keine Vorwürfe gegenseitig; hätten sie ja machen können. Nein: heilige Familie. In trauter Eintracht kehren sie um, ziehen wieder einen ganzen Tag lang den Weg Richtung Süden. – Nur sie zwei. Mit dem Esel.
In Maria kamen die Erinnerungen hoch. Diesen Weg waren sie auch damals gegangen, vor gut zwölf Jahren. Sie beide. Waren dann abgebogen, an Jerusalem vorbei nach Bethlehem. Und dort hatte sie im Stall der Herberge ihren Jesus, ihren kleinen Jeschua, zur Welt gebracht. Und da waren die Besucher vom Feld nebenan und die merkwürdigen Reisenden aus der Ferne. Und ihre seltsamen Erzählungen von einer Engelerscheinung und von einem Wunderstern. Und ihre Worte vom Heiland und Messias. Und da war ja schon zuvor diese ganze merkwürdige Geschichte ihrer Schwangerschaft… Der Engel, der ihr erschienen war und gesagt hatte: Er wird Sohn des Höchsten genannt werden. In den letzten Jahren hatte sie das schon fast vergessen, oder verdrängt. Jesus sollte ein ganz normales Kind sein, in einer ganz normalen Familie. Eine heile Familie. Aber keine heilige. So war es bisher. Würde es so bleiben? Was würde aus diesem Jesus werden? Bis jetzt sprach nichts dagegen, dass er unter der Anleitung von Josef ein tüchtiger Handwerker werden würde: Zimmermann. – Heiland? Messias? – Was für spinnerte Fantasien! – So wanderten ihre Gedanken zurück in der Zeit, während ihre Füße weiter Richtung Jerusalem wanderten.
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Nach langem Suchen fanden sie Jesus im Tempel. In einer Gesprächsrunde mit den Thora-Gelehrten. Judentum ist Schriftauslegung und fortwährende Diskussion über die Schriftauslegung. Und der Teenie-Jesus ist mittendrin. Als wären die Schriftgelehrten seine Familie.
Mit zwölf Jahren ist das logische Denkvermögen eines Heranwachsenden schon voll ausgebildet. Und so kann der zwölfjährige Jesus ihre Gedanken und Argumente mitdenken und nachvollziehen. Und eigene Gedanken und Argumente formulieren. Er ist den Erwachsenen ein ebenbürtiger Gesprächspartner.
Wie wir wissen, ist es mit der emotionalen Intelligenz in diesem Alter noch nicht so weit her. Schon gar nicht wenn es um die mehr oder weniger berechtigten Anliegen von Erwachsenen geht. Und am wenigsten der eigenen Eltern. Dass sie ihn vermissen könnten, dass sie sich Sorgen um ihn machen – das ist gaaanz weit weg. Und das vierte Gebot – Du sollst Vater und Mutter ehren –, das war offenbar auch gerade nicht Diskussionsgegenstand mit den Gesetzeslehrern im Tempel. Teenie-Jesus hat es wahrscheinlich gerade erfolgreich verdrängt. Oder aber neu interpretiert...
Und so erleben wir hier Szenen einer ganz normalen Familie mit. Die Mutter ist verzweifelt: „Kind, wie konntest du uns das antun!“ Und der Teenie ist verständnislos: „Was willst du eigentlich? Du hast überhaupt keine Ahnung!“ - Ist das nicht tröstlich, dass es selbst in der heiligen Familie so zuging!
Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist? – Was für eine Ignoranz und Arroganz in den Worten eines Zwölfjährigen! – Wisst ihr nicht…!
Nein, sie wissen es nicht.
Ich muss sein in dem, was meines Vaters ist … – Ist das etwa nicht das Haus in Nazareth, die Zimmermannswerkstatt?
Josef steht daneben und sagt kein Wort. Er weiß ja, dass er nicht wirklich der Vater ist. Aber Jesus? Was meint er?
Und in Maria klingen die Worte wieder auf, an die sie unterwegs denken musste – die Worte der Hirten, und des Engels: Heiland. Messias. Er wird Sohn des Höchsten genannt werden.
Aber verstanden hat sie sie immer noch noch nicht. Nur, dass es mit diesem Kind etwas Besonderes auf sich hat, das wird sie jetzt nicht mehr verdrängen können. Und dass es nicht das letzte Mal gewesen sein würde, dass ihr Sohn ihr Sorgen und Schmerzen macht.
Ich stelle mir vor, wie sie wortlos den Tempel verlassen und sich zusammen auf den Weg machen zurück nach Nazareth. Die heile Familie, die heilige Familie ist für diesmal gerettet. Vielleicht sogar für die nächsten 18 Jahre.
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Dann wird Jesus neu interpretieren, was es mit dem vierten Gebot auf sich hat: Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, der ist mein nicht wert. Und er wird neu definieren, was heilige Familie ist: Meine Mutter und meine Brüder, das sind die, die Gottes Wort hören und tun.
Seine alte Familie ist damals zerbrochen. Aber am Ende, nach Ostern, gehörten seine Mutter und seine Brüder dazu zu denen, die sich wieder im Tempel von Jerusalem trafen und miteinander Gottes Wort hörten und danach lebten. Christliche Kirche. Gemeinschaft der Heiligen.
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Die heilige Familie. Die Idylle vom Stall in Bethlehem bestimmt immer noch unser Bild von Familie: Vater, Mutter, Kind – friedlich vereint. Und alle Jahre wieder, zu Weihnachten, versuchen wir etwas von diesem Familienfrieden in die Realität zurückzuholen. – Und dann: Schnitt. Ein paar Tage oder Wochen oder Jahre später brechen Konflikte auf. Trennen sich Lebenswege. Werden Kinder aufmüpfig und Eltern verständnislos.
Aber wo wir Gottes Wort hören und tun, da entsteht eine neue Art von Familie. Da ist Gottes Tempel. Heilige christliche Kirche. Gemeinschaft der Heiligen. Heilige Familie. Amen.