Sonntag, 4. Januar 2015

Predigt am 4. Januar 2015 (2. Sonntag nach dem Christfest)

Jesu Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passafest. Und als er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach dem Brauch des Festes. Und als die Tage vorüber waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb der Knabe Jesus in Jerusalem, und seine Eltern wussten’s nicht. Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten. Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wieder nach Jerusalem und suchten ihn. Und es begab sich nach drei Tagen, da fanden sie ihn im Tempel sitzen, mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten. Und als sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Und seine Mutter sprach zu ihm: „Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.“ Und er sprach zu ihnen: „Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?“ Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte. Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen untertan. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.
Lukas 2, 41-52




Die heilige Familie. Vor einer Woche noch haben wir sie im Stall von Bethlehem besucht – mit unseren Liedern. Es ist die Idylle von Mutter-Vater-Kind – wenn auch in der Krippe zwischen den Tieren. Trotzdem Idylle: Maria ist erschöpft, aber glücklich, dass alles gut gegangen ist. Josef ist erleichtert, dass sie doch noch einen Platz gefunden haben. Und ein bisschen fühlt er auch den Stolz und die Verantwortung eines Vaters; ja, er wird die Rolle übernehmen. Die Besucher vom Feld nebenan und die reichen Reisenden aus der Ferne machen sie verlegen, erst recht mit ihren Worten und ihren Gaben. Aber der Knabe in der Krippe ist meistens ruhig und zufrieden, und manchmal lächelt er sogar. – So sieht sie aus die heilige Familie – zu Weihnachten.
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Und dann: Schnitt. 12 Jahre später. Der Knabe ist munter und aufgeweckt. Das erste Mal nimmt er an der Pilgerreise nach Jerusalem teil. Mit den Eltern. Und Verwandten. Und Nachbarn. Der halbe Ort ist unterwegs. Wahrscheinlich mit Eseln und vielleicht sogar ein paar Wagen und Zelten und Proviant für drei oder vier Tagesreisen. Eine ganze Karawane.
Und dann Jerusalem. Die Stadt. Die Unmengen von Pilgern. Der Tempel. Der Lärm und das bunte Gedränge. Die Feierlichkeiten. Die Opfer. Was für einen Eindruck muss das auf einen Zwölfjährigen aus der Provinz gemacht haben!
Was für einen Eindruck muss das auf IHN gemacht haben. Der in sich etwas zu ahnen begann von seiner besonderen Berufung, von seiner besonderen Herkunft – erste unbestimmte Regungen in seinem Herzen. Da war eine Leidenschaft für den Glauben der Väter, für Gottes Gesetze und Verheißungen. Und ein tiefes Empfinden für die Gegenwart Gottes. Und da war das alles: der Tempel, der Gottesdienst, die Priester und die besten Gesetzeslehrer. Da zog es ihn hin, und da vergaß er alles rundherum. Die Zeit. Die Eltern. Da war er wirklich zu Hause. In Gottes Haus, in der heiligen Familie der Gläubigen.
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Josef und Maria sind schon wieder auf dem Heimweg. In heiliger Gelassenheit vertrauen sie darauf, dass ihr Junge irgendwo bei den andern ist in der Karawane, bei seinen Vettern oder Freunden. Erst als er am Abend immer noch nicht auftaucht, beginnen sie sich Sorgen zu machen. Suchen überall, fragen herum, und müssen feststellen: Er ist gar nicht erst mitgekommen. Josef und Maria machen sich offenbar keine Vorwürfe gegenseitig; hätten sie ja machen können. Nein: heilige Familie. In trauter Eintracht kehren sie um, ziehen wieder einen ganzen Tag lang den Weg Richtung Süden. – Nur sie zwei. Mit dem Esel.
In Maria kamen die Erinnerungen hoch. Diesen Weg waren sie auch damals gegangen, vor gut zwölf Jahren. Sie beide. Waren dann abgebogen, an Jerusalem vorbei nach Bethlehem. Und dort hatte sie im Stall der Herberge ihren Jesus, ihren kleinen Jeschua, zur Welt gebracht. Und da waren die Besucher vom Feld nebenan und die merkwürdigen Reisenden aus der Ferne. Und ihre seltsamen Erzählungen von einer Engelerscheinung und von einem Wunderstern. Und ihre Worte vom Heiland und Messias. Und da war ja schon zuvor diese ganze merkwürdige Geschichte ihrer Schwangerschaft… Der Engel, der ihr erschienen war und gesagt hatte: Er wird Sohn des Höchsten genannt werden. In den letzten Jahren hatte sie das schon fast vergessen, oder verdrängt. Jesus sollte ein ganz normales Kind sein, in einer ganz normalen Familie. Eine heile Familie. Aber keine heilige. So war es bisher. Würde es so bleiben? Was würde aus diesem Jesus werden? Bis jetzt sprach nichts dagegen, dass er unter der Anleitung von Josef ein tüchtiger Handwerker werden würde: Zimmermann. – Heiland? Messias? – Was für spinnerte Fantasien! – So wanderten ihre Gedanken zurück in der Zeit, während ihre Füße weiter Richtung Jerusalem wanderten.
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Nach langem Suchen fanden sie Jesus im Tempel. In einer Gesprächsrunde mit den Thora-Gelehrten. Judentum ist Schriftauslegung und fortwährende Diskussion über die Schriftauslegung. Und der Teenie-Jesus ist mittendrin. Als wären die Schriftgelehrten seine Familie.
Mit zwölf Jahren ist das logische Denkvermögen eines Heranwachsenden schon voll ausgebildet. Und so kann der zwölfjährige Jesus ihre Gedanken und Argumente mitdenken und nachvollziehen. Und eigene Gedanken und Argumente formulieren. Er ist den Erwachsenen ein ebenbürtiger Gesprächspartner.
Wie wir wissen, ist es mit der emotionalen Intelligenz in diesem Alter noch nicht so weit her. Schon gar nicht wenn es um die mehr oder weniger berechtigten Anliegen von Erwachsenen geht. Und am wenigsten der eigenen Eltern. Dass sie ihn vermissen könnten, dass sie sich Sorgen um ihn machen – das ist gaaanz weit weg. Und das vierte Gebot – Du sollst Vater und Mutter ehren –, das war offenbar auch gerade nicht Diskussionsgegenstand mit den Gesetzeslehrern im Tempel. Teenie-Jesus hat es wahrscheinlich gerade erfolgreich verdrängt. Oder aber neu interpretiert...
Und so erleben wir hier Szenen einer ganz normalen Familie mit. Die Mutter ist verzweifelt: „Kind, wie konntest du uns das antun!“ Und der Teenie ist verständnislos: „Was willst du eigentlich? Du hast überhaupt keine Ahnung!“ - Ist das nicht tröstlich, dass es selbst in der heiligen Familie so zuging!
Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist? – Was für eine Ignoranz und Arroganz in den Worten eines Zwölfjährigen! – Wisst ihr nicht…!
Nein, sie wissen es nicht.
Ich muss sein in dem, was meines Vaters ist … – Ist das etwa nicht das Haus in Nazareth, die Zimmermannswerkstatt?
Josef steht daneben und sagt kein Wort. Er weiß ja, dass er nicht wirklich der Vater ist. Aber Jesus? Was meint er?
Und in Maria klingen die Worte wieder auf, an die sie unterwegs denken musste – die Worte der Hirten, und des Engels: Heiland. Messias. Er wird Sohn des Höchsten genannt werden.
Aber verstanden hat sie sie immer noch noch nicht. Nur, dass es mit diesem Kind etwas Besonderes auf sich hat, das wird sie jetzt nicht mehr verdrängen können. Und dass es nicht das letzte Mal gewesen sein würde, dass ihr Sohn ihr Sorgen und Schmerzen macht.
Ich stelle mir vor, wie sie wortlos den Tempel verlassen und sich zusammen auf den Weg machen zurück nach Nazareth. Die heile Familie, die heilige Familie ist für diesmal gerettet. Vielleicht sogar für die nächsten 18 Jahre.
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Dann wird Jesus neu interpretieren, was es mit dem vierten Gebot auf sich hat: Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, der ist mein nicht wert. Und er wird neu definieren, was heilige Familie ist: Meine Mutter und meine Brüder, das sind die, die Gottes Wort hören und tun.
Seine alte Familie ist damals zerbrochen. Aber am Ende, nach Ostern, gehörten seine Mutter und seine Brüder dazu zu denen, die sich wieder im Tempel von Jerusalem trafen und miteinander Gottes Wort hörten und danach lebten. Christliche Kirche. Gemeinschaft der Heiligen.
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Die heilige Familie. Die Idylle vom Stall in Bethlehem bestimmt immer noch unser Bild von Familie: Vater, Mutter, Kind – friedlich vereint. Und alle Jahre wieder, zu Weihnachten, versuchen wir etwas von diesem Familienfrieden in die Realität zurückzuholen. – Und dann: Schnitt. Ein paar Tage oder Wochen oder Jahre später brechen Konflikte auf. Trennen sich Lebenswege. Werden Kinder aufmüpfig und Eltern verständnislos.
Aber wo wir Gottes Wort hören und tun, da entsteht eine neue Art von Familie. Da ist Gottes Tempel. Heilige christliche Kirche. Gemeinschaft der Heiligen. Heilige Familie. Amen.


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