Sonntag, 25. Dezember 2016

Predigt am 24. Dezember 2016 (Heiligabend)

Liebe Freunde, liebe Gemeinde,
dies ist, glaube ich, die erste Christvesper in meinem Leben, in der wir nicht singen werden „O du fröhliche“.
Als ich am Dienstag den Plan mit den Liedern für den Chor und die Organistin fertig gemacht habe, da habe ich gedacht, das geht nicht.
Das ist keine fröhliche Weihnachtszeit.
Tod und Terror auf dem Weihnachtsmarkt – das ist das Ende von „O du fröhliche“.
Aber die nächsten Tage habe ich immer wieder gespürt: Wir dürfen sie uns nicht töten lassen – die Freude an Weihnachten.
Dazu ist Gott nicht in die Welt gekommen, dass Tod und Schrecken triumphieren.
Dass Angst und Hass die Herrschaft über unsere Seelen bekommen.
Fürchtet euch nicht!, hat eine Tageszeitung getitelt – mit der Weihnachtsbotschaft.
Manche waren erleichtert, als das Leben die nächsten Tage normal weiterging.
In „mürrischer Gleichgültigkeit“ wie einer schrieb.
Aber ist das alles, ist das genug Weihnachten?
Mürrische Gleichgültigkeit?
Fatalistische Furchtlosigkeit:
Mich wird’s schon nicht erwischen?
Und die Welt ist halt, wie sie ist.
Fürchtet euch nicht!, hat der Engel gesagt.
Aber er hat noch mehr gesagt:
Siehe, ich verkündige euch große Freude!
Nicht Gleichgültigkeit – Freude!
Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.
Freude, Hoffnung, neues Leben!
Gnaden bringende Weihnachtszeit.
*
Im Johannesevangelium, im 3. Kapitel stehen die folgenden Worte:
Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. (Johannes 3, 16f)
Gott hat die Welt geliebt.
Diese verrückte, oft so verkehrte Welt.
Diese bedrängte und bedrohliche Welt.
Diese doch eigentlich so wunderbare Welt.
Gott hat sie geliebt.
Hat sich mit ihr ins Bett gelegt.
Und sie ist schwanger geworden.
Hat ihm einen Sohn geschenkt.
Oder er ihr.
Wie man’s nimmt.
Gott war sich nicht zu vornehm, nicht zu heilig, nicht zu ewig, um sich mit der verrückten Welt einzulassen.
Gott hat nicht gewartet, bis alles gestimmt hat.
Bis sie reif genug war und ihre Verrücktheiten hinter sich gelassen hat.
Auch nicht bis sie ihre Ausbildung abgeschlossen hat.
Und bis sie seinem Kind genug Sicherheit bieten konnte.
Da müsste ich ja ewig warten, hat er gesagt.
Ich will jetzt ein Kind mit dir.
Ja, Gott wollte mit der Welt zusammensein.
Ganz eng.
Sie hat sich ein bisschen geziert.
Sie konnte sich das nicht vorstellen.
Wie soll das zugehen, da ich doch von Gott nichts weiß? – Fast nichts.
Ich bin ja schon mit vielen ins Bett gegangen, aber mit Gott?
Gott konnte es sich vorstellen.
Er war der Richtige für sie, davon war er überzeugt.
Und Gott wollte ein Kind.
Als Zeichen der Liebe und des Vertrauens.
Weil seine Liebe kein One-Night-Stand ist.
Weil er mit der Welt zusammenbleiben will.
Für immer und ewig.
*
Und nun feiern wir Weihnachten.
Die Geburt des Gotteskindes.
Und Menschenkindes.
Kindergeburtstag.
Alle Jahre wieder.
Mit Kerzen und Herzen.
Mit lecker Essen und locker Trinken.
Mit Geschenken und mit fröhlichen Liedern.
O du fröhliche, o du selige, Gnaden bringende Weihnachtszeit!
Manchmal kommen die Verrückten, die Wahnsinnigen, die Hasszerfressenen und wollen nicht, dass wir feiern, dass wir fröhlich sind, dass wir miteinander essen und trinken und feiern und singen.
Sie überfallen eine Kirche und schießen auf die Menschen, die da feiern.
Oder sie steuern einen Lkw in einen Weihnachtsmarkt.
Das ist schrecklich.
Und uns vergeht für einen Augenblick das Singen.
Wir reißen die Augen auf und fragen:
Gott, bist du noch da?
Willst du immer noch mit dieser schrecklichen Welt zusammensein?
Und nun ist doch wieder dieser Abend gekommen, wo wir in der Kirche zusammenkommen.
Wir hier.
Und Millionen mehr im ganzen Land und in aller Welt.
Und wir feiern Kindergeburtstag.
Wir erinnern uns daran, wie Gottes Kind geboren wurde.
In einer Zeit, die nicht besser war als die unsere.
In einer Welt, die nicht weniger verrückt und wahnsinnig war als die heutige.
Wir erinnern uns daran, dass Gottes Kind in der Fremde geboren wurde.
In Armut.
Im Dreck.
In einem Viehstall.
Von einer unverheirateten Mutter.
Wir denken auch daran, wie die Verrückten und Wahnsinnigen damals schon unschuldige Kinder abschlachteten, weil sie dem Gotteskind nach dem Leben trachteten.
Sie wollten nicht, dass Gott und Welt zusammen sind, gar noch zusammen ein Kind haben.
Sie wollten, dass Gott draußen bleibt, sich nicht einmischt in das, was sie für ihr Leben hielten.
Sie wollten die Hoffnung töten.
Und Angst machen.
Denn davon leben sie, von der Angst.
Es ist heute wie damals.
Sie berufen sich auf einen Gott und führen seinen Namen im Munde.
In Wahrheit sind sie Kinder des Teufels.
Aber wir hier, in dieser und in zehntausenden Kirchen, auf tausenden Weihnachtsmärkten und in Millionen von Weihnachtsstuben wir feiern das Fest der Liebe.
Wir feiern, dass Gott bei uns ist und bei uns bleibt, in guten und in bösen Tagen.
Und nicht mal der Tod kann uns scheiden.
Dafür steht Gottes Kind.
Unser Kind.
Unsere Hoffnung.

Nein, wir singen heute Abend nicht „O du fröhliche“, heute mal nicht.
Aber wir singen all die anderen guten Weihnachtslieder, die davon singen und sagen, wie es war und wie es ist, wenn Gott mit dieser verrückten, mit dieser seiner geliebten Welt zusammen ist.
Und morgen, am eigentlichen Weihnachtstag, da werden wir auch wieder singen:
O du fröhliche, o du selige,
gnadenbringende Weihnachtszeit!
Welt ging verloren,
Christ ward geboren.
Freue dich, o Christenheit!

Sonntag, 18. Dezember 2016

Predigt am 18. Dezember 2016 (4. Sonntag im Advent)

Als Elisabeth im sechsten Monat schwanger war, wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria.
Und der Engel kam zu ihr herein und sprach: „Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir!“
Sie aber erschrak über die Rede und dachte: „Welch ein Gruß ist das?“
Und der Engel sprach zu ihr: „Fürchte dich nicht, Maria! Du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.“
Da sprach Maria zu dem Engel: „Wie soll das zugehen, da ich von keinem Manne weiß?“
Der Engel antwortete und sprach zu ihr: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, sie, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.“
Maria aber sprach: „Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.“
Und der Engel schied von ihr.
Lukas 1, 26-38


Wenn der Engel des Herrn in dein Leben tritt, wie ist das?
Wenn du nicht eingerichtet bist auf Besuch.

Unausgeschlafen und ungeschminkt.
In Bademantel oder Jogginghose.
Unabgewaschenes Geschirr und leere Weinflaschen stehen auf dem Küchentisch.
Du siehst eine Staubflocke über den Boden tanzen, neben dem Kaffeefleck und den Krümeln.
Schnell die Schlafzimmertür schließen mit dem Blick auf das zerwühlte Bett.
Du hast ihn nicht eingeladen, du hast ihn nicht eingelassen, nicht jetzt, nicht hier.
Der Engel des Herrn ist unverschämt.
Kein Anruf zuvor: Hätten Sie in den nächsten Tagen mal eine halbe Stunde Zeit für mich?
Keine E-Mail, keine Whatsapp, nichts.
Jetzt steht er vor dir.
Bietest du ihm schnell einen Stuhl an?
Möchten Sie vielleicht einen Kaffee oder ein Glas Wasser?
Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mir dir!
Um Himmelswillen!
Begnadet? Ich? Ganz gewiss nicht.
Bei mir geht es drunter und drüber.
Ich bekomme meinen Alltag kaum in den Griff, sehen Sie ja.
Und auf der Arbeit – nein, das erzähle ich Ihnen jetzt nicht.
Und von meiner Schwester, ach der ganze Mist…
Begnadet?
Das ist vielleicht die Sabine.
Keine Ahnung, wie die das macht.
Immer nett und freundlich, immer super gepflegt, und der Junge ist auch total nett, und gut in der Schule, und ihr Mann … sowas von …
Naja, bei mir war das ja nicht so mit den Männern, immer die falschen …
Nee, begnadet ist was anderes.
Vielleicht haben Sie sich ja in der Tür geirrt!
Zu mir kommt kein Engel des Herrn.
Zu mir kommt kein Engel des Herrn.
Vielleicht ist das ja auch deine tiefe Überzeugung.
Erstens geschieht das sowieso nur äußerst selten.
Und zweitens bin ich dafür nicht gut genug.
Nicht begnadet genug.
Ja, Maria, die reine Jungfrau!
Im schönen Gewand, schon mit Heiligenschein auf die Welt gekommen, im wohlaufgeräumten Zimmer gerade in die Lektüre der Bibel vertieft, als der Engel eintritt; das Ganze auf goldenem Hintergrund – so sehen die Darstellungen der Verkündigung oft aus.
Ganz weit weg von deinem und meinem Leben.
Da stimmt schon vorher alles.
Der Engel kann sich wohlfühlen; es ist ja schon fast wie im Himmel.
Er muss sich nicht über leere Weinflaschen, Krümel auf dem Boden und ungemachte Betten wundern.
Aber ich frage mich gerade: Wenn es in deinem Leben schon so wohlgeordnet und heilig wäre wie auf diesen Bildern – wozu brauchtest du dann noch einen Engel?
Nein, sagt der Engel, ich habe mich nicht in der Tür geirrt.
Und mit dem begnadet – das hast du falsch verstanden.
Es heißt: Du hast Gnade bei Gott gefunden.
Trotzdem, ich meine: gerade deshalb, weil bei dir nicht schon alles in Ordnung ist.
Du hast sie nötig, Gottes Gnade.
Und darum habe ich sie dir auch mitgebracht.
Gott ist gnädig mit dir.
Du musst nicht wie Sabine sein.
Oder wie Maria.
Du bist du.
Und du hast Gnade bei Gott gefunden.
Und, ach ja, was ich noch sagen wollte: Fürchte dich nicht!
Fürchte dich nicht vor dem Engel des Herrn an deinem Küchentisch!
Fürchte dich nicht vor dem Engel des Herrn in deinem Leben!
Fürchte dich nicht vor dem, was die Leute über dich sagen könnten!
Fürchte dich nicht vor Gottes Strafe!
Wenn er dir einen Engel schickt, dann nicht aus Zorn, sondern aus Freundlichkeit, Güte und Gnade!
Und fürchte dich nicht vor Gottes Wundern!
Du hast Gnade gefunden!
Du wirst schwanger werden!
Waaas? Ich?
Nein, nicht so wie Maria.
Du sollst jetzt kein Kind bekommen, und Jesus ist schon geboren.
Aber der Heilige Geist, der kommt auch in dein Leben.
Die Kraft des Höchsten wirft auch auf dich ihren Schatten.
Und auch in dir wächst etwas Neues heran, etwas Gutes, etwas Heiliges.
Du wirst noch blaue Wunder erleben.
(Übrigens: Blau sind die blauen Wunder deshalb, weil sie vom Himmel kommen.)
Was jetzt genau bei dir heranwächst, das kann ich dir gerade nicht so genau sagen.
Vielleicht sagt es dir der Engel des Herrn zu seiner Zeit.
Vielleicht hat es ja mit deiner Arbeit zu tun.
Oder mit deiner Schwester.
Oder mit den Weinflaschen.
Oder mit den Männern.
Oder mit noch ganz was anderem.
Auf jeden Fall darfst du Gott alles zutrauen.
Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.
Das hat der Engel auch gesagt.
Damals zu Maria.
Und zu all den andern an all den Küchentischen, an denen er uneingeladen aufgetaucht ist.
Gott ist kein Ding unmöglich.
Maria hat gesagt: Siehe, ich bin des Herrn Magd. Mir geschehe, wie du gesagt hast.
Des Herrn Magd – das klingt sehr heilig und sehr demütig.
Ich weiß nicht, ob du so heilig und so demütig bist.
Aber den zweiten Satz, das weiß ich, den hast du auch schon gesagt: Mir geschehe, wie du gesagt hast.
Wahrscheinlich hast du es so gesagt: Dein Wille geschehe.
Aber das ist ja dasselbe, nicht wahr?
Jedesmal wenn du das Vaterunser betest, sagst du, dass Gottes Wille geschehen soll.
Und natürlich soll er auch bei dir geschehen.
Und auch durch dich geschehen.

Wenn der Engel des Herrn in dein Leben tritt, wie ist das?
Vielleicht ist er ja unsichtbar.
Unausgeschlafen und ungeschminkt sitzt du an deinem Küchentisch.
In Bademantel oder Jogginghose.
Du räumst das Geschirr in die Spüle und die Weinflaschen in die Abstellkammer.
Machst dir einen Tee oder einen Kaffee.
Und plötzlich sagt er leise:
Du ich habe gerade Zeit für dich.
Fürchte dich nicht.
Gott meint es gut mit dir.
Und du legst deine Hände zusammen und sprichst leise die Worte, die du schon so lange kennst:
Vater unser im Himmel …
dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden …
und erlöse uns von dem Bösen …
Amen.