Sonntag, 1. Mai 2016

Predigt am 1. Mai 2016 (Sonntag Rogate)

So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen Bitten, Gebete, Fürbitten und Danksagungen darbringe für alle Menschen, für Könige und alle, die in hoher Stellung sind, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit; denn dies ist gut und angenehm vor Gott, unserem Retter, welcher will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Christus Jesus, der sich selbst zur Erlösung für alle gegeben hat.
1. Timotheus 2, 1-6a (Schlachter 2000)
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Beten, liebe Schwestern und Brüder, ist eine Zeichen von Schwäche. Mit jedem Gebet sage ich: „Mein Gott, ich schaffe es nicht allein. Ich brauche dich. Hilf mir. Ich bin zu schwach.“
Und Beten ist ein Zeichen von Stärke. Denn sich und andern und Gott einzugestehen, dass man schwach ist, das ist stark.
Dem Leben und seinen Problemen nicht gewachsen sein, zweifeln, verzweifeln, verzagen und klagen, das ist schwach.
Aber zu Gott gehen und zu sagen: „Ich bin schwach. Ich brauche dich. Hilf mir. Erbarme dich!“, das ist stark.
Gläubige sind schwach. Sie fühlen sich den Problemen der Welt nicht gewachsen. Sie merken, dass sie schon den allernächsten Menschen nicht retten können. Sie spüren, wie sie an sich selber scheitern: an mangelnder Ausdauer, Liebe und Geduld und am inneren Schweinehund. Sie erkennen, dass sie den großen Nöten der Welt erst recht nicht gewachsen sind: dem Krieg und dem Terror, den Flüchtlingsströmen, ihren Ursachen und ihren Folgen, der Zerrissenheit der Gesellschaft und der einzelnen, der Gottvergessenheit auf der einen und dem Gotteswahn auf der anderen Seite.
Manchmal wünsche ich mir, dass wir diese Schwäche stärker zeigen würden. Dass Kirche und Christen nicht so auftreten würden, als hätten sie die Weisheit mit Löffeln gefressen und als könnten sie die Welt retten.
Manchmal wünsche ich mir die Stärke der Bescheidenheit, das Eingeständnis, auch nicht besser zu wissen und zu können als alle anderen, die Stärke, einfach in Ruhe und Stille das zu tun, was wir tun können und sollen: Beten.
Beten – also unsere Schwäche vor Gott bringen und ihn machen lassen.
Das könnte unsere Stärke sein: Gottvertrauen statt Selbstvertrauen.
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So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen Bitten, Gebete, Fürbitten und Danksagungen darbringe...
Vor allen Dingen: beten.
Im Morgenlicht, in der Morgendämmerung oder im Morgendunkel noch bei Kerzenschein, je nach Jahreszeit, standen wir in der Kapelle und haben Morgengebet gehalten: unsere Studieninspektorin und zwei bis vier Studenten, später dann lange Zeit nur noch genau zwei: mein Freund Michael und ich. Noch eine halbe Stunde eher aufstehen als so schon, um vor allen Dingen zu beten: ganz traditionell das Morgengebet der Kirche, immer dieselben Worte und Gesänge, nur jeden Tag eine andere Lesung und ein anderes Gebet für den Wochentag. Vor allen Dingen. Vor allen anderen Dingen, die uns den Tag erwarteten, vor den Vorlesungen und den Diskussionen, vor dem Kaffee und den Zigaretten in den Vorlesungspausen, vor den Chorproben oder den Entscheidungen im Studentenrat. Vor allen Dingen stand das: Bitten, Gebete, Fürbitten, Danksagungen.
Heute ist für mich nur noch eine Schwundform davon geblieben: Luthers Morgensegen am Tagesbeginn. Manchmal auch das Morgengebet, das mich meine Großmutter gelehrt hat:
Wie fröhlich bin ich aufgewacht, wie hab ich geschlagen so sanft diese Nacht Hab Dank im Himmel, du Vater mein, dass du hast wollen bei mir sein. Behüte mich nun diesen Tag, dass mir kein Leid geschehen mag.
Und ein paar Worte und Gedanken zu Gott hin – vor allem.
Vor allen Dingen beten. Beten sollte das Erste sein. Und das Wichtigste.
Vor allen Dingen meine Schwäche vor Gott und vor mir eingestehen: Ich habe es nicht in der Hand, dass ich diesen Tag gut vollenden werde. Ich weiß nicht, ob ich den Aufgaben gewachsen bin, die auf mich zukommen, und den Menschen, die mir begegnen werden.
Vor allen Dingen beten – das macht mich stark für alle Dinge, die da kommen mögen.
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… Bitten, Gebete, Fürbitten und Danksagungen darbringen für alle Menschen, für Könige und alle, die in hoher Stellung sind …
Für alle Menschen: beten.
Die ganze Welt retten, das kann ich nicht. Für die ganze Welt beten, das kann ich.
Die Sprache ist so mächtig, dass sie alles umfassen kann, alles einschließen: Das All. Die Welt. Alle Menschen. – Wörter, in denen das Ganze ist. Die vielen einzelnen, die kann ich nicht sehen, das kann nur Gott. Das große Ganze überblicken, das kann ich auch nicht, das kann nur Gott. Aber das Ganze denken, das All in Worte und Gedanken fassen, das kann ich. Und manchen einzelnen kennen und nennen, das kann ich. Und ich kann es vor Gott.
Sonntag für Sonntag halten wir Fürbitte: für alle Menschen. In jedem Gottesdienst. Allgemeines Kirchengebet hieß das früher. Allgemein, weil wir gemeinsam für alle beten.
Manchem ist es manchmal zu allgemein. Aber du darfst das Allgemeine in deinem Mitbeten konkret werden lassen. Wir beten für die christliche Kirche, und du denkst vor Gott gerade an deinen Kirchenvorstand. Wir beten für die Kranken, und du denkst an diesen einen Menschen, dem es schon so lange so schlecht geht. Wir beten für die Regierenden, und du denkst an deine Bundeskanzlerin oder auch an deinen Bürgermeister.
Die allgemeinen Worte, die ich am Altar spreche sind Einladung zum konkreten Mitbeten.
Wir beten für alle, und wir beten für einzelne.
Und dann beten wir das Vaterunser: Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Und wir denken daran, was das ist, Gottes Wille: Gott will, dass allen Menschen geholfen werde. Gott will, dass alle Menschen gerettet werden.
Wir wollen das auch, aber wir können es nicht. Gott will es und kann es: alle Menschen retten.
Darum: Vor allen Dingen beten.
Für alle Menschen beten.
Damit gut wird, was wir nicht gut machen können.
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… damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.
In aller Frömmigkeit: beten.
Ist das das Ideal unseres Lebens: ein ruhiges und stilles Leben führen? Frömmigkeit? Ehrbarkeit?
Meines schon. Ja, ich möchte gerne ein Spießer sein. Meiner Arbeit nachgehen ohne zu viel Aufregung. Meine Ehe führen, bis der Tod uns scheidet. Sehen, dass meine Kinder glücklich und zufrieden sind. Manchmal mit Freunden essen und trinken. Singen und spielen. Mich an Himmel, Bergen und Meer freuen. Niemandem Schaden und Leid zufügen. Und an Jesus glauben und zu Gott beten, ohne dafür gehasst oder verfolgt zu werden.
Mir ist ein Lied eingefallen aus der DDR-Zeit, von Gisela Steineckert, das war damals recht populär: Der einfache Friede.
Wenn ein Gras wächst, wo nah ein Haus steht,
und vom Schornstein steigt der Rauch,
soll'n die Leute beieinander sitzen,
vor sich Brot und Ruhe auch,
und Ruhe auch.
Das ist der einfache Frieden,
den schätze nicht gering.
Es ist um den einfachen Frieden
seit Tausenden von Jahren
ein beschwerlich Ding.
Wo ein Mann ist, soll eine Frau sein,
dass da eins das andre wärmt,
solln sich lieben und solln sich streiten,
von der Angst nicht abgehärmt,
nicht abgehärmt.
Das ist der einfache Frieden,
den schätze nicht gering.
Es ist um den einfachen Frieden
seit Tausenden von Jahren
ein beschwerlich Ding.
Das Lied hat dann noch zwei weitere Strophen im gleichen Stil.
Ja, so ähnlich ist das, was ich habe und wie ich leben will: der einfache Friede. Er ist gut und meistens selbstverständlich. Und doch für so viele ein beschwerlich Ding.
Ich denke an die vielen, die unterwegs sind zu uns oder schon da, weil sie genau das suchen: den einfachen Frieden, ein ruhiges und stilles Leben. Und ich denke auch an die, die bei den einfachen Dingen des Lebens, Haus und Brot, Mann und Frau, Ball und Kind, Leben und Tod keinen Frieden finden
Ich bin unendlich dankbar, dass ich so ein Leben führen kann: ruhig und still, in Frömmigkeit und Ehrbarkeit.

Ich möchte Gott danken für das alles, was gut ist, immer und immer wieder.
Und ich möchte Gott bitten, dass es für alle gut wird,
dass allen geholfen wird, dass alle gerettet werden, dass alle Frieden finden.

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