Sonntag, 6. Oktober 2013

Predigt am 6. Oktober 2013 (Erntedanktag)

Jesus lehrte seine Jünger und sprach: „Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen und wo die Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist dein Herz.
Das Auge ist das Licht des Leibes. Wenn dein Auge lauter ist, so wird dein Leib ganz licht sein. Wenn aber dein Auge böse ist, so wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis sein!“
Matthäus 6, 19-23


Liebe Schwestern und Brüder,
ich erinnere mich, wie ich als junger Mann ein Mädchen verehrt habe. Leider konnte ich damals nicht sehr viel dafür tun, denn ich war als Bausoldat bei der Nationalen Volksarmee und konnte wochen- und monatelang nicht nach Hause fahren. Also schrieb ich Briefe. Und wartete sehnsüchtig auf Antwort. In einem Antwortbrief stand dann dieser Satz, den ich bis heute nicht vergessen habe: „Mein Herz ist bei …“ Ja, da war ein anderer näher als ich, mit dem sie sich schon lange gut verstanden hatte. Bei dem war ihr Herz. Den hat sie später auch geheiratet, und ich glaube, das war gut so. Trotzdem: Mein Herz war bei ihr, und es hat wehgetan, dass ihr Herz nicht bei mir war.
Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz, sagt Jesus. – Wir können den Satz auch umdrehen: Wo dein Herz ist, da ist dein Schatz. – Ich muss nur in mein Herz schauen oder auf mein Herz hören, um festzustellen, wo mein Schatz ist, was für mich wirklich ein Schatz ist. Also: Was mir wirklich wertvoll ist, was Bedeutung hat in meinem Leben, wofür ich Zeit und Geld aufwende, wofür ich bereit bin Opfer zu bringen – das ist mein Schatz.
Wenn ich über beide Ohren verliebt bin und Tag und Nacht nur an diese eine Person denke, dann ist es klar, wo mein Herz ist, und dass sie mein Schatz ist.
Wenn ich ein paar Jahre mit ihr zusammengelebt habe, dann nenne ich sie vielleicht immer noch „Schatz“; aber ob sich mein ganzes Denken und Fühlen nur noch um sie dreht? – Ich weiß es nicht. – Aber vielleicht ist es ja wirklich so. Das merke ich, wenn mein Schatz, der eigentlich immer um mich ist, mal ein paar Tage nicht da ist. Er fehlt mir. Wir haben uns aneinander gewöhnt, wir können eigentlich nur schlecht ohneeinander, wir sind einander Schätze.
Aber eigentlich, wissen wir, ist das eine Metapher, ein Bild. Bei Schätzen, da denken wir doch eher an Truhen voll Gold und Silber. Wer einen solchen märchenhaften Schatz findet, der hat ausgesorgt. Er kann glücklich und zufrieden leben bis ans Ende seiner Tage.
Jesus selber erzählt so eine Schatzsuchergeschichte (Matthäus 13, 44): Da findet einer auf dem Feld, wo er arbeitet, einen Schatz. Sein Herz schlägt bis zum Hals, und sein Denken und Fühlen ist nur noch bei diesem Schatz. Wie kann er ihn gewinnen? – Er verkauft alles, was er hat, um dafür den Acker kaufen zu können, wo der Schatz verborgen liegt. – So gewinnt er den Schatz, so hat er ausgesorgt, so ist er glücklich und zufrieden. – So ist das Himmelreich, sagt Jesus.
Wo gibt es solche Schätze, an die es sich lohnt, sein Herz zu verschenken? Wo gibt es Schätze, mit denen wir ausgesorgt haben, wenn sie unser sind?
Jesus warnt vor falschen Schätzen. Vor verderblichen Schätzen. – Im doppelten Sinne verderblich:
Sie können selber verderben. Motten und Rost fressen sie. Sie verlieren ihren Wert. – Und sie können uns verderben, weil wir unser Herz an sie gehängt haben, und am Ende doch mit leeren Händen dastehen.
Verderbliche Schätze: Die Lebensmittel, die am Erntedankfest unsere Kirche schmücken, zum Beispiel sind verderbliche Schätze. Wir können sie nicht aufbewahren, nicht horten. Wir müssen sie verbrauchen, möglichst schnell. – Morgen gleich werden wir sie ins Kinderhaus nach Valle de San Lorenzo bringen, das wir jetzt unterstützen.
Eine moderne Deutung für die Schätze, die von Motten und Rost zerfressen werden, habe ich vor ein paar Jahren mal gehört: Es sind die Schätze der Männer, die von Rost zerfressen werden. Sie stehen üblicherweise in der Garage. Und es sind die Schätze der Frauen, die von Motten zerfressen werden. Sie hängen üblicherweise im Kleiderschrank.
Es sind verderbliche Schätze. Ein Auto muss nur an den Kunden ausgeliefert sein, und schon hat es an Wert verloren. Nach ein paar Jahren gebe ich es für wenige Tausender ab und kaufe mir für viel mehr Tausender ein neues. – Das ist kein wirklicher Schatz. Autos – abgesehen von echten Oldtimern – taugen nicht als Wertanlage oder als Schatz. Es lohnt sich nicht, sein Herz daran zu hängen.
Ein Kleidungsstück kann dir heute gefallen und morgen Aufsehen erregen, aber nächstes Jahr kannst du es fast schon nicht mehr anziehen. – Auch das ist kein wirklicher Schatz. Die Mode kommt und geht, und wenn du ehrlich bist, kannst du zwei Drittel deines Kleiderschranks wegschmeißen, weil du die Dinger nie wieder anziehst.
Verderbliche Schätze. Ebenso wie die ganze Computer- und Kommunikationstechnik. – Ich wundere mich immer wieder, wenn die Fans von Apple bei jedem neuen iPhone Schlange vor den Läden stehen, so wie sie schon letztes und vorletztes Jahr Schlange gestanden haben. Da merkt man doch, wie ihre Schätze innerhalb kürzester Zeit ihren Wert verlieren. Und auch wenn wir nicht ganz so extrem sind, es geht uns ja ähnlich. Mein fünf Jahre altes Netbook kann ich eigentlich wegschmeißen. Mein Handy ersetze ich normalerweise nach zwei Jahren. Meinen Schreibtischcomputer nach drei bis vier.
Inzwischen ist es so, dass es uns auch immer schwerer fällt, uns Schätze auf der Bank oder wo auch immer zu sammeln. Die Zinsen werden von der Inflation aufgefressen. Ob wir in Aktien, Gold oder Immobilien investieren, überall müssen wir fürchten, in eine Blase zu geraten, die bald platzt. – Das hat auch mit einer verfehlten Geldpolitik in Amerika und Europa zu tun.
Wenn das unsere wahren Schätze wären, wenn wir daran unser Herz hängen würden: an Gold und Silber, Edelsteine, an Häuser und Paläste, an Technik, die begeistert, oder an Schönheit, die vergeht, dann wären wir wirklich arm dran. – Das alles sind verderbliche Güter: Sie verderben, und sie verderben unser Herz. Sie machen uns nicht reicher, sondern immer nur ärmer.
Ihr sollt mich nicht falsch verstehen: Ich will das alles nicht schlecht machen. Es geht nur um die Relation. All diese Dinge: Nahrung und Kleidung, Wohnung und Technik, Gut und Geld – das alles brauchen wir, das alles sind Lebens-Mittel. Aber ihren Wert haben sie nicht in sich selber, sondern darin, dass wir sie gebrauchen und verbrauchen.
Wenn wir ein gutes Essen genießen, am besten in Gemeinschaft mit anderen, dann ist das großartig, und wir sollen es von Herzen genießen.
Wenn wir was Schönes anzuziehen haben, dann sollen wir uns mit anderen daran herzlich erfreuen. Warum denn nicht?
Wenn wir ein gutes Auto haben, dann mögen wir Wege fahren, die uns Freude machen, und am besten noch andere mitnehmen. Von Herzen gerne!
Und wenn wir mit unseren Smartphones und Computern Freundschaften pflegen, Kontakt mit unseren Familien halten und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, dann möge uns das ein Herzensanliegen sein!
Versteht ihr? – Diese Dinge sind Lebens-Mittel. Sie dienen dazu, unser Leben schöner, besser, reicher zu machen. Und nicht nur unseres, sondern auch das unseres Nächsten, unseres Mitmenschen. Aber wir sollen unser Herz nicht an die Dinge hängen, nicht an die Lebens-Mittel, sondern an das Leben selbst, dem sie dienen. Es ist am Ende nicht das Smartphone, sondern die Beziehung, die ich damit pflege; nicht das Auto, sondern der Weg, den ich damit fahre; nicht das Kleidungsstück, sondern die Schönheit des Augenblicks; nicht die Nahrung, sondern die Esskultur und Tischgemeinschaft, die wertvoll sind.
Das Erntedankfest ist der Tag, wo wir Gott besonders für seine guten Gaben, für die Lebensmittel im weitesten Sinne danken. Aber zugleich werden wir daran erinnert, dass diese Mittel nicht die wahren Schätze sind.
Wo ist dein Herz? Wo ist dein Schatz? – Am Anfang habe ich von Liebe gesprochen, von Menschen, die sich ihr Herz schenken und die einander Schätze sind. – Ich glaube, dass in Wahrheit keine toten Dinge, sondern lebendige Menschen unsere Schätze sein sollten – und das Leben, das wir mit lebendigen Menschen teilen.
Und ich glaube, dass am Ende der lebendige Gott unser Schatz sein will, der sein Leben mit uns teilt.
Die Bibel gebraucht an wenigen Stellen ein ganz besonderes Bild für Christus und seine Gemeinde: Braut und Bräutigam. Die Braut, die christliche Gemeinde, hat ihren Schatz im Himmel. Und der Bräutigam, Christus, hat seinen Schatz hier auf Erden.
Das Schlimmste für ihn wäre, dass wir ihm sagen: „Mein Herz ist bei … – jedenfalls nicht bei dir.“ Und das wäre auch das Schlimmste für uns: dass unser Herz nicht bei ihm ist, sondern woanders, wo wir nicht glücklich werden können, weil es nur vergängliche Schätze sind, an die wir unser Herz verschwenden.
Wir feiern gleich miteinander Abendmahl. Da heißt es: Erhebet eure Herzen. Und unsere Antwort heißt: Wir erheben sie zum Herren. – Ja, da sollen sie sein unsere Herzen: beim Herrn. Denn er ist unser größter Schatz. Amen.

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