Liebe Brüder, seid nicht Kinder, wenn es ums Verstehen geht; sondern seid Kinder, wenn es um Böses geht; im Verstehen aber seid vollkommen. Im Gesetz steht geschrieben (Jesaja 28, 11. 12): "Ich will in andern Zungen und mit andern Lippen reden zu diesem Volk, und sie werden mich auch so nicht hören, spricht der Herr." Darum ist die Zungenrede ein Zeichen nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen; die prophetische Rede aber ein Zeichen nicht für die Ungläubigen, sondern für die Gläubigen. Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen? Wenn sie aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, der würde von allen geprüft und von allen überführt; was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter euch ist.
1. Korinther 14, 1-3. 20-25
Liebe Schwestern und Brüder,
„Im Urlaub eure Gemeinde haben –
das ist wie Urlaub im Urlaub“, sagte uns mal jemand. – Das tut
gut, das baut auf.
„Ich habe bei der Bibellesung ganz
genau zugehört und da ist mir etwas aufgefallen ...“ – Mit
diesen Worten beginnt ein Gemeindeglied ein privates
Gottesdienstnachgespräch mit dem Pfarrer, und wir merken: Er hat da
etwas ganz Wichtiges für sich und seinen Glauben kapiert. – Das
tut gut, das baut auf.
„Gottesdienst – das ist doch
eigentlich auch ein Abenteuer, ein heiliges Abenteuer“, sagt der
kleine Jonay, vier Jahre, der seit kurzem zu Andrea in den Kindergottesdienst auf La Gomera geht. Man
spürt seine kindliche Begeisterung – sozusagen eine heilige
Begeisterung. – Das tut gut, das baut auf.
„Herr Pfarrer, Ihre Worte waren genau
für mich in meiner Situation bestimmt. Ich danke Ihnen.“ – So
was zu hören – und hin und wieder habe ich so was gehört und viele meiner Pfarrkollegen ebenso, – das tut gut, das baut auf.
Und das ist es genau, warum wir Kirche
sind, warum wir Gemeinde sind: Dass bei uns und durch uns Menschen
aufgebaut werden. Dass sie in unseren Worten Gottes Wort hören und
verstehen. Dass sie die heilige Begeisterung spüren, dass Gott da
ist, mitten unter uns. Dass sie erfahren: Wir sind angenommen – als
Menschen unter Menschen, als Schwestern und Brüder unter
Mitchristen, als geliebte Kinder von unserem Gott.
Wie wird unsere Kirche, wie wird die
christliche Gemeinde so: so auferbauend für Menschen, Christen,
Gotteskinder?
Der Apostel Paulus schreibt: Strebt
nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten
aber um die Gabe der prophetischen Rede!
Genau das ist es,
was die Gemeinde aufbaut, was uns als Kirche erbaulich sein lässt –
im besten Sinne: die Liebe, die Gaben des Geistes, das
prophetische Wort.
Ich möchte euch
zeigen, was damit gemeint sein könnte, wobei ich das größte
Gewicht auf den letzten Punkt legen möchte, weil der Apostel das in
unserem Abschnitt ebenfalls tut.
(1) Wir bauen einander auf durch die
Liebe.
Wie zentral die
Liebe ist, das hat Paulus in den Zeilen unmittelbar zuvor deutlich
gemacht: da steht das so genannte Hohelied der Liebe, ein Bibeltext,
der so bekannt und schön ist, dass er sicher auch manchem von euch
vertraut ist:
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete
und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine
klingende Schelle … usw. Kurz: Ohne Liebe wären all unsere
Worte, all unsere Taten, auch alle Gottesgaben an uns vergeblich,
nutzlos, wertlos.
Die Liebe ist langmütig und freundlich, die
Liebe eifert nicht … usw. Kurz: Die Liebe ist ganz beim
Nächsten, beim anderen Menschen.
Und schließlich: Die Liebe hört
niemals auf … Und wir kennen sicher auch den Schlussvers: Nun
aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist
die größte unter ihnen. Also: Die Liebe hat Ewigkeitswert, sie
ist das Unvergängliche, das Absolute; alles andere ist relativ und
vergänglich.
Und weil das so
ist, weil die Liebe das Absolute ist, weil die Liebe ganz beim
anderen Menschen ist, und weil ohne die Liebe alles andere umsonst
ist, darum steht die Liebe auch in diesem nächsten Kapitel, wo es um
den Gemeindeaufbau geht, an der ersten Stelle: Menschen und
Gemeinschaften aufzubauen, das geht nur mit Liebe.
Die Liebe ist das umfassende
Lebensprinzip der christlichen Gemeinde. Alle Gaben und Aufgaben in
der Gemeinde, haupt- und ehrenamtliche Mitarbeit, das sind
Teilaufgaben, die hängen von den Fähigkeiten, den Talenten der
einzelnen ab. Aber was auch immer deine besondere Fähigkeit, deine
Aufgabe, dein Platz in der Gemeinde sein mag: du sollst ihn mit Liebe
ausfüllen.
Wie das konkret geschehen kann, dazu
könnte ich noch viel sagen. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass
ihr dazu das meiste schon selber wisst. Darum belasse ich es für
heute einfach bei dem Satz des Apostels: Strebt nach der Liebe!
(2) Wir bauen einander auf durch die
Gaben des Geistes.
Pfingsten ist noch
nicht lange her. Pfingsten hat uns daran erinnert, dass Gott uns
seinen Geist gibt. Gott ist gegenwärtig in unseren Herzen und in
unserem Miteinander durch den Heiligen Geist.
Wie zeigt sich das?
– Die Christen in Korinth, an die Paulus schreibt, waren der
Meinung: vor allem durch Geistesgaben, durch Charismen. Und so war
die Gemeinde in Korinth, wenn man so will, die erste charismatische
Gemeinde der Kirchengeschichte. Mit allen Problemen, die es in
charismatischen Gemeinden bis heute gibt: Diskussionen, welche
Geistesgaben am wichtigsten sind, Konkurrenz um die richtige Lehre
und die richtigen Lehrer, manchmal chaotische Zustände in den
Gottesdiensten und Versammlungen, aber auch viel Begeisterung und
viel Beteiligung der einzelnen.
Eine Gefahr in
charismatischen Gemeinden und Bewegungen ist, dass das Spektakuläre
in den Vordergrund gestellt wird, das Außerordentliche, das Wunder.
Da wirkt der Heilige Geist am stärksten, so meint man leicht, wo die
ungewöhnlichsten Dinge passieren: Kranke geheilt werden, Menschen
unter der angeblichen Kraft Gottes umfallen oder – das war damals
wie auch heute mancherorten am verbreitetsten –, wo Menschen in
Zungen reden, in unbekannten Sprachen, in unverständlichen Worten
und Silben, die zwar keiner versteht, die aber den, der da spricht,
glücklich machen.
Diese sonderbare
Art zu reden oder zu beten muss nicht schlecht sein, sagt der
Apostel. Und auch wir müssen das nicht von vornherein ablehnen, nur
weil es uns fremd vorkommt. Nein, es ist ja wohl ein Ausdruck dessen,
dass unsere gewöhnlichen Worte, unsere normale Sprache, unsere
beschränkte Begrifflichkeit nicht ausreicht, die Größe und das
Geheimnis Gottes auszudrücken und zu preisen. Zungenrede kann in der
Tat ein Ausdruck von Begeisterung sein, ja, von heiliger
Begeisterung. Sie kann, wie Paulus schreibt, auch wirklich
auferbauend sein – aber eben nicht direkt für die Gemeinde, sondern für den einzelnen.
Wie zeigt sich
Gottes Geist? – Nein, eben nicht in erster Linie durch das, was
spektakulär ist. Gottes Geist zeigt sich in der Liebe – über die
habe ich eben schon gesprochen – und er zeigt sich in Klarheit und
Verständlichkeit – darüber werde ich gleich noch etwas sagen.
Die Gaben des
Geistes, das sind gerade nicht nur so wundersame Dinge wie Zungenrede
und Krankenheilung, sondern eben auch das rechte Wort zur rechten
Zeit oder Zuhörenkönnen, die Fähigkeit, Menschen zu führen und
eine Gemeinschaft zu leiten oder aber auch zu dienen und sich in eine
Gemeinschaft einzufügen.
Bemüht euch um die Gaben des
Geistes, schreibt Paulus. Wir
können es auch so verstehen: Entdeckt und gebraucht Gottes Gaben,
die in euch stecken, um einander in Liebe aufzubauen.
(3) Wir bauen einander auf durch das
prophetische Wort.
Letzte Woche habe
ich gesagt: Wir müssen uns als Kirchenleute nicht zu Propheten
aufschwingen, sondern unsere Aufgabe ist es, Gottes Wort aus der
Heiligen Schrift sorgfältig auszulegen. Nun ist aber doch von
Paulus das prophetische Wort in der Gemeinde gefordert. Bemüht
euch … um die Gabe der prophetischen Rede!
Was prophetische
Rede ist und kann, wird aus dem Zusammenhang deutlich. Prophetische
Rede hat immer mit Verstehen zu tun. Prophetische Rede ist es,
wenn Menschen verstehen, was Gott sagen will, und wenn es Menschen
gelingt, das für andere verständlich zu machen.
Der große Kummer
des Apostels im Blick auf seine Korinther ist, dass sie das
Unverständliche besser finden als das Verständliche. Sie sind
begeistert von der unverständlichen Zungenrede, dabei bringt die
doch keinen Gewinn für die Gemeinde. Dass Gott verständlich zu Wort
komme, darum soll es gehen! Das baut die Gemeinde auf!
Das baut die
Gemeinde auch dadurch auf, dass es Außenstehenden was bringt. Denn
was geschieht, fragt Paulus, wenn ein Außenstehender zu euch in die
Gemeinde, in den Gottesdienst kommt? Macht er auf der Schwelle kehrt,
weil er nur unverständliches Zeug hört? Oder bleibt er gebannt auf
der Schwelle stehen, weil die Worte, die er hört, ihn treffen, ihn
ansprechen, ihn berühren, weil sie ihn mit der Wirklichkeit Gottes
in Berührung bringen?
Und gerade da wird dieser
Text für uns aktuell. Mit der Frage: Wie verständlich sind wir
als christliche Gemeinde für andere? Wie geht es einem Menschen, der
zum ersten Mal oder nach langer Zeit mal wieder in unseren
Gottesdienst kommt? Hört und versteht er nur Bahnhof bzw. Phrasen
und Formeln in der „Sprache Kanaans“, der altertümelnden Sprache
christlich-frommer Tradition, die für ihn ja eine unbekannte Sprache
ist? Oder hört und versteht er, dass er gemeint ist, dass es um sein
Leben geht, darum dass Gott ihn berühren und verändern will?
Gewiss, wir halten
ganz bewusst manche alten Formulierungen und sogar fremdsprachige
Stücke in unserem Gottesdienst lebendig. Das hat gute Gründe:
Wir
drücken damit aus, dass manche Worte unersetzbar sind, und dass wir
sie sagen müssen, auch wenn sie außerhalb der Kirche kaum noch
gebraucht werden: Worte wie Sünde und Gnade, wie Heiligkeit und
Ewigkeit, wie Erbarmen oder Heil.
Wir drücken damit aus, dass wir es
mit einer Wirklichkeit zu tun haben, die größer und weiter ist als
die Wirklichkeit dieser Welt, und darum brauchen wir auch andere
Worte als die, die wir für unseren Alltag in der Welt gebrauchen.
Und wir drücken damit auch aus, dass wir verbunden sind mit denen,
die vor uns geglaubt haben und Worte für ihren Glauben gefunden
haben: so singen wir auch ihre Lieder und sprechen auch ihre Gebete.
Das hat seinen guten Sinn, der sich auch erschließen kann, wenn
wir an anderen Stellen ganz bewusst in verständlichen Worten reden.
Darin sehe ich ganz
besonders meine Aufgabe als Prediger: Gottes Wort in verständlichen
Worten weitersagen.
Es ist aber nicht
allein meine Aufgabe. Es ist Aufgabe eines jeden Christen, seinen
Glauben verständlich zu leben; auskunftsfähig zu sein über seinen
Glauben. So sind wir manchmal sogar prophetische Boten des
Gotteswortes. So bauen wir uns als Gemeinde auf. So sind wir
einladend. So wecken wir Begeisterung.
Wenn wir von der
Liebe bestimmt sind, wenn Gottes Geist uns begabt, wenn wir verstehen
und verständlich werden, dann sind wir begeisternd, einladend,
aufbauend. – Die Beispiele, die ich am Anfang gesagt habe, wo
Menschen positiv auf unsere Worte, auf unsere Gottesdienste, auf
unsere Art, als Gemeinde zu leben, reagieren, sie zeigen, wie das
sein kann – wie das sein kann, wenn Gottes Geist unter uns wirkt. –
Das tut gut, das baut auf.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen