Ich sandte die Propheten nicht, und doch laufen sie; ich redete nicht zu ihnen, und doch weissagen sie. Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren.
Bin ich denn nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe? spricht der HERR. Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt? spricht der HERR.
Ich höre es wohl, was die Propheten reden, die Lüge weissagen in meinem Namen und sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt. Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weissagen und wollen, dass mein Volk meinen Namen vergesse über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt, wie auch ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal? Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen? spricht der HERR. Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?
Jeremia 23, 16-29
Liebe
Schwestern und Brüder,
„Das
war ein ganz cooler Gottesdienst. Die Pfarrerin hat genau gesagt, was
ich denke.“ – Worte mit denen meine Frau von dem Gottesdienst
erzählt hat, den wir am letzten Sonntag miterleben durften. – Ein
cooler Gottesdienst also, weil die Pfarrerin sagt, was ich selber
denke und empfinde. Da fühle ich mich aufgehoben, angenommen,
bestärkt und bestätigt. Ja, so hätten wir es doch alle gern, oder?
Die Pfarrerin oder der Pfarrer spricht uns aus dem Herzen, sagt, was
wir selber denken, nur mit noch schöneren Worten. Und so gibt die
Religion unserem Leben eine höhere Weihe.
Nur,
wer sagt uns, dass das, was wir denken und empfinden, auch das ist,
was Gott uns sagen will? Ist Gottes Wort eine verbale Kuschelmassage
für unsere Seele? Oder ist Gottes Wort nicht viel mehr wie ein
Feuer und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt? – Das
jedenfalls sind die Worte unseres Predigttextes. Das sind die Worte
des Propheten Jeremia. Das sind die Worte, die er als Gottes Wort
verkündet.
Jeremia
hat es schwer. Er würde auch gerne Wohlfühlpredigten halten, seinen
Zuhörern Bestätigung geben und ihrem Leben religiöse Weihe
verleihen. Aber er darf nicht. Jeremia hat einen anderen Auftrag von
Gott. Er ist zum Unheilspropheten berufen. Zu einer Zeit, als es
ausnahmsweise mal friedlich aussah und es den Menschen im Land Juda
ziemlich gut ging, sollte er den Untergang ankündigen: Es wird nicht
so bleiben. Wiegt euch nicht in falscher Sicherheit. Vertraut nicht
auf die Politik der Regierenden; sie wird euch ins Verderben führen.
– Damit stand er ziemlich allein da. – Es gab ja noch mehr
Propheten und Priester, Zukunftsforscher und politische Analysten.
Sie alle sagten etwas anderes. Das, was sich die Menschen wünschen:
Alles wird immer besser. – Jeremia sagte das Gegenteil: Das Ende
ist nahe.
Manchmal in der Bibel,
gerade beim Propheten Jeremia, hat man den Eindruck: Der rechte
Prophet, der wirklich den Willen Gottes sagt, das ist der
Unheilsprophet. Wer den Menschen Gutes verkündigt, steht von
vornherein im Verdacht, nur die Herzenswünsche der Menschen zu
bedienen …
Aber
ist es so? Wer Unheil und Untergang verkündigt hat Recht? Wer den
Menschen die Seele streichelt, liegt verkehrt?
Heute
scheint es manchmal fast schon umgekehrt zu sein: Pfarrer und
Kirchenvertreter predigen Unheil und Untergang. So lange ich mich
erinnern kann, wird immer alles noch schlimmer: Früher hatten wir
lokale Umweltprobleme, weil ein Industriebetrieb zu viel Dreck
ausgestoßen hat; heute ist die ganz große Katastrophe dank
Klimawandel angesagt. Seit Jahrzehnten hören wir, wie die Schere
zwischen Arm und Reich immer größer wird und wie Hunger, Elend und
Krankheit in großen Teilen der Welt immer weiter zunehmen. Und
natürlich ist das immer alles unsere Schuld. Den anderen geht es
schlecht, weil es uns gut geht. Und wir sind es natürlich auch, die
die eigenen Lebensgrundlagen zerstören. – Inzwischen gilt schon
derjenige von vornherein als böse, der das infrage stellt: der böse
Klimaleugner, der doch tatsächlich nicht nur behauptet, sondern
wissenschaftlich begründet, dass der Klimawandel auch andere als
menschengemachte Ursachen haben könnte; der böse Neoliberale, der
doch tatsächlich glaubt, dass auch die Armen reicher werden, wenn
die Reichen reicher werden … – Alles wird schlimmer, die
hausgemachten Probleme der Menschen nehmen zu und führen in den
Untergang – das ist die heutige Mainstreambotschaft, die sich auch
die Kirchenleute zu eigen gemacht haben. – Aber sagen sie damit
nicht einfach nur das, was sowieso alle denken – so wie zur Zeit
Jeremias die falschen Propheten auch nur den Leuten nach dem Munde
geredet haben? – Mir scheint, es ist ganz folgerichtig, dass sich
die Menschen von der Kirche abwenden: Wozu muss ich dorthin gehen,
wenn der Pfarrer mir das sagt, was ich ohnehin schon wusste, weil es
die Leute von Greenpeace und von der Gewerkschaft genau so sagen?
Zur
Zeit Jeremias mangelte es an Unheilspropheten, die den Menschen
sagten, wie es wirklich um sie stand – aus Gottes Sicht. Fehlen uns
heute die Heilspropheten?
Ach
nein, die gibt es ja auch zur Genüge. Das ist die andere Seite des
Mainstreams: die Seelenstreichler und Verkünder einer
Wohlfühlspiritualität: Lass
es dir gut gehen, dann geht es dir gut! Sei wie du bist! Folge deinem
Herzen, höre auf deine Träume! Usw. Einen Gott, der etwas von dir
fordert, einen Gott, der dich gar prüfen oder strafen könnte, den
gibt es nicht – Gott bewahre!
Wisst
ihr, was die modernen Unheils- und Heilspropheten miteinander
verbindet? – Ihre Gottvergessenheit, ihre Gottlosigkeit. Ihr
Maßstab ist immer nur der Mensch: Was der Mensch dem anderen und der
ganzen Schöpfung Böses tun kann – so schafft er sich selber das
Unheil; und was der Mensch sich selbst und anderen Gutes tun kann –
so schafft er sich das Heil. Das Heil, das von Gott kommt, ist nicht
mehr so wichtig. Und dass von Gott Unheil kommen könnte, das wird
gleich ganz und gar geleugnet.
Insofern
steht Jeremia quer zu unserem Zeitgeist, auch zu unserem
christlich-religiösen Zeitgeist. Sein alleiniges Maß ist Gott:
Gottes Wort, das er hört. Gottes Wort, das er sagen muss, auch wenn
es wehtut; das er sagen muss, auch wenn es ihm selber wehtut. Gottes
Wort, das nicht besänftigt, das nicht beruhigt, sondern das wie
ein Feuer ist und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt.
Trotzdem
haben wir es – im Vergleich mit Jeremia – gut: Wir haben Gottes
Wort in klarerer und verlässlicherer Form als er, der
alttestamentliche Prophet, den das Wort Gottes überkam,
überwältigte, ohne dass er einen Beweis, eine Bestätigung dafür
hatte. Es bestätigte sich erst Jahre später, als das prophezeite
Unheil eintraf. Im Gegenüber zu den anderen Priestern und Propheten
stand Jeremias Aussage allein gegen die der anderen, die sich ja auch
auf Gott beriefen. Eine Minderheitsmeinung, die man leicht abbügeln,
niedermachen, ausgrenzen konnte; so wie man den Propheten selber
abgebügelt, niedergemacht und ausgegrenzt hat. Was wahr ist und was
falsch, was Gott sagt und will, das kann man halt nicht per
demokratischer Mehrheitsentscheidung bestimmen. Das zeichnet gerade
die Propheten und Wahrheitsboten aus, dass sie als einzelne gegen den
Rest standen, bevor man ihnen im Nachhinein Recht gab. – Wir haben
es insofern gut, dass Gottes Wort für uns eine verlässliche,
nachprüfbare Form angenommen hat: Wir haben die Bibel als Maßstab.
Wir können an ihr überprüfen, was Gottes Wort und Wille ist und
was nicht.
Genau
genommen aber ist Gottes Wort nicht Buchstabe, sondern Fleisch
geworden. Wir haben Jesus Christus, der für uns der verlässliche
Maßstab ist. Es mag ja oft genug unklar sein, wie wir die Bibel als
Gottes Wort auszulegen haben. Dann ist Jesus Christus, seine Worte
und seine Werke, der Maßstab für uns.
Wir
haben es auch deshalb gut, weil wir – im Unterschied zu Jeremia –
keine Propheten sein müssen. Manche Pfarrer und Kirchenvertreter
machen es sich extra schwer, weil sie meinen, sie hätten einen
prophetischen Auftrag. – Nein, Propheten, das sind immer nur
einzelne, denen in besonderen Situationen ein besonderer Auftrag
zukommt. Einer der wenigen, die ich außerhalb der Bibel einen
Propheten nennen würde, ist Martin Luther gewesen. Er war es genau
deshalb, weil er neu auf Gottes Wort gehört und Gottes Wort neu
verstanden und gesagt hat.
Wir
Pfarrer und Kirchenleute haben natürlich auch Gottes Wort zu sagen.
Wir tun es, indem wir die Bibel auslegen. Indem wir sorgfältig
darauf achten, was Gott einmal sagen wollte und was er womöglich
heute sagen will. Das ist manchmal redliche Mühe und Arbeit. Das ist
manchmal Inspiration und Ergriffenheit. Wie Propheten auftreten und
sagen: „So spricht der HERR“, das werden wir wohl eher nicht.
Aber darauf vertrauen, dass der Herr durch uns spricht, das schon.
Und dass sein Wort etwas bewirkt, wie ein Feuer und wie ein Hammer,
der Felsen zerschmeißt.
Und ob
es dann Zustimmung oder Widerspruch bewirkt, das ist gar nicht mehr
so wichtig. Wichtig ist, dass es an uns arbeitet und uns verändert,
so wie Gott selber es haben will. Zu unserem Heil. Amen.
Eine sehr schöne Predigt - vielen Dank!
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