Dies ist's, was
Jesaja, der Sohn des Amoz geschaut hat über Juda und Jerusalem: Es
wird zur letzten Zeit der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen,
höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden
werden herzulaufen und sagen: „Kommt lasst uns auf den Berg des
HERRN gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine
Wege und wir wandeln auf seinen Steigen!“ Denn von Zion wird
Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. Und er wird
richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden
sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln
machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben
und sie werden hinfort nicht mehr lernen Krieg zu führen.
Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!
Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!
Jesaja 2, 1-5
Liebe Gemeinde,
„Schwerter zu Pflugscharen“ – dieses biblische
Motto, in diesem Logo, dieser bildlichen Darstellung, ist seit über
30 Jahren das Symbol der Ökumenischen Friedensdekade, die in vielen
Kirchengemeinden in Deutschland jeweils im November begangen wird.
Die Bibelstelle, die in diesem Logo angegeben ist, Micha 4,3, ist
eine Parallelstelle zu unserem heutigen Predigttext: Im Buch des
Propheten Micha findet sich fast wortgleich dieselbe Weissagung, die
wir soeben aus dem Buch des Propheten Jesaja gehört haben. Micha und
Jesaja wirkten gleichzeitig in Juda und Jerusalem, so dass wir nicht
mehr wissen, wer dieses Wort zuerst gesagt hat. Aber das ist
letztlich auch egal.
„Schwerter zu Pflugscharen“ – das war damals die Vision einer
Welt, in der sich keiner mehr vor anrückenden Heeren, vor
Belagerung, Hunger, Plünderung, Vergewaltigung und vor schwer zu
gewinnenden Kämpfen gegen übermächtige Gegner fürchten musste.
Diese Vision hat zu allen Zeiten fasziniert.
1959 schenkte die Sowjetunion der UNO eine Bronzeskulptur, die das
Umschmieden eines Schwertes zu einer Pflugschar bildlich darstellt –
als Symbol des angeblichen Friedenswillens der damaligen UdSSR.
Ein Bild dieser Skulptur wurde 1980 die Mitte in diesem Logo der
Friedensdekade und dann überhaupt der Friedensbewegung in der DDR.
Es war ein Geniestreich oder wohl eher noch ein Blitz des göttlichen
Geistes, der damals den sächsischen Jugendpfarrer Harald
Bretschneider auf die Idee brachte, das Bibelwort und diese
sowjetische Darstellung miteinander zu verbinden und das ganze 1980
zunächst als Lesezeichen auf Vliesstoff drucken zu lassen. Denn –
so die clevere Überlegung –: gegen ein Friedenssymbol, das die
Sowjetunion selbst verwendet hatte, konnte der damals noch
sowjethörige DDR-Staat ja schwerlich etwas haben.
Nachdem einige
Jugendliche begonnen hatten, das Lesezeichen-Symbol auszuschneiden
und sich auf ihre Jeansjacken und Parkas zu nähen, ließ man im
nächsten Jahr gleich Aufnäher drucken, die dann in großer Zahl von
christlichen, pazifistischen und DDR-kritischen Jugendlichen getragen
wurden. – Auch der Druck auf ein Textilmaterial war ein genialer
Schachzug, denn normalerweise unterlag alles, was in der DDR gedruckt
wurde, der staatlichen Druckgenehmigung, auf Deutsch: der Zensur. Nur
nicht der Textildruck …
Auch ich bin damals mit so einem Aufnäher rumgelaufen. Das ging
nicht lange gut. In der Schule wurde verlangt, ich sollte den wieder
entfernen. Ich schrieb eine Stellungnahme dazu, mein Vater ebenfalls.
Daraufhin wurden wir zu einem Gespräch beim „Rat des Kreises“
bestellt. Man heuchelte Verständnis und versuchte gleichzeitig uns
einzuschüchtern. Mit Sicherheit war auch jemand von der Stasi dabei.
Wir beriefen uns auf die verfassungsmäßig garantierte Religions-
und Meinungsfreiheit und auf den erklärten Friedenswillen der DDR.
Das half aber nichts. Kurz darauf ließ unser Landeskirchenamt
mitteilen, dass es die Träger des Aufnähers nicht mehr vor
staatlichen Sanktionen würde schützen können. Und so trennte ich
schweren Herzens den Aufnäher wieder ab von meinem Parka.
„Schwerter zu Pflugscharen“ – das war für uns damals ein so
wichtiges Symbol, weil wir die Zuspitzung der militärischen
Konfrontation zwischen Ost und West damals hautnah erlebten. Die
Sowjetunion stationierte Atomraketen auch in der DDR – was wir
freilich nur aus den Westmedien wussten – und die Amerikaner
drohten mit der Nachrüstung in der Bundesrepublik – die dann auch
kam. Wir alle fürchteten den baldigen Atomtod. Dazu erlebten wir,
wie in der Schule ein neues Unterrichtsfach eingeführt wurde:
Wehrkunde. Die vormilitärische Ausbildung in und neben der Schule
nahm immer größere Ausmaße an. – So konnte es nicht weitergehen.
Und so erinnerten wir an die biblische Friedensvision: Schwerter zu
Pflugscharen, Spieße zu Sicheln … Waffenarsenale, die uns alle
hätten mehrfach umbringen können, sie konnten doch keinen Frieden
schaffen – so dachten wir. Sie fraßen nur Ressourcen auf, und sie
fraßen unsere geängsteten Seelen auf.
Wir träumten den
Traum vom Frieden und von einer angstfreien Welt – bis dieser Traum
begann wahrzuwerden. Ende der 80-er Jahre lenkte Gorbatschow ein, und
die Atomraketen konnten abgezogen werden. Das System aus Angst und
Zwang, das uns gefangenhielt, brach zusammen. Und das nicht zuletzt
der Menschen wegen, die sich für Frieden und Gewaltlosigkeit
eingesetzt hatten. Die wenige Jahre zuvor „Schwerter zu
Pflugscharen“ gefordert hatten, das waren dieselben, die bei den
Demonstrationen 1989 „Keine Gewalt!“ riefen.
Eine schöne
Geschichte, wie biblische Visionen wahr werden – so könnte man
meinen. Und doch kann dieselbe Geschichte auch ganz anders erzählt
werden:
Die sowjetische
Supermacht rüstete auf, versuchte sich militärische Vorteile zu
verschaffen und so vielleicht keinen Krieg auszulösen, aber den
Druck auf den Westen zu erhöhen. „Schwerter zu Pflugscharen“,
dargestellt durch die bekannte Skulptur in New York, das war eine
propagandistische Lüge. Man hatte in der Vergangenheit schon vom
Friedenskampf gesprochen und doch die Freiheitsbewegungen in den
eigenen Vasallenstaaten mit militärischer Gewalt niedergeschlagen:
in der DDR, in Ungarn, in der Tschechoslowakei. Auch der Bau der
Berliner Mauer vor 50 Jahren gehört in diese Geschichte hinein. Man
war durchaus auch bereit, die eigene Einflusssphäre mit Gewalt
auszuweiten, zuletzt in Afghanistan.
Dieser Bedrohung
der freien Welt war nur durch konsequentes Dagegenhalten beizukommen.
So kam es zum Nato-Doppelbeschluss, zur Nachrüstung, zum
militärischen Gegendruck seitens des Westens, einschließlich der
Stationierung von amerikanischen Atomraketen in Westdeutschland.
Gegen den Druck
einer Friedensbewegung, die sich auch im Westen auf die Vision von
Jesaja und Micha berief, hielten Politiker wie Helmut Schmidt und
sein Verteidigungsminister Hans Apel, beide evangelische Christen,
oder später Helmut Kohl, der katholischer Christ ist, an der Politik
der Nachrüstung fest. Der Westen war
nicht erpressbar, und der Sowjetunion gelang es nicht, eine
Überlegenheit zu gewinnen. Im Gegenteil: auch das militärische
Gegenhalten des Westens hat dazu beigetragen, dass die sowjetische
Wirtschaft dem Wettrüsten nicht mehr gewachsen war und letztlich –
natürlich auch aus anderen Gründen – kollabierte, und dann
schließlich das ganze kommunistische System, das in wenigen Monaten
vollständig zusammenbrach.
Auf der einen Seite
also Visionäre, die von einer Welt ohne Waffen träumten. Auf der
anderen Seite Realpolitiker, von denen einer sogar gesagt hat, wenn
er Visionen habe, gehe er zum Arzt. Wer von ihnen hat mehr bewirkt?
Wer von ihnen hat die Welt stärker verändert? – Für mich ist das
überhaupt keine rhetorische Frage. Sie ist nicht einfach zu
beantworten.
Es ist ja auch
nicht so, dass sich die Realpolitiker weniger auf die Bibel berufen
könnten als die Visionäre. Wir lesen in der Bibel auch von der
Verantwortung der Regierenden, die Menschen mit dem Schwert vor dem
Bösen zu schützen. Wir lesen von Kriegen, die im Namen des Herrn
geführt wurden – mit Schwert und Spieß. Selbst Jesus Christus,
den wir den Friedensfürst nennen, hat Schwert und Verfolgung
angekündigt.
Wir kriegen beides
nur zusammen, wenn wir darauf achten, wovon jeweils die Rede ist, von
welcher Zeit, von welchen Umständen.
Die Vision von
Jesaja und Micha spricht von der letzten Zeit, von der Zeit des
Gottesreiches, wenn sich alle Wünsche, Verheißungen und Visionen
einer heilen Welt erfüllt haben werden. Es ist eine ganz
merkwürdige Formulierung im hebräischen Urtext: im Rücken der
Tage heißt es da wörtlich. Es sind diese fernen kommenden Tage
eben nicht die, die man klar vor sich sieht; klar vor Augen liegen
viel mehr die vergangenen Tage. Die kommenden Tage der Erfüllung
liegen nicht in unserem Blickfeld. Sie kommen nur auf dem Weg der
gottgeschenkten Vision in den Blick. Ich sehe was, was du nicht
siehst, sagt der Prophet, weil Gott ihm einen Blick gibt für das,
was normalerweise nicht in unserem Blickfeld liegt, sich gleichsam
hinter unserem Rücken befindet.
Die Realpolitiker
sollten sich nicht an Visionen orientieren, sondern an dem, was klar
vor ihren Augen liegt, an dem, was die Erfahrung lehrt, was machbar
ist, was dem Maß menschlicher Vernunft und Einsicht entspricht,
sonst sind sie keine Realpolitiker.
Und wir Christen
stehen gewissermaßen dazwischen. Wir sind Bürger zweier Reiche, des
kommenden Gottesreiches, wo Krieg und Waffengewalt ausgedient haben.
Und wir sind Bürger eines politischen Gemeinwesens und Bürger einer
Welt, in der es immer noch und immer wieder nötig ist, den
Gewalttätern mit Gewalt zu widerstehen, und denen, die uns und
unsere Nächsten mit Waffen bedrohen, ebenfalls mit Waffen entgegenzutreten.
Die Ereignisse der
letzten Tage und Wochen zeigen eher, wohin es führt, wenn der Gewalt
nicht mit entschlossener Gegengewalt begegnet werden kann. In
Norwegen hat es offenbar zu lange gedauert, bis eine Einsatztruppe überhaupt bewaffnet und in Bewegung gesetzt war, um dem Mörder von Utøya
Einhalt zu gebieten. In den britischen Städten fühlten sich die
kriminellen Chaoten offenbar ermutigt durch eine unbewaffnete
Polizei, die erst nach nächtelangen Krawallen in Erwägung zog, auch
nur Wasserwerfer einzusetzen.
In
der letzten Zeit, im Rücken der Tage –
da sind wir offenbar noch nicht. Wir leben in einer Welt, in der der
ewige Frieden noch immer eine Vision ist. Dass diese Vision wahr wird, dazu wäre es nötig, dass
alle mitmachen beim Umschmieden der Waffen. Dazu wäre es nötig,
dass alle Heiden
zum Gott Jakobs, zum Gott Israels, zum Gott Jesu kommen, um von ihm
Frieden zu lernen – diese Hinwendung der Völker zum lebendigen
Gott, das ist ja Teil der prophetischen Vision. Im Moment sieht es
aber eher danach aus, dass sie sich gegen ihn wenden und gegen, die,
die sich an ihn halten, Juden und Christen.
Wir
aber sind gerufen zum Licht
des Herrn. Das
heißt, wir sind gerufen: die Vision vom ewigen Frieden lebendig zu
halten. Und mehr noch, wir sind gerufen, diesen Frieden schon hier
und jetzt zu leben.
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