Guten Morgen, liebe Hörerinnnen und Hörer,
jeder Tag im Kalender ist ein besonderer Tag. Jedes Datum ist mit Erinnerungen an Menschen und Ereignisse verbunden. So hat jeder von uns seinen Geburtstagskalender, mit Hilfe dessen wir uns an Menschen erinnern, die uns so wichtig sind, dass wir ihnen wenigstens einmal im Jahr Gutes wünschen wollen. Die katholische Kirche hat seit alten Zeiten einen Heiligenkalender, in dem die Todestage mehr oder weniger bedeutender Menschen verzeichnet sind, derer man zumindest einmal im Jahr gedenken sollte. In der evangelischen Kirche gibt es auch so etwas Ähnliches, auch wenn es kaum bekannt ist; wir haben es ja bekanntlich nicht so sehr mit den Heiligen. Aber wenn ich in meinen Pfarrerkalender schaue, dann werde ich doch jeden Tag an wichtige und interessante Menschen und Ereignisse erinnert, und das möchte ich diese Woche auch hier an dieser Stelle machen: an Ereignisse und Menschen, ja einmal sogar an einen Engel, erinnern, die in dieser Woche ihre Gedenktage haben.
Heute zum Beispiel steht ein etwas seltsamer Name in meinem Kalender: Hermann der Lahme. Dazu eine Jahreszahl: 1054. Am 24. September 1054 ist er im Alter von 41 Jahren gestorben. Sein Beiname der Lahme gibt zu erkennen, dass er behindert war, nämlich spastisch gelähmt, so dass er zeit Lebens nicht gehen konnte und auch nur schwer verständlich sprechen konnte. Trotzdem war er einer der bedeutensten Gelehrten seiner Zeit. In einer Zeit, in der Gelehrsamkeit überhaupt erst wieder zählte – denn damals, im 11. Jahrhundert wurde aus dem “finsteren” Mittelalter, das gebildete Mittelalter –, da beschäftigte er sich mit Astronomie und Mathematik und brachte das von den Arabern überlieferte Wissen der Antike ins christliche Abendland zurück. Er schrieb auch eine bedeutende Chronik seiner Zeit. Und darüber hinaus war er Musikwissenschaftler, Komponist und Dichter von frommen Lobgesängen.
Hermann, Sohn eines oberschwäbischen Grafengeschlechts, lebte von Kindheit an im Kloster Reichenau, weshalb er auch unter dem Namen Hermann von Reichenau bekannt ist. Mit seiner Behinderung hätte er sonst kaum eine Chance gehabt. Aber gerade die Versorgung, die Sicherheit und, ja, die geistige Freiheit, die ihm das christliche Kloster zu dieser Zeit bieten konnte, hat ihn zu dem gemacht, der er geworden ist: ein Mensch, der trotz der Grenzen seiner körperlichen Möglichkeiten die geistigen Möglichkeiten entfalten konnte, die in ihm steckten, ein Mensch, der die Wissenschaftsgeschichte mitgeschrieben hat, ein Mensch, der Gott mit seiner Musik gelobt hat, ein Mensch, der noch heute in unseren Kalendern steht. Ein Mensch, an dessen Lebensmut und Gottvertrauen wir uns ein Beispiel nehmen können.
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