Sonntag, 11. Mai 2014

Predigt am 11. Mai 2014 (Sonntag Jubilate)

Paulus stand mitten auf dem Areopag und sprach: „Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt. Ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: ‚Dem unbekannten Gott‘. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt. Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt. Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen, damit sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: ‚Wir sind seines Geschlechts‘. Da wir nun göttlichen Geschlechts sind, sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich den goldenen, silbernen und steinernen Bildern, durch menschliche Kunst und Gedanken gemacht. Zwar hat Gott über die Zeit der Unwissenheit hinweggesehen; nun aber gebietet er den Menschen, dass alle an allen Enden Buße tun. Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis richten will mit Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat jedermann den Glauben angeboten, indem er ihn von den Toten auferweckt hat.“
Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, begannen die einen zu spotten; die andern aber sprachen: Wir wollen dich darüber ein andermal weiterhören. So ging Paulus von ihnen. Einige Männer schlossen sich ihm an und wurden gläubig; unter ihnen war auch Dionysius, einer aus dem Rat, und eine Frau mit Namen Damaris und andere mit ihnen.
Apostelgeschichte 17, 22-32



Liebe Schwestern und Brüder,
einmal im Monat setzen wir über. Mit der Fähre. Von Teneriffa nach Gomera. Im Gepäck haben wir Gottesdienstbücher, Abendmahlsgerät und Bibel. Und einen Plan für den Kindergottesdienst und ein Predigtmanuskript. Unterwegs im Auftrag des Herrn. Unterwegs mit dem Wort Gottes.
In meinem Regal steht in der zweiten Reihe ein Buch mit dem schönen Titel Das Wort setzt über*. Das ist mir wieder eingefallen, als ich den Predigttext von Paulus in Athen gelesen habe.
Mit den Worten seiner jüdischen Bibel im Herzen und den Worten und Taten von Jesus Christus im Gedächtnis ist der Apostel unterwegs im Auftrag des Herrn. Übergesetzt mit dem Fährschiff von Kleinasien nach Mazedonien und weitergewandert in die Metropole Athen.
Das Wort setzt über von einem Ufer zum anderen. Von einer Insel zur andern. Von einem Kontinent zum andern. Von einer Kultur zur anderen.
Vor drei Jahren sind wir übergesetzt. Mit dem Flugzeug. Von Deutschland auf die Kanaren. Die wichtigsten Dinge, darunter Bibel und Gottesdienstbücher, im Gepäck; alles andere kam per Schiff hinterher. Unterwegs im Auftrag des Herrn. Damit das Wort Gottes auch hier gesagt und verstanden wird: auf Deutsch für die Deutschen, auf Evangelisch nicht nur für die Evangelischen.
Das Wort setzt über. Was Paulus tut, was wir tun, ist Über-Setzen: Wir setzen das Wort über. Wir übersetzen das Wort.
Aus dem Hebräischen und Griechischen, den Sprachen der Bibel ins Deutsche. Da haben andere vorgearbeitet, gewiss. Aber das Übersetzen geht weiter: Vom Lutherdeutsch in modernes Deutsch. Wir fahren hin und her – von einem Ufer der Sprache zum andern. Damit es auch ankommt bei euch, das Wort, ohne unterwegs unterzugehen, Schaden zu nehmen.
Und die Ufer sind weiter auseinander als etwa die zwischen heutigem Spanisch und heutigem Deutsch. Denn es sind nicht nur die Ufer von verschiedenen Sprachen, sondern die Ufer von verschiedenen Jahrtausenden, die Ufer von verschiedenen Kulturen.
Wir sind am Mittwoch in unserem Bibelgespräch auf ein Beispiel gestoßen: Buße tun steht da in einer Übersetzung; Umdenken steht in einer anderen. Was steht im Griechischen da? – Ein Wort, das man wörtlich mit Umdenken übersetzen kann und sachlich mit Buße tun. Aber es ist schwer herauszufinden, woran die Menschen damals gedacht haben, als sie das gehört haben und was wir uns heute dabei denken sollen. Umdenken klingt progressiv, dem Neuen zu gewandt. Buße tun klingt konservativ, nach Rückkehr zum Altbewährten. Gemeint ist in jedem Fall, dass Menschen sich in ihrem Denken und Handeln zu Gott hin wenden sollen. Und wie sah das damals konkret aus? Und wie sieht das aus für uns heute? – Das müssen wir immer wieder neu übersetzen. Und wenn es uns gelingt, dann hat das Wort übergesetzt – aus der hellenistischen Antike in die europäische Postmoderne.
Wenn wir die Erzählungen aus der Apostelgeschichte lesen und hören, so wie heute, dann schauen wir dem Wort gewissermaßen beim Über-Setzen zu. Wir hören, wie Paulus zum Fährmann des Wortes wird. Er setzt das Wort über von Jerusalem nach Athen, von den Juden zu den Griechen, von den Orientalen zu den Europäern.
Und das Übersetzen beginnt in seinem Herzen. Ganz der jüdische Mensch, geprägt von der strengen Gewissheit: der HERR ist unser Gott, der HERR allein, und außer ihm ist keiner, macht es ihn zornig, all die Götterstatuen, Tempel und Heiligtümer Athens sehen zu müssen; sie sind ihm nichts als heidnische Götzenbilder. Aber dann hat er auch die andere Seite seines Herzens wahrgenommen: Die Seite des unruhigen und suchenden Menschen, der seinen Halt sucht in der Religion. Wie könnte ich mir Gott verständlich machen, wenn ich ihn nicht schon kennen würde?, fragt er sich. Ich müsste dem Unbekannten, das ich suche, einen Namen geben.
Und so spricht er dann auch die Athener an: als religiös suchende Menschen und nicht als üble Götzendiener.
Wenn Paulus zu seinen jüdischen Glaubensgeschwistern kommt, dann muss er mit ihnen nicht über die Existenz Gottes diskutieren und darüber, ob er die Welt geschaffen hat, da geht’s eher darum, wie wir Menschen Gott gefallen können. Aber unter griechischen Menschen, die mit der Götterwelt Homers leben, die sich inzwischen einerseits mit der Vielfalt ägyptischer und asiatischer Gottheiten vermischt hat und andererseits von den populären Philosophenschulen nicht mehr ernst genommen wird, unter solchen Menschen muss er seinem Gott, dem einen, wahren Gott, zunächst Platz verschaffen. Oder viel mehr: Er muss zeigen, dass er eigentlich schon da ist und seinen Platz hat. Paulus bringt nicht Gott zu den Menschen, sondern er übersetzt Gottes Wort für die Menschen, so dass sie ihn finden können: mitten in Athen, oder wo auch immer.
Paulus übersetzt das Wort von Gott dem Schöpfer der Welt mit großer Treffsicherheit ins griechische Denken. Schon lange war der große Sokrates eben dort in  Athen wegen Atheismus – Gottlosigkeit – zum Tode verurteilt worden; er hatte die alten Götter Griechenlands nicht mehr ernst genommen, sondern glaubte an die ewige Idee des Guten. Schon lange hatte sein Schüler Platon über einen Schöpfergott nachgedacht, der die Welt nach ewigen Ideen gestaltet haben musste. Schon lange hatten die Philosophen der Stoa davon gesprochen, dass Gott als schöpferische und vernünftige Urkraft die Welt durchwaltete und vom Menschen zu spüren und zu finden sei, weil der Mensch ja mitten darin lebt. Und schon lange hatte der Dichter Kleanthes jenen Hymnus gedichtet, aus dem Paulus zitiert: Wir sind von Gottes Geschlecht.
Daran knüpft Paulus an. So setzt er das Wort über ins griechische Denken, und er ist verstanden worden. So gut, dass es bis heute keine christliche Theologie gibt, die nicht auch Spuren der griechischen Philosophie in sich trägt.
Und doch sagt Paulus etwas, was in Athen zuvor noch keiner gesagt hat. Er spricht von Jesus, durch den Gott nicht mehr nur eine vage Schöpfer- und Vernunftidee ist, sondern Mensch mit Fleisch und Blut. Ohne den Namen zu nennen, spricht er von Jesus Christus.
Ohne ihn geht es nicht. Denn er selbst ist das Wort, das übersetzt. Vom Himmel zur Erde, von Gott zu den Menschen. Wir erinnern uns: Weihnachten: Das Wort ward Fleisch.
Das Wort setzt über: Es kommt ein Schiff, geladen bis an sein höchsten Bord, trägt Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewigs Wort.
Gottes Wort setzt über ins Leben Jesu und seiner Nachfolger. Gottes Wort setzt über in die Welt der Sterblichen und stirbt. Gottes Wort setzt über vom Tod ins Leben.
Paulus spricht von Jesus, von seinem Tod und von seiner Auferstehung, und er spricht von Gottes Gericht.
Wir spüren, dass diese Worte wie Fremdkörper auf die Athener wirken. Hier regt sich Spott und Widerspruch und sie brechen das Gespräch ab. Auferstehung und Gericht lassen sich nicht so einfach in griechisches Denken und Empfinden übersetzen. – Vielleicht ist es ja nicht mal ein Wunder, dass Auferstehung und Gericht bis zu uns heute schwer verdauliche Glaubensaussagen sind, an denen wir uns immer noch und immer wieder mit unseren Übersetzungsversuchen abarbeiten.
Aber auch diese Glaubensaussagen sollen bei uns ankommen, damit wir bei Gott ankommen.
Denn das ist die andere Seite des Übersetzens, dass wir übersetzen zu ihm. Dass wir von unserem Ufer aufbrechen und uns von Ihm, Jesus Christus, Gottes Wort, mitnehmen lassen an Gottes Ufer. – Und vielleicht ist das auch eine mögliche Übersetzung von Umdenken oder Buße tun.
Gottes Wort setzt über ins Leben der Menschen und macht sie zu Jesu Nachfolgern. Einige schlossen sich Paulus an und wurden gläubig, Dionysius und Damaris und andere mit ihnen. Sie haben einen Fährmann gefunden, der sie übersetzt vom Ufer des religiösen Suchens und Tastens, vom Ufer des unverbindlichen Poly- und Atheismus zum Ufer des Glaubens an den lebendigen Gott.
Vielleicht haben sie, als sie von der Auferstehung hörten, an einen anderen Fährmann gedacht, den sie aus den griechischen Mythen kannten: Charon, der die Verstorbenen ans andere Ufer ins Reich der Toten bringt. Und vielleicht konnten sie so verstehen, dass Jesus Christus auch so ein Fährmann ist, nur dass er sie umgekehrt aus dem Reich des Todes hinübersetzt ins Reich Gottes, ins ewige Leben.
Das Wort setzt über. Es setzt über zu uns. Wir setzen es über. Wir übersetzen es. Und wir lassen uns von ihm übersetzen.
Ja, wir sind unterwegs als Übersetzer und Fährleute im Auftrag des Herrn und wir möchten euch gerne mitnehmen.
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* Joachim Dachsel: Das Wort setzt über. Theologie für Mündige, Meditation, Erzählung, Versuch, Biographie; Berlin 1986.

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