Sonntag, 3. März 2013

Predigt am 3. März 2013 (Sonntag Okuli)

HERR, du hast mich überredet und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich. Denn sooft ich rede, muss ich schreien; „Frevel und Gewalt!“ muss ich rufen. Denn des HERRN Wort ist mir zu Hohn und Spott geworden täglich. Da dachte ich: Ich will nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich’s nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen.
Denn ich höre, wie viel heimlich reden: „Schrecken ist um und um!“ „Verklagt ihn!“ „Wir wollen ihn verklagen!“ Alle meine Freunde und Gesellen lauern, ob ich nicht falle: „Vielleicht lässt er sich überlisten, dass wir ihm bekommen können und uns an ihm rächen.“
Aber der HERR ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen. Sie müssen ganz zuschanden werden, weil es ihnen nicht gelingt. Ewig wird ihre Schande sein und nie vergessen werden.
Und nun, HERR Zebaoth, der du die Gerechten prüfst, Nieren und Herz durchschaust: Lass mich deine Vergeltung an ihnen sehen; denn ich habe dir meine Sache befohlen.
Singet dem HERRN, rühmet den HERRN, der des Armen Leben aus den Händen der Boshaften errettet!
Jeremia 20, 7-13


Liebe Schwester, lieber Bruder,

warum glaubst du an Gott?


Weil es dir vernünftig erscheint? Weil du weißt, von nichts wird nichts, und einer muss das alles geschaffen haben? Und weil aus toter Materie kein lebendiger Geist entspringen kann, also muss die Welt aus Gottes lebendigem Geist kommen und mit seinem Geist erfüllt sein?

Glaubst du an Gott, weil es Sinn macht? Weil es sich besser anfühlt, wenn hinter deinem kleinen Leben und hinter dem großen Weltlauf ein sinnvoller Plan steht? Nach Gottes Plan wird auch dein Leben einen Sinn haben?


Oder glaubst du an Gott, weil wir ihn brauchen, um einigermaßen anständig und gerecht in der Welt leben zu können? Wenn Gott nicht Gute belohnen und Böse bestrafen und letztlich immer wieder dem Guten zum Sieg verhelfen würde, dann sähe es böse aus? Und ist es nicht so, dass eine Gesellschaft, die Gott vergisst, auch vergisst, was Gut und Böse ist?


Vielleicht glaubst du aber auch an Gott, weil du dir Sorgen machst um deine Seele? Was kommt nach dem Tod? Muss da nicht einer sein, der dafür sorgt, dass es nicht mit mir endgültig zu Ende ist? Brauche ich nicht einen, der mich am Ende annimmt, auch wenn mein Leben nicht perfekt war?


Oder brauchst du Gott einfach, um dich wohl zu fühlen, sicher zu fühlen, angenommen und aufgehoben, was auch immer geschieht?


Wie auch immer du die Frage für dich beantwortest: Warum glaubst du an Gott? – Das alles sind gute Gründe.


Und doch werden manche vielleicht noch eine ganz andere Antwort geben. Sie werden sagen: Ich verstehe die Frage gar nicht. Gott ist da. Unausweichlich. Er ist mir begegnet. Ich kann gar nicht nicht glauben.


Vor ein paar Monaten habe ich hier über das Buch einer jungen Frau gesprochen, Esther Maria Magnis*, der es so ergangen ist, als ihr Vater sterben musste – und ein paar Jahre später auch noch ihr Bruder: Sie hat mit Gott gekämpft, ihn angeschrien, ihn für einen Sadisten gehalten. Aber sie konnte nicht nicht glauben. Gott war für sie unausweichlich da. Auch wenn es ihr anders lieber gewesen wäre.

Gott ist da, und es ist nicht gut: Weil es eben nicht vernünftig ist, was er tut. Weil es keinen Sinn macht. Weil es ihm offenbar egal ist, wer gut und wer böse ist. Und weil er auch Gläubige Menschen unendlich leiden lässt.


Schrecklich ist’s, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. Steht in der Bibel.


Jeremia ist dem lebendigen Gott in die Hände gefallen. Und es ist schrecklich für ihn. Gott hat ihn zum Propheten berufen, und er konnte nicht Nein sagen. Er hatte keine Chance. Gott hat ihn überredet, aber eigentlich könnte es auch heißen: verführt, überlistet, überwältigt. Und dann hat er ihn nicht mehr losgelassen. Wenn Jeremia sagte: „Ich will nicht mehr“, dann sagte Gott: „Du musst weiter machen.“ Jeremia allein ist Gottes Stimme damals. Würde er verstummen, dann würde Gott verstummen. Das geht nicht. – Jahrzehnte nach seinem Tod erkennen sie, dass er der einzige war, der damals richtig gelegen hat, der damals Gottes Wort gesagt hat und nicht die schönen Träume, die sie hatten: erst den schönen Traum, dass Juda und Jerusalem verschont werden würde von den Babyloniern unter Nebukadnezzar II., dann den schönen Traum, dass es eine schnelle Rückkehr der nach Babylon Verschleppten geben würde. – Aber hinterher sind immer alle klüger.


Jeremia steht allein gegen alle. Das mutet Gott ihm zu. Spott, Ignoranz, Widerspruch, Anklagen, Gefangenschaft, Verschleppung – das alles muss er erleben. Er allein. Im Kapitel zuvor wird erzählt, wie Jeremia vom obersten Priester geschlagen und für eine Nacht in den Block geschlossen wird. Früher schon lesen wir von einem gescheiterten Mordanschlag. Später muss er erleben, wie die Aufzeichnungen seiner Worte vom König vor seinen Augen Seite für Seite den Flammen übergeben werden. Und er selber wird in eine ausgetrocknete Zisterne gesperrt. Er erlebt die Zerstörung Jerusalems, und er erlebt, wie sie auch dann noch nicht auf Gottes Wort hören, das er sagt. Einer allein gegen den Rest.


Das ist eine wichtige Erkenntnis: Es ist nicht immer die Mehrheit, die Recht hat. Wo es um Gut und Böse geht, wo es um Recht und Unrecht geht, wo es um Wahrheit und Lüge geht, da kann man nicht demokratisch entscheiden. Wo wir es mit Gott zu tun bekommen, da können wir nicht abstimmen. Und da muss zur Not ein einzelner der Mehrheit widerstehen.


So wie wir es vergangene Woche in kleiner Runde in dem Film über Sophie Scholl gesehen haben, die mit wenigen Freunden den Mut hatte, Unrecht Unrecht zu nennen und der Mehrheitsmacht des Bösen zu widerstehen.

Oder so wie jener einzelne Augustinermönch, der die Wahrheit über Gottes Gnade neu entdeckte, seine Thesen veröffentlichte und verteidigte, und sich wenig später vor dem Kaiser zu verantworten hatte: Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen.

Menschen wie Jeremia, wie Sophie Scholl, wie Martin Luther konnten nicht anders, weil sie Gott in die Hände gefallen waren. In der Stimme ihres Gewissens sprach er überlaut. Sophie Scholl hat mit dem Leben bezahlt. Bei Jeremia oder Martin Luther hätte es leicht dahin kommen können.


Gott hat etwas Zwingendes, er ist unausweichlich. Aber – ich glaube, es ist letztlich doch Gnade, ihm in die Hände zu fallen. Denn Gott ist nicht nur der, der unsere Seele zu sich zwingen kann, er ist auch der, der allein unsere Seele bewahren und retten kann: gegen die Stimmen der Mehrheit, gegen Spott, Ignoranz und Widerspruch, gegen Anfeindung und Anfechtung, gegen Gefahr und Tod.


Jeremia sagt dieses Aber auch: Aber der HERR ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen. Es kann sein, dass Gott mich durch die Hölle führt. Aber er führt mich nicht nur hinein, sondern auch wieder hinaus.


So wie er Jesus Christus zur Hölle geschickt hat – hinabgestiegen in das Reich des Todes – und wieder heraus: am dritten Tage auferstanden von den Toten. So ist Gott bei mir. Schrecklich – und dann doch gnädig und barmherzig, geduldig und von großer Güte.


Warum glaubst du an Gott? – Aus vernünftigen und ehrenwerten Gründen? Oder weil du einfach nicht nicht glauben kannst? Weil du ihm in die Hände gefallen bist? Weil er dich ergriffen hat? – Dann weißt du vielleicht auch, dass das schrecklich sein kann, dass es mit ihm nicht nur gute Tage gibt. Du sollst aber auch wissen, dass du eben niemandem anders in die Hände gefallen bist als ihm: Gott, der dich braucht. Gott, der dich will. Gott, der dich liebt. Und der dich nicht fallen lässt aus seiner Hand.


* Esther Maria Magnis, Gott braucht dich nicht: Eine Bekehrung, 2012.

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