Sonntag, 24. März 2013

Predigt am 24. März 2013 (Palmsonntag)


Nachdem Jesus zu seinen Jüngern geredet hatte, hob er seine Augen auf zum Himmel und sprach:
Vater, die Stunde ist da: verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche; denn du hast ihm Macht gegeben über alle Menschen, damit er das ewige Leben gebe allen, die du ihm gegeben hast. Das ist das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den, den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen. Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue. Und nun, Vater,  verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.
Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. Nun haben sie erkannt, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt. Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast.
Johannes 17, 1-8


Liebe Schwestern und Brüder,

wie ist das, wenn meine Stunde gekommen ist, wenn ich weiß, dass ich in Kürze sterben werde? Wie ist das für die, die bei mir sind? – Vielleicht wissen es alle und keiner spricht es aus. Man redet um den heißen Brei. Belanglosigkeiten bis zum Schluss. Und die Angst oder die Erwartung, dass es zu Ende geht, schnürt ihnen die Kehle zu, und mir auch. Was ist jetzt noch zu sagen? Welche Worte können uns jetzt tragen, uns Halt geben? – Wie gut, wenn uns die richtigen Worte gegeben werden! Wie gut, wenn wir gelernt haben zu beten!

Jesu Stunde ist gekommen. Nur noch eine kleine Zeit, dann werden sie auseinander gehen, Jesus und seine Jünger. Und die Dinge werden ihren Lauf nehmen, so wie andere es beschlossen haben, so wie letztlich Gott es über ihn beschlossen hat. Die jetzt bei ihm sind, wollen es immer noch nicht wahrhaben, reden drumherum und spüren es doch von Minute zu Minute deutlicher, dass es so kommen wird – unvermeidlich. Es ist das Abschiedsmahl von Jesus. Jedes Wort hat Gewicht. Jesus sagt, was tragen wird, was Halt geben wird – auch nach jener Stunde. Er spricht von dem, was war, mehr aber noch von dem, was ist und was sein wird und bleiben wird. Er spricht von der Liebe, vom Abschied und vom Wiedersehen, von der Erinnerung und vom Trost. Er spricht von Gott, seinem Vater und er spricht von dem Tröster, dem Heiligen Geist, durch den er bei ihnen sein wird, auch wenn er nicht mehr da ist.

Es sind gute Worte für einen christlichen Abschied. Es sind die Themen, die auch für mich als Pfarrer in die Seelsorge an Sterbenden und Trauernden gehören: die Liebe, die über den Tod hinaus verbindet. Der Abschied und die Hoffnung auf ein Wiedersehen. Die Erinnerung an das Erdenleben, das nun zu Ende geht, und was diesem Leben Sinn und Fülle gegeben hat. Die Frage: Was kann uns trösten? Und die Frage nach Gott, der schon da ist, wo der Sterbende hingeht, und der zugleich auch hier war und hier ist, wo wir zurückbleiben.

Jesus hält sich und den Seinen gewissermaßen selber die Trauerrede. Und am Ende spricht er sich selber das Aussegnungsgebet. Er betet für sich und er betet für seine Hinterbliebenen, für seine Jünger.

Das Besondere an seinem Reden und an seinem Beten ist: Alles bekommt vor Gott einen neuen, einen tieferen Sinn. So soll es sein – idealerweise –, wenn wir beten: Vor Gott bekommt alles seinen tieferen Sinn: unser Leben, unser Sterben, unser Leiden, unser Scheitern, was wir sind und was wir haben.

Dieses Gebet Jesu macht die Situation klar und durchsichtig für das Eigentliche.

Jesus spricht nicht vom Kreuz, vom Leiden und Sterben. Er spricht von Gottes Herrlichkeit. Das Kreuz ist der Weg, Gottes Herrlichkeit ist das Ziel. Der Menschensohn muss erhöht werden. Erhöht ans Kreuz. Dort hängt er blutend, schreiend, schwitzend, stöhnend - sterbend: Erhöht zu Gott. Das Leiden ist aufgehoben zu Gott. Und die, für die und mit denen er gelitten hat, sind nun aufgehoben zu Gott und aufgehoben bei Gott. – Unter dem Kreuz, nicht erst zu Ostern, beginnen Menschen, Gottes Herrlichkeit zu sehen – wunderbarerweise. Am Karfreitag werden wir von jenem Hauptmann hören, der unter dem Kreuz bekennt: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!Wir sahen seine Herrlichkeit, hieß es zu Weihnachten. Wir sehen seine Herrlichkeit am Kreuz. Denn es ist herrlich souverän, als Gottes Sohn dorthin zu gehen, wo keiner von uns Menschenkindern hingehen will: ans Kreuz, ins Leid, in den Tod.

Am Kreuz kehren sich die Dinge um, da wird die Ordnung der Welt durchkreuzt, da wird das Leiden aufgehoben, da wird aus dem schmachvollen Sterben ein herrlicher Sieg. Und in der tiefsten Ohnmacht offenbart sich die Macht des Lebens.

Nein, Jesus spricht nicht von seiner Ohnmacht. Er spricht von der Macht, die ihm sein Vater gegeben hat, nämlich die Macht, ewiges Leben zu geben. Denn Gottes Macht endet gerade nicht dort, wo die menschliche Macht endet, nämlich an der Grenze des Todes. Gottes Macht beginnt dort erst so richtig. Denn aus dem Tod schafft Gott neues Leben.

Und darum spricht Jesus auch nicht vom Tod, sondern vom ewigen Leben. – Ewiges Leben, das ist übrigens nicht dasselbe wie Leben nach dem Tod. Ewiges Leben ist das Leben mit Gott, das mitten in diesem Leben beginnt und vom Tod nicht getötet werden kann. Es beginnt mit der Gotteserkenntnis und mit dem Jesus-Christus-Glauben. Und weil wir Gott schon im Hier und Jetzt kennengelernt haben, und weil wir seinem Sohn schon heute und hier vertraut haben, darum sind wir dann auch ganz gewiss, dass wir auch dann und dort mit ihm leben werden.

Jesus spricht ja auch nicht von der Ungewissheit, sondern von der Erkenntnis. – Ungewissheit überfällt uns leicht, wenn wir an unsere Zukunft denken, wenn wir gleich gar ans Sterben denken. Das DASS ist ja allzu gewiss, aber das WAS und das WIE erscheint uns so ungewiss, und das macht uns Angst. – Jesus lebt und stirbt in der Gewissheit: Ich bin ganz bei Gott – im Leben und im Tod. Je mehr ich Jesus kenne und vertraue, um so stärker ist auch in mir diese Gewissheit: Ich bin ganz bei Gott – im Leben und im Tod. Und das ist es, was mir keiner nehmen kann.

Jesus spricht nicht davon, dass ihm jetzt alles genommen würde, sondern davon, was Gott ihm gegeben hat. – Das ist ja unser realistischer Blick auf das Sterben, dass uns dann alles genommen wird. Dass wir nichts mitnehmen können und niemanden, dass wir nackt, wie wir von Mutterleib gekommen sind, zurückkehren, mit leeren Händen. – Aber es stimmt so nicht. Denn was uns genommen wird, was wir nicht mitnehmen können, das ist nur das Materielle, das Irdische. Und wenn das alles ist, woran unser Herz hängt, dann haben wir am Ende wirklich nichts mehr. Jesus spricht von den Menschen, die ihm Gott gegeben hat: die, die ihn erkannt haben, die an ihn geglaubt haben, die er geliebt hat. Von denen kann ihn auch der Tod nicht trennen. Und umgekehrt für uns: Von Jesus Christus kann uns auch der Tod nicht trennen, und von denen, die wir geliebt haben und die er geliebt hat. Darum hat er ja zuvor auch nicht nur vom Abschied gesprochen, sondern vom Wiedersehen.

In diesem Gebet, das Jesus in der Stunde des Abschieds spricht, ist die ganze Hoffnung, der ganze Trost des Glaubens. Weil Jesus sich ganz eins weiß mit seinem Vater, darum kann er getrost und tröstend seinen letzten Weg gehen.

Weil er diesen Weg für uns gegangen ist, darum können auch wir getrost und getröstet unseren letzten Weg gehen und getrost und getröstet von denen Abschied nehmen, die uns vorausgehen.

Diejenigen unter uns, die aus der reformierten Tradition der evangelischen Kirche kommen, kennen gewiss den Anfang des Heidelberger Katechismus: Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? – Dass ich mit Leib und Seele, im Leben und im Sterben nicht mein, sondern meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin … – Ja, das sei unser Trost. Amen.

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