Jesus mit Petrus, Jakobus und
Johannes kam zu den übrigen Jüngern zurück, und sie sahen eine
große Menge um sie herum und Schriftgelehrte, die mit ihnen
stritten. Und sobald die Menge ihn sah, entsetzten sich alle, liefen
herbei und grüßten ihn. Und er fragte sie: „Was streitet ihr mit
ihnen?“ Einer aber aus der Menge antwortete: „Meister, ich habe
meinen Sohn hergebracht zu dir, der hat einen sprachlosen Geist. Und
wo er ihn erwischt, reißt er ihn; und er hat Schaum vor dem Mund und
knirscht mit den Zähnen und wird starr. Und ich habe mit deinen
Jüngern geredet, dass sie ihn austreiben sollen, und sie konnten's
nicht.“ Er aber antwortete ihnen und sprach: „O du ungläubiges
Geschlecht, wie lange soll ich euch ertragen? Bringt ihn her zu mir!“
Und sie brachten ihn zu ihm. Und sogleich, als ihn der Geist sah,
riss er ihn. Und er fiel auf die Erde, wälzte sich und hatte Schaum
vor dem Mund. Und Jesus fragte seinen Vater: „Wie lange ist's, dass
ihm das widerfährt?“ Er sprach: „Von Kind auf. Und oft hat er
ihn ins Feuer und ins Wasser geworfen, dass er ihn umbrächte. Wenn
du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns!“ Jesus
aber sprach zu ihm:: „Du sagst: 'Wenn du kannst – alle Dinge sind
möglich dem, der da glaubt.“ Sogleich schrie der Vater des Kindes:
„Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Als nun Jesus sah, dass das
Volk herbeilief, bedrohte er den unreinen Geist und sprach zu ihm:
„Du sprachloser und tauber Geist, ich gebiete dir: Fahre von ihm
aus und fahre nicht mehr in ihn hinein!“ Da schrie er und riss ihn
sehr und fuhr aus. Und der Knabe lag da wie tot, so dass die Menge
sagte: „Er ist tot.“ Jesus aber ergriff ihn bei der Hand und
richtete ihn auf, und er stand auf.
Und als er heimkam, fragten ihn
seine Jünger für sich allein: „Warum konnten wir ihn nicht
austreiben?“ Und er sprach: „Diese Art kann durch nichts
ausfahren als durch Beten.“
Markus 9, 14-29
Ich glaube, hilf meinem Unglauben!
In diesem Satz, in diesem Hilferuf, liebe Schwestern und Brüder,
finde ich mich wieder. Zwischen Glauben und Unglauben. Zwischen Macht
und Ohnmacht. Zwischen Leben und Tod.
Ja, ich glaube. Ich möchte glauben.
Ich rede vom Glauben. Ich glaube an den Glauben, klammere mich an
ihn. – Und doch: Ich bin kleingläubig, ungläubig. Ich weiß um
meine Zweifel. Ich kenne alle Ungewissheiten und alle Einwände. Ich
stelle alles in Frage. Ich zweifel an meinem Glauben, und ich glaube
an meinen Zweifel.
Glaube, so groß wie ein Senfkorn, versetzt Berge, sagt Jesus. –
Ich habe noch keinen Berg versetzt.
Alles Dinge sind möglich dem, der da glaubt.
– Mir sind oft die einfachsten Dinge unmöglich. Ich stoße an
meine Grenzen, und komme nicht darüber hinweg.
Soll mein Glaube das glauben? – Geister und Dämonen, die Menschen
krank machen, und ein Wunderheiler, der sie vertreibt?
Kann mein Glaube das können? – Heilen durch Gebet? –
Gesundbeten?
O du ungläubiges Geschlecht! –
Ja, da bin ich dabei; da gehöre ich dazu.
Ich glaube, hilf meinem Unglauben! –
Vielleicht auch andersherum: Ich glaube nicht, hilf meinem Glauben!
Hilf ihm auf die Sprünge; mache mich fähig zu glauben!
Und doch möchte ich auch bitten: Lass mich nicht leichtgläubig
werden! Erhalte mir meine Skepsis! Bewahre mir mein Misstrauen!
Das Misstrauen gegen falsche Autoritäten. Die Skepsis gegen
vorgefertigte Wahrheiten.
Prüfet alles, und das Gute behaltet!, heißt
es ja auch. Lass mich nicht ungeprüft glauben. Nicht alles für wahr
halten, was man so für wahr hält. Nicht alles annehmen, was es an
Annahmen gibt. Bewahre mich vor Aberglauben. Aber lass mich glauben!
Erhalte mir meinen gesunden Zweifel. Aber lass mich an meinem Zweifel
nicht verzweifeln!
Ich glaube, hilf meinem Unglauben! – Kann
ich an dieser unglaublichen Geschichte Glauben lernen? – Ich
glaube, schon.
Da ist der Glaube der Jünger Jesu. Besser gesagt: ihr Kleinglaube,
ihr Unglaube. Er ist unfähig, zu helfen, zu heilen. Er kann nur
diskutieren. Besserwisserischer Glaube. Aber das nützt nichts.
Glaube ist nicht Wissen. Glaube ist nicht Besserwissen.
Der Mensch, der die Hilfe des Glaubens braucht, er steht dabei, er
versteht nichts, er ist enttäuscht: Deine Jünger – sie
konnten's nicht.
Ich denke an heiße Diskussionen um die richtige christliche Lehre,
um das richtige Verständnis der Heiligen Schrift, um das richtige
Verständnis, wer Jesus war und ist, um das richtige Verständnis,
was Christen dürfen und was nicht. Darüber sind Gemeinden und
Kirchen zerbrochen.
Und die Menschen, die die Hilfe des Glaubens brauchen, stehen
daneben, verstehen nichts, sind enttäuscht. Wenden sich ab: Diese
Christen – sie können's nicht.
Als alles vorbei ist, fragen die Jünger Jesus: Warum konnten wir
nicht? Was haben wir falsch gemacht? – Immerhin. Daran möchte
ich mir doch ein Beispiel nehmen: Jesus fragen: Was war falsch? Was
geht anders? Wie können wir es besser machen? – Wie können wir
besser glauben?
Die Antwort Jesu: Nur durch Beten. – Das Böse ist nicht
durch Diskussionen und Argumente zu überwinden, nicht durch die
richtigen Rituale, die man nur kennen muss, nicht durch moralische
Überlegenheit. Sondern nur durch Beten.
Hilfreicher Glaube beginnt und endet im Beten. – Ja, ist Glaube
überhaupt etwas anderes als Beten?
Wie viele Menschen beten, ohne genau zu wissen, was es mit dem
Gegenüber des Gebets auf sich hat? Wie viele Gebete, beginnen mit
den Worten: „Gott, wenn es dich gibt ...“?
Und wenn wir schon etwas über Gott wissen oder ahnen, dann doch
weniger aus Erklärungen als viel mehr aus Begegnungen –
Begegnungen im Gebet.
Glaube ist Beten: Stilles oder lautes. Zweifelndes oder gewisses.
Redendes oder hörendes. Beten hilft meinem Unglauben zum Glauben:
Ich glaube, hilf meinem Unglauben! – Das ist ja selber ein
Gebet.
Glauben lernen kann ich von dem Mann, der diese Worte gesprochen,
gebetet hat. Er hat sich nicht beirren lassen. Nicht beirren lassen
durch die schlechten Erfahrungen, die er schon machen musste mit
denen, die ihm nicht helfen konnten. Er hat sich nicht beirren lassen
durch die Diskussionen der Fachleute: der Schriftgelehrten, die die
Bibel am besten kannten und der Apostel, die sich in Abwesenheit
ihres Herrn als seine Stellvertreter aufspielten. Er hat sich nicht
beirren lassen durch die Hilflosigkeit der Helfer. Nicht beirren
lassen durch das Unvermögen ihres Glaubens.
Er geht zu Jesus, erzählt seine Geschichte, erbittet Hilfe – und
erhält sie.
Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich
unser! – Du, Jesus! Nicht die Fachleute, nicht die
Stellvertreter.
Dieser Glaube ist Jesus-Glaube. Christus-Glaube. Christlicher Glaube.
– Nicht kirchlicher Glaube – denn die Kirchenleute können nicht
helfen. Nicht Glaube an sich selbst – denn sich selbst kann er
schon lange nicht mehr helfen.
Was kann ich selbst? Was können wir Kirchenleute? – Menschen zu
Jesus hinbringen. Für Menschen zu Jesus bitten. Menschen in die
Beziehung zu Jesus einweisen, und dann selber zurücktreten.
Es ist dein Glaube. Es ist deine Jesus-Christus-Begegnung. Es ist
deine Hilfe, dein Heil – bei ihm: Ich glaube, hilf
meinem Unglauben! – Sag Ich, und er sagt Du!
Dieser Mann, von dem ich Glauben lerne, lernt selber Glauben von
Jesus. Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt, sagt
Jesus. Sagt der, dem alle Dinge möglich sind, weil er glaubt.
Der bittende, betende Mensch wendet sich an Jesus, weil er an
Jesus glaubt. Kleingläubig, ungläubig glaubt.
Jesus glaubt, wie wir glauben sollten, könnten, wenn wir nicht so
kleingläubig wären. Jesus ist mit seinem Glauben ganz bei Gott.
Sein Glaube ist der Glaube, der will, was Gott will: Nicht mein
Wille, sondern dein Wille geschehe! – Glaube, der am Ende
nichts mehr für sich, aber alles für Gott will. Idealer Glaube.
Sollten wir nicht nur an Jesus glauben? Sollten wir auch wie
Jesus glauben?
Vor diesem Ideal des Glaubens kann ich nur rufen: Hilfe! Das
kann ich nicht. Ich glaube, ich glaube irgendwie – klein,
mehr oder weniger tastend, suchend, betend, hilfsbedürftig. Aber vor
deinem Glauben ist mein Glaube nichts als Unglaube. Hilf meinem
Unglauben! Dass mir mein Glaube nicht vergeht angesichts deines
Glaubens!
Ich merke: Ich kann nicht glauben wie Jesus. Ich kann nur
glauben an Jesus. An seinen Glauben glauben. Mich mit meiner
Hilflosigkeit an seine Hilfe halten.
Ich glaube, hilf meinem Unglauben!
Ja, ich klammere mich mit meinem kleinen, ungläubigen Glauben an den
Glauben Jesu. Ich kann zu meinen Zweifeln, zu meiner Unfähigkeit, zu
meiner Hilflosigkeit stehen, weil Jesus mit seinem großen Glauben zu
mir steht. Weil er mich nicht stehen lässt, wenn ich ihn bitte:
Herr, erbarme dich! Ich glaube, dass du meinem Unglauben hilfst.
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