Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: "Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen!" Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte. Aber Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen: "Liebe Kinder, wie schwer ist's, ins Reich Gottes zu kommen! Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme." Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander: "Wer kann dann selig werden?" Jesus aber sah sie an und sprach: "Bei den Menschen ist's unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott."
Markus 10, 17-27
Liebe Schwestern und Brüder,
Was soll ich
tun, damit ich das ewige Leben ererbe?
Einmal kam ein junger Mann zur Kirche und hörte dort die Worte
unseres heutigen Predigttextes: Geh hin, verkaufe alles, was du
hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben
haben, und komm und folge mir nach! Er verließ augenblicklich
das Gotteshaus und verschenkte seinen gesamten Grundbesitz, den er
von seinen Vorfahren geerbt hatte; das waren immerhin über 80 Hektar
Land; auch allen anderen Besitz verkaufte er und gab das Geld den
Armen.
Er suchte sich selber eine verlassene Hütte am Rande des Dorfes;
dort lebte er fortan zurückgezogen, ins Gebet versenkt und mit einfachen Arbeiten
befasst, wahrscheinlich Körbe oder Seile flechten, von denen er
seinen Lebensunterhalt bestritt. Als es ihm dort nicht einsam genug
war, zog er weiter weg – zunächst auf den Friedhof, der damals
ganz außerhalb des Dorfes lag, und dann hinaus, dorthin wo man
eigentlich gar nicht leben konnte – in die Wüste. Denn unser
junger Mann lebte in Ägypten, und dort ist die Wüste immer ganz
nahe.
Das geschah um das Jahr 270 herum. Der junge Mann hieß Antonius, und
er wurde berühmt als der Vater des Mönchtums.
Antonius bewies, dass es möglich war, die Worte Jesu ernst zu nehmen
und zu befolgen. Er ging nicht traurig weg, weil er viele Güter
hatte, als er die Worte Jesu hörte. Er ging fröhlich hin und
befolgte diese Worte. Am Ende seines Lebens ist er auch fröhlich
gestorben. Gewiss, das ewige Leben zu ererben.
Der heilige Antonius wurde zum Vorbild für viele andere. Radikale Jesus-Nachfolge, radikaler Verzicht auf den eigenen Besitz,
auf den eigenen Willen, auch auf die eigene Sexualität – das war
seither das Kennzeichen von spirituellen Erneuerungsbewegungen, das
war das Kennzeichen des Mönchtums, aus dem die Kirche über
Jahrhunderte hinweg immer wieder Kraft geschöpft hat.
Spätestens seit Antonius war klar: Was Jesus verlangte, war zwar
schwierig, aber es war nicht unmöglich. Und mit dem Mönchtum hatte
die Kirche dann auch eine Institution, in der man so leben konnte:
ohne eigenen Besitz – aber doch abgesichert.
Viele Jahrhunderte später hatte ein anderer junger Mann diesen Weg
für sich erwählt. In einem Moment größter Lebensgefahr wurde ihm
schlagartig klar, dass es doch nichts Wichtigeres geben könnte, als
ganz für Gott da zu sein, und er entschied sich, Mönch zu werden.
Er gab seinen eigenen Besitz auf, auch seine eigenen Karrierepläne –
er hätte Jurist werden sollen – und tauschte dafür die Sicherheit
des Klosters ein. Das war für ihn nicht nur die materielle
Sicherheit, das war für ihn vor allem die Sicherheit des ewigen
Seelenheils. Wenn er – wie es der junge Mann im Bibeltext nicht
vermochte, wie es aber der heilige Antonius und viele andere seither
getan hatten – wenn er den Worten Jesu so folgte, dann würde er
gewiss das ewige Leben ererben.
Und dann hörte er als Mönch immer wieder die Worte Jesu, die Worte
der Bibel. Und er studierte sie, als er im Auftrag seines Ordens
Theologe wurde, und er sagte sie anderen weiter, als er Priester
wurde. Und diese Worte drangen ihm so ins Herz, dass er ganz traurig
wurde – so wie damals der junge Mann, der zu Jesus gekommen war. Er
wurde traurig, weil er merkte, dass er sie auch als Mönch, auch mit
den größten Anstrengungen immer noch nicht befolgen konnte.
Denn die Worte Jesu sagten ihm, dass er seinen Nächsten lieben
sollte wie sich selbst. Aber er wusste von sich, dass er das nicht
konnte. Seine Gedanken kreisten ja immer gerade um ihn selber, um
seine eigene Seligkeit, nicht um die seines Nächsten.
Die Worte Jesu sagten ihm, dass man äußerlich alle Gebote erfüllen
konnte, aber doch in Gedanken seinen Bruder in die Hölle wünschen
konnte, und genau so ging es ihm.
Die Worte Jesu sagten ihm, dass er Gott über alles lieben sollte,
aber er hasste Gott, weil er so unerfüllbare Forderungen stellte. Er
las von Gottes Gerechtigkeit, und wusste dabei, dass der gerechte
Gott ihn verurteilen würde. Er hatte alles Menschenmögliche getan für seine Seligkeit. Aber es
reichte nicht, es würde niemals reichen, das ewige Leben zu ererben.
Wer kann dann
selig werden?, fragte er, so wie
die Jünger Jesu im Evangelium. – Bei den Menschen ist's
unmöglich, das merkte er am
eigenen Leibe, an der eigenen Seele.
Aber alle Dinge
sind möglich bei Gott. Das
entdeckte er, das verstand er, als er sich all die anderen Worte Jesu
auf der Zunge zergehen ließ, die vom Glauben sprechen: Von dem Mann,
der Jesus für seinen Sohn bat, von der Frau, die Jesus für ihre
Tochter bat, und von den vielen anderen, zu denen Jesus sagte: Dein Glaube hat dir
geholfen. Von dem Verbrecher,
der neben ihm am Kreuz hing und sich bittend an ihn wandte und dem er
sagte: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.
Er entdeckte es vor allem in den Worten des Apostels Paulus, der
davon sprach, dass vor Gott alle Menschen, unterschiedslos Sünder
sind – selbst ein heiliger Antonius – und dass alle durch Gottes
Gnade selig werden, wenn sie nur daran glauben.
Der
gerechte Gott, so lernte er verstehen, verurteilt uns Menschen nicht,
sondern er schenkt uns seine Gerechtigkeit. Wir verdienen uns nicht
das ewige Leben. Sonder wir ererben das
ewige Leben, weil wir Gottes Kinder sind.
Dieser junge Mann, der das entdeckte, neu entdeckte, hieß Martin
Luther. Er war in gewisser Weise das Gegenstück zum heiligen
Antonius. Antonius ließ alles, was er hatte hinter sich, entfloh der
Welt und kämpfte einen lebenslangen geistlichen Kampf, um so das
ewige Leben zu finden. Martin Luther kehrte aus den Kämpfen der
Mönchszelle zurück in die Welt, weil er den Kampf verloren hatte.
Aber gewonnen hatte er den gnädigen Gott, der nicht fordert, sondern
schenkt, das ewige Leben schenkt.
Luther kehrte zurück in die Welt, wo man heiratet und sich seiner
Sexualität erfreut; wo man selber Entscheidungen trifft, statt sich
Autoritäten unterzuordnen; wo man selber Verantwortung übernimmt
und dabei auch das Risiko zu scheitern; wo man Gut und Geld hat
und es nicht, jedenfalls nicht alles, an die Armen verschenkt, sondern
sein Auskommen sichert, Gewinne investiert, um auch künftig Gewinne
zu machen, und wo vom eigenen Nutzen dann gerade auch die anderen
profitieren. Bedeutete das Wort Beruf vorher die Berufung ins
Kloster als die Gott besonders wohlgefällige Form der Nachfolge, so
hieß Beruf nun, mitten in der Welt, mitten in den eigenen
Gütern und mittels des eigenen Besitzes Jesus nachfolgen: die eigene
Arbeit als Berufung annehmen – das ist der Beruf, so wie wir ihn
verstehen. – So sieht evangelische, protestantische Weltbejahung
aus.
Aber
kann man so das ewige Leben ererben? – Ein junger Mann kommt zu
Jesus, einer der eigentlich alles richtig macht, der mit seinen
Gütern und Gaben Gott dient, der sich an Gottes Gebote hält und
sich dabei noch um das Seelenheil sorgt. – Was will man mehr? –
Nichts. – Nur er will mehr. Er will absolute Sicherheit für sein
Seelenheil. Er will bei Jesus die Lebensversicherung fürs ewige
Leben abschließen. – Und er muss erkennen, dass er den Preis dafür
nicht bezahlen kann. Er geht traurig davon.
Dabei
müsste er den Preis gar nicht bezahlen, wenn er sich nicht selber
erarbeiten wollte, was Jesus ihm viel lieber schenken würde. Könnte
er doch einfach glauben, könnte er doch einfach gewiss werden, dass
Jesus den Preis bezahlt und ihm das ewige Leben schenkt, einfach
schenkt. Eines fehlt dir, sagt
Jesus: der Glaube.
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