Sonntag, 10. November 2013

Predigt am 10. November 2013 (Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres)

Jesus sagte seinen Jüngern ein Gleichnis darüber, dass sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten, und sprach: „Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: ‚Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher!‘ Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: ‚Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue, will ich doch dieser Witwe, weil sie mir so viel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage.‘“
Da sprach der Herr: „Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er’s bei ihnen lange hinziehen? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?“
Lukas 18, 1-8


„Die schon wieder!“ „Der schon wieder!“ – Geschäftsleute, Kundenbetreuer, Ärzte, Richter und sogar Pfarrer – wir alle kennen Leute, die wir lieber von hinten sehen – oder gar nicht. Wenn „der schon wieder“ anruft, wenn „die schon wieder“ vor der Tür steht, dann sind wir schon bedient. Lassen uns von der Sekretärin verleugnen oder versuchen uns unsichtbar zu machen. Es gibt Leute, die nerven einfach. Und manche von denen wissen auch, dass sie nerven, und tun es so lange, bis sie erreicht haben, was sie wollten.
„Die schon wieder!“, hat der Richter in unserer kleinen Gleichnisgeschichte wahrscheinlich aller paar Tage gesagt, wenn diese bestimmte Witwe wieder vor seiner Tür stand und die Entscheidung in ihrer Rechtssache einforderte. – Er hatte offenbar keine Lust, hatte anderes zu tun und einfachere und einträglichere Prozesse zu führen. Aber sie gab keine Ruhe, sie nervte. Und drohte vielleicht am Ende sogar: „Ich gehe zur BILD-Zeitung.“ Irgendwann hatte er die Nase voll und kümmerte sich um ihre Angelegenheit. Die Witwe bekam ihr Recht. Und er hatte seine Ruhe.
Ein Gleichnis darüber, dass wir allezeit beten und nicht nachlassen sollen. – So erklärt es der Evangelist Lukas. Ein komisches Gleichnis!
Stellt euch vor, Gott stöhnt: „Die schon wieder!“ oder „Der schon wieder!“, wenn du in Treue und Beharrlichkeit dein tägliches Gebet verrichtest! Stellt euch vor, Gott verdreht genervt die Augen, wenn er sich Sonntag für Sonntag die gesammelten Fürbitten seiner Christenheit anhören muss! Und dann sagt er sich genervt: „Naja, tun wir ihnen mal den Gefallen und erhalten den Frieden und schenken ein paar Leuten Heilung, geben da und dort gutes Wetter, und lassen ein paar andere im Glauben getröstet sterben, und was der Bitten mehr waren.“ – Und dann kommen sie am nächsten Sonntag wieder mit denselben Bitten …
Stellt euch vor, wir Christen gehen Gott auf die Nerven! Stellt euch vor, wir setzen es bei ihm durch, dass er tut, was wir wollen! Unser Wille geschehe, wie auf der Erde so auch im Himmel!
Stellt euch das mal vor! – Ein komisches Gleichnis! Nein, ein Un-Gleichnis. So ist es gerade nicht zwischen Gott und euch, sagt Jesus. So nicht!
Gott ist gerade kein korrupter Richter, wie er in dieser Geschichte vorgestellt wird. Gott geht es gerade nicht auf den Geist, wenn wir ihm auf den Geist gehen. Gott sagt gerade nicht: „Der schon wieder!“ oder „Die schon wieder!“, wenn wir was von ihm wollen. Nein, Gott ist unser Vater, der sich freut, wenn er seine Kinder sieht, und der ihnen gerne gibt, was sie brauchen.
Und wir sind keine nervenden Bittsteller, die anderen auf den Wecker gehen, um ihre Anliegen durchzusetzen. Sondern wir sind Gottes Auserwählte, sagt Jesus. Wir haben einen privilegierten Zugang zu Gott, Tag und Nacht. Und wir werden erhört und verstanden: Gott wird seinen Auserwählten Recht schaffen in Kürze.
Ein Un-Gleichnis ist diese Geschichte: Ihr habt es viel besser als so eine arme, rechtlose Frau, die nicht anders kann, als dem Richter die Türe einzurennen. Ihr habt es viel besser. Bei Gott habt ihr immer eine offene Tür, und er hört euch, erhört euch, und er schafft euch Recht.
Schön. Aber: Wer glaubt das noch? Wen interessiert das noch?
Mir scheint: Unser Problem ist es ja nicht, dass wir Gott zu viel und zu ausgiebig mit unseren Bitten und Gebeten belästigen. Wir tun es doch eher zu wenig, oder? – Ich weiß, es gibt sie: die sich jeden Tag Zeit nehmen für die Audienz bei Gott; die treu und zuverlässig ihre Gebetslisten abarbeiten; die die Lasten und das Unrecht der ganzen Welt immer neu zu Gott hintragen. – Aber ich weiß auch: Für viele ist Beten eine Formsache im Gottesdienst, oder sie pflegen noch kurze Standardgebete am Morgen oder vor dem Schlafengehen. Oder aber sie beten nur noch sporadisch. Wenn ihnen so ist. Weil es ihnen gerade so gut geht, dass sie Gott einfach Danke sagen müssen. Oder weil es ihnen gerade so schlecht geht, dass da nur noch Beten hilft. Oder sie betrachten beten als so eine Art Selbstgespräch oder Meditation.
Im Grunde genommen, so scheint mir, erwarten wir nicht mehr viel von Gott, und darum haben wir ihm auch nicht mehr so viel zu sagen. Gott sagt nicht: „Der schon wieder!“ oder „Die schon wieder!“, wenn wir was von ihm wollen. Er sagt wahrscheinlich eher: „Ach, dich gibt’s auch noch!“
Vielleicht hat sich die Geschichte umgekehrt. Wir sind wie der Richter im Gleichnis: Wir fürchten uns nicht vor Gott und scheuen uns vor keinem Menschen. Vor allem ersteres: Wir fürchten uns nicht vor Gott, lassen ihn einen frommen Mann sein, der nichts tut, vor dem man sich auch nicht fürchten muss. Weil er so lieb ist, der liebe Gott. – Und Gott ist geworden wie die Witwe im Gleichnis: Er läuft uns hinterher, rennt uns die Tür ein, macht auf sich aufmerksam, fordert sein Recht bei uns. Und wir – wir wollen einfach nicht.
Naja, es ist nicht erst bei uns so. Jesus ist es auch schon so gegangen. Darum auch seine Befürchtung: Wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?, fragt er sich.
Ich habe kürzlich das Verhältnis zwischen Gott und Mensch als Beziehungsproblem dargestellt. Und das ist es hier auch. Wo sich Gott und Mensch wie Bittsteller und Richter gegenüberstehen, wo einer darauf warten muss, dass er bei dem anderen zu seinem Recht kommt, weil der andere sich nicht mehr um den einen kümmert, da stimmt was nicht, da ist die Beziehung gestört.
Wo dagegen Glaube ist auf Erden, da wartet Gott nicht vergeblich auf die Menschen und ihre Gebete. Und da warten Menschen nicht vergeblich auf Gott und seine Hilfe.
Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. Seine Hilfe ist nahe. – Das verspricht Jesus denen, die an Gott festhalten und zu Gott beten.
Viele Kirchen und Gemeinden begehen heute einen Tag des Gebets für verfolgte Christen. Ich glaube, an die hat Jesus besonders gedacht, als er von den Menschen sprach, die sehnsüchtig auf Gottes Hilfe warten. – Wenn wir schon nicht mehr viel von Gott erwarten und erbitten, dann lasst uns doch für die zu ihm bitten, die seine Hilfe, seinen Beistand heute besonders brauchen: die Christen in Syrien und Ägypten, im Iran und in Nigeria, in Nordkorea und in Laos und wie die Länder alle heißen, wo Glauben lebensgefährlich sein kann. Gott möge seine Hilfe nicht lange hinauszögern. Und er möge uns aus der Gleichgültigkeit und Selbstzufriedenheit reißen, in der wir leben, denen es so gut geht. – Denn: haben wir denn überhaupt das Recht vor Gott, dass es uns so gut geht, während andere leiden? – Also lasst uns an sie denken und für sie bitten. Damit die Witwen und Waisen dieser Welt, die Verfolgten und Vergessenen nicht allein bleiben.
Ja, Jesus möchte, dass wir allezeit beten und nicht nachlassen.

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