Es gibt doch bei euch Ermutigung im
Namen von Christus, es gibt doch liebevollen Zuspruch, es gibt doch
geistliche Gemeinschaft, und es gibt doch Herzlichkeit und
Hilfsbereitschaft. Macht mir doch die größte Freude, indem ihr
einmütig gesinnt seid, allen die gleiche Liebe erweist und
miteinander dasselbe Ziel verfolgt. Nicht Eigennutz und
Selbstgefälligkeit sollen euch bestimmen, sondern die Haltung der
Demut, die den anderen wichtiger nimmt als sich selbst. Achtet also
nicht auf euren eigenen Vorteil, sondern auch darauf, was dem anderen
nützt. Seid so gesinnt, wie es auch Jesus Christus entspricht.
Philipper 2, 1-5 (eig. Übersetzung)
Liebe Schwestern
und Brüder,
stell
dir vor, du willst dir ein neues Auto kaufen, oder einen neuen
Computer, oder neue Schuhe. Wirst du in das erstbeste Autohaus, den
nächsten Computerladen oder irgendein Schuhgeschäft gehen und
einfach etwas kaufen? Oder wirst du dir nicht vorher einigermaßen klar
werden, was du genau willst und brauchst, und dann schauen, wo du es
am günstigsten bekommst, vielleicht mit Rabatt oder noch ein paar
Extras zusätzlich. Ok, beim Schuhekaufen kann das auch anders sein.
Aber normalerweise bist du beim Einkaufen oder überhaupt im
geschäftlichen Leben auf deinen eigenen Vorteil bedacht. Du willst
das Beste rausholen zum günstigsten Preis. – Und ich finde das in
Ordnung so.
Umgekehrt wird auch
der Verkäufer versuchen sein Produkt so günstig wie möglich
abzusetzen, zum eigenen Vorteil. Er wird dir keinen Rabatt gewähren,
wenn er sein Produkt auch so los wird – weil es gute Qualität hat
oder anderswo schwer zu kriegen ist.
Es
gibt dieses klassische Zitat von Adam Smith: „Es
ist nicht die Wohltätigkeit
des
Metzgers, des Brauers oder des Bäckers, die uns unser Abendessen
erwarten lässt, sondern dass sie nach ihrem eigenen Vorteil
trachten.“
– So funktioniert die Wirtschaft, die Marktwirtschaft: Jeder sucht
seinen eigenen Vorteil, und allen ist damit gedient. „Der Wohlstand
der Nationen“ beruht nach Smith' Überzeugung – und das ist auch
meine Überzeugung –, auf einer funktionierenden kapitalistischen
Marktwirtschaft, in der jeder seinen eigenen Vorteil sucht.
Ich
teile überhaupt nicht die Ansicht, dass die gegenwärtige Krise auf
ein Versagen des Marktes zurückzuführen ist, sie beruht eher
darauf, dass man Regeln des Marktes außer Kraft gesetzt hat und
immer wieder außer Kraft setzt – wenn nämlich z.B. der Staat
zahlungsunfähige Marktteilnehmer „rettet“ und das
unternehmerische Risiko sozialisiert. Wenn der Handlungs- und
Handelsmaßstab die Wohltätigkeit wird, statt die wirtschaftliche
Vernunft und der eigene Vorteil.
Ich habe vor ein paar Tagen ein
schönes Zitat gelesen – sinngemäß: Früher hieß Sparen, Geld,
das man hat, nicht auszugeben. Heute heißt Sparen, von dem Geld, das
man nicht hat, etwas weniger auszugeben. – Es mag zwar wohltätig
sein, Geld, das man nicht hat, auszugeben, aber am Ende fehlt es
einem selber und man ist selber auf die Wohltätigkeit anderer
angewiesen. Wer bezahlt am Ende das, was fehlt? – Das ist die große
Frage, um die es bei der derzeitigen Krise geht. Über kurz oder lang
werden wir wohl beim Leben über unsere Verhältnisse alle ärmer
werden.
Aber
gut, ich möchte eigentlich keinen ökonomischen Vortrag halten,
sondern eine christliche Predigt. – Und, ja, unser Predigttext ist
nun gerade das Gegenteil von dem, was ich gesagt habe: keine
Anleitung zur volkswirtschaftlichen Vernunft, keine Mahnung, doch
bitte den eigenen Vorteil zu suchen, sondern die eindringliche Bitte,
den eigenen Vorteil zurückzustellen, das Wohl des anderen zu sehen
und höher zu achten als das eigene. Usw. usf., das alles, was wir
unter christlicher Nächstenliebe verbuchen können. Da geht es nicht
um ökonomische Vernunft im Großen, sondern um ein vernünftiges
Zusammenleben im Kleinen.
Die
Regeln, die ich bewusst oder unbewusst befolge, wenn ich mir ein Auto
oder Schuhe kaufe, sind andere Regeln als die, die zum Beispiel in
einer Ehe oder Familie gelten.
Da
mag es zwar auch so was wie geschäftliche Beziehungen geben: etwa
gute Noten in der Schule gegen gutes Taschengeld. Aber das ist nicht
das Wesentliche, und man darf auch fragen, ob das überhaupt so gut
ist. In der Familie geht es nicht um Leistung und Gegenleistung, um
die Maximierung des eigenen Vorteils, sondern in der Familie werden
alle, vor allem die Eltern und Ehepartner das Wohl der anderen, der
Kinder, des Partners, im Blick haben und nicht nur das eigene.
Jedenfalls
kann ich mir das schlecht vorstellen, dass ein eheliches,
partnerschaftliches, familiäres Miteinander funktioniert, wenn jeder
nur den eigenen Vorteil sucht.
Manche
meinen zwar, die Ehe wäre auch nur eine Art Geschäftsmodell:
geregelter Sex gegen geregelte Versorgung, und dass die Ehe heute
häufig nicht mehr so gut funktioniert, das läge daran, dass die
Frau für die Versorgung nicht mehr auf die Ehe angewiesen ist,
während umgekehrt für den Mann Sex auch außerhalb der Ehe leichter
verfügbar geworden ist.
Ich
muss gestehen, in mir sträubt sich alles gegen ein solches
Verständnis von Ehe und Partnerschaft. Und merkwürdig: So viele
Paare ich getraut habe, so viele Traugespräche ich geführt habe, so
oft ich auch Eheleute zu Silbernen oder Goldenen Hochzeiten
eingesegnet habe, so hat keiner von ihnen je seine Ehe
beschrieben. Was da zwei Menschen zusammengeführt und beieinander
gehalten hat, das war regelmäßig etwas anderes – nämlich Liebe,
kein Geschäft.
Häufig
schon habe ich den zweiten Teil unseres Predigttextes im
Traugottesdienst gelesen, in der traditionelleren Lutherübersetzung.
Und immer habe ich Zustimmung gefunden, dass das eine zutreffende
Beschreibung, ein gutes Ideal für das gemeinsame Leben sei:
Einmütigkeit, Liebe, Demut. Und meistens ist das auch ein Thema in
den Traugesprächen gewesen, wie Einmütigkeit aussieht und sich
herstellt, was eigentlich Liebe ist – über die Verliebtheit und
das erotische Begehren hinaus, und was Demut bedeutet: nämlich nicht
den eigenen Vorteil suchen, jedenfalls nicht nur, sondern immer auch
den Vorteil, das Wohlergehen des anderen im Blick haben.
Jemand
hat mal zugespitzt gesagt: „Wer glücklich werden
will, soll nicht heiraten, sondern wer glücklich machen
will.“ – Liebe heißt, das Glück des anderen suchen. – Ja, das
ist zugespitzt. Natürlich heiraten Menschen, weil sie miteinander
glücklich werden
wollen. Meistens sind sie schon miteinander glücklich, wenn sie den
Hafen der Ehe ansteuern. Sie wollen nun dieses Glück auf Dauer
stellen. – Aber dazu ist dann eben doch der zweite Teil
entscheidend wichtig. Menschen können nur miteinander glücklich
werden,
wenn sie einander glücklich machen.
Woher soll das Glück denn sonst kommen? Man muss etwas dafür tun,
und das versuche ich den jungen Eheleuten regelmäßig mit auf den
Weg zu geben.
Und
wenn ich mit anderen auf 25, 50 oder 60 Ehejahre zurückblicke, dann
stellen wir meistens fest, dass sie genau das gemacht haben: etwas
dafür getan, um einander immer wieder glücklich zu machen und so
miteinander glücklich zu bleiben.
Es
ist komisch, wenn von Glück und von Liebe die Rede ist, dann lande
ich immer wieder bei dem Modell der Ehe …
Unser
Predigttext ist nicht speziell für Eheleute geschrieben, auch wenn
er für Eheleute sehr geeignet ist. Er ist für eine christliche
Gemeinde geschrieben.
Eine
christliche Gemeinde ist im Grunde genommen auch eine
Liebesgemeinschaft. Dass ich zur christlichen Kirche gehöre, ist
keine Geschäftsbeziehung.
Wenn
das so wäre, würden die meisten ein ziemlich schlechtes Geschäft
machen. Wie viel Tausende oder Zehntausende an Kirchensteuern,
Kollekten und Spenden geben wir im Leben für die Kirche aus, und
dafür bekommen wir dann Taufe, Trauung und Bestattung umsonst,
vielleicht mal ein Gespräch mit dem Pfarrer oder einen Blumenstrauß
zum Achzigsten. Lohnt sich das?
Nun
ja, man könnte es auch anders sehen: Im christlichen Glauben geht es
schließlich um etwas mehr. Also: Bezahle ich und mache ich mit,
damit ich einen guten Platz im Himmel bekomme? – Wenn ich das
glaube, dann wäre die Kirchenmitgliedschaft vielleicht gar kein so
ein schlechtes Geschäft!
Aber
das alles ist es ja nicht! Vielleicht erinnert sich der eine oder
andere daran, dass das Wort gratis
aus
der christlichen Lehre kommt, genau genommen sogar aus der Bibel. Wir
kommen gratis
in
den Himmel. Gott nimmt uns an, ohne dass wir dafür etwas tun oder
bezahlen müssen, ohne dass erst das Geld im Kasten klingen muss. –
Es könnte sogar sein, es kommt jemand in den Himmel, der in seinem
Leben keine Kirchensteuer bezahlt hat. Denn: Glaube ist kein
Geschäft. Die christliche Kirche ist keine Versicherungsanstalt für
geistliche Betreuungssleistungen oder fürs ewige Leben. Sondern sie
ist eine Gemeinschaft, die auf Liebe beruht – so ähnlich wie eine
Ehe oder Familie.
Ich
glaube, daran werden wir als christliche Kirche im Großen und als
christliche Gemeinde im Kleinen immer noch zu lernen haben. Denn wer
von uns sucht ihn denn nicht, den eigenen Vorteil, auch bei uns in
der Kirche?
Der
eigene Vorteil, das kann auch heißen: Anerkennung suchen und finden,
sehen und gesehen werden, etwas gegen die eigene Langeweile tun oder
im besten Falle etwas Erbauliches für die eigene Seele hören und
erleben.
Ich glaube, wir kommen da gar nicht heraus, aus dem Blick
auf den eigenen Vorteil, auf das eigene Wohl. Und ich glaube, das ist
auch nicht wirklich schlimm. Achtet
auch
darauf,
was dem andern nützt, hat
Paulus geschrieben. Nein, reine Selbstlosigkeit gibt es nicht und
braucht es auch nicht zu geben. Aber was es geben soll, wenn die
christliche Gemeinde dem nahe kommen soll, wie Gott sie gedacht hat,
das ist der Blick auch
auf
den andern. Am besten auch
mit
den Augen des andern. Wie geht es ihm (oder ihr)? Was könnte dem
andern guttun und nützen – unabhängig davon, wie ich selber dabei
wegkomme? …
Das
Schöne ist: Wir sollten diesen Blick auf den andern und mit den
Augen des andern ja schon kenne, schon gelernt und geübt haben: in
unseren Ehen, Familien und engen menschlichen Gemeinschaften.
Wenn
nicht, dann lernen und üben wir ihn in der christlichen Gemeinde.
Denn
wir lernen ihn von Jesus Christus. Wenn einer um der Liebe willen den
Vorteil der anderen und nicht den eigenen gesucht hat, dann nämlich
war er es, Jesus. Von ihm und mit ihm können wir christliche Liebe
lernen. Denn er war, er ist auf unseren Vorteil, auf unser Wohl, auf
unser Heil bedacht. Und darum, weil wir ja von ihm schon alles haben,
darum können wir auch auf das Wohl und das Heil unseres Bruders,
unserer Schwester bedacht sein.
Ja,
in der großen weiten Welt, in der Gesellschaft im Geschäftsleben,
da muss ich selber auf meinen Vorteil bedacht sein. In der kleinen
Gemeinschaft von Mensch zu Mensch, und gerade bei uns in der
christlichen Gemeinde, da lasst uns darauf achten, was unserem
Mitmenschen nützt!
Hallo Roland. am anfang fand ich die predigt sehr provokativ. aber du hast den bogen zum predigtext wieder sehr gut und anschaulich gefunden. am ende muss ich dir zustimmen. in der welt müssen wir auf unseren vorteil achten. aber wie oft färbt das auch in die zwischenmenschlichen beziehungen rein? ohne christus, der die liebe selbst ist, und dem heiligen geist würde es mir schwerer fallen auch die bedürfnisse des anderen zu sehen. wie gut, dass es die gemeinde gibt, in der ich, wie du schon sagtest, diesen blick üben und lernen kann (als single). eine tolle Predigt.
AntwortenLöschenDanke für die Rückmeldung, Corina! Ich überlege gerade, dass ich das Single-Leben vielleicht zu wenig im Blick habe, wenn ich so gerne von Ehe und Partnerschaft rede ... Aber du hast das Wesentliche verstanden, schön! LG Roland
AntwortenLöschenWarum im Großen und Ganzen andere Regeln gelten sollen als im Kleinen und Zwischenmenschlichen ist mir nicht plausibel und lässt eben doch ein Lifestylechristentum kulturprotestantischer Provenienz vermuten.
AntwortenLöschenFür mich hat das nicht so viel mit Lifestyle zu tun, sondern viel mehr mit der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium oder mit Luthers Zwei-Reiche-Lehre, oder anders ausgedrückt, mit der Eigengesetzlichkeit verschiedener sozialer Sphären (Politik, Wirtschaft vs. Ehe, Familie, Religion; Gesellschaft vs. Gemeinschaft). Jesus und das NT sprechen nicht umsonst von Nächstenliebe, weil Liebe tatsächlich nur im Kleinen und Zwischenmenschlichen funktioniert. Fernstenliebe (Nietzsche) wäre eine Überforderung.
LöschenDas Christentum ins Private zu kolonisieren ... Das entspricht eher dem Parteiprogramm der Liberalen als dem Anspruch des Protagonisten der frühen Christenheit. Und in der Tat: So ist Predigt heute zu erleben: Ein Zuspruch, der den Anspruch mit Luthers Zwei-Reiche-Lehre oder gar mit Nietzsche weg erklärt. Schade drum!
AntwortenLöschenDieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
LöschenDer Übersprung vom christlichen ins Politische hat sich fast immer als verhängnisvoll erwiesen. Schon Jesus hat darauf verzichtet, seinen messianischen Anspruch ins Politische zu wenden: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt." Dafür ist er von denen fallen gelassen und verraten worden, die ihre politischen Hoffnungen auf ihn gesetzt hatten. Das Reich Gottes ist keine Theokratie. Mit der Bergpredit lässt sich keine Politik machen. Und Heil und Seligkeit sind in der Tat persönlicher Zuspruch und kein politisch-gesellschaftlicher Anspruch. - Von all dem bin ich überzeugt. Als lutherischer Theologe. Und, ja, auch als politisch liberal denkender Mensch.
AntwortenLöschenLieber Roland,
AntwortenLöschenherzlichen Dank für Deine gute, klar durchdachte Predigt, die die wichtige Tatsache anspricht: "Keiner tut etwas nur aus der Nächsten- und Gottesliebe heraus, es ist an irgend einer Stelle auch der Gedanke an den eigenen Vorteil dabei!" Das gilt eben auch in der Gemeinde und ob wirs wahrhaben wollen oder nicht, auch im persönlichen Glauben. Ich denke dabei etwa an Werfels Romanheldin Teta Linek ("Der veruntreute Himmel").
Interessant wäre für mich zu wissen, welche Gemeinde Du bei der Predigt vor Dir hattest!
Beste Grüße - zur Zeit aus dem Urlaub!
Dein ehemaliger Gemeindenachbar Michael Harzer
Lieber Michael, wie gesagt, ich bin selber nicht so überzeugt von der Predigt. Was du sagst, habe ich nicht so deutlich rausgearbeitet.
LöschenWelche Gemeinde ich vor Augen habe, habe ich bewusst offen gelassen, weil wir am Sonntag eine gut durchmischte Touristengemeinde hatten.
Schöne Grüße! Roland