Der Geist aber sprach zu Philippus: "Geh hin und halte dich zu diesem Wagen!" Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte: "Verstehst du auch, was du liest?" Er aber sprach: "Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet?" Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen. Der Inhalt aber der Schrift, die er las, war dieser (Jesaja 53, 7-8): "Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen." Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach: "Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem?" Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Wort der Schrift an und predigte ihm das Evangelium von Jesus.
Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser. Da sprach der Kämmerer: "Siehe, da ist Wasser; was hindert's, dass ich mich taufen lasse?" Und er ließ den Wagen halten und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn. Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich.
Apostelgeschichte 8, 26-39
Liebe Schwestern und Brüder,
Gemeinsam unterwegs für kurze Zeit
– das könnte ein Slogan sein für Kirche im Ausland, besonders für
Tourismus-Kirche, wie wir sie hier bei uns erleben.
Wir waren vorletzte Woche zur
Auslandspfarrerkonferenz der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Fünf Tage gemeinsam unterwegs auf den Straßen von Wittenberg und
auf den Spuren Martin Luthers und der Reformation. Ein Geschenk für
uns: Schwestern und Brüdern aus der ganzen Welt treffen,
miteinander reden, miteinander hören, singen und beten. Und zum
Abschluss miteinander Abendmahl feiern. Dann sind wir wieder
auseinander gegangen auf unterschiedlichen Straßen, aber fröhlich,
gestärkt, bewegt, verändert.
Wir haben voneinander gehört, wie
unterschiedliche Kirche im Ausland aussehen kann. Doch was die
meisten Auslandsgemeinden verbindet, ist dieses Gemeinsam
unterwegs für kurze Zeit. An
vielen Orten, auch da, wo nicht der Tourismus dominiert, ist
ständiges Kommen und Gehen. Ich habe erst vor kurzem das Wort Expat
gelernt: das ist der Expatriate, der für meist nur zwei, drei Jahre
für eine Firma oder eine Organisation im Ausland tätig ist. Solche
deutschen Expat-Gemeinden, wie es sie in vielen Hauptstädten gibt,
zum Beispiel in Addis Abeba, in Äthiopien, haben nach spätestens
vier Jahren eine völlig neue Zusammensetzung. – Christen im
Ausland sind gemeinsam unterwegs für kurze Zeit.
Und wir Pfarrer
sind ein Teil dieses Kommens und Gehens. Sechs Jahre sind normal,
manchmal werden es neun. Dann kommt wieder ein anderer.
Gemeinsam unterwegs für kurze Zeit,
das sind auch wir hier. Manchmal
ist es nur diese eine Stunde Gottesdienst, wo wir einander begegnen:
Kirche im Urlaub, und dann wieder auf anderen Wegen unterwegs. Aber
hoffentlich fröhlich, gestärkt, bewegt, verändert.
Ich finde es
wunderbar, dass die Geschichte, die wir gehört haben, genau von
diesem Gemeindemodell erzählt: Der Bildungsreisende aus dem fernen
Land und der Tourismusseelsorger Philippus sind für ein paar Stunden
gemeinsam unterwegs, und es ist erfüllte Zeit, die die beiden bewegt
und verändert und sie auf ihren unterschiedlichen Straßen fröhlich
weiter ziehen lässt.
Zwei Menschen
begegnen sich, und sie begegnen Gott, sie begegnen dem Herrn Jesus
Christus. Und ihre Begegnung ist kein Zufall – das kriegt man
sofort mit –, sie ist organisiert vom Heiligen Geist. Er hat die
beiden vorbereitet. Der Heilige Geist zieht im Hintergrund die
Strippen.
Da ist Philippus,
Diakon und Evangelist im Reisedienst. Er hört die Stimme eines
Engels, der schickt ihn los in Richtung Süden, Richtung Gaza,
Richtung Wüste. Er weiß noch nicht genau, warum. Vielleicht ist er
sich nicht mal sicher, ob das wirklich ein Engel war oder bloß eine
verrückte Idee. Auf jeden Fall geht er los, und irgendwann sieht er
von ferne diesen exotischen Reisewagen, und er spürt den Impuls des
Heiligen Geistes: Geh hin, halte dich zu diesem Wagen. – Philippus
ist vorbereitet für das, was dann kommt, auch wenn er noch nicht
weiß, was ihn erwartet.
Ihn erwartet ein
äthiopischer Hofbeamter, der als Bildungsreisender und Pilger
unterwegs ist. Ziemlich außergewöhnlich: Da hat sich einer aus dem
oberen Niltal, aus Schwarzafrika, auf den Weg gemacht nach Jerusalem.
Er hat erfahren von dem einen wahren Gott, der in Jerusalem verehrt
wird. Er will ihn besser kennen lernen. Will die jüdische Religion
studieren, obwohl er ihr niemals wird angehören können, denn er ist
ein Eunuch, ein Kastrat – anders konnte man kein Hofbeamter der
äthiopischen Königin werden – und Eunuchen durften nach dem
Gesetz des Alten Testaments nicht zu Gottes Volk gehören.
Wir dürfen uns
diese Begegnung nicht ganz so klein und einsam vorstellen. Als
Minister wird er keinen Kleinwagen gefahren haben, sondern ein großes
eindrückliches Gespann. Er wird auch nicht selber gefahren sein,
sondern hatte einen Fahrer, der wahrscheinlich neben den Pferden
herging. Und dazu hatte er sicherlich noch Personal dabei und
ausreichend Garderobe und vieles mehr. Wir müssen uns also eher eine
recht eindrückliche kleine Karawane vorstellen mit einer
Staatskarosse in der Mitte. – Und dann brauchen wir uns auch nicht
zu wundern, dass Philippus erst noch einen besonderen Impuls des
Heiligen Geistes braucht, um sich diesem Wagen wirklich zu nähern.
Der Minister hat es
geschafft, sich eine handgeschriebene Schriftrolle mit
Originalbibeltext zu beschaffen. Die gibt es nicht am Andenkenkiosk,
sie kostet ein Vermögen und wird normalerweise gar nicht an
Nichtjuden verkauft. Wie auch immer, er hat sie irgendwoher bekommen,
er möchte die Geheimnisse des jüdischen Gottesglaubens verstehen,
und so liest er auf der langen Fahrt darin. – Es bringt ja auch
nichts, eine wer weiß wie teure Bibelausgabe sein eigen zu nennen
und dann nicht reinzugucken.
Als religiös
offener und suchender Mensch und jetzt auch als Bibelleser ist er gut
vorbereitet für eine geistliche Begegnung, für eine Begegnung mit
dem lebendigen Gott.
Selbst
bei der Auswahl des biblischen Buches und der Bibelstelle, die er
gerade liest, hat wohl der Heilige Geist im Hintergrund die Fäden
gezogen: Jesaja 53 – das rätselhafte Lied vom leidenden
Gottesknecht. Was für Uneingeweihte rätselhaft ist, ist für die
Christen einer der klarsten Hinweise auf Jesus Christus im ganzen
Alten Testament: Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt
wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er
seinen Mund nicht auf. – Klar,
das ist Christus, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt! –
Aber wenn einer Christus noch nicht kennt, dann ist das einfach ein
Rätselwort.
Verstehst du auch, was du liest?,
fragt Philippus. Genau die
richtige Frage.
Verstehst du auch, was du liest,
wenn du in der Bibel liest,
falls du in der Bibel liest? – Vielleicht hast du sie ja schon
wieder weggelegt, weil du nichts verstehst …
Nein, die Bibel ist
nicht selbst-verständlich.
Ja, es gibt Worte
in der Bibel, die sprechen ganz für sich selbst. Sie sind groß und
klar.
Und dann gibt es
noch viel mehr Worte in der Bibel, die machen Mühe, die müssen
erklärt, interpretiert, verständlich gemacht werden.
Glauben
weitergeben, das geht nicht, wenn wir den Leuten Bibeln in die Hand
drücken und sagen: Nimm und lies! Glauben
geben wir weiter, wenn wir miteinander die Bibel lesen und auslegen.
So kommt der Glaube aus der Predigt, heißt
es zu Recht (Römer 10, 17). Nicht aus dem Lesen, sondern aus dem Hören.
Verstehst du auch, was du liest? –
Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und
der Bibelleser bittet den Bibelausleger zu sich auf den Wagen.
In diesem Moment
ist sie da: die Gemeinde unterwegs. Dort, hoch auf dem
äthiopischen Wagen sitzen zwei und reden über die Bibel. Einer
fragt, einer erklärt … und es öffnen sich neue Horizonte.
Man spricht heute
so gerne von der gleichen Augenhöhe. Ich finde es beeindruckend,
dass die beiden, der reiche Finanzminister und der arme
Wanderprediger, der ahnungslose Heide und der gebildete Theologe sich auf
gleicher Augenhöhe begegnen. Philippus darf auf dem Wagen mitfahren.
– Das gehört für mich dazu zum Gemeindesein: dass wir kein Oben
und Unten haben. Dass soziale Stellung und Bildung unwichtig werden,
wenn wir von Gottes Geist bewegt, einander begegnen.
Wisst ihr, warum es
in der Kirche überhaupt erhöhte Kanzeln gibt? – Nicht etwa weil
der Pfarrer über dem Rest der Gemeinde steht. Es sind zwei andere
Gründe: Der eine Grund ist schlicht und einfach die Akustik. Die
Kanzel wurde ja erfunden, als es noch keine Lautsprecheranlage gab.
Der andere Grund ist die Symbolik: Gottes Wort soll über allem
stehen. Nein, nicht der Pfarrer als Person, sondern Gottes Wort, das
er sagt. – Ich soll euch nämlich nicht von oben herab abkanzeln,
sondern euch Gottes Wort nahe bringen, indem ich wie Philippus dem
Minister die Bibel erkläre und euch Jesus Christus verkündige, und
das möglichst verständlich und auf Augenhöhe mit euch.
Es ist für mich
hoch interessant, wie Philippus mit der Bibel umgeht, wie er die
Schrift auslegt, wie er das Wort Gottes sagt. Es heißt: Philippus
tat seinen Mund auf und fing mit diesem Wort der Schrift an und
predigte ihm das Evangelium von Jesus.
Das Entscheidende
ist: Philippus predigt das Evangelium von Jesus. Er fängt mit einem
Schriftwort an, aber er bleibt nicht bei dem Schriftwort stehen. An
keiner Stelle in der Bibel finden wir das, was manche fromme
Hardliner behaupten, dass die Bibel selber das Wort Gottes sei. Die
Bibel ist der Ausgangspunkt für die Verkündigung des Wortes Gottes.
Das Wort Gottes selber ist Jesus Christus – so steht es in der
Bibel! – Ich finde diese Erkenntnis unheimlich wichtig, wenn sich
Leute in frommer Absicht auf Bibelworte berufen, die sie aus dem
Zusammenhang gerissen haben, und dann behaupten, das wäre Gottes
Wort. Nein, Gottes Wort ist das Wort, das einen Menschen erreicht und
anspricht, das ihm das Evangelium, die Gute Nachricht von Jesus
Christus zuspricht und den Glauben in ihm weckt.
Genau das geschieht
hier: Der Glaube ist geweckt bei diesem äthiopischen Finanzminister.
Das muss er gar nicht weiter erklären. Er will sich sofort taufen
lassen.
Denn Glaube und
Taufe gehören zusammen. Wer glaubt und getauft wird, wird selig
werden, hat Jesus versprochen. Glaube und Taufe gehören
zusammen. Wenn bei einem Menschen der Glaube geweckt ist, dann soll
er getauft werden. Und umgekehrt, wenn ein Mensch getauft ist, so wie
bei uns meistens schon als Kind, dann soll in ihm auch der Glaube
geweckt werden.
Siehe, da ist Wasser; was hindert's,
dass ich mich taufen lasse? –
Nichts. Und so steigen sie beide hinab vom hohen Wagen, Philippus und
der Minister. Gleiche Augenhöhe auch in der Taufe. War Philippus
erst zu dem hohen Beamten hinaufgestiegen, so steigt der jetzt mit
Philippus hinunter in einen einfachen Wasserlauf, um sich taufen zu
lassen.
Ja, Glaube und
Taufe, das ist auch ein Herabsteigen, ein Kleinwerden, ein Abtauchen.
Ich werde klein vor Gott, ich erkenne ihn an als Herrn über mein
Leben. Ich vertraue mich ihm an und tauche in ihn ein. Nun lebe
nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir. So hat es der
Apostel Paulus ausgedrückt (Galater 2, 20).
Der äthiopische
Eunuch, der nach den Ansprüchen des alttestamentlichen Gesetzes nie
wirklich zu Gottes Volk gehören durfte, kommt durch das Evangelium
von Jesus Christus nun doch zu Gott, darf zum neuen Gottesvolk gehören.
Die Begegnung der
beiden ist an ihr Ziel gekommen. Gottes Geist hat neue Aufgaben und
neue Wege für jeden der beiden bereit. Ihre Wege trennen sich. Aber
sie gehen anders weiter, als sie gekommen sind: fröhlich, gestärkt,
bewegt, verändert.
Bewegt durch den
Heiligen Geist. Gestärkt durch Wort und Sakrament. Verändert durch
das Evangelium, die Gute Nachricht von Jesus Christus. Fröhlich,
weil sie auch auf getrennten Wegen nicht allein sind, sondern mit
Jesus Christus gehen.
Gemeinsam unterwegs für kurze Zeit
– das ist nicht wenig. Das
kann etwas ganz Großes sein. Die kurze Weggemeinschaft vielleicht
nur heute hier im Gottesdienst kann uns berühren und kann uns neu
mit Gott in Berührung bringen. Und dann ziehen wir unsere Straße
fröhlich.
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