Markus 1, 40-45
Liebe Schwestern
und Brüder,
wer vorige Woche
die Predigt gehört hat, erinnert sich vielleicht an die
Menschenmassen um Jesus herum: Alle kommen zu ihm, alle erwarten
etwas von ihm, alle sind seine Schwestern und Brüder und Mütter.
Alle sind Familie Gottes. Es ist ein bisschen wie Kirchentag – oder
Papstbesuch.
Nun freuen wir uns
natürlich auch, wenn viele kommen. Wenn die Kirche voll ist. Wenn
sich Menschen etwas von uns und vor allem von unserem Herrn erwarten. Und sicher: Große
Zahlen, große Massen haben etwas Begeisterndes, Mitreißendes, ja
Berauschendes. In Fußballarenen und bei Rockkonzerten wird das
zelebriert. Viele geben horrende Summen aus, um bei so was
dabei zu sein. – Warum nicht auch Großgottesdienste, Massenmessen,
gefüllte Stadien für Jesus!
Und doch: Es gibt
auch eine andere Seite. In der Masse gehe ich unter. Da bin ich nur
einer von ganz vielen. Ob ich dabei bin oder nicht, spielt für die
Gesamtwirkung der Großveranstaltung keine Rolle. Nur einzelne haben
ein Sonderrolle in solchen Veranstaltungen: die, die selber vorn
stehen, die ihr Ego mit der Begeisterung der Massen füttern. Wer
vorn steht, ist der Star, einigartig, unverwechselbar. Die Massen
davor sind austauschbar. Egal, wer da kommt: Hauptsache viele!
Wenn ich mir selber
wichtig bin, wenn ich selber ernstgenommen und wahrgenommen werden
will – als einzelner, als der, der ich bin –, dann gehe ich nicht
zur Massenveranstaltung. Dann suche ich die persönliche Begegnung.
Vielleicht ist es
ja auch das, warum Menschen zu bestimmten biografischen Anlässen den
Kontakt mit der Kirche, mit dem Pfarrer suchen. Die Taufe des Kindes,
die Trauung, das Ehejubiläum, der Tod eines Angehörigen – da
steht der einzelne Mensch mit seinem Leben, mit seiner ganz
besonderen Lebenssituation im Blick. Da gibt es ein persönliches
Gespräch, da gibt es einen persönlich gestalteten Gottesdienst, da
gibt es eine persönliche Ansprache. Da werde ich persönlich
wahrgenommen. Da berührt mich, wenn es gut geht, Gottes Wort
persönlich.
Jesus war offenbar kein Massenmensch. Wenn sie auf ihn einstürmten, wenn alle was
von ihm wollten, dann hat er die Flucht ergriffen: in die Einsamkeit,
in ein Boot oder auf einen Berg, manchmal hat er seine engsten
Vertrauten mitgenommen, oft war er ganz allein, allein mit seinem
himmlischen Vater.
Am
Beeindruckendsten war Jesus dann auch immer in seinen Begegnungen mit
einzelnen. So wie in der Heilungsgeschichte, die wir heute gehört
haben.
Es ist ja
interessant: Die Bibel erzählt nie von Massenheilungen. – Heute
gibt es so genannte Heilungsevangelisten, in deren
Großveranstaltungen angeblich Hunderte von Menschen geheilt werden.
Nachprüfen lässt sich das komischerweise nie. Es heißt, es seien
da auch schon mal bestellte Leute drunter. Man kann sich die
suggestive Stimmung vorstellen. Und wenn genügend Endorphine und
Adrenaline ausgeschüttet werden in der euphorischen Masse, da mag es
geschehen, dass man seine Schmerzen nicht mehr spürt und sich für
geheilt hält. – Wie es dann aussieht, wenn das Spektakel vorbei
ist, erfährt man selten. Medizinische Belege gibt es noch seltener.
Ganz anders ist die
Begegnung zwischen Jesus und den einzelnen Kranken, die zu ihm
kommen. Da geschieht Heilung in einer persönlichen Begegnung.
Neulich sprach
jemand mit mir, wie das mit den Heilungen sei, ob wir die Heilmethode
Jesu noch nicht richtig verstanden hätten. Ja, das mag schon sein.
Aber ich habe auch geantwortet, dass es die Heilmethode Jesu
nicht gibt. Jesus heilt jedesmal anders. Einem sagt er einfach nur:
Sei geheilt. Einem anderen schmiert er einen Brei aus Speichel
und Dreck in die Augen, damit er sehend wird. Wieder einem anderen
legt er die Hand auf. Und noch ein anderes Mal geschieht die Heilung
aus der Ferne. Da gibt es keine Methode. Die einzige Methode ist die
persönliche Zuwendung zu demjenigen, der Jesus um Hilfe bittet.
Diesmal ist es ein
Aussätziger, ein Lepra-Kranker. Der hätte in der Menschenmasse
überhaupt keine Chance gehabt. Denn er musste die Menschenmasse
meiden. Ansteckungsgefahr. Aussätzige wurden nicht ohne Grund wie
Aussätzige behandelt. Sie lebten außerhalb der Siedlungen. Sie
durften sich nur bis zu einer bestimmten Distanz nähern. Sie waren
darauf angewiesen, dass jemand ihnen von ferne gab, was sie
brauchten, dass jemand von ferne mit ihnen sprach. Die Diagnose
Aussatz – Lepra war einfach schrecklich. Weil man damit aus der
Menschengemeinschaft herausgerissen wurde. Vielleicht war so jemand
eben noch Familienvater, und dann musste er Hals über Kopf ausziehen
ins Aussätzigen-Ghetto am Rande der Stadt. Schrecklich!
In der Masse hätte
er keine Chance gehabt. Aber, Gott sei Dank, findet er Gelegenheit,
Jesus allein anzutreffen. Als er Jesus anspricht, da müssen wir uns
vorstellen, dass er vielleicht noch zwei, drei Meter entfernt steht.
Willst du, so kannst du mich
reinigen. – Er sagt nicht
heilen oder
gesundmachen. Er sagt
reinigen. Denn Aussatz
– Lepra machte einen Menschen unrein, unberührbar, schloss ihn aus
der Gemeinschaft mit den Menschen, ja und auch aus der Gemeinschaft
mit Gott aus. Wie weit kann und darf sich ein Unreiner annähern? Wie
weit kann und darf er sich Jesus annähern, der von Gott kommt? Der
Unreine dem Reinen? – Das ist Aussatz: die unüberbrückbare
Distanz.
Willst du, so kannst du … –
Und das ist Glaube. Jesus kann. Nicht weil er besondere Heilmethoden
draufhat, sondern weil er von Gott kommt. Jesus kann. – Will er
auch?
Das ist immer
wieder unsere Frage an Jesus, an Gott. Er kann – aber will er auch?
Gott kann heilen, Gott kann alles gut werden lassen – aber will er
auch? Warum sieht unsere Welt so aus, wie sie aussieht? Will Gott sie
nicht verändern? Warum geschieht es, dass Kinder sterben – in den
Armen ihrer Eltern? Will Gott das?
Oder reicht unser
Glaube nicht mal mehr soweit, dass wir ihm überhaupt noch das Können
zutrauen?
Aber
hier in unserer Geschichte wird nicht theologisch abstrakt über
Gottes Allmacht verhandelt. Hier begegnet einer persönlich dem, in
dem uns Gott persönlich begegnet. Er bittet, er betet zu Jesus. Er
betet das Gebet des Glaubens, der Hoffnung: Willst du, so
kannst du!
Und Jesus will und
kann. Ganz persönlich will er. Weil es ihn ganz persönlich bewegt,
das Geschick dieses Mannes. Es jammerte ihn. Er hatte Mitleid. –
Ach, diese Übersetzungen geben nur die Hälfte wieder! Im
griechischen Original steht da ein Wort, das ein geradezu körperlich
empfundenes Mitgefühl ausdrückt. Es erbarmte ihn. – Da
geschieht etwas, was nur in der persönlichen Begegnung geschehen
kann. Der eine ist ganz bei dem anderen. Jesus empfindet, was der
Kranke empfindet. Und wo sie innerlich schon beieinander sind, da
fällt auch die äußerliche Distanz. Er streckte die Hand aus …
rührte ihn an … und sprach zu ihm: „Ich will's tun; sei rein!“
Das fasziniert mich
am meisten an dieser Szene: Jesus berührt den Unberührbaren. Was
erst nach der Heilung möglich sein sollte, geschieht schon zuvor –
und gerade darin ist die Heilung. Das, worunter der Aussätzige am
meisten leidet, die erzwungene Distanz zu allen, zu Menschen und zu
Gott, wird mit einer Geste überwunden. Durch den, der beides in
einem ist: Gott und Mensch. Und so ist er für Gott und Menschen
nicht mehr unrein, nicht mehr unberührbar.
Diese
Heilungsgeschichte wird damit ganz groß und weit. Die ganz
einzigartige persönliche Begegnung zeigt, wie Gott in Jesus jedem
einzelnen begegnen kann: Er hört auf meine Bitte, auf mein Gebet. Er
hat Erbarmen, er streckt sich nach mir aus, er berührt mich, er
überwindet die Distanz, er reinigt mich, so dass ich frei und offen
Gott und Menschen begegnen kann.
Freilich, die
Geschichte geht weiter. Sie geht einigermaßen befremdlich weiter.
Der Geheilte erhält Redeverbot und er wird zu den Priestern
geschickt.
Letzteres kann man
relativ leicht erklären: Die Priester sind nach dem mosaischen
Gesetz für solche Fälle so was wie die Gesundheitsbehörde. Sie
bestimmen, wer rein und unrein ist. Wenn der Mann wieder gesund ist,
dann darf er auch wieder zu den Menschen, zu seiner Familie. Und er
darf auch wieder zu Gott, in den Gottesdienst. – Jesus sagt damit:
Es soll alles seine Ordnung haben. Und: Sie sollen es ruhig sehen und
bestätigen, dass Jesus durch Gottes Macht geheilt hat. – Wenn einer meint,
dass Gott ihn auf wunderbare Weise geheilt hat, dann kann das ja
bitteschön auch von den Ärzten begutachtet und bestätigt werden.
Warum aber erhält
der Geheilte Redeverbot von Jesus? – Er befolgt es ja nicht einmal.
Befolgt es nicht aus verständlichen Gründen: Wes das Herz voll
ist, des geht der Mund über. Und sein Herz ist voll von dem, was
da an ihm geschehen ist: Heilung, Rettung, Rückkehr ins Leben.
Unglaublich! – Warum sollte er davon nicht reden? Zur Ehre Jesu,
der ihm geholfen hat. Zum Lobe Gottes, der alles gut macht.
Vielleicht ein
Trick von Jesus? – Wenn du willst, dass etwas bekannt wird, dann
musst du das Siegel der Verschwiegenheit gebrauchen. Vielleicht
wollte Jesus gerade das erreichen, dass der Geheilte von ihm predigt?
Ich kann es nicht wirklich glauben, dass es so gewesen sein soll.
Denn er hätte auch so geredet, bei dem, was er da erlebt hat.
Ich glaube, es hat
eher etwas mit dem Problem der Masse zu tun. Indem er das, was da in
dieser ganz persönlichen Begegnung publik macht, erschwert er
weitere solche persönlichen Begegnungen mit Jesus. – Jetzt kommen
die Massen, und Jesus kann nicht mehr öffentlich reden und wirken,
muss sich zurückziehen, sonst stürzen sie sich wieder alle auf ihn,
und der Einzelne, der Aussätzige, der Unreine, der am Rand auf die
besondere Begegnung mit Jesus wartet, hat keine Chance mehr, bleibt
auf der Strecke.
Das Wichtige, das
Entscheidende sind immer die persönlichen Begegnungen, so wie
zwischen diesem Einen und Jesus.
Und wir mit unseren
Massenveranstaltungen (die wir uns zumindest wünschen)? Mit unserer
Liebe zur großen Zahl? – Wir müssen verstehen, dass das eben
nicht das Eigentliche ist. Die kirchliche Massenveranstaltung kann
ein Ruf sein, eine Einladung, das ja, aber eben eine Einladung zur
persönlichen Begegnung.
So seid auch ihr
heute und hier eingeladen, dem Herrn Jesus Christus persönlich zu
begegnen. Du kannst ihm begegnen: Indem du dich ihm näherst, ihn
bittest, von ihm die Hilfe erwartest, die du brauchst. Verlass dich
drauf: er wird dich hören und verstehen, seine Hand ausstrecken und
dich berühren, dich rein und heil machen. Es geht ihm immer um den
einzelnen, es geht ihm um dich!
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