Markus 3, 31-35
Liebe Schwestern
und Brüder,
heute also mal
diese Anrede, denn wir sind das ja, sollen es ja sein: Schwestern und
Brüder Jesu, Familie Gottes.
Wer gehört dazu?
Wer nicht? Wer ist drin? Wer bleibt draußen?
Es ist ein irres
Kapitel, was der Evangelist Markus da aufschlägt. Man muss mal
Markus 3 ab Vers 7 hintereinander im Zusammenhang lesen:
Eine große
Menschenmenge aus der ganzen weiteren Umgebung drängt auf Jesus ein.
Er kann sich kaum retten vor Leuten, die etwas ganz Besonderes von
ihm erwarten: Massen. Vor allem wollen sie Heilungen von ihm,
Wunderheilungen, Exorzismen. Wörtlich: Denn er heilte viel, so
dass alle, die geplagt waren, über ihn herfielen, um ihn anzurühren.
Erst müssen seine engsten Freunde ein Boot für ihn
organisieren, mit dem er sich von den Menschenmassen auf den See
retten kann. Dann zieht er sich mit ihnen auf einen Berg zurück.
Dort wählt er zwölf von ihnen als seine Apostel aus. Dann treffen
wir ihn in einem nicht näher bezeichneten Haus an, in dem und um das
herum sich wieder die Volksmassen versammeln.
Alle wollen zu ihm.
Alle wollen zu ihm gehören. Er wählt zwar einen kleinen Kreis
besonders enger Mitstreiter aus. Aber eigentlich wollen viel mehr ihm
nahe sein. Weil sie alles, alles mögliche von ihm erwarten.
Wer von diesen
allen gehört wirklich zu ihm?
Es gibt auch
andere. Mit denen geht es gleich weiter in diesem turbulenten
Kapitel. Zuerst die Vorgeschichte zu der Begegnung, die wir als
Predigttext gehört haben: Jesu Angehörige machen sich auch auf den
Weg zu ihm: Nicht weil sie sich den Massen seiner Fans anschließen
wollen. Nicht weil sie stolz sind auf die Erfolge ihres Sohnes, ihres
Bruders. Im Gegenteil er ist ihnen peinlich. Er ist verrückt,
sagen sie, von Sinnen, geisteskrank, wahnsinnig.
Eine Diagnose
übrigens, die von seinen Kritikern später immer mal wiederholt
worden ist: Jesus war verrückt, zumindest psychisch auffällig,
eigenartig distanzlos und naiv, ein Idiot.
Von der anderen
Seite her machen sich andere auf den Weg zu ihm, Schriftgelehrte aus
Jerusalem, die Fachleute für religiöse Fragen. Was tut man, wenn
einer tut, was Jesus tut: Predigen und Heilen ohne Genehmigung der
Kirchenbehörde? Sie gehen im Grunde noch einen Schritt weiter als
seine Angehörigen: Für sie ist er nicht nur verrückt, sondern
besessen. Er treibt die bösen Geister aus durch ihren Obersten.
Für sie steht Jesus im Dienst des Teufels.
Auch diese Diagnose
ist später wiederholt worden. In etwas abgewandelter Form: mit der
Behauptung, das von Jesus gegründete Christentum sei für alles Böse
in der Welt (oder zumindest für das meiste) verantwortlich.
Während Jesus noch
mit diesen Leuten diskutiert, sind seine Angehörigen angekommen und
stehen draußen vor der Tür: seine Mutter und seine leiblichen
Brüder und Schwestern – ja, die gab's – schlechte Nachricht für
alle Katholiken, die immer noch glauben, dass Maria immerwährende
Jungfrau ist! Sie kommen gar nicht erst herein – vielleicht wegen
der vielen Menschen, oder aber, wahrscheinlicher, weil sie nicht
hereinwollen, nicht dazugehören wollen. Sie wollen nicht bei Jesus
drin sein, sondern er soll zu ihnen rauskommen. Er gehört zu ihnen,
sie sind seine Familie. Sie haben einen Anspruch darauf, dass er sich
um sie kümmert. Schließlich ist er der Älteste und der Vater ist
schon gestorben. Er gehört zu ihnen. Aber sie gehören nicht zu ihm.
Sie wollen ja nicht zu dieser Gesellschaft gehören, die sich da um
ihn versammelt hat, ihn anhimmelt, an seinen Lippen hängt, sich auf
ihn stürzt, um etwas von seiner göttlichen Kraft abzubekommen. Mit
diesem Jesus, diesem Verrückten, mit dem wollen sie nichts zu tun
haben. Sie wollen ihren Privat-Jesus wiederhaben. – Aber den gibt
es nicht mehr.
Die Nachricht
dringt bis zu ihm durch: Deine Mutter und deine Brüder und deine
Schwestern draußen fragen nach dir.
Was Jesus
antwortet, ist immer schon als eine große Brüskierung verstanden
worden. Wie kann er nur seine engsten Angehörigen so vor den Kopf
stoßen? – Meine Mutter? Meine Brüder und Schwestern? – Hier
sitzen sie, meine Mutter, meine Brüder, meine Schwestern. Denn
wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und
meine Mutter.
Eine Brüskierung?
Ja, eine Brüskierung für die, denen der schöne Schein eines
geordneten Familienlebens alles ist. Eine Brüskierung für die,
denen dieser Jesus peinlich ist. Für die, denen er verrückt
erscheint. Für die, die selber den Schritt zu ihm herein nicht tun
wollen, aber erwarten, dass er zu ihnen herauskommt. Für die, die zu
stolz sind, um sich auf ihn einzulassen.
Aber eine
Würdigung, eine Aufwertung für all die anderen, die sich um ihn
sammeln und zu ihm halten – für die, die Gottes Willen tun.
Für die, die
Gottes Willen tun? – Ja, um Gottes Willen, was tun sie denn? Sie
laufen Jesus nach, sie umlagern ihn, sie bitten ihn um Hilfe und
Heilung, sie hängen an seinen Worten, saugen sie in sich auf,
staunen über ihn. Und einige gehen mit ihm mit, folgen ihm nach.
Aber bei weitem nicht alle. Seine engsten Nachfolger, das ist nur ein
kleiner Kreis. Aber die Jesus seine wahren Verwandten nennt, das sind
viele. Viele, von denen wir nicht wissen, wie ernst und nachhaltig
ihre Begeisterung für Jesus war. Von denen wir nicht wissen, was sie
denn noch tun, außer Jesus nachlaufen.
Eigentlich könnte man es doch so verstehen: Jesu Familie, das sind die, die wirklich
bewusst in seinem Sinne leben: Die Hungernde speisen, Fremde
aufnehmen, Nackte bekleiden, Kranke und Gefangene besuchen. Die
kleinen und die großen Heiligen, Leute wie Mutter Theresa oder wie
der Unbekannte von nebenan, der wenigstens seiner alten Nachbarin den
Einkauf mitbringt. Das sind sie doch, die den Willen Gottes tun, so
würden wir meinen.
Aber Jesus spricht
ungeprüft von allen, die sich da um ihn herum versammelt haben. Die
kleinen und die großen Sünder. Die vor allem für sich selber was
erwarten von ihm. Ja, wenn man dem Ablauf dieses Kapitels folgt, dann
müssen sogar die Schriftgelehrten aus Jerusalem noch mit da sein,
die ihn gerade noch als besessen bezeichnet haben. – Sie alle
sollen Jesu Brüder und Schwestern sein?
Das einzige, was
sie tun, ist, sich an Jesus halten. Von ihm etwas erwarten. – Und
genau das ist es wohl, was Jesus meint, wenn er sagt: Sie tun den
Willen Gottes. Denn etwas anderes tun sie ja nicht.
Liebe Schwestern
und Brüder, das ist für mich der Punkt heute. Das ist für unser
Verständnis ganz wichtig, wer wir als Kirche und christliche
Gemeinde sind, wer zu uns gehört und wer nicht: Jeder, der kommt,
jeder, der etwas von uns und der etwas von unserem Herrn Jesus
erwartet, gehört dazu. Wir schließen niemanden aus. Die Kirche
unternimmt keine Prüfung, wie sehr jemand nach dem Willen Gottes
lebt. Wer kommt und etwas von Gott oder auch nur von seinem
Bodenpersonal erwartet, der soll dazugehören.
Denn auf diese
Haltung kommt es an: Offen sein, etwas erwarten, zu Gott zu Jesus
kommen. Nicht draußen stehen bleiben, sondern hereinkommen
mitmachen.
Diese Haltung nennt
die Bibel an anderen Stellen Glauben. Da werden uns Leute im Detail
gezeigt, die Jesus bitten um Heilung und Hilfe, und Jesus lobt ihren
Glauben. Da werden uns einzelne Leute gezeigt, die Jesus fragen um
Rat und Hilfe für ihr Leben, und Jesus antwortet ihnen, weil er
ihren Glauben sieht.
Das ist Glaube:
keine hochgestochene Theologie, keine übermenschliche Moral. Nein,
einfach nur etwas von Gott, von Jesus, von den Menschen erwarten. Und
schon das heißt: den Willen Gottes tun. Es geht nicht um Leistung.
Es geht um Glauben, um Vertrauen, um Hoffnungen und Erwartungen.
Wer glaubt und
hofft, der gehört dazu zur Familie Jesu. Und darum kann ich euch
alle auch so anreden: Liebe Schwestern und Brüder. Wer nichts
erhofft und nichts erwartet, der ist nicht hier. Aber wer hier ist,
der gehört dazu, zur Gemeinde Jesu, zur Familie Gottes.
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