Darum spricht der HERR, der Abraham erlöst hat, zum Hause Jakob: Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen, und sein Antlitz soll nicht mehr erblassen. Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände – seine Kinder – in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen; sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten. Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen.
Jesaja 29, 17-24
Liebe Gemeinde,
heute ist der 11. September. Dieser Tag, heute
vor zehn Jahren, hat uns wohl alle erschüttert, bewegt und auch
verändert. Die Angst, das Entsetzen, die Lähmung, die uns an diesem
Tag, in diesen Stunden erfasst hat, ist uns vielleicht immer noch
präsent. Fast jeder weiß, wo und wie ihn die Nachricht erreicht
hat, die Bilder, wie das zweite Flugzeug in das World Trade Centers
krachte, die brennenden Türme, ihr Zusammenbrechen in riesigen
Staub- und Aschewolken. Wahrscheinlich haben wir es als stechenden
Schmerz empfunden, wie genau in diesem Moment Hunderte, Tausende von
Menschen starben. Und wir haben es hoffentlich nie verstanden, wie
Menschen zu so etwas fähig sein konnten.
Die Welt wird nicht
mehr dieselbe sein wie zuvor, hieß es sehr schnell, wohl schon am
selben Tag. Das war vielleicht in mancher Hinsicht richtig. Anders
als wohl viele Europäer, die die Anschläge vom 11. September als
ein monströses Verbrechen betrachteten, haben die Amerikaner sie als
kriegerischen Angriff verstanden. „America is under attack“, hieß
es. Die Erinnerungen an den japanischen Angriff auf Pearl Harbour
waren sofort präsent. Entsprechend ist es aus amerikanischer Sicht,
aus der Sicht der Opfer des 11. Septembers absurd, so etwas zu sagen
wie es bei uns gerne gesagt wurde: Der 11. September wäre „zum
Vorwand“ genommen worden, um Krieg in Afghanistan und im Irak zu
führen. Nein, diese Kriege, zumindest der in Afghanistan, waren eine
logische Antwort in einem Krieg, der spätestens mit den Anschlägen
vom 11. September den Amerikanern und mit ihnen der ganzen westlichen
Welt von außen erklärt worden war. Von einem Gegner, der schwer zu
fassen und zu bekämpfen war und ist, weil er eben kein Staat mit
bewaffneten Streitkräften ist, sondern ein internationales Netzwerk
von fanatisierten Kämpfern. Und
so hat man logischerweise auch nicht Krieg gegen
Afghanistan oder gegen
den Irak geführt,
sondern in diesen
Ländern, damit von ihnen keine Gefahr mehr ausgeht.
Ja,
die Welt sieht durch den „Krieg gegen den Terror“ ein wenig
anders aus als zuvor. Im Großen und Ganzen ist sie aber doch
dieselbe geblieben. Denn die Terroristen von der Kaida haben es nicht
geschafft, die westliche Kultur in ihrem freiheitlichen
Selbstverständnis zu erschüttern. Sie haben es nicht geschafft, uns
einzuschüchtern und zu verängstigen. Was viele befürchteten, dass
islamistischer Terror zur stets präsenten Gefahr würde, dass sich
weitere größere und kleinere Anschläge häufen würden, das ist
ausgeblieben. Wobei wir die Anschläge von Bali, von Madrid und London wie auch
den misslungenen Anschlagsversuch in Deutschland mit den Kofferbomben
nicht vergessen wollen. Aber dass die Terroristen nach zehn Jahren so
wenig erfolgreich waren, das ist vor allem ein Erfolg der
gesteigerten Sicherheitsmaßnahmen und des internationalen Krieges
gegen den Terror.
Ich habe das nicht immer so klar gesehen. Und man mag mit einigem
Recht darüber diskutieren, ob der Irakkrieg so sinnvoll war oder
nicht.
Ein Denken aber, das erklärten Demokraten und Freiheitsfreunden,
bekennenden Christen, den Amerikanern und natürlich immer wieder den
Juden, finstere Verschwörungen und Weltherrschaftspläne
unterstellt, dagegen skrupellose Mörder und Fanatiker als Opfer
hinstellt, für die man am Ende noch Verständnis haben soll, ein
solches Denken kann ich nur dumm und zynisch nennen.
Ist die Welt seit
zehn Jahren besser geworden, sicherer geworden, vielleicht auch
freier, demokratischer? Vielleicht denken wir an den so genannten
arabischen Frühling? An Libyen? Oder auch daran, dass selbst im Irak
eine, wenn auch schwierige und gefährdete, Demokratie herrscht?
Oder ist es nur
noch schlimmer geworden, gefährlicher, unübersichtlicher?
Eine neue
Weltordnung, wie manche sie sich erträumt haben, hat sich gewiss
noch nicht durchgesetzt.
Aber dieser Traum
von einer neuen Weltordnung, von Frieden und Freiheit, Sicherheit und
Gerechtigkeit, das ist ein ganz alter Traum, ein biblischer Traum,
ein Traum, den vor allem Juden und Christen immer weiter geträumt
haben, und von dem dann doch da oder dort schon etwas Wirklichkeit
geworden ist.
Es ist der Traum,
von dem in unserem Predigttext die Rede ist. Und, ja, eigentlich ist
es mehr als ein Traum. Es ist eine Verheißung. Also ein Traum, der
dazu bestimmt ist, Wirklichkeit zu werden.
Dieser Traum hat
viele Facetten. Gehen wir einfach durch den Text:
Der Libanon soll fruchtbares Land
werden, und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden.
Das ist der Traum,
dass sich die Natur so verändern kann, dass die Erde wirtlicher,
wohnlicher wird. Auf dem Libanon wachsen die legendären Zedern, vor
allem aber ist es ein Hochgebirge, wo in den oberen Lagen fast gar nichts wächst und auf
dessen Gipfeln meistens Schnee liegt. – Wir können es uns
vorstellen, wir haben es hier vor Augen, wie unfruchtbar Gebirgsland
sein kann. Aber es soll fruchtbar werden, wird hier gesagt. – Wie
soll das gehen? Vielleicht durch eine Klimaerwärmung?
Wir mögen auch
daran denken, wie es Menschen in den letzten Jahrhunderten gelungen
ist, Land zu kultivieren und auf kultiviertem Land Ernteerträge zu
erhöhen, durch moderne Bewirtschaftungsmethoden, durch modernen
Pflanzenschutz, durch moderne Pflanzenzüchtung und, ja, vielleicht
auch durch moderne Gentechnik.
Noch immer werden
nicht alle Menschen satt auf unserer Erde. Aber erstaunlicherweise
werden trotz steigender Bevölkerungszahl immer mehr Menschen satt. – Ein Zeichen der Hoffnung.
Die Tauben werden hören die Worte
des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und
Finsternis sehen.
Das ist der Traum,
dass Krankheit und Behinderung die Menschen nicht länger ausschließt
aus der Gemeinschaft der anderen, derer die sehen, die hören, die
verstehen, die wissen.
Jesus hat Taube und
Blinde auf wundersame Weise geheilt. Heute werden weit mehr Blinde
und Gehörlose durch medizinische Möglichkeiten geheilt. Ja, für
uns ist es ganz selbstverständlich geworden, die Sehschwäche und
die Hörschwäche technisch zu kompensieren. Natürlich noch nicht
immer und überall. Es gibt noch Blinde und Gehörlose, und wenn ich
höre, dass jemand aus unserer Gemeinde immer schlechter sieht, und
da wohl nichts zu machen ist, dann macht mich das auch traurig. Aber,
das ist heute Gott sei Dank viel seltener als noch vor wenigen
Jahrzehnten.
Die Elenden werden wieder Freude
haben am Herrn, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich
sein in dem Heiligen Israels.
Das ist der Traum,
dass Armut und Elend überwunden werden, dass Menschen, die wenig
haben und wenig können, doch nicht am Rande der Gesellschaft stehen.
Die Bibel hat eine
starke soziale Komponente, würde man heute sagen. Gottes „Option
für die Armen“ nennen das manche.
Schon die
alttestamentlichen Gebote rufen dazu auf, keinen Hilfsbedürftigen
links liegen zu lassen: die Waisen, die Witwen, die Fremden werden
häufig genannt. Jeder, auch der Ärmste soll genug zum Leben haben.
Und Jesus preist die Armen selig.
Das Christentum hat
eine Kultur der Armenpflege entwickelt, aus der auf der einen Seite
diakonisches und soziales Engagement von Einzelnen und Gruppen
hervorgegangen ist, andererseits der moderne Sozialstaat, der jedem
ein relativ gutes Auskommen sichert.
Darum ist Armut in
Deutschland und Europa nicht das, was eigentlich Armut ist, das, was
wir in vielen anderen Weltgegenden noch haben.
Noch, sage ich,
denn auch hier hat sich die Situation eher verbessert als
verschlechtert. Der Anteil der Menschen zum Beispiel, die weniger als
einen Dollar pro Tag zum Leben haben, hat sich seit 1990 von der
Hälfte auf ein Viertel halbiert. – Ein Zeichen der Hoffnung.
Es wird ein Ende haben mit den
Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt
werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten, welche die
Leute schuldig sprechen vor Gericht und stellen dem nach, der sie
zurechtweist im Tor, und beugen durch Lügen das Recht des
Unschuldigen.
Das ist der Traum,
dass Gewaltherrschaft, Terror und Menschenverachtung keine Zukunft
haben. Dass Rechtsbeugung und Machtmissbrauch aufhören werden.
In der Bibel wird
menschliche Herrschaft zum ersten Mal in der Geschichte an Gottes
Recht gebunden. Wer über Menschen regiert, soll das in Verantwortung
vor Gott und für die Menschen tun, indem er Gottes Gebote achtet.
Tyrannei und
Terrorherrschaft haben letztlich keinen Bestand. Die Zerschlagung der
Naziherrschaft in Deutschland, der Zusammenbruch des kommunistischen
Systems in der Sowjetunion und im Ostblock, sie sind Zeichen dafür,
dass die Tyrannen tatsächlich untergehen.
Das Schicksal von
Saddam Hussein, von Osama bin Laden, der Untergang des Regimes von
Muammar al-Gaddafi – sie bestätigen es auch für dieses letzte
Jahrzehnt.
Vielleicht sind wir
ja einer Welt ohne Gewalt und Terror tatsächlich ein Stück näher
gekommen. – Es gibt Zeichen der Hoffnung.
Weiter heißt es:
Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen, und sein Antlitz soll
nicht mehr erblassen.
Das ist der Traum,
dass Gottes Volk Israel nicht mehr unterdrückt, verfolgt, bedrängt,
gemordet wird.
Denn der Name Jakob
steht für Gottes Volk, für Israel. Es war ja der Erzvater Jakob,
der von Gott den Ehrennamen Israel verliehen bekam.
Über Israel habe
ich vor 14 Tagen ausführlich gesprochen. Es sieht aus, als wäre
auch davon etwas wahr geworden in unseren Tagen: in dem kleinen,
gefährdeten, wunderbaren Land zwischen Jordan und Mittelmeer hat
Israel wieder Heimat und einen eigenen Staat.
Vielleicht mögen
wir als Christen diese Verheißung, diesen Traum auch etwas weiter
fassen. Es ist ja auch unser Traum und unsere Hoffnung, dass das
Leiden und die Verfolgung, die Christen um ihres Glaubens willen
trifft, ein Ende haben werden.
In der Sowjetunion,
im Ostblock haben wir das erlebt: ein Aufatmen und Aufleben des
unterdrückten Glaubens.
An anderen Orten
nimmt die Verfolgung zu. In Nordkorea und in etlichen islamischen
Staaten kann Christsein das Leben kosten. In vielen
arabischen Ländern ist Christsein schwerer geworden: auch und gerade
in Ägypten und im Irak.
Der Traum, die Verheißung des
Propheten sind eben noch lange nicht in allen Stücken Wirklichkeit
geworden.
Die neue Weltordnung, es ist die
Weltordnung Gottes. Wir können sie nicht mit unseren Mitteln
heraufführen. Sicher aber da und dort etwas davon wahr machen.
Demokratie, Freiheit und Menschenrechte, westliche Werte sind eben
zum großen Teil auch jüdisch-christliche Werte.
Am Ende des Predigttextes ist von den
Werken seiner, Gottes Hände die Rede. Das Entscheidende kommt immer
noch und immer wieder von ihm.
Auch die entscheidenden Impulse für
uns.
Das Wichtigste an der prophetischen
Verheißung steht ganz am Ende:
Sie werden meinen Namen heiligen;
sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels
fürchten. Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand
annehmen, und die welche murren, werden sich belehren lassen.
Es ist der Traum,
dass Menschen Irrtümer einsehen und eingestehen können, dass sie
aus Fehlern lernen, dass sie umdenken können und neu anfangen.
Und es ist der
Traum, dass sie sich an Gott erinnern und zu ihm hinwenden. Es ist
der Traum von der großen Bekehrung.
Wo der Glaube
wächst an den Gott, der alles neu und alles gut macht, da wachsen
auch unsere Möglichkeiten, in dieser Welt vieles besser zu machen.
Die Mörder,
Verbrecher und Terroristen, die Angstmacher und Menschenverächter,
diejenigen, die vor zehn Jahren noch gefeiert haben, sie werden keine
Zukunft haben.
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