Sonntag, 8. Mai 2011

Predigt vom 8. Mai 2011 (Miserikordias Domini)

Des HERRN Wort geschah zu mir: 
Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? 
Aber ihr esst das Fett und kleidet euch mit der Wolle und schlachtet das Gemästete, aber die Schafe wollt ihr nicht weiden. 
Das Schwache stärkt ihr nicht und das Kranke heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht zurück und das Verlorene sucht ihr nicht; das Starke aber tretet ihr nieder mit Gewalt. 
Und meine Schafe sind zerstreut, weil sie keinen Hirten haben, und sind allen wilden Tieren zum Fraß geworden und zerstreut. 
Sie irren umher auf allen Bergen und auf allen hohen Hügeln und sind über das ganze Land zerstreut und niemand ist da, der nach ihnen fragt oder auf sie achtet. 

Darum hört, ihr Hirten, des HERRN Wort! 
So wahr ich lebe, spricht Gott der HERR: Weil meine Schafe zum Raub geworden sind und meine Herde zum Fraß für alle wilden Tiere, weil sie keinen Hirten hatten und meine Hirten nach meiner Herde nicht fragten, sondern die Hirten sich selbst weideten, aber meine Schafe nicht weideten, 
darum, ihr Hirten, hört des HERRN Wort!

So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen. 
Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. 
Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war. 
Ich will sie aus allen Völkern herausführen und aus allen Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und an allen Plätzen des Landes. 
Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern und fette Weide haben auf den Bergen Israels. 
Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der HERR. 
Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist. 

Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der HERR.

Hesekiel (Ezechiel) 34, 1-16. 31



Liebe Gemeinde,

die Hirten, die durch den Propheten, aber von Gott angesprochen werden, das sind keine Pastoren. Obwohl das Wort im Lateinischen und auch im Spanischen dasselbe ist: Pastores – die Hirten. Hier geht's aber um die Politiker. Die Hirten des Volkes, das sind im Sprachgebrauch des Alten Orients die politischen Führer. Und das macht es ausnahmsweise mal angenehm und einfach, sich den Predigttext anzueignen. Statt etwa die Pastoren-Kritik auf mich beziehen zu müssen, kann ich einstimmen in die Politikerschelte.

Das wirft Gott den Politikern vor: Sie weiden sich selber und nicht die Herde. Mit anderen Worten: Sie kümmern sich in erster Linie um ihre eigene Versorgung und die ihrer Angehörigen, sichern sich Stellen, Pfründe und Pensionen, während das Volk dafür zu zahlen hat. Kranke und Schwache, um die sich die Politik kümmern sollte, bleiben auf der Strecke. Und die Starken, die Leistungsträger werden erst recht zur Kasse gebeten. Geistig-moralische Orientierung ist von solchen Politikern nicht zu erwarten. Führung im Sinne von klaren Richtungsvorgaben und nachvollziehbaren Entscheidungen findet nicht statt.

So ungefähr dürfte man die alten Worte in neue Sprache übersetzen. Dann klingen sie sehr aktuell. Es würde sicher auch euch leicht fallen, das Versagen der Politik mit aktuellen Beispielen zu illustrieren. Und weil ihr das selber könnt, brauche ich es nicht zu tun.

Denn welche Politiker sollten es denn sein, auf die wir gerade schimpfen wollen? – Meistens sind es die deutschen. Dabei frage ich mich hier gelegentlich. Müsste ich mir nicht viel mehr um spanische und kanarische Politik Gedanken machen? – Und wenn ich anfange das zu tun, wenn ich mich unterhalte mit Leuten, die hier leben und arbeiten, dann drängt sich mir schnell der Eindruck auf: So schlecht sind wir Deutschen mit unseren Politikern vielleicht gar nicht mal dran.

Und wenn ich erst an manche selbstherrliche Despoten denke, vielleicht gerade an die, gegen die sich jetzt ihr Volk erhebt – Gaddafi, Assad ... – und die nicht davor zurückscheuen ihr Volk, ihre Herde, zusammenzuschießen, dann komme ich doch zu dem Schluss: Manches Schimpfen mag berechtigt sein, aber eigentlich geht's uns noch gut. Auch mit unseren Politikern.

… Mir gehen die Pastoren nicht aus dem Kopf. Sind wir vielleicht doch angesprochen? Sind wir nicht doch in ähnlicher Verantwortung wie Politiker?

Mein Reich ist nicht von dieser Welt, hat Jesus gesagt. Darum sind politische Führung und geistliche Leitung zweierlei Paar Schuhe. Hirten dort, Hirten hier.

Schlimm war in der Geschichte die Vermischung von beiden: Päpste und Bischöfe mit politischer Macht. Auf sie hat oft genug die Beschreibung beim Propheten Ezechiel zugetroffen. Die Reformation war auch ein Protest gegen die politische Macht der Papstkirche.

In der Folge wurde es umgekehrt: Weltliche Fürsten wurden zu Kirchenführern. Der Landesherr bestimmte auch in religiösen Fragen. Das vielzitierte Bündnis von Thron und Altar nahm seinen Lauf.

Inzwischen sind Staat und Kirche wieder getrennt – weitgehend. Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Kirche macht keine Politik. Politik mischt sich nicht in Glaubensfragen. So sollte es sein. So ist es nicht wirklich.

Wie auch immer: Auch im geistlichen Bereich, auch im Reich Gottes gibt es Hirt und Herde – Pastoren und ihre Schäfchen. Und die Frage ist berechtigt: Ist die Herde für den Hirten da – also Gemeinde, um den Pastor zu beschäftigen und vor allem zu ernähren – oder ist der Hirte für die Herde da?

Wenn wir von Freunden und Verwandten aus Deutschland gefragt werden, wie es hier so ist, dann erzählen wir gerne, wie gut es uns geht. – Aber eigentlich ist das ja nicht unsere Aufgabe: es uns hier gut gehen zu lassen. Also müssten wir viel eher davon erzählen, wie es euch geht – unseren Schäfchen.

Unser Predigtwort sagt ganz gut, was pastorale Aufgaben sind – Aufgaben eben nicht nur für Politiker, sondern gerade auch für Pfarrer:

  • Schwache stärken. Ich meine im geistlichen Bereich heißt das vor allem Stärkung im Glauben, Stärkung mit dem Wort.
  • Kranke heilen und Verwundete verbinden. Wir sind zwar keine Ärzte, aber wir sind Seelsorger. Und wir können und sollen auch mit unseren Mitteln für Kranke da sein – also mit Gebet und Segen.
  • Verlorene suchen und Verirrte zurückbringen. Das Bild des Guten Hirten ist für mich immer das, wo er sich das verlorene Schäflein auf die Schulter legt und es zurück zur Herde bringt. (In der Kirche meiner Kindheit und Jugend war das so auf einem Glasfenster zu sehen.) Also die, die sich von uns getrennt haben, die nicht so richtig mehr zu uns gehören, suchen und zurückbringen.
  • Starken behüten und fördern. Diese Aussage finde ich besonders wichtig. Nicht nur die Schwachen brauchen einen Pastor, sondern auch die Starken. Wenn ihre Kraft, ihre positive Ausstrahlung den anderen zugute kommen soll, dann muss man sie auch fördern und ihnen Anerkennung geben.

Und bei all diesen Aussagen zum Schafe-Hüten ist mir eines besonders aufgefallen: Schafe hüten heißt nicht, die Herde als ganze, als große graue Masse anzusehen, der man vielleicht nur vornweg laufen muss und sie kommt nach, der man vielleicht nur genug zu Fressen vorsetzen muss und schon werden alle satt. Schafe hüten heißt offensichtlich: Jedes Schaf ist anders. Das eine ist schwach, das andere ist stark. Das eine ist verletzt, das andere gesund. Das eine ist schwarz, das andere weiß. Das eine trabt immer brav mit der Herde mit, das andere geht lieber eigene Wege. Und so braucht jedes einzelne Schaf seine besondere Aufmerksamkeit.

Ich glaube, ich habe hier für mich ganz schön viel durchzubuchstabieren, wenn ich ein einigermaßen guter Hirte, ein guter Pastor sein will.

Mit den guten Hirten war das immer so eine Sache. Gute Politiker und gute Pastoren sind rar. Das muss man wissen. Schon daran, dass so ein Prophetenwort zu jeder Zeit aktuell klingt, schon daran merken wir es: Die schlechten Hirten sind der Normalfall.

Oft genug haben wir die Nase voll von schlechten Hirten. In unserem Predigtwort, diesem Prophetenwort Ezechiels, da sagt Gott: Ich habe die Nase voll von euren schlechten Hirten, von euch schlechten Hirten! Darum, sagt er, will ich, ich selber, euer Hirte sein: Was sie nicht auf die Reihe bringen, das will ich tun: Verlorene suchen, Verirrte zurückbringen, Verwundete verbinden, Schwache stärken, starke behüten – ich will sie hüten, wie es gut ist
.
Menschen, die Gott vertraut haben, haben zu allen Zeiten ihre Hoffnung nicht auf Politiker gesetzt, sondern auf Gott. Sie haben ihren Glauben nicht von Pastoren abhängig gemacht, sondern sich Gott anvertraut: Der Herr ist mein Hirte. Gott selber.

Und: Der Herr ist mein Hirte. Er weiß, wie ich bin, was ich brauche, was mir gut tut.
Er enttäuscht mein Vertrauen nicht.

Jesus Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben.

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