Donnerstag, 24. September 2015

Zündfunke (Rundfunkandacht) am 24. September 2015

Wenn ich an diesem Tag in meinen evangelischen Pfarrerkalender schaue, muss ich lächeln. Da steht der Name Hermann der Lahme. Und ich muss an einen Hermann denken, der von seiner Art her etwas bedächtig war, dem hatte jemand, als er im Kalender diesen Namen gelesen hatte, genau diesen Spitznamen verpasst: Hermann der Lahme.
Der ursprüngliche Hermann, dem man diesen Beinamen verpasst hatte, war aber durchaus nicht lahm im Sinne von langsam oder bedächtig; er war einfach körperbehindert, spastisch gelähmt. Zeitlebens konnte er nicht gehen und nur schwer verständlich sprechen. Dieser Hermann lebte vor tausend Jahren in einer Zeit, die wir das Mittelalter nennen, manchmal auch das finstere Mittelalter. Immerhin fand damals keiner, dass das Leben eines Behinderten wertlos oder würdelos ist. Im Schutz der Klostermauern von Reichenau – darum ist er auch als Hermann von Reichenau bekannt – wuchs der Sprössling eines oberschwäbischen Grafengeschlechts auf, und dort lebte er ein Leben als Forscher, Wissenschaftler, Dichter und Komponist.
Nein, finster war dieser Abschnitt des Mittelalters wahrlich nicht. Klöster wurden zu Stätten der Forschung und Bildung. Wissenschaftliche und philosophische Texte der Antike wurden neu bzw. wiederentdeckt. Man begann die Natur zu beobachten und zu beschreiben und interessierte sich für die Geschichte. Mittendrin der körperlich beeinträchtigte, aber geistig um so regere Hermann. Mathematische Abhandlungen, astronomische Forschungen, eine bedeutende Chronik seiner Zeit, Gedanken zur Musikwissenschaft und eigene Kompositionen, Lobgesänge und Gedichte – das alles hat er verfasst. Auch wenn seinen Namen heute nur noch wenige kennen – er war einer der großen Universalgelehrten seiner Zeit. Dabei ist er nur 41 Jahre alt geworden. Er starb am 24. September 1054.

Hermann steht exemplarisch dafür, dass das Christentum im Mittelalter mit seinen Klöstern, Kirchen und Kathedralen Entscheidendes für die Entwicklung der Wissenschaft geleistet hat und ebenso zum würdevollen Umgang mit hilfsbedürftigen und behinderten Menschen. Bildung und Barmherzigkeit sind Kennzeichen des christlichen Abendlandes.

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