Montag, 7. September 2015

Predigt am 6. September 2015 (14. Sonntag nach Trinitatis)


Neue Kirche. Oder neue alte Kirche. Wir meinten, in einen neu gestalteten Kirchenraum gehörten auch Paramente, zumindest ein Antependium für den Altar. (Wem das zu fremd klingt, soll Altarbehang sagen.) In den meisten Kirchen unserer Heimat gehört das dazu: dass am Altar, an der Kanzel, am Lesepult kunstvoll gestaltete Tücher in den jeweiligen Farben des Kirchenjahres hängen. Aber woher einen ganzen Satz Paramente in Grün, Weiß, Rot und Violett bekommen? So haben wir uns für eines entschieden, ein mehrfarbiges, buntes. So bunt wie unsere Insel, so bunt wie unsere Gemeinde, so bunt wie unser Leben, so bunt wie unser Glaube. Andrea hat es entworfen und aus farbiger Wolle gefilzt; ich habe ein paar Ideen mit eingebracht. Jetzt hängt es hier am Altar, und da soll es auch die nächsten Jahre in unseren Gottesdiensten hängen. Uns erfreuen, unsere Blicke und Gedanken sammeln, uns erinnern an das, was uns wichtig ist.
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Sonne.
Sie fällt als erste auf. Überstrahlt alles. Licht: Weiß – gelb – orange. Ihre Strahlen strahlen in die dunkle Welt. Machen sie hell und bunt. Lassen die Farben leuchten.
Die Sonne lieben wir, suchen wir, beten sie an. Die Sehnsucht nach Sonne hat uns hierhergezogen: In den Süden, wo die Sonne höher steht, heller scheint, wärmer strahlt. In den Süden auch dieser Insel, wo es mehr Sonnenstunden und weniger Wolken gibt als im Inselnorden. – Sonne für die Sonneninsel. Das passt zu uns.
Die güldne Sonne voll Freud und Wonne bringt unsern Grenzen mit ihrem Glänzen ein herzerquickendes, liebliches Licht, haben wir gesungen.
Gott der HERR ist Sonne und Schild, haben wir gebetet (Psalm 84, 10).
Die Sonne ist Bild und Gleichnis für Gott und Christus. Jeden Morgen geht die Sonne auf. Jeden Tag schickt sie Licht und Wärme. Alle Energie, die wir nutzen, die wir haben, kommt von der Sonne. Nicht nur die Sonnenenergie, auch der Wind, die Wasserkraft, Kohle, Öl und Gas – das alles ist gespeicherte Sonnenenergie. Und die Kernenergie in gewissem Sinne auch, wenn sie auch nicht von unserer Sonne stammt. Die Lebensenergie, die wir brauchen, ist Sonnenenergie. Über den Umweg von Pflanzen und Tieren zu uns gelangt, messbar in Kalorien, die wir verbrauchen, besser gesagt: umsetzen. Der Sonne verdanken wir so ziemlich alles. Schon vor Jahrtausenden hat man das geahnt und die Sonne als Gott verehrt. Bis die Menschen im alten Israel darauf kamen: Gott ist noch größer als die Sonne. Er hat sie gemacht und sie als Licht und Lebensspender an den Himmel gesetzt. Die kopernikanische Wende der Religion: Die Sonne stand nicht mehr im Mittelpunkt, sondern der Schöpfergott. Die Sonne ist Gott – das galt nicht mehr. Aber umgekehrt konnte man immer noch sagen: Gott ist die Sonne. Ihm verdanken wir so ziemlich alles: Licht und Wärme und Lebensenergie. Ohne ihn können wir nicht sein.
Kaiser Konstantin wurde Christ, weil er in Christus den wahren Sonnengott erkannt hatte. Der Sol invictus, die unbesiegbare Sonne, die er verehrte – das war in Wahrheit Christus, den es nicht in der Todesnacht hielt, sondern der siegreich aus dem Grab auferstand – so wie die Sonne die Nacht besiegt. In seinem Zeichen wirst du siegen, hörte er in einer Vision und brachte das Kreuzeszeichen auf den Schilden seiner Soldaten an. – Gott der HERR ist Sonne und Schild.
Vielleicht ein Missverständnis – Christus ist kein Kriegsgott. Vielleicht aber auch der Anfang eines neuen Glaubens: Es ist ja doch kein andrer nicht, der für uns könnte streiten, als du unser Gott alleine.
Gott der HERR ist Sonne und Schild.
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Bunte Welt.
Schwarz, Grün, Braun, Blau, Lila – das sind die Farben unserer Welt, in die die Sonne hineinscheint. Gemischte Farben. Hell und Dunkel dicht beieinander. Licht und Schatten. Leben und Tod. Die Sonne scheint aufs Meer, auf den Strand, auf die Lebenden und die Toten. Auf die, die alles verloren haben, alles aufgegeben haben. Auf die, die alles haben und doch nicht glücklich sind. Oder nur manchmal. Weil sie es verlernt haben. Oder weil ihnen das Unglück anderer so zu Herzen geht.
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Blut.
Schwarz, Grün, Braun, Blau, Lila – und Rot. Rot wie die Liebe. Rot wie Blut. Fünf rote Blutstropfen zwischen Sonne und Erde.
Das Blut deines Bruders schreit zu mir von der Erde, sagt Gott zu Kain (Gen 4,10). Menschen leiden, Menschen sterben, Menschen vergießen Blut, töten einander oder sehen dem Töten zu. Während die Sonne scheint, fließt das Blut. Das Blut unserer Menschenbrüder und -schwestern, deren Hüter wir doch sein sollen.
Als ER sein Blut vergoss, verdunkelte sich die Sonne. Als könnte Gott es nicht mit ansehen.
Fünf rote Wunden des Menschenbruders am Kreuz. Zwei Hände, zwei Füße durchbohrt, und die Seite durchstochen.
Durch seine Wunden sind wir geheilt, sagt die Schrift (Jes 53,5).
Und vor über 450 Jahren dichtete einer: Wir danken dir, Herr Jesu Christ, dass du für uns gestorben bist und hast uns durch dein teures Blut gemacht vor Gott gerecht und gut,
und bitten dich, wahr’ Mensch und Gott, durch dein heilig fünf Wunden rot: erlös uns von dem ewgen Tod und tröst uns in der letzten Not. (EG 79,1.2)
Heute teilen wir den roten Wein und erinnern daran: Christi Blut, für dich vergossen.
Fünf rote Blutstropfen zwischen Himmel und Erde. Sie stehen für tausende und abertausende blutende Wunden. Für all das Unheil, das von der Erde zum Himmel schreit. Und sie stehen dafür, dass Gott selber sich verwunden lässt und durch seine Wunden unsere Wunden heilt.
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Feuerzungen.
Es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist. Pfingsten, wie es die Apostelgeschichte erzählt (Apg 2,3f). Das Feuer von Pfingsten ist das Sonnenlicht im Kleinen. Sonnenlicht und Sonnenwärme wird frei, wo Feuer brennt. Gotteslicht und Gotteswärme werden frei, wo der Geist brennt.
Mitten in der dunklen Welt erscheinen diese Flammen, Fackeln des Geistes, Leuchtfeuer des Lebens.
Sieben Feuerzungen sind es auf unserem Antependium.
Siebenfältig sind die Gaben des Geistes – angelehnt an eine Bibelstelle, wo vom Geist des HERRN gesprochen wird als Geist der Weisheit und des Verstandes, Geist des Rates und der Stärke, Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht und als Geist der Gerechtigkeit (Jes 11,2ff). Auf IHM wird ruhen der Geist des HERRN, heißt es, und wir verstehen: auf Christus. Und seit Pfingsten: Wie auf Christus, so auf euch.
Sein Geist leuchtet hier und dort unter uns auf, wie eine Fackel, wie ein Leuchtfeuer: Eine Spur von Weisheit, ein bisschen Verstand, ein guter Rat und neue Kraft, eine wichtige Erkenntnis und ein Augenblick der Gottesfurcht. Und Gerechtigkeit, die den andern leben lässt.
Diese Kirche, diese Gemeinde kann ein Ort sein, wo das hin und wieder geschieht.
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Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist. Gott, der uns geschaffen hat, uns erlöst hat und uns heiligt. Gott, der Himmel und Erde zusammenhält, auf den wollen wir in diesem Gotteshaus hören und ihm an diesem Altar die Ehre geben. Dafür steht dieses schöne Antependium.

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