Sonntag, 28. September 2014

Predigt am 28. September 2014 (15. Sonntag nach Trinitatis)

Es war zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte. Und alle Sträucher auf dem Felde waren noch nicht auf Erden, und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen; denn Gott der HERR hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, der das Land bebaute; aber ein Nebel stieg auf von der Erde und feuchtete alles Land.
Da machte Gott der HERR den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.
Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. Und Gott der HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.
Und es ging ein Strom, den Garten zu bewässern, und teilte sich von da in vier Hauptarme. Der erste heißt Pischon, der fließt um das ganze Land Hawila, und dort findet man Gold; und das Gold des Landes ist kostbar. Auch findet man da Bedolachharz und den Edelstein Schoham. Der zweite Strom heißt Gihon, der fließt um das ganze Land Kusch. Der dritte Strom heißt Tigris, der fließt östlich von Assyrien. Der vierte Strom ist der Euphrat.
Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.
1. Mose 2, 4b-15


Zu meinen frühesten Erinnerungen gehört der Garten, gleich neben dem Haus, in dem wir wohnten: mit Rasenfläche und Blumenrabatten, mit Gemüsebeeten und Komposthaufen, mit einer Wassertonne und mit einem Sandkasten zum Spielen und Bauen für den kleinen Roland.
Da draußen im Garten konnte ich mich frei bewegen, auch ohne dass Mutti oder Vati in unmittelbarer Nähe waren.
Umzäunt und geschützt, so dass ich nicht davonlaufen konnte, nicht auf der Straße unter die Räder kam und auch kein böser Mensch mich wegfangen konnte.
Klein-Roland mit der Kindergießkanne beim Blumengießen – da gibt’s noch alte Fotos.
Ganz ungefährlich war es trotzdem nicht im Garten. Ich sage nur: Wassertonne. – Klar, dass ich da mal reingefallen bin!
Aber wirklich allein gelassen war ich zum Glück ja nie: Die Eltern oder die Großmutter waren immer in Rufweite.
Der Garten war ein schöner Ort: Ich begann die  Welt zu entdecken und war doch behütet.
*
Später gehörte zu meinen unbeliebtesten Schulfächern der Schulgartenunterricht.
Da musste man gerade Beete anlegen, Radieschen oder Möhren säen, Unkraut jäten, sich die Finger dreckig machen. Die Stunden waren endlos, und am Ende bekam ich doch nur eine Drei, weil die Abstände zwischen den Pflänzchen zu ungleichmäßig waren oder das Beet zu schief, oder einfach nur weil ich weniger geschafft hatte als andere.
Spaß machte das nicht.
Auch um die Arbeit im Garten meiner Eltern habe ich mich nicht gerissen. Aber es musste eben sein: Unkrautziehen, Gießen, Erdbeeren, Johannisbeeren, Kirschen oder Pflaumen pflücken und im Herbst umgraben.
Ein Garten erfordert Arbeit, sonst verwildert er: Bebauen und Bewahren.
*
Vor ein paar Jahren haben K. und B., beide in unserem Alter, sich einen Garten gekauft: mit einer bewohnbaren Hütte drauf, Rasenflächen, Obst- und Ziergehölzen, ein paar Beeten. Schön fürs Wochenende. Da kann man am Tag was tun und am Abend Bratwürste grillen und Bier trinken.
Es war eine Fehlinvestition.
Die ersten zwei Jahre haben sie oft Würste gegrillt und Bier getrunken; B. hat manchmal den Rasen gemäht; aber dann ist der Garten mehr und mehr verwildert. Sie hatten keine Lust oder zu wenig Energie, um ihren Garten wirklich zu pflegen und schön zu erhalten. Jetzt ist er von Unkraut überwuchert. Und auch zum Grillen und Biertrinken gehen sie nicht mehr dorthin.
Schade um den schönen Garten!
*
Zu den frühesten Erinnerungen der Menschheit gehört ein Garten: der Garten Eden.
Wonnegarten kann man das übersetzen.
Das Paradies.
Von Gott gepflanzt, von Gott beschützt, von Gott bewässert.
Draußen war die Wüste: Das karge Nichts aus Stein und Sand.
Aber wir kannten sie noch nicht, denn als wir die Augen aufschlugen, fanden wir uns in einem Garten, wo alles da war, was wir zum Leben brauchten.
Draußen war der Dschungel: Die grüne Hölle, wo es wild wucherte und das Gesetz des Fressens und Gefressenwerdens galt.
Aber davon wussten wir noch nichts, denn wir fanden uns in einer heilen Welt: dem Garten der Wonne, und wussten noch nichts von Gut und Böse.
Nur von unzähligen verlockenden Früchten, die darauf warteten, von uns gepflückt zu werden; jede versprach einen neuen Geschmack.
Und vor uns lag eine unendliche Zeit, sie zu entdecken, sie zu genießen.
Alles war leicht, alles war ein Spiel...
Mit der Zeit lernten wir, dass ein Garten Pflege braucht.
Wenn wir nichts taten, verwilderten die ersten Ecken.
Wo wir nicht begossen, da vertrockneten Pflanzen. Wo wir nicht mähten und jäteten, da überwucherten Gräser und Kräuter alles andere. Wo wir nicht ernteten, da verfaulten die Früchte auf oder unter den Bäumen. Die Wüste und der Dschungel drangen ein in unseren Garten.
Aber wir lernten auch, was wir tun konnten: Bebauen und Bewahren - unseren Lebensraum kultivieren, damit die zerstörerischen Kräfte der Natur nicht die Oberhand gewönnen.
*
Inzwischen sind wir herausgewachsen aus dem Kindesalter.
Wir leben nicht mehr im Paradies.
Unsere Welt ist groß und weit geworden.
Wir haben die Wüste kennengelernt und den Dschungel.
Wir haben Gutes entdeckt und Böses.
Da draußen.
Und auch da drinnen (aufs Herz zeigen).
Die Gefahren sind real.
Das Leben ist lebensgefährlich, und der Gott, der uns einst behütete, meistens außer Rufweite.
Das Paradies ist nur noch eine Ahnung von ganz, ganz ferne her.
Manchmal wünschen wir uns, es möge wieder so sein.
Dann kaufen wir uns vielleicht einen Garten (oder irgendwas anderes) und versuchen es uns schön zu machen, und es gelingt uns doch nicht.
Manchmal sagen wir uns auch:
So schön kann es ja gar nicht gewesen sein.
Das Paradies ist nur die Projetion einer Heimat, in der noch niemand gewesen ist.
Manchmal aber stellen wir erstaunt fest, dass sich unser Leben gerade so anfühlt wie im Paradies.
Manchmal, in einem glücklichen Augenblick.
Wenn unser Bebauen und Bewahren Früchte trägt, und wir brauchen sie nur noch zu ernten.
Wenn wir merken, dass wir nicht allein sind, und es ist gut so.
Und wenn Gott da ist, auch hier, jenseits von Eden.
*
Nein, wir leben nicht mehr im Paradies.
Aber etwas vom Paradies ist noch da in unserem Leben.
Oder wieder da.

Der Lebensstrom, der von Eden ausgeht, fließt ja weiter in unsere alte, weite Welt hinein, teilt sich in Ströme und Bäche, fließt durch unsere Wüsten und Dschungel, erhält uns am Leben und erzählt uns von der Quelle, aus der alles Gute fließt, und von dem Ort, wo wir einmal zu Hause waren und es irgendwann wieder sein werden: bei Gott.

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