Sonntag, 23. Februar 2014

Predigt am 23. Februar 2014 (Sonntag Sexagesimä)


Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: Ein Mann aus Mazedonien stand da und bat ihn: „Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!“ Als er aber die Erscheinung gesehen hatte, da suchten wir sogleich nach Mazedonien zu reisen, gewiss, dass uns Gott dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen. Da fuhren wir von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake, am nächsten Tag nach Neapolis und von da nach Philippi, das ist eine Stadt des ersten Bezirks von Mazedonien, eine römische Kolonie. Wir blieben aber einige Tage in dieser Stadt.
Am Sabbattag gingen wir hinaus vor die Stadt an den Fluss, wo wir dachten, dass man zu beten pflegte, und wir setzten uns und redeten mit den Frauen, die dort zusammenkamen. Und eine gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf, sodass sie darauf Acht hatte, was von Paulus geredet wurde. Als sie aber mit ihrem Hause getauft war, bat sie uns und sprach: „Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da.“ Und sie nötigte uns.
Apostelgeschichte 16, 9-15



Liebe Schwestern und Brüder,
Menschen erzählen die Ehre Gottes*, das Reich Gottes wächst, und immer wieder aufs Neue entdecken Menschen das Glück, Gott nahe zu sein – so wie es die Jahreslosung sagt: Gott nahe zu sein ist mein Glück.
Lukas, der nach dem Evangelium auch die Apostelgeschichte geschrieben hat, erzählt die Ehre Gottes, indem er große Geschichte erzählt: die Geschichte, wie das Wort Gottes von Jerusalem aus in die weite Welt hinaus läuft, bis es in der Welthauptstadt – der damaligen Welthauptstadt – Rom angekommen ist. Er erzählt große Geschichte in kleinen Geschichten. Geschichten von Petrus und Paulus, von Philippus und Stephanus, von Silas und Timotheus, und Geschichten von Menschen, die das Wort Gottes erreicht und verändert: so wie Kornelius, von dem wir neulich gehört haben, oder Lydia, von der wir heute hören. Lukas erzählt Geschichten von Menschen, die selber Geschichten erzählen: Petrus erzählt von Jesus, der tot war und auferstanden ist, der ihm begegnet ist, ihm vergeben hat und ihn beauftragt hat, das Wort Gottes weiter zu sagen. Paulus erzählt von Jesus, der ihm begegnet ist auf dem Weg nach Damaskus und sein Leben umgekrempelt hat: aus dem Christenverfolger Saulus den Christusverkündiger Paulus gemacht hat. So erzählen sie die Ehre Gottes Gottes: in Geschichten, die Geschichte gemacht haben.
Ich behaupte: Auch wir sind ein Teil der großen Geschichte Gottes. Denn Gottes große Geschichte ereignet sich in den kleinen Geschichten unseres Lebens.
Und so zeigt sich in den Geschichten von Petrus und Paulus, von Lydia und Kornelius, was typisch sein könnte an Gottes Geschichten, auch wenn ihre Protagonisten Peter oder Paul heißen, Ludwig oder Kornelia.
In der Geschichte, die wir heute gehört haben, von der Überfahrt von Kleinasien nach Mazedonien und von der Begegnung mit Lydia am Fluss bei Philippi, da wird zum Beispiel sehr deutlich sichtbar, wie Gott Menschen führt. Das ist typisch.
Paulus und seine Begleiter sind in der Hafenstadt Troas angekommen. Sie wollten da wohl gar nicht so richtig hin, aber in alle anderen Richtungen war es nicht weiter gegangen – aus irgendwelchen Gründen. Lukas schreibt: Der Geist Gottes hinderte sie. Eigentlich bleibt hier nur eine Richtung, um weiter zu reisen: übers Meer. Vielleicht haben sie noch gezögert. Aber da ist dann diese nächtliche Vision: Ein mazedonischer Mann, der Paulus bittet, auf die griechische Seite überzusetzen und ihnen dort zu helfen. Und dann ist alles klar, und alles geht ganz schnell – sie setzen über, und ein neuer Abschnitt der Geschichte beginnt.
Gott verschließt Türen und sperrt Wege ab, und dann öffnet er eine andere Tür und zeigt einen neuen Weg. Das ist typisch. So ist es vielen von uns oft schon gegangen. So erlebe ich auch meinen eigenen Lebens- und Glaubensweg.
Manchmal schickt Gott sogar Träume und Visionen – oder deutliche Worte. Als die Entscheidung anstand, ob wir nach Teneriffa gehen, da hatte ich zwar keine Vision oder dergleichen, aber in einem besonderen Gottesdienst wurde ich sehr persönlich – jeder zog sich eine Bibelstelle – auf das Wort Gottes an Abraham gestoßen: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. … Und ich will dich segnen …, und du sollst ein Segen sein … (1. Mose/Genesis 12) – Das war für mich eine große Bestätigung, dass das Vorhaben so richtig war.
Ja, ich glaube, dass Gott mich führt und dass auch meine Geschichte ein Teil von Gottes großer Geschichte ist.
Manchmal auch anders als erwartet und manchmal auch mit Humor: Da träumt Paulus von einem Mann aus Mazedonien, der ihn um Hilfe ruft. Und dann sind sie da drüben angekommen und der erste Mensch, dem sie wirklich helfen können, ist kein Mann, sondern eine Frau; und sie kommt auch gar nicht aus Mazedonien, sondern aus Lydien, wie ihr Name schon sagt, also von der anderen Seite der Ägäis, wo Paulus gerade herkommt.
Diese Begegnung aber wird entscheidend wichtig für Paulus: denn jetzt hat er einen Menschen, einen Ort, ein Haus, ein Basislager, von wo aus er weiter wirken kann. Und es folgen dann ja auch weitere Geschichten, wunderbare Geschichten, wie Menschen frei werden und zum Glauben kommen. Es entsteht eine christliche Gemeinde, die dem Paulus bald die allerliebste von allen war – wir lesen davon in seinem Brief an die Philipper, den er viele Jahre später geschrieben hat.
Gott macht Geschichte, indem er Menschen führt. Das ist typisch.
Typisch auch, aber eigentlich noch viel grundlegender ist, dass Gott Menschen das Herz öffnet. Wir fanden schon am Mittwoch im Bibelgespräch, dass das eigentlich der wichtigste Satz im ganzen Abschnitt ist: der Herr tat ihr das Herz auf. Das ist gewissermaßen die Innenseite der Geschichte Gottes mit den Menschen: dass er Herzen öffnet.
Wir erfahren ja gar nicht, was Paulus da eigentlich mit den Frauen am Fluss gesprochen hat. Und vielleicht kommt es am Ende auch gar nicht so sehr auf die einzelnen Worte an, sondern darauf, dass sie in offene Herzen hineinfallen. – Wir haben das Gleichnis Jesu gehört (Evangelium des Sonntags: Lukas 8, 4-15), wie der Same des Wortes Gottes in Herzen fällt, wo er nicht aufgehen kann, weil sie hart und verschlossen sind – oder aber eben doch in offene Herzen, wo das Wort Wurzeln schlägt und Frucht bringt. – Entscheidend ist, dass Gott schon vorgearbeitet hat: den Boden bereitet für den Samen des Wortes, Herzen geöffnet. Da kann etwas wachsen, da spüren Menschen das Glück, Gott nahe zu sein.
Eigentlich ist es schade, dass wir nichts weiter erfahren von der Lebensgeschichte der Lydia. Wie sie als Frau eine erfolgreiche Unternehmerin werden konnte, wie sie zur „Gottesfürchtigen“ wurde, also zu einer Anhängerin des Judentums, ohne Jüdin zu sein. Wie es ihr erging in einer Stadt, die ihr fremd sein musste, weil sie eine römische Ansiedlung war mit vielen Menschen, die aus Italien stammten, wo wahrscheinlich auch nicht ihre Muttersprache Griechisch, sondern Lateinisch gesprochen wurde. Wir wissen nicht, wie alt sie war, ob sie Mann und Kinder hatte und wer dazu gehörte zu „ihrem Haus“. Aber eines ist sicher: Mit ihrer ganzen Lebensgeschichte war sie vorbereitet für diesen Moment, wo Gottes Wort in ihr offenes Herz fiel. Es war da etwas, nach dem sie sich wohl schon unbewusst gesehnt hatte, und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie genau dieses Glück gefunden hat: Ja, ich kann Gott wirklich nahe sein! Auch als Nichtjüdin, auch als Geschäftsfrau, die mit beiden Beinen im Leben steht.
Etwas drittes Typisches wird sichtbar: Wo sich Herzen öffnen, da öffnen sich auch Türen zwischen Menschen: Es entsteht und wächst Gemeinde. Und Gottes Geschichte geht weiter: von Mensch zu Mensch.
Lydia und die mit ihr leben werden binnen kurzem getauft. – Wenn Gottes Wort in ihren Herzen angekommen ist und Glauben weckt, dann sollen sie auch hineingetauft werden in die Gemeinschaft der Glaubenden, in den Leib Christi. Es geschieht unverzüglich – ohne monatelangen Taufunterricht oder andere Vorbereitungen: Die Taufe steht normalerweise am Anfang, nicht am Ende eines Weges. Sie werden getauft; und auf einmal ist da Gemeinde, Kirche: Wort und Sakrament.
Und ihr Haus wird Gemeindehaus – ein Haus der Begegnung, mit offenen Türen für den Apostel und seine Mitarbeiter. Und dann auch für alle, die dazukommen in den nächsten Wochen und Monaten, wenn Gottes Geschichte weiter geht und Menschen mit ihrer Geschichte Teil seiner großen Geschichte werden.
Ja, das alles ist typisch für Gottes Geschichte und Gottes Geschichten mit den Menschen: dass er uns führt auf den Wegen unseres Lebens; dass er uns die Herzen öffnet für sein Wort, für seinen Geist und füreinander, und dass er uns zueinander führt und uns Gemeinde sein lässt.
Mögen wir das auch in unserem Leben und in unserer Kirche entdecken: dass unsere kleinen Geschichten zu Gottes großer Geschichte gehören. Und mögen wir sie erzählen unsere Gottesgeschichten – zu seiner Ehre.
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* Der Chor hatte zum Eingang gesungen: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“.

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