Sonntag, 14. Juli 2013

Predigt am 14. Juli 2013 (7. Sonntag nach Trinitatis)

Die Apostel, die Jesus ausgesandt hatte, kamen zurück und erzählten ihm, wie große Dinge sie getan hatten. Und er nahm sie zu sich, und er zog sich mit ihnen allein in die Stadt zurück, die heißt Betsaida. Als die Menge das merkte, zog sie ihm nach. Und er ließ sie zu sich und sprach zu ihnen vom Reich Gottes und machte gesund, die der Heilung bedurften.
Aber der Tag fing an, sich zu neigen. Da traten die Zwölf zu ihm und sprachen: „Lass das Volk gehen, damit sie hingehen in die Dörfer und Höfe ringsum und Herberge und Essen finden; denn wir sind hier in der Wüste.“ Er aber sprach zu ihnen: „Gebt ihr ihnen zu essen.“ Sie sprachen: „Wir haben nicht mehr als fünf Brote und zwei Fische, es sei denn, dass wir hingehen sollen und für alle diese Leute Essen kaufen.“ Denn es waren etwa fünftausend Mann. Er sprach aber zu seinen Jüngern: „Laßt sie sich setzen in Gruppen zu je fünfzig.“ Und sie taten das und ließen alle sich setzen. Da nahm er die fünf Brote und zwei Fische und sah auf zum Himmel und dankte, brach sie und gab sie den Jüngern, damit sie dem Volk austeilten. Und sie aßen und wurden alle satt; und es wurde aufgesammelt, was sie an Brocken übrigließen, zwölf Körbe voll.
Lukas 9, 10-17


Da hast du aber übertrieben, Lukas: fünf Brote und zwei Fische für 5000 Menschen! Und dann bleiben körbeweise Reste übrig! Warum erzählst du uns keine glaubwürdigeren Geschichten? Fünfzig Brote für fünfhundert Leute, das hätte doch gereicht! Dann hätte das auch mit unserer Lieblingsinterpretation funktioniert: dass viele noch etwas aus ihren eigenen Taschen hervorgeholt hätten, so dass alle genug hatten. Aber so? Bei fünftausend Leuten und fünf Broten klappt es auch mit dieser Erklärung nicht mehr. Ein Tausendstel Brot für jeden – das ist absurd! Auch die schöne alte rationalistische Erklärung, die Aktion sei heimlich vorbereitet worden und die Jünger hätten Brotvorräte in den Büschen versteckt gehabt, zieht nicht bei solchen Mengen. Nein, Lukas, du hast einfach übertrieben! Du wolltest uns ein besonders großes Wunder erzählen, und wir sollen dir das glauben. Du machst es uns wirklich schwer!
Aber wahrscheinlich musstest du diese Geschichte einfach aufschreiben. Jeder, der das Leben von Jesus erzählte, kannte auch diese Geschichte und hat sie weitererzählt: sechsmal steht sie nun in unseren Evangelien, wie Jesus mit ganz wenig Brot und Fisch ganz viele Leute satt gemacht hat. Die Leute haben diese Geschichte geliebt. Vielleicht gerade deshalb, weil sie so übertrieben erscheint.
Wenn ich in deinem Evangelium ein bisschen zurückblättere, Lukas, dann muss ich sagen: Es wimmelt da eigentlich von Übertreibungen. Da ist ja nicht nur die Geschichte von der Brotvermehrung. Ich lese, dass Jesus ein totes Mädchen wieder lebendig gemacht hat. Ist das nicht übertrieben? Bestimmt war es nur sehr krank und schwach, nicht wirklich tot! Ich lese, dass Jesus Dämonen ausgetrieben und in eine Schweineherde hat fahren lassen, die sich daraufhin ins Wasser stürzte. Wäre es nicht ein bisschen weniger dramatisch gegangen? – Und überhaupt, was sollen wir von Dämonen halten? Du hast einfach übertrieben! Und dann soll Jesus einfach so den bedrohlichen Sturm und die Wellen auf dem See geglättet haben, so dass keine Gefahr mehr bestand. – Als ob jemand einfach so das Wetter ändern könnte! Da hast du doch auch übertrieben! – Oder?
Du, Lukas, ich versuche dahinterzukommen, warum du so übertreiben musstest. Du hast doch am Anfang deines Evangeliums geschrieben, du hättest alles sorgfältig überprüft. Meinst du nicht, dass du dann doch der Legendenbildung aufgesessen bist?
Nein, eigentlich habe ich den Eindruck, dass du glaubst, was du da schreibst. Du willst uns keine Märchen erzählen. Du willst uns erzählen, wer Jesus wirklich war. Ohne Übertreibung!
Nach der Geschichte mit der Brotvermehrung erzählst du, wie Jesus seine Jünger fragt, was die Menschen denn nun von ihm halten. Und dann, viel wichtiger, was sie selber, seine Jünger von ihm halten. Und da sagt Petrus: Du bist der Christus Gottes!
War das etwa auch übertrieben? – Ich hoffe nicht. Denn daran glaube ich auch und wir, die wir uns noch heute Christen nennen: Jesus – der Christus Gottes! Gottes Gesalbter, Gottes Sohn!
Wenn das übertrieben ist, wenn Jesus nur eine Art Prophet, ein spiritueller Führer, ein Weiser, ein besonders guter Mensch war – ja, dann sind auch alle diese Geschichten über ihn sicher übertrieben.
Aber, du, Lukas, du hast es geglaubt, was Petrus geglaubt hat und was wir bis heute glauben: Jesus ist der Christus Gottes. – Und wenn das nicht übertrieben ist, dann ist alles andere, was von ihm erzählt wird, auch nicht übertrieben.
Wie sollte ihm, Gottes Sohn, etwas unmöglich sein? Das willst du uns doch sagen, Lukas! Wenn Gott die Welt aus dem Nichts geschaffen hat, dann ist eine Brotvermehrung auch für seinen Sohn kein Problem. Und Petrus hat es ja, so wie du es darstellst, genau begriffen: Bei dem, dem Sturm und Wellen gehorchen, dem auch die Dämonen gehorchen, der Tote ins Leben ruft und der aus Mangel Überfluss macht, bei dem kann es sich nur um Gottes Sohn, um den Christus Gottes handeln.
Nein, Lukas, nicht du hast es übertrieben. Jesus selber hat es übertrieben. Er hat sich nicht mit schönen Worten und Geschichten vom Reich Gottes begnügt, sondern er hat es allen gezeigt: Das Reich Gottes ist mitten unter euch. Da wo er, Jesus, ist, da ist Leben im Überfluss, da ist der Tod besiegt, da werden die Mächte des Bösen vernichtet, da ist die Gefahr des Untergangs gebannt. Jesus hat gewissermaßen alle Register gezogen, um es zu zeigen, wer er für uns ist, und um es zu zeigen, wie Gott zu uns ist. Du hast es nur aufgeschrieben.
Aber Jesus, hat er es nicht wirklich übertrieben? Hat er es nicht zu weit getrieben? Vor allem, als er es nicht bei Wundern beließ, sondern sich auch als Christus, als Messias-König in Jerusalem feiern ließ und sich mit allen anlegte, die im Namen Gottes redeten und handelten, und als er sich schließlich dafür kreuzigen ließ? – War das nicht übertrieben? Musste er wirklich so weit gehen?
Und, ja, eigentlich: Hat Gott selber da nicht übertrieben? Ok, dass er seinen Sohn zu den Menschen geschickt hat, das war sicher eine nette Geste. Aber dass er ihm das zugemutet hat, ihn einfach so am Kreuz sterben ließ? Konnte er da nichts machen?
Weißt du, Lukas, wir haben da seit einigen Jahrhunderten eine ganze Menge kluger Leute, auch so genannte Gottesgelehrte – Theologen –, die fanden diese Wundergeschichten mit der Brotvermehrung und so schon lange ziemlich übertrieben. Die finden es inzwischen auch übertrieben, dass Jesus für uns am Kreuz gestorben sein soll, dass Gott dieses Opfer gewollt haben könnte. Gott wollte doch eigentlich nur, dass die Menschen liebevoller und solidarischer miteinander leben. Sie sollten sich zusammensetzen – wie in deiner Geschichte – und ihr Brot miteinander teilen und glücklich leben. Was darüber hinausgeht, echte Wunder, Lebensopfer und Auferstehung – davon wollen sie nichts mehr wissen. Das scheint ihnen übertrieben zu sein.
Du, ich weiß nicht, ob die am Ende wirklich so klug sind. Oder ob Gott für sie am Ende nichts weiter ist als die Idee vom guten Menschen. Das fände ich dann aber sehr untertrieben, und du sicher auch.
Nein, wahrscheinlich hast du mit deinen Jesus-Geschichten genau den Punkt getroffen: Gott hat es wirklich übertrieben. Er hat es übertrieben mit seiner Liebe zu den Menschen. Er wollte ihnen viel mehr geben, als sie sich vorstellen konnten. Nicht nur viel mehr Brot, als sie sich vorstellen konnten, sondern viel mehr Leben, als sie sich vorstellen konnten. Ewiges Leben, das den Tod übersteht. Ewiges Leben, das keine Macht des Bösen zerstören kann.
Gott hat es übertrieben, denn er könnte sicher ganz gut ohne uns leben. Er müsste sich das nicht antun, sich mit uns Menschen abzugeben. Aber er hat halt diese völlig übertriebene Liebe zu uns, die ihn vor nichts zurückschrecken lässt.
Dein Kollege Johannes – habt ihr euch eigentlich gekannt? – der hat in seinem Jesus-Buch einen wunderbaren Satz geschrieben; den würdest du sicher auch so unterschreiben: So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben (Johannes 3, 16). – Ob Johannes da auch übertrieben hat? – Ich glaube nicht, ich glaube an diese Liebe Gottes. Und ich bin froh und dankbar, dass Gott es so übertrieben hat mit seiner Liebe.
Ja, so wird es wohl sein: Gott gibt uns viel mehr, als wir uns vorstellen können. Brot und Fisch für fünftausend Leute – im Vergleich zu dem, was Gott uns wirklich schenkt, ist das eher untertrieben.
Also, danke, Lukas, für diese schöne Geschichte! Und danke, Gott, für deine übergroße Liebe!

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