Donnerstag, 31. Dezember 2015

Predigt am 31. Dezember 2015 (Altjahrsabend)

Ist Gott für uns, weg kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt. Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Wie geschrieben steht: „Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind wie Schlachtschafe.“ Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
Römer 8, 31b-39

Das Jahr 2015 ist vorüber.
Von Anfang an hatte ich das Gefühl:
Es wird kein gutes Jahr.
Zu viele offene Probleme, zu viele Sorgen und Ängste hatten wir mitgenommen ins damals neue Jahr.
Und zu wenig Hoffnung.
Muss ich von den politischen Entwicklungen in diesem Jahr erzählen?
Von Terroristen und denen, die von ihnen umgebracht wurden?
Von Flüchtlingen und denen, die sie nicht aufnehmen wollten?
Von Politikern, die sich über Recht und Gesetz hinweggesetzt haben?
Von Demonstranten, die Politiker am Galgen sehen wollten?
Und von anderen Demonstranten, die halbe Stadtviertel verwüstet haben?
Von Journalisten, die das eine in Kommentaren aufgeblasen und das andere in den Kurznachrichten versteckt haben?
Von denen, die dazu „Lügenpresse“ sagen und gleichzeitig den größten Unfug aus den Schmuddelecken des Internets verbreiten?
Sollte ich die Namen von Staaten nennen, die uns Sorgen gemacht haben?
Es werden viele: Syrien, Irak, Iran, Türkei, Afghanistan, Pakistan, Israel, Ukraine, Russland, Griechenland, Ungarn, Polen, Schweden, Frankreich, Belgien, Österreich, Deutschland …
Zu jedem könnten wir lange Geschichten erzählen. Und vollständig ist die Liste noch lange nicht.
Muss ich von uns persönlich sprechen?
Von denen, die wir verloren haben und vermissen?
Von denen, denen es heute schlechter geht als vor einem Jahr?
Von denen, die zu uns gehört haben und nicht wieder kommen werden?
Am Ende habe ich immer noch das Gefühl:
Es war kein gutes Jahr.
Aber Gefühle können trügen.
Vor ein paar Tagen habe ich etwas gelesen, was ich auf den ersten Blick für unglaublich hielt:
2015 war das beste Jahr der Weltgeschichte für den durchschnittlichen Menschen auf der Erde (http://www.theatlantic.com/international/archive/2015/12/good-news-in-2015/421200/).
Unglaublich?
Aber wenn man sich die weltweite Entwicklung anschaut, dann gab es in der Tat noch nie so wenig Hunger, noch nie so wenig Krankheit, noch nie so wenig Armut, noch nie so wenig Analphabetismus, noch nie so eine geringe Kindersterblichkeit, noch nie so eine hohe Lebenserwartung, noch nie so viel Demokratie und Toleranz auf der Welt wie heute.
Daran können auch die wenigen Wahnsinnigen dieser Welt nichts ändern.
Auf der anderen Seite: Auch dass es weltweit aufwärts geht, ändert nichts daran, dass es für einzelne abwärts geht.
Dass weniger Kinder sterben, macht es für die nicht besser, die sterben.
Dass in manchen Regionen friedlicher wird, macht es für die Menschen in den Kriegsgebieten nicht besser.
Dass viele länger leben, macht es für uns nicht leichter, wenn einer zu früh gehen muss.
Oder um das Problem für manche bei uns in Deutschland und Europa auf den Punkt zu bringen: Dass es den Millionen Flüchtlingen hier besser geht, macht es für uns nicht einfacher, wenn sie unsere bisherige Art zu leben infragestellen.
Die Rechnung geht nicht so einfach auf:
Alles wird besser? - Nein, sicher nicht.
Alles wird schlechter? – Auch das stimmt nicht.
Alles wird anders.
Das ist wohl richtig.
Das Leben ist Veränderung.
Wenn sich nichts mehr ändert, dann sind wir tot.
Das Leben ist Veränderung.
Nichts bleibt, wie es ist.
Unser Problem: Wenn wir das, wie es ist, gut finden, dann fällt es uns schwer, uns auf Veränderungen einzustellen.
*
Der Apostel Paulus spricht von dem, was sich niemals ändern wird:
Gott ist für uns. – Wer kann gegen uns sein?
Gott beschenkt uns: mit seinem Leben und seinem Geist. – Wer kann uns das nehmen?
Gott hat uns auserwählt. – Wer will uns hindern, das Ziel unseres Lebens zu erreichen?
Gott macht uns gerecht. – Wer will uns schlecht machen?
Gott liebt uns. Wer will uns von seiner Liebe trennen?
Das war vor 2.000 Jahren so, das ist heute so, und das wird auch in 2.000 Jahren nicht anders sein:
Gott ist für uns. – Wer kann gegen uns sein?
Es ist eine rhetorische Frage.
Manchmal meinen wir: Die Zeit arbeitet gegen uns.
Irgendwann haben wir verloren gegen die Zeit.
Aber was ist die Zeit, wenn der ewige Gott für uns ist?
Manchmal meinen wir: Die Mächte dieser Welt arbeiten gegen uns.
Aber was sind die Mächte dieser Welt, wenn der allmächtige Gott für uns ist?
Manchmal meinen wir: Die Mächte des Himmels sind uns nicht wohlgesonnen und die Mächte der Hölle gewinnen die Oberhand.
Aber was sind alle Mächte und Gewalten, wenn der Herr der Heerscharen auf unserer Seite steht?
Manchmal meinen wir: Wir sind ganz oben, alles ist perfekt.
Aber was bedeutet das schon, wenn wir Gott über uns haben?
Manchmal meinen wir: Wir wären ganz unten, am Boden, oder schon so gut wie begraben.
Aber was heißt das schon, wenn wir nicht tiefer fallen können als in Gottes Hand?
Am Ende bin ich noch immer bei dir, weiß der Psalmbeter.
Und der Apostel Paulus ist gewiss,
dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
Ich bin dessen auch gewiss.
Dass Gott uns liebt – das wird sich niemals ändern.

In dieser Gewissheit gehe ich heute zuversichtlicher ins neue Jahr, als ich ins vergangene gegangen bin.
Vieles wird sich ändern.
Manches zum Schlechten.
Manches zum Guten.
Aber das eine wird sich nicht ändern:
Gott ist für uns. – Wer kann gegen uns sein?


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