Freitag, 25. Dezember 2015

Predigt am 25. Dezember 2015 (Christfest)

Geringfügig überarbeitete Neufassung einer Weihnachtspredigt von 2009

Liebe Schwestern und Brüder,
als die Hirten wieder umkehren, Gott loben und preisen und das Wort ausbreiten, das zu ihnen gesagt war, da ist für sie eines ganz klar: Der Kleine, den sie da gesehen haben, ist der Allergrößte! Es gibt nichts Wunderbareres als dieses Kind in der Krippe.
Ein Kind ist ja sowieso schon ein Wunder.
Der alte Hirte denkt daran, wie seine Frau damals das erste Kind geboren hatte. Erschöpft war sie und glücklich. Und er unbeholfen an ihrer Seite auch. Vorsichtig hatte er es in die Hand genommen und dann doch wieder ganz schnell seiner Frau an die Brust gelegt. Die war nun schon viele Jahre tot. Und das Kind war groß geworden, seiner eigenen Wege gegangen. Oft sahen sie sich nicht, und wenn sie sich sahen, waren sie einander fremd und verstanden einander kaum noch. – Aber dieser Augenblick der Geburt damals, das war schon groß! – Daran muss er jetzt wieder denken, als er diesen Kleinen im Stall gesehen hat. Ein Kind ist ein Wunder: Ein Mensch, ganz und gar und eindeutig, und unverwechselbar. Und doch noch völlig unfertig. Offen für Neues. Offen für Wunder. Möge dieses Kind leben, möge es die Welt prägen und verändern!
Denn es ist ja doch ein besonderes Kind.
Der junge Hirte kann nicht aufhören, darüber zu reden, was sie da draußen bei den Schafen erlebt haben in dieser Nacht. Auch wenn die Worte es ja kaum beschreiben können: ein Licht, oder war es ein Stern? Eine Stimme vom Himmel, oder war es eine Stimme im Herzen? Aber jeder von ihnen hat etwas gesehen und etwas gehört: Fürchtet euch nicht! – So pflegt der Engel des Herrn zu sprechen. Große Freude! Der Retter ist geboren, der Messias – Bethlehem ... Und dann, als ob es den Himmel aufreißt: Licht, das die Sterne überstrahlt, Engel, himmlische Heerscharen und Klang, Musik, Lobgesang, wie noch kein Mensch ihn gehört hat: eine himmlische Feuerwerksmusik und tausendmal gewaltiger: Ehre sei Gott in der Höhe ... – Und dieser ganze gigantische himmlische Aufwand wegen eines kleinen Babys. Was für ein Kind! Es muss ja größer, bedeutender sein als all die Engelscharen zusammen, wenn die doch zu seiner Ehre aufmarschieren!
Ja, dieser Kleine ist der Größte!
Gottes Kind – Gott als Kind!
Dass Gott ausgerechnet uns zu diesem Kind gerufen hat, wundert sich der dritte Hirte.
Es ist, als ob wir gar nicht Hirten wären, sondern selber nur Schafe. Ein größerer Hirte führt uns. Wie so eine saftig-grüne Wiese, wie eine frische Quelle war für uns diese Begegnung mit dem Kind im Stall. Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. König David hatte es schon so empfunden und gedichtet. Er, der selber Hirte gewesen war, der als König zum Hirten über ein ganzes Volk gesetzt worden war, er wusste sich doch von einem größeren Hirten behütet und geführt. Gott, der gute Hirte. Noch nie war ihm das so deutlich gewesen wie im Angesicht dieses Kindes. So viele Fragen waren doch eigentlich offen in seinem Leben: Es hatte ihn hierher verschlagen, unter die Hirten. Sein Traumberuf war das nicht gewesen. Manchmal träumte er von einem anderen Leben. Mit eigenem Haus und Hof, mit Familie, mit Zeit zum Nachdenken und auch mit mehr Zeit für Gott. Würde es noch mal was anderes geben? Einen neuen Anfang in der Mitte des Lebens? - Jetzt verspürte er großen Frieden: Der Herr ist mein Hirte. Er hat mich bis hierher geführt. Ich verstehe nicht alles. Aber auch wenn ich durchs finstre Tal gehe, der Zweifel, der Angst, der Unzufriedenheit: du Gott bist bei mir. Du tröstest mich. Du gibst meinem Leben Sinn und Erfüllung. Alles wird gut. Und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.
*
Als die Weisen wieder auf dem Heimweg sind in die Länder des Ostens, da ist für sie eines ganz klar: Der Kleine, den sie da gesehen haben, ist der Allergrößte!
Sie waren so weise, so religiös, so mächtig, und dieses Kind hat das alles überboten und in den Schatten gestellt.
Da ist der Religiöse. Er wollte so gerne glauben: dass unser aller Schicksal in den Sternen steht, alles vorherbestimmt. Es ist doch alles Natur, das Universum: Alles hängt mit allem zusammen, und alles ist im Grunde Gott: ewig und unveränderlich und heilig. Der Kreislauf des immer Gleichen. Wir Menschen müssen uns nur einfühlen in die Natur: laufen mit dem Gang der Gestirne, uns einfühlen in das Große und Ganze, unseren Platz im Universum einnehmen.
Und dann war da dieser Stern. Ein neuer Stern. Unerwartet, anders. Die Ankündigung, dass Neues geschieht, dass sich die Natur nicht ewig unveränderlich im Kreise dreht. Und dieses Neue ist ein Kind – geboren im Land der Juden. Ein neuer König. Er bringt ein neues Zeitalter.
Und als sie ihn endlich, nach langer Reise und Umwegen gefunden haben, da ist dieser neu geborene König ein armes Kind. Es ist alles anders. Die ewige Ordnung ist auf den Kopf gestellt. Der Arme ist der Reichste. Der Kleine ist der Größte. Und er fügt sich nicht in den Gang der Natur und den Kreislauf des immer Gleichen: Die Natur fügt sich ihm. Ein neuer Stern geht auf. Himmel und Erde dienen ihm. Es geschieht Neues unter der Sonne. Gott greift ein.
Der Zweite ist der Denker. Er hat alles berechnet: Der Gang der Gestirne, der Gang der Welt ist berechenbar. Er gehorcht Gesetzen. Für ihn ist die Natur nicht Gott. Für ihn steht ein Gott hinter allem, was geschieht. Der Gott der Vernunft. Wenn sich alles in geordneten Bahnen bewegt, dann muss es einen geben, der alles in Bewegung gesetzt hat, einen unbewegter Beweger, den großen Weltenuhrmacher, den Programmierer, den Architekten der Matrix. Alles was wirklich ist, ist vernünftig – Teil seiner großen Konstruktion oder seines Computerprogramms, das nun abläuft. Alles berechenbar. – Der Stern erschien für ihn völlig außerhalb aller Berechnungen. Und brachte so auch sein eigenes durchgeplantes Leben durcheinander. Hatte der vollkommene Gott doch einen Fehler in die Welt hineinprogrammiert? Oder pfuschte er gerade selber im Programmcode herum? – Ein neuer Stern, ein neuer König: Und Gott greift ein. – All das liegt außerhalb der Logik. Und dann dieses Kind, dieser Mensch, sein Blick, sein Lächeln, sein Weinen. So ein Kind führt die kalte Logik ad absurdum. Da läuft nicht alles nach den Vorschriften der Vernunft. Bei einem Kind ist alles möglich. Möglich, dass es die Welt verändert. Möglich, dass es mehr gibt als die kalte Vernunft. Möglich, dass die Liebe eine Chance hat.
Der Dritte ist der Politiker – wir sprechen ja von den drei Königen. Er weiß, was Macht bedeutet. Und wenn da die Geburt eines mächtigen Herrschers angekündigt ist, dann muss er wissen, was es damit auf sich hat, muss sich darauf einstellen. Lässt der neue König sich einbeziehen in die eigenen Pläne? Kann man ihn ausnutzen, sich ihn dienstbar machen? Oder ist er mächtiger? Muss man sich mit ihm gut stellen? Wie ist es um die Macht des neuen Königs bestellt?
Und dann finden sie den König, der nicht im Palast geboren wurde, sondern im Stall. Der nichts Königliches an sich hat außer einem Stammbaum, der auf ein altes Königsgeschlecht verweist. Doch selbst der ist fragwürdig. Es gibt das Gerücht, dass der Vater aus dem Geschlecht Davids gar nicht der Vater ist ... Dieses Kind ist eigentlich der Inbegriff der Ohnmacht. Und doch haben sie erlebt, wie ein Mächtiger, der König Herodes, vor ihm zittert, wie er um seinen wackligen Thron fürchtet, wie er diesem eigentlich so ohnmächtigen Kind nach dem Leben trachtet. Was für eine Macht ist da eigentlich im Spiel? – Die Macht dessen, den wir allmächtig nennen. Mag sein, dass dieses Kind die Welt verändert. Dass dieser Kleine doch der Größte ist: mächtig in seiner kindlichen Ohnmacht.
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Als Maria und Josef wieder allein bei ihrem Kind sind, da ist für sie ganz klar: Ihr Kleiner, das ist der Größte! Das ist für Eltern zwar sowieso immer klar. Aber da ist noch viel mehr.
Josef staunt, wie dieses Kind schon jetzt sein Leben verändert hat. Vor einem dreiviertel Jahr noch jung verlobt. Für die Heirat, und das hieß auch für Kinder, fehlten noch die notwendigen Mittel. Und dann das: Maria, seine Verlobte, schwanger. Und er war‘s nicht. Und doch bleibt er bei ihr. Nimmt sie zu sich. Gibt sich als Vater aus. Weil er so verrückt ist, ihr zu vertrauen und dem Traum von einem Engel. Dann die verrückte Volkszählung, die Geburt im Stall, und nun geht es gleich weiter – nicht nach Hause, sondern ins Exil: Ägypten. Auf einmal ist er, der sich nie mit den Mächtigen angelegt hat, ein politisch Verfolgter. Dieses Kind hat sein Leben verändert. Ob zum Guten oder Schlechten – das weiß er noch nicht. Alles ist offen. – Aber da waren Hirten und fremde, reiche, gebildete Ausländer, die von Engeln und Sternerscheinungen sprachen. Und da war vor allem eine ganz große Wärme in seinem Herzen, die er verspürte – am stärksten, wenn er das Kind ansah oder gar auf seinen Arm nahm. In diesen Momenten war er sich ganz sicher: Dieses Kind ist Gottes Geschenk. Der Kleine ist der Größte!
Und Maria? – Sie erlebt es wohl am allertiefsten: Mutterglück und Mutterangst ganz dicht beieinander. Das Wunder des Lebens ist unter ihrem Herzen gewachsen. Aus ihrem Schoß geboren. Es hat sie ganz und gar in Anspruch genommen, und wird sie in Anspruch nehmen mit allem Glück und allem Schmerz, den eine Mutter erleben kann. Dazu hat sie Ja gesagt. Maria weiß am allerbesten, dass dieses Menschenkind Gottes Kind ist. Und darum weiß sie am allergewissesten, dass mit diesem Kind alles gut wird. Ihr Kleiner ist der Größte.
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Unendlich viel mehr Menschen haben das seither herausgefunden. Der Schreiber des Hebräerbriefs hat es in ganz andere Worte gefasst, in die Sprache hoher Theologie. Und doch sagen auch seine Worte nichts anderes aus als dies, was Hirten und Weise, Maria und Josef, was auch wir zu Weihnachten erfahren: Das Kind von Bethlehem ist Gottes Sohn. Der Kleine ist der Größte. Jesus ist der Herr:
Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welt gemacht hat. Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort und hat vollbracht die Reinigung von den Sünden und hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe. (Hebräer 1, 1-3)

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