Sonntag, 7. Juni 2015

Predigt am 7. Juni 2015 (1. Sonntag nach Trinitatis)

Jesus sprach: „Es war ein reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und kostbares Leinen und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Es war aber ein Armer mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voll von Geschwüren und begehrte, sich zu sättigen mit dem, was von des Reichen Tisch fiel; dazu kamen auch die Hunde und leckten seine Geschwüre.
Es begab sich aber, dass der Arme starb, und er wurde von den  Engeln getragen in Abrahams Schoß. Der Reiche aber starb auch und wurde begraben. Als er nun in der Hölle war, hob er seine Augen auf in seiner Qual und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß. Und er rief: ,Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und mir die Zunge kühle; denn ich leide Pein in diesen Flammen.‘ Abraham aber sprach: ,Gedenke, Sohn, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun wird er hier getröstet, und du wirst gepeinigt. Und überdies besteht zwischen uns und euch eine große Kluft, dass niemand, der von hier zu euch hinüber will, dorthin kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber.‘ Da sprach er: ,So bitte ich dich, Vater, dass du ihn sendest in meines Vaters Haus; denn ich habe fünf Brüder, die soll er warnen, damit sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual.‘ Abraham sprach: ,Sie haben Mose und die Propheten; die sollen sie hören.‘ Er aber sprach: ,Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun.‘ Er sprach zu ihm: ,Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.‘“
Lukas 16, 19-31


„...damit wir klug werden“ –
Motto der letzten Tage beim Kirchentag in Stuttgart.
So ein typisches Wortgruppen-Nebensatz-Motto, wie es bei Kirchentagen üblich ist.
Vielleicht ganz anregend.
Aber der Hauptsatz ist weggelassen.
Der heißt:
Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen! –
Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden! (Psalm 90,12)
Das finde ich noch viel anregender.
Denn das ist für mich das Grundthema des Lebens und des Glaubens: Sterben lernen.
Ich lebe, um sterben zu lernen.
Und ich weiß nicht, ob ich damit schon weit gekommen bin.
Als ich jünger war, habe ich den Satz noch so verstanden: Wir müssen sterben, damit wir klug werden. In diesem Leben haben wir von allem nur eine schwache Ahnung, oder wie Paulus sagt: Wir sehen wie in einem Spiegel ein verschwommenes Bild (damals waren die Spiegel noch nicht so perfekt wie heute), dann aber von Angesicht zu Angesicht (1. Korinther 13, 12).
Klug werden durchs Sterben.
Später habe ich gemerkt: Vielleicht ist es dann aber zu spät.
Wir sollen, so lange wir noch leben, das Sterben bedenken, damit wir klug werden:
lebensklug und sterbensklug.
Wenn wir in dem Wissen leben, dass unsere Zeit begrenzt ist, und dass in diesem Leben die Entscheidungen für die Ewigkeit fallen, dann sind wir klug.
Wer bedenkt, dass er sterben muss, wird bewusster leben.
Jeden Tag genießen; es könnte der letzte sein.
Seine Herrlichkeiten und Freuden auskosten.
Heute. Hier.
In der Bibel heißt es: Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot.
So kann man auch das Sterben bedenken.
*
Jesus erzählt eine Geschichte vom Sterbenmüssen:
Da ist ein ganz Reicher; der lebt genau so:
alle Tage herrlich und in Freuden,
genießt das Leben in vollen Zügen,
denn morgen kann es schon vorbei sein.
Und da ist ein ganz Armer, Lazarus:
Der sehnt sich vielleicht sogar nach dem Sterben;
denn das Leben, das er lebt, ist eigentlich keins:
im Dreck, fast verhungert, von juckender Krätze geplagt;
nicht mal die Hunde, kann er vertreiben, die seine Geschwüre lecken.
Beide müssen sterben.
Alle müssen sterben.
Im Tod sind sie alle gleich.
Aber Jesus erzählt weiter von nach dem Tod.
Damit wir klug werden.
Weil wir das eigentlich nicht wissen können, was nach dem Tod kommt.
Er sagt: Nach dem Tod sind nicht mehr alle gleich.
Der eine ist im Himmel, in „Abrahams Schoß“,
der andere in der Hölle, gepeinigt von brennenden Flammen.
Voneinander getrennt durch eine unüberwindliche Kluft.
Im Tod sind alle gleich.
Aber nach dem Tod werden die Verhältnisse umgekehrt:
Der hier herrlich und in Freuden lebte, der leidet dort ewige Pein;
und der hier leiden musste, der hat dort Herrlichkeit und Freude.
Die ungerechten Verhältnisse vor dem Tod werden umgekehrt; so einfach ist das.
Bedenkt das, damit ihr klug werdet, will Jesus sagen.
*
Und ich denke nach.
Und ich kommen ins Grübeln:
Ich lebe ja auch alle Tage herrlich und in Freuden.
Nun ja, kleine Abstriche gibt es hier und da.
Aber mein Wohlstand, mein Lebensstandard und das Glück, hier auf der Insel der Seligen zu leben, stellen mit Sicherheit alles in den Schatten, was ein Reicher zur Zeit Jesu genießen konnte.
Und ich denke auch an die armen Lazarusse vor meiner Tür.
Aber es ist kompliziert mit denen.
Wo ist eigentlich diese Frau geblieben, die immer völlig verdreckt und in Lumpen gehüllt an der Avenida saß oder auf einer Bank oder Mauer lag?
Jemand hat uns gesagt: „Da müsst ihr doch was machen! Nehmt sie mit, steckt sie in die Badewanne, zieht ihr andere Sachen an!“
Wir haben nichts gemacht, fühlten uns ein bisschen hilflos, haben gesagt: „Wir können die doch nicht zwingen“, und hatten doch ein schlechtes Gewissen.
Manche haben ihr mal was zu essen hingelegt.
Ansprechbar war sie offenbar ja nicht.
Andere haben gesagt: „Da ist die Sozialfürsorge zuständig.“
Vielleicht haben die ja auch was gemacht.
Ob sie jetzt irgendwo untergebracht ist oder woanders hingegangen oder gestorben und in Abrahams Schoß – keine Ahnung.
Ein anderer Lazarus lebt hier draußen am Strand;
dem haben wir mal versucht, ein wenig zu helfen.
Aber er hat lieber unsere Veranstaltungen gestört, unsere Besucher beleidigt und mir gedroht.
Ich kann es mir, ehrlich gesagt schwer vorstellen, dass ich einst in der Hölle sitze und ihn dann im Himmel sehe, in Abrahams Schoß.
Ich denke an Bettler und Obdachlose, die mich ausgenutzt, belogen und bestohlen haben.
Ich denke an einen jungen Mann, der mir auf den Kopf zu sagte, dass er die Dummheit und Gutmütigkeit der Christenmenschen ganz bewusst ausnutzt, um auf ihre Kosten zu leben.
Ich habe ihn rausgeschmissen.
Und lebe weiter herrlich und in Freuden.
*
Eins ist klar, wenn wir bedenken, dass wir sterben müssen:
Es macht einen himmelweiten Unterschied, ob wir glauben, dass mit dem Tod alles aus ist, oder ob wir damit rechnen, dass es im Jenseits so etwas wie eine höhere Gerechtigkeit gibt.
Für alle, die in diesem Leben leiden müssen, die hungern und  dürsten, verfolgt und gequält werden, arm und elend sind, Schmerzen leiden und zu früh sterben müssen, für sie alle ist das eine wunderbare Nachricht:
Mit dem Tod ist nicht alles aus; ihr werdet es unendlich viel besser haben, als in diesem Leben auf Erden.
Für alle, denen es hier schon gut geht, zu gut geht, die unwillig oder unfähig sind, ihr Glück und ihren Reichtum zu teilen, für die ist das eine bedrohliche Botschaft:
Gedenke, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben.
Nun bist du mit dem Bösen dran.
Ab in die Hölle!
*
Ab in die Hölle?
Haben wir die nicht abgeschafft?
Können wir – bei aller Sehnsucht nach Gerechtigkeit – jemandem das wünschen: ewige Qual als Strafe für zeitliche Sünde oder gar nur für ein bisschen Glück und Sonnenschein in diesem Leben vor dem Tod?
Wir können es nicht, und darum trauen wir es dem „lieben“ Gott auch nicht zu, dass er so böse bestrafen könnte.
Und wenn die Hölle nun gar nicht ewig ist?
In der katholischen Kirche kennen sie das Fegefeuer, Purgatorium, einen Ort der Reinigung und Läuterung zwischen Tod und Auferstehung.
Der Ausdruck, den Jesus hier gebraucht, Hades, spricht auch eher dafür.
Und, ja, die Reinigung und Läuterung setzt ja schon ein bei dem ehemals Reichen in der Hölle:
Er sorgt sich um seine Brüder, möchte dass sie gewarnt und bewahrt werden vor diesem Ort der Qual.
Reinigung und Läuterung:
Die Schlacken des harten Herzens werden weggebrannt, damit ein Mensch rein und glänzend wird für den Himmel.
Vielleicht ist es ja so.
Oder so ähnlich.
*
Lazarus kann nicht aus Abrahams Schoß in die Hölle herabsteigen, um dem anderen die Qual zu erleichtern.
Lazarus kann auch nicht von den Toten zurückkehren, um die Lebenden zu warnen.
Lazarus nicht.
Aber Jesus.
Der ist hinabgestiegen in das Reich des Todes.
Ganz früher, vor der sprachlichen Modernisierung des Glaubensbekenntnisses hieß es: Niedergefahren zur Hölle.
Auf orthodoxen Osterikonen kann man das sehen:
Jesus steht auf den zerbrochenen Höllentoren und zieht Adam und Eva und die ganze verlorene Menschheit aus dem Höllendunkel ins Himmelslicht.
Die Hölle ist kein Ort endgültiger Verlorenheit.
Denn Christus hat die Tore der Hölle zerstört.
(Das werden wir auch gleich im Osterlied singen.)
Jesus ist hinabgestiegen in das Reich des Todes
und er ist auferstanden von den Toten, um den Lebenden zu sagen, dass sie auch leben sollen.
Wenn wir bedenken, dass wir sterben müssen, dann bedenken wir auch, dass wir leben sollen.
Mit ihm.
Durch ihn.
Bei ihm.
*
Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden!
Zuletzt habe ich gemerkt:
Das ist keine Aussage, sondern ein Gebet.
Ich bin noch lange nicht fertig, das zu bedenken und zu verstehen, dass ich sterben muss und dass ich leben soll und wie das wirklich geht.
Darum bete ich auch diese Worte mit:
Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werde!

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