Sonntag, 14. Juni 2015

Predigt am 14. Juni 2015 (2. Sonntag nach Trinitatis)

Einer, der mit zu Tische saß, sprach zu Jesus: „Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes!“
Jesus sprach: „Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: ,Kommt, denn es ist alles bereit!‘ Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: ,Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich.‘ Und der zweite sprach: ,Ich habe fünf Gespanne Ochsen gekauft, und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich.‘ Und der dritte sprach: ,Ich habe eine Frau genommen; darum kann ich nicht kommen.‘ Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: ,Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein.‘ Und der Knecht sprach: ,Herr, es ist geschehen, wie du befohlen hast; es ist aber noch Raum da.‘ Und der Herr sprach zu dem Knecht: ,Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde; denn ich sage euch, dass keiner der Männer, die eingeladen waren, mein Abendmahl schmecken wird.‘“
Lukas 14, 15-24

Stell dir vor, es ist ein Fest, und keiner geht hin!
Das Festgelände ist gerichtet:
Tische, Bänke und Girlanden.
Bier und Wein und andere Getränke sind da.
Die Würste liegen auf dem Grill (Mein Freund aus Thüringen würde sagen: auf dem Rost).
Salate stehen bereit.
Kuchen und andere Nachspeisen warten darauf, verzehrt zu werden.
Die Musik spielt.
Und spielt.
Und spielt.
...
Die ersten Würste drohen zu verbrennen, werden schnell in Schüsseln gesammelt.
Die Salate und Kuchen werden abgedeckt, weil die Fliegen kommen.
Traurig und verloren steht der Gastgeber am Rande des Festgeländes.
Ein großartiger Abend sollte es werden;
jetzt ist es der traurigste Abend seines Lebens: Keiner möchte mit ihm feiern.
Alles für die Katz
(die schon um die Fleischschüsseln schleicht).
*
Stell dir vor, es ist ein Fest, und du gehst nicht hin!
Schon wieder so eine Einladung!
Du hast gerade keine Lust.
Und viel um die Ohren:
Noch ein Angebot schreiben.
Noch einen Auftrag an Land ziehen.
Oder einfach mal ein paar Stunden für die Familie Zeit haben.
Vor dem Fernseher oder dem Computer abhängen.
Oder du hast gerade Urlaub, bist gar nicht da.
Oder hast ein neues Cabrio gekauft und willst mit deiner neuen Flamme ausfahren.
Es gibt so viel Schöneres, als zu dieser Party zu gehen und Bratwürste zu essen!
Ist ja nicht schlecht, aber ohne mich.
Vielleicht ein andermal wieder.
*
Stell dir vor, es ist ein Fest, und du musst hin!
Weil du Mitarbeiter bist.
Würste braten am Grill.
Getränke ausgeben.
Kuchen aufschneiden.
Und dann kommt keiner.
Und der Chef sagt:
„Ruf sie an, was los ist!“
Und du rufst sie an, einen nach dem andern:
„Was ist, kommst du noch?“ –
„Nein, ich muss noch ein Angebot schreiben; tut mir leid.“
„Nein, ich will mit meiner Freundin im neuen Cabrio ausfahren; tut mir leid.“
„Nein, ich wollte heute schön gepflegt Fußball gucken; tut mir leid.“
„Nein, ich bin zu müde; tut mir leid.“
Und du bist genervt.
Und der Chef ist sauer.
Und dann sagt er:
„Los, telefonier noch ein paar Leute ab aus deinem Adressbuch, ob die nicht kommen wollen.“
Und nach zwanzig mehr oder weniger erfolgreichen Versuchen schickt er dich los:
„Du gehst jetzt durch die Stadt und lädst irgendwelche Leute ein: Den Bettler auf der Bank. Und die Punks vor der Kaufhalle – mitsamt ihren Hunden.“
Stell dir vor, wie gerne du das machst!
*
Stell dir vor, es ist ein Fest, und du darfst nicht hin!
Bist einfach nicht eingeladen.
Weil du schon zweimal abgesagt hast.
Jetzt bist du von der Gästeliste gestrichen.
Gerade ist es etwas ruhiger im Betrieb.
Die Kinder sind aus dem Gröbsten raus.
Ständig vor der Glotze hängen, ist auf die Dauer nicht befriedigend.
Und der Mensch, mit dem du Tisch und Bett und Cabrio teilst, ist nun auch nicht mehr so aufregend nach all den Jahren.
Aber jetzt tut der so, als kennt er dich nicht mehr und feiert ohne dich!
*
Stell dir vor, es ist Kirche und keiner geht hin!
Das ist gar nicht so schwer vorstellbar, oder?
Bei uns in der Sommer-Nebensaison-Saure-Gurken-Zeit.
Oder in einer normalen deutschen Kirche an den 50 Sonntagen im Jahr, wenn nicht gerade Weihnachten oder Konfirmation ist.
Neulich hat der Ratsvorsitzende gemeint, Jugendliche brauchten mehr Platz in der Kirche. Da habe ich mich kaputtgelacht, denn Platz haben wir da meistens genug. Und die Jugendlichen kommen trotzdem nicht. Außer manchmal vor der Konfirmation, weil sie da müssen.
Stell dir vor, es ist Kirche und keiner geht hin!
Der Pastor hat die halbe Woche an der Predigt gefeilt.
Die Organistin hat stundenlang geübt.
Der Altar ist geschmückt.
Das Abendmahl ist bereit.
Und wir sitzen vereinzelt in leeren Reihen und singen „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind“ oder „Liebster Jesu, wir sind vier“.
*
Stell dir vor, es ist Kirche und du gehst nicht hin!
Gut, dass es die Kirche gibt, sagst du.
Gut, dass andere für dich beten.
Gut, dass jemand sich um das Gute kümmert.
Aber du hast keine Lust.
Willst lieber ausschlafen.
Frühstücken mit der Familie.
Oder Brunchen mit Freunden.
Cabriofahren mit der Freundin.
Oder Bratwürste grillen mit den Nachbarn.
Jeder wird das verstehen.
Vielleicht nächste Woche.
Oder übernächste.
Oder Weihnachten.
*
Stell dir vor, es ist Kirche, und wir tun ein bisschen mehr um die Leute einzuladen!
Geh mal am Samstag dein Adressbuch durch und ruf jemanden an, ob er mit zum Gottesdienst kommt.
Oder sprich gar jemand Fremdes an auf der Straße.
Stell dir vor, wie gerne du das machst!
*
Stell dir vor, es ist Kirche, und du darfst nicht hin!
Stell dir vor, wir würden die Türen verschließen und nur geladene Gäste einlassen:
Du kommst hier nicht rein!
Dich haben wir schon zweimal eingeladen und du bist nicht gekommen.
Jetzt ist Schluss mit Kirche!
Stell dir vor, du willst deine Cabrio-Freundin heiraten und wir sagen: Nein.
Nicht in der Kirche.
Du wolltest nichts von uns wissen, jetzt wollen wir nichts von dir wissen.
Stell dir vor, du suchst Hilfe und Trost, weil alles schief gegangen ist: die Freundin weg, das Cabrio geschrottet, den Auftrag hat ein anderer gekriegt.
Und uns interessiert das überhaupt nicht.
Kirche geht auch ohne dich.
*
Stell dir vor, es ist Himmel, und keiner geht hin!
Alle wollen sie lieber hier bleiben.
Geld verdienen.
Cabrios kaufen.
Frauen beeindrucken.
Fußball gucken.
Computer spielen.
Mit der Familie frühstücken.
Und mit Freunden Würste grillen.
„So schön wie hier, kann’s im Himmel gar nicht sein“ hat der Theaterregisseur Christoph Schlingensief sein Krebstagebuch genannt.
*
Aber stell dir mal vor, es ist Himmel, und keiner darf rein!
Dann müssen wir in alle Ewigkeit Geld verdienen,
Autos kaufen,
Frauen beeindrucken,
Fußball gucken
und Würste grillen.
Willst du das wirklich?
*
Stell dir vor, es ist Himmel, und da ist mehr als du dir vorstellen kannst!
Himmelblau und Engelgold.
Zehn Dimensionen.
Licht und Liebe.
Offene Arme: Kommt her zu mir alle!
(Nur Bratwürste gibt es wahrscheinlich nicht.)
*
Und stell dir vor, es ist Himmel, und alle sind eingeladen!
Die Leute aus deinem Adressbuch.
Die Punks vor der Kaufhalle.
Die Freunde von der Grillparty.
Und die Frauen, die neben dir im Cabrio saßen.

Stell dir vor, es ist Himmel, und du bist dabei!

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