Dienstag, 12. April 2011

Predigt vom 10. April (Judika)

Gott versuchte Abraham und sprach zu ihm: "Abraham" Und er antwortete: "Hier bin ich." Und er sprach: "Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebhast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde."
Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte. Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne und sprach zu seinen Knechten: "Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen."
Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander. Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: "Mein Vater!" Abraham antwortete: "Hier bin ich, mein Sohn." Und er sprach: "Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer?" Abraham antwortete: "Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer." Und gingen die beiden miteinander.
Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.
Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: "Abraham! Abraham!" Er antwortete: "Hier bin ich." Er sprach: "Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen." Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes Statt.
1. Mose (Genesis) 22, 1-13


Schrecklich ist's, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen (Hebräer 10, 31). – Liebe Schwestern und Brüder, Abraham ist in die Hände des lebendigen Gottes gefallen, und es ist schrecklich. Gott versuchte Abraham, und es ist eine schreckliche Versuchung: Opfere deinen einzigen Sohn, den du lieb hast! Ein schrecklicher, entsetzlicher, grausamer Gott, der Menschenopfer fordert. Eine schreckliche, entsetzliche, grausame Versuchung, dieses Opfer zu vollziehen!

Der da oben, der liebe Gott, das sind Worte, die ich in letzter Zeit häufiger gehört habe, wenn es um unseren Gott ging. – Schrecklich kann Gott doch nicht sein, das wäre ja schrecklich! – Unser Gott ist der liebe Gott: Der tut nichts, der will nur spielen. Gott als Schoßhündchen oder bestenfalls noch als Anstandswauwau, so möchten wir es gerne!

Und dann sind wir erschrocken, schockiert, entsetzt – betroffen, wenn etwas passiert, das der liebe Gott doch hätte verhindern müssen. Erdbeben, Tsunami, Krieg, Terror ... Lieber Gott, wie kannst du das zulassen? – Erdbeben, Tsunami, Krieg, Terror fordern Menschenopfer. Und Gott? Hat er damit zu tun? Oder geht es ihn nichts an?

Als junger Mann habe ich Wolfgang Borchert gelesen, der die Geschichte eines Kriegsheimkehrers auf die Bühne gebracht hat: „Draußen vor der Tür“. In der tritt Gott als hilfloser alter Mann auf, der beklagt, dass sich die Menschen von ihm abgewandt haben und dass keiner mehr an ihn glaubt. Ein armer, alter, ohnmächtiger Gott. – Schrecklich! Aber schrecklich, weil er nichts tut und nichts vermag!

In der Zwischenzeit hat man die Ohnmacht Gottes zum theologischen Programm gemacht. Damit meint man, aus dem Schneider zu sein. Gott ist nicht mehr verantwortlich. Wir sind selber verantwortlich. Gott hat Mitleid, das ja. Aber er tut nichts. Er leidet mit uns, an uns. Aber er hilft nicht. – In die Hände des ohnmächtigen Gottes zu fallen, das ist sicher nicht so schrecklich. Aber was haben wir von einem lieben Gott, der eben nur lieb ist, über seine Kinder weint und sie am Ende doch alle in den Himmel bringt? – Klar, genau das: dass er uns alle in den Himmel bringt. Aber wenn er das sowieso tut, warum dann an ihn glauben? Warum dann auf ihn hören?

Hat nicht diese verdammte religiöse Gleichgültigkeit unserer Zeit genau damit zu tun, dass wir meinen, vor Gott nichts mehr fürchten zu müssen? Dass er seine Schrecklichkeit verloren hat?

Ich bin dankbar, dass wir diesen Text, diese schreckliche Geschichte in unserer Bibel und sogar noch in unserer Predigtreihe haben. So kommen wir an dem schrecklichen Gott nicht vorbei.

So wie Abraham an dem schrecklichen Gott nicht vorbeikam. Gott, der ihn berufen hatte, der ihn geführt hatte, bewahrt und gesegnet, der wurde ihm mit einem Male zum Feind, zum Dämon, zum Abgrund. Er forderte zurück, was er gegeben hatte. Den Sohn der Verheißung, das Kind der Liebe, den gegebenen Segen. Er forderte das Menschenopfer. Das war nicht der liebe Gott, der Kuschelgott; das war der schreckliche Gott, dem niemand ohne Furcht und Zittern begegnen darf.

Dieser Gott ist nicht schwach und alt und ohnmächtig; er ist mächtig und stark, schrecklich und furchteinflößend. Und er ist der Allmächtige. Dem alles zuzutrauen ist. Ohne den nichts ist, was ist. Auch kein Erdbeben und kein Terroranschlag.

Wenn wir etwas von Gott verstehen wollen, dann müssen wir verstehen, dass wir ihn nicht verstehen. Dann müssen wir erfahren, dass er der ganz Andere ist, der Fremde. Der Heilige.

Abraham ist in die Hände des lebendigen Gottes gefallen. Einem toten Gott, einem bloß ohnmächtigen und leidenden Gott hätte er sich entziehen können; dem lebendigen Gott kann er sich nicht entziehen.

Auf ihn hatte er gehört, ihm war er gefolgt, als er ihn aus seinem Vaterland weggerufen hatte in ein fremdes, fernes Land. Ihm hat er vertraut gegen alle Vernunft, als er ihm, dem 75-Jährigen samt 65-jähriger Frau noch einen Sohn versprach. Dem Allmächtigen war das nicht unmöglich.

Und dann ist es ihm ebenso möglich, seine Verheißung zurückzunehmen, den Sohn zurückzufordern. Zu verstehen ist das nicht.

Wir mögen erahnen, was hinter den knappen Worten der Erzählung steht an Herzensqual, an Schmerz und Verzweiflung! Der lange Weg zum Berg Morija: drei Tagesmärsche. Und dann der letzte Abschnitt, nur Vater und Sohn. Und gingen die beiden miteinander. Nach langem Schweigen die Frage: Mein Vater! – Ja, mein Sohn! Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. – Eine Lüge, eine Beschwichtigung, eine ganz vage Hoffnung bestenfalls. Verzweifelt möchte Abraham die grausame Wahrheit verbergen, nicht wahrhaben ... Und gingen die beiden miteinander.

Wir können es nicht wirklich erklären, warum Abraham diesen schweren Weg antritt. Es ist wohl die Unerbittlichkeit des Allmächtigen, die ihn zwingt.

Immanuel Kant, der große Philosoph, hat gemeint, Abraham hätte nicht losgehen dürfen. Er hätte sich dem schrecklichen Befehl des grausamen Gottes widersetzen müssen: um der Unbedingtheit des Sittengesetzes willen. Selbst Gott dürfte nichts Böses vom Menschen verlangen. Nein, das dürfte er nicht, wenn er der Gott der Aufklärung wäre, der blasse Philosophengott, der nichts ist, als eine personifizierte Idee. Er ist aber der Gott der Bibel, der lebendige, der unberechenbare, der ganz andere, fremde, heilige Gott.

Ich gebe es zu, der Gedanke Kants fasziniert mich. Er kehrt quasi die Geschichte um. Die Versuchung ist es gerade, der vermeintlichen Stimme Gottes zu gehorchen. Nach Kant hätte Abraham antworten müssen: "Dass ich meinen guten Sohn nicht töten solle, ist ganz gewiss; dass aber du, der du mir erscheinst, Gott seist, davon bin ich nicht gewiss und kann es auch nicht werden, wenn sie die Stimme auch vom (sichtbaren) Himmel herabschallete."

Dieses Kant'sche Argument ist um so wichtiger, als wir im Umgang mit denen, die im Namen ihres Gottes meinen, Menschen opfern zu müssen, entgegenhalten, eine solche Religion sei inakzeptabel. Sie ist es auch. Wir dürfen keinen anderen Standpunkt einnehmen als den, der das Töten im Namen der Religion, im Namen Gottes ablehnt.

Und doch müssen wir es hinnehmen, ertragen, aushalten, dass der lebendige Gott, dem wir im Leben und im Sterben vertrauen, uns zum unverstandenen Fremden, ja zum Grauen werden kann. Dass er uns Schreckliches abverlangt.  Wir werden es aushalten müssen, dass Gott nicht in unser Schema vom lieben Gott passt.

G
ottes Fremdheit, Gottes Grausamkeit kann sich erst vom Ende her erschließen. Die Abraham-Geschichte hat ja ein Happy-End. Die Verheißung ist nicht hingefallen, der Sohn lebt. Gott hat wahr gemacht, was Abraham seinem Sohn zur Beschwichtigung weismachen wollte: Er hat sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Stellvertretend.

Das Lamm Gottes.

Wir kommen nicht umhin die Geschichte zu Jesus hin auszuziehen. Wenn wir uns dem Gott widersetzen, in dessen Hände zu fallen schrecklich ist, dann widersetzen wir uns auch dem Kreuz Jesu. Der liebe Gott könnte uns doch mit Sicherheit vergeben und annehmen, auch ohne seinen Sohn am Kreuz zu schlachten – so sagen manche, viele. Es ist eine grausame Geschichte, so sagen sie zurecht. War es ein Missverständnis, dass Jesus sich aufs Kreuz legen ließ? – Ich glaube es nicht. Aber erst vom Ende her kann sich der Sinn des Kreuzes erschließen: Der Sohn lebt. Er ist das Opferlamm, das stellvertretend für uns stirbt. Aber er lebt und wir sollen auch leben.

Warum Gott diesen grausamen Weg gegangen ist, warum er seinen Sohn erfahren ließ, wie schrecklich es ist, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen, das werden wir wohl nicht aufklären können. Aber eines sehe ich daran: dass es Gott schrecklich ernst ist – schrecklich ernst mit seiner Liebe zu uns.

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