Apostelgeschichte 3, 1-10
Liebe Schwestern und Brüder,
dazugehören ist
ein menschliches Grundbedürfnis. Wir gehören ja schon immer
irgendwo dazu: zu einer Familie, zu einer Nation, zu einer Gemeinde …
Wir haben Freunde, Verwandte, Kollegen, Nachbarn, Vereinskameraden,
und viele mehr, denen wir uns zugehörig fühlen. Wir gehören dazu
und wir wollen dazu gehören.
Das
Gegenteil von dazugehören ist
ausgeschlossen sein.
Wir wollen dazugehören, aber wir dürfen nicht, man lässt uns
nicht, wir sind behindert.
Oft dürfen wir
nicht dazugehören, weil wir anders sind als die anderen. Das macht
uns zu Außenseitern.
Wir erinnern uns
vielleicht: Als wir Kinder waren, gab es immer welche, mit denen wir
nicht spielen wollten, oder vielleicht auch nicht spielen durften.
Kinder, die vielleicht zu langsam waren; die wollten auch gern mit
Fußball spielen, aber sie standen eher beim Spielen im Weg rum,
wurden deshalb nicht in die Mannschaft gewählt oder auf dem
Spielfeld einfach nur rumgeschubst und umgerempelt. Oder wir selber
waren diese Kinder ...
Wir kennen fast
alle Leute, bei denen wir froh sind, wenn wir sie von hinten sehen.
Sie reden anders oder denken anders als wir es gewohnt sind. Sie
fordern von uns mehr Zuwendung, als wir zu geben bereit sind. Und wir
zeigen ihnen: Ihr gehört nicht dazu.
Ganze Gruppen von
Menschen haben es schwer dazuzugehören: Minderheiten, Randgruppen; Marginalisierte, sagt man im Soziologenjargon.
Nicht jeder, der
nicht dazugehört, will überhaupt dazugehören. Natürlich grenzt
man sich auch ab. Der eigene Clan, die eigene Gruppe, das eigene
Milieu sind oft ausreichend, um dazuzugehören.
Schwierig ist es
immer für die Menschen, die wollen und nicht können. Die behindert
sind oder behindert werden.
Irgendwie tut es
mir immer leid, wenn hier Menschen vor der Kirche stehen oder in die
Kirche kommen, denen wir sagen müssen: "Wir feiern Gottesdienst in
deutscher Sprache, leider nicht in Spanisch, Polnisch oder Russisch." – Dass ich seit ein paar Wochen möglichst einen Bibeltext des
Sonntags in Spanisch und Englisch mit auf dem Gottesdienstplan
abdrucke, hat damit zu tun, dass ich möchte, dass auch Leute, die
kein Deutsch verstehen, wenigstens ein kleines Bisschen an unserem
Gottesdienst teilhaben können.
Als mir jemand mal
zu verstehen gab, dass er sich in unserer Gemeinde irgendwie nicht
angenommen, sondern ausgegrenzt fühlte, tat mir das leid. Umgekehrt
ist es etwas Wunderbares, wenn jemand sagt: "Bei euch fühlt man sich
gleich zu Hause." Darum geht es uns doch: ums Dazugehören.
Der Mensch, von dem
unsere heutige biblische Geschichte erzählt, hatte auch das Problem,
nicht dazuzugehören. Alle kannten ihn vom Sehen, denn er saß jeden
Tag am Tempeltor und bettelte. Er gehörte schon mit zur Szenerie.
Aber er gehörte nicht mit zu den Menschen, die hinein gingen in den
Tempel, um zu beten und Gott zu loben. Er gehörte nicht mit zu den
Menschen, die heraus kamen aus dem Tempel mit Dankbarkeit und neuem
Lebensmut. Er war ausgeschlossen.
Es muss eine Art
archetypisches Verhalten sein, denn so ist es bis heute an vielen
Orten: Die Menschen gehen ins Gotteshaus hinein und kommen wieder
heraus, die Bettler aber sitzen vor der Tür. Sie gehören nicht zu
der Gemeinschaft der Kirchenbesucher. Sie sind draußen, sie
appellieren an das schlechte Gewissen und an an die milde
Gestimmtheit derer, die zum Gotteshaus gehen. Gewissermaßen unter
den Augen des Allmächtigen, beeindruckt von der
Menschenfreundlichkeit Jesu, bewegt von Gottes Geist müssen Menschen
doch eher bereit sein, zu geben und zu helfen. Und so ist es ja auch.
Entweder wir geben oder wir haben ein schlechtes Gefühl – oder
beides. Aber der Bettler, er bleibt draußen. Unser Almosen wird zur
frommen Tat, aber sie ändert nichts an dem Zustand, der den
Almosenempfänger zum Almosenempfänger macht. Er wird auch morgen
wieder vor der Tür sitzen und übermorgen.
Genau so waren es
die Jerusalemer Tempelbesucher gewöhnt. Der gehbehinderte Bettler
gehörte dazu als einer, der nicht dazugehörte.
Bis zu
diesem Tag, als Petrus und Johannes in den Tempel gingen und auf ihn
aufmerksam wurden. Anders aufmerksam wurden, als sonst. Wer weiß,
wie oft auch sie schon an ihm vorbeigegangen waren. Heute aber hören
sie seine Bitte um ein Almosen, seine Bitte um Erbarmen. – Das ist
der ursprüngliche Sinn des Wortes Almosen. Es kommt vom griechischen
Wort elemosyne, das
genau Erbarmen heißt.
– Der behinderte Bettler bettelt um Erbarmen: "Habt Erbarmen!
Habt Erbarmen!" murmelt er unentwegt den Vorbeigehenden zu. Und bei
Petrus und Johannes macht es Klick: Was erwarten wir, wenn wir Gott
um Erbarmen bitten? – Herr, erbarme dich! Kyrie eleison!
– Ein Almosen? – Und was
sind wir bereit zu geben, ja, was können und wollen wir geben, wenn
wir um Erbarmen gebeten werden? Nur ein Almosen? – Es ist ihnen schlagartig klar: Es
geht nicht um eine milde Spende. Es geht nicht um ein paar
Kupferstücken aus dem Portemonnaie. Es geht um das Erbarmen mit
einem Menschen, der anders ist, der behindert ist, der nicht
dazugehört, der mehr braucht als ein paar Münzen, die ihm das
Überleben bis zum nächsten oder übernächsten Tag sichern.
Petrus
weiß – geistesgegenwärtig –, was er zu tun und zu sagen hat: Sieh
uns an! – Blickkontakt
herstellen. Kommunikation ermöglichen. Die Kommunikation, die wir an
solchen Stellen normalerweise vermeiden. Wir sehen ihn nicht gerne
an, den Bettler. Wir wollen, auch wenn wir ihm etwas geben, nicht
gerne in ein Gespräch verwickelt werden, uns vielleicht seine wahre
oder erfundene Leidensgeschichte anhören. Wir wollen, wenn wir ihm
schon was geben, schnell weitergehen und ihn schnell vergessen. Er
gehört ja nicht dazu, zu unserem Leben. Petrus tut hier das
Gegenteil. Er signalisiert dem Mann: 'Wir interessieren uns für dich.
Wir wollen etwas mit dir zu tun haben.'
Und er erwidert den
Blick, freilich noch in der Erwartung des zu Erwartenden: vielleicht
eine größere Spende als gewöhnlich. Aber immerhin: Ihre Blicke
treffen sich, und es kann etwas geschehen zwischen ihnen.
Und es
fallen die entscheidenden, berühmt gewordenen Sätze: Silber
und Gold habe ich nicht; was
ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth
steh auf und geh umher!
Und dann wird aus
dem Blickkontakt Körperkontakt. Er reicht ihm die Hand, zieht ihn in
die Höhe, und der Gehbehinderte, der Lahme, er steht – auf eigenen
Füßen. Und er geht – eigene Schritte. Und er läuft – ohne
fremde Hilfe. Und er springt – wie ein junges Reh, hin und her und
auf und ab. Nicht mehr gelähmt, nicht mehr behindert, nicht mehr
ausgeschlossen.
Jetzt gehört er
dazu, zu denen, die stehen und gehen, tanzen und springen. Und auch
und vor allem zu denen, die in den Tempel hinein gehen, um zu beten
und Gott zu loben, und die aus dem Tempel herauskommen mit
Dankbarkeit und neuem Lebensmut. Ja, auf wen, wenn nicht auf ihn,
wird diese Beschreibung wohl am meisten zutreffen an diesem Tag?
Ich glaube, das ist
das Entscheidende an dieser Geschichte: Einer, der eben noch draußen
war, gehört jetzt dazu. Er ist nicht mehr behindert, er wird nicht
mehr behindert. Er integriert sich und wird angenommen. – Wir lesen
weiter, dass er sich zu den beiden Aposteln hält und mit ihnen im
Tempel ist, dort, wo sich auch die christliche Gemeinde trifft. Er
weiß oder er erfährt, wem er seine Heilung verdankt: dem Namen Jesu
Christi. Auch oder gerade zu Jesus und zu seiner Gemeinde gehört er
jetzt dazu.
Ihr Lieben, da ist
einer der krank und behindert war, körperlich gesund geworden, und
darum ist es ihm leicht geworden wieder dazuzugehören zur
Gemeinschaft der Lebenstüchtigen, der Gesunden, Starken, Fröhlichen
und Dankbaren. – Eine wunderbare Heilung, eine wunderbare
Heilungsgeschichte, und die Leute sind voller Verwunderung und
Entsetzen. Aber das ist eben nicht entscheidende Punkt. Es gibt
wunderbare Heilungen, gewiss doch, und es gäbe noch mehr, wenn wir
häufiger und zuversichtlicher für Kranke beten würden.
Und doch
ist körperliche Heilung nicht alles und nicht das wichtigste. In den
biblischen Heilungsgeschichten ist die Heilung allemal ein Zeichen
für nicht nur körperliches, sondern umfassendes, wie man so schön
sagt: "ganzheitliches" Heil. Es geht ums Dazugehören. Krankheit,
körperliche und geistige Schwäche, materielle und geistige Armut,
andere äußerliche Erscheinung und andere Herkunft – all das,
sollen keine Behinderungen sein – Behinderungen in dem Sinne, dass
das Dazugehören behindert wird.
Es ist zu allen
Zeiten ein Markenzeichen der christlichen Kirche gewesen, dass sie
es Menschen ermöglicht dazuzugehören. Sie hat sich immer um Arme
und Bedürftige, um Kranke und Sterbende, um geistig, leiblich und
materiell Minderbemittelte, ja auch um Gescheiterte und um Sünder
gekümmert.
Vieles davon ist im
säkularen Bewusstsein angekommen. Integration und Inklusion sind
wichtige Wörter geworden, die genau das meinen: Dazugehören können.
Ausländer und Migranten sollen dazugehören. Menschen mit
Behinderung sollen dazugehören. Barrierefreiheit ist
selbstverständlich geworden. Wie schön ist das, dass man unsere
Kirche und unser Gemeindezentrum einfach mit Rollstuhl erreichen und
betreten (bzw. befahren) kann!
Bleibt für mich
die spannende Frage, wie leicht oder wie schwer wir es Menschen
machen dazuzugehören, zu uns, zu unserer Gemeinde, zur christlichen
Kirche, zu Jesus Christus, zu Gott. Bauen wir sichtbare oder
unsichtbare Barrieren auf? Geben wir Menschen direkt oder indirekt zu
verstehen: Ihr sollt nicht zu uns gehören?
Die Erzählung von
Petrus und Johannes und dem behinderten Bettler gibt mir einen
wichtigen Hinweis: Das Entscheidende geschieht in der persönlichen
Begegnung. Im Hinsehen und Hinhören, im Blickkontakt und im
Körperkontakt.
Was ich habe, das gebe ich dir, sagt
Petrus. Vielleicht habe ich keine wunderbaren Heilkräfte,
wahrscheinlich auch nicht viel Gold und Silber, aber hoffentlich
Erbarmen – und ich übersetze das als: Menschlichkeit,
Herzlichkeit, persönliche Zuwendung.
Das Entscheidende
geschieht in der persönlichen Begegnung, und es geschieht im Namen
Jesu Christi. Weil ich zu ihm gehöre, weil er mit mir Erbarmen hat,
darum kann auch ich mich dessen erbarmen, der – wie ich –
dazugehören möchte.
Gefällt mir sehr, sehr gut.
AntwortenLöschenWie schön und gut wäre es doch, wenn wir übrigen gläubigen, in etwa so denken und handeln würden, wie Petrus und Johannes. Doch, oder besser leider leben wir in einem dualen system und die bequämlichkeit behält meistens die oberhand, so dass wir den weg des geringsten widerstandes wählen und somit, die möglichkeit der hilfestellung vernachlässigen. Dieter M.