Jesus sprach: "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie hören werden, die werden leben. Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber; und er hat ihm Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist. Wundert euch nicht. Denn es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden, und werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts."
Johannes 5, 24-29*
Liebe Gemeinde!
„Dies ist das Ende, für mich der
Anfang des Lebens“. Diese Worte hat Dietrich Bonhoeffer kurz vor
seiner Hinrichtung am 9. April 1945 zu seinen Mitgefangenen gesagt.
Der Glaube vermag im Ende einen neuen Anfang zu sehen. Für den
Glauben steht am Ende der Anfang.
„Ich glaube an die Auferstehung der
Toten und das ewige Leben. Amen.“ – So endet das
Glaubensbekenntnis, das wir Woche für Woche im Gottesdienst
sprechen. Da steht am Ende das Leben: ewiges, unzerstörbares Leben.
Wenn wir für gewöhnlich meinen, das Leben endet mit dem Tod, so
sagen wir hier das Gegenteil: Der Tod endet mit dem Leben.
Am Ende ist Anfang.
Das Kirchenjahr ist am Ende. Es hat
begonnen mit dem Advent, dem Warten auf das Kommen Jesu, und es endet
mit dem Ausblick auf das Wiederkommen Jesu. Es beginnt mit der
Geburt, nein es beginnt schon vor der Geburt, mit dem Warten auf die
Geburt, wie es ja bei uns nicht anders ist, und es endet mit dem
Sterben – am Totensonntag. Aber genau genommen eben nicht: Es endet
mit der Auferstehung der Toten und dem ewigen Leben – am
Ewigkeitssonntag. Am Ende steht der neue Anfang.
Und wenn nächste Woche der Advent
beginnt, dann ist nicht so sehr Warten auf das Kommen Jesu, das schon
gewesen ist, sondern es ist Warten auf sein Wiederkommen, Warten auf
die Erlösung, Warten auf das Leben, das den Tod nicht mehr vor sich
hat.
Für Christen gibt es kein Ende ohne
Anfang. Für Christen gibt es keinen Abschied ohne Wiedersehen.
Christen treffen sich niemals zum letzten Mal.
Dieser letzte Sonntag im Kirchenjahr
ist für viele von uns der Gedenktag der Verstorbenen. In den
Gottesdiensten werden die Namen der Gemeindeglieder verlesen, die in
diesem Jahr gestorben sind. Wir erinnern uns bewusst an sie.
Viele gehen an die Gräber, denken an ihre Verstorbenen, beten für
sie. Wir sind mit ihnen verbunden trotz der Gräber oder trotz der
Asche, die wir dem Meer übergeben haben. Wir wissen, dass unser
Abschied von ihnen nicht hoffnungslos ist, nicht endgültig. Es gibt
ein Wiedersehen bei Gott. Es gibt ein Leben nach dem Tod.
Und das ist nicht das Schattendasein
einer körperlosen Seele, sondern Leben in einer neuen Wirklichkeit,
die größer, schöner, umfassender ist als alles, was wir uns
vorstellen können. Es ist Leben im eigentlichen Sinne. Das Leben
nach dem Tod ist nicht ein blasser Schatten des irdischen Lebens,
sondern das irdische Leben ist nur ein blasses Abbild des ewigen
Lebens. – Nur dass wir schon manchmal in diesem Leben etwas gespürt
haben von diesem wahren Leben. Wie ein heller Lichtreflex, der von
irgendwoher unser Auge getroffen und geblendet hat, so war da
plötzlich etwas von Gottes Ewigkeit da. Nicht zu greifen, nicht
festzuhalten, aber stark und lebendig.
Es sind starke Bilder, die die Bibel
gebraucht: Die Toten werden die Stimme des Sohnes Gottes hören,
und die sie hören werden, die werden leben. Was
ist das für eine Stimme, was für ein Ruf, der Tote auferweckt! Es
ist die Stimme des lebendigen Gottes. Die Stimme dessen, der aus
Nichts ein Universum zu schaffen vermag. Er schafft auch aus dem Tod
neues Leben. Er schafft es durch Jesus Christus. Jesu Leben ist
Gottes Leben. Und Jesu Leben ist auch unser Leben. So wird durch ihn
Gottes Leben unser Leben.
Ich lebe, und ihr sollt auch
leben – das war die
Jahreslosung vor drei Jahren. Wir haben sie nicht vergessen.
Wir
haben sie schon deshalb nicht vergessen, weil am Ende dieses Jahres
2008 ein Nachbar von uns gestorben ist, den wir sehr gut kannten. Er
war gerade 12 Jahre alt. Ich lebe, und ihr sollt auch leben
– das war uns allen ein
starkes Trostwort damals, und es stand auch über seiner Bestattung,
und es steht auf seinem Grab.
Es ist wahr: Der
Tod ist eine harte Grenze. – Und wir wissen kaum noch, was Grenzen
bedeuten, in unserer heutigen Welt, wo wir die Grenzen einfach
überfliegen. – Der Tod lässt sich nicht einfach überfliegen. Er
ist und bleibt eine harte Grenze, über die es kein Hin und Zurück
gibt. Es gibt die andere Seite der Grenze; aber dort war noch keiner
von uns. Nur einer, der Auferstandene. Der lebt und uns sagt, dass
wir auch leben sollen. Hier – und dort.
Als Menschen
gestorben sind, die uns nahe standen, als wir sie zu Grabe getragen
haben oder ihre Asche ins Meer gegeben, da waren wir dieser Grenze
besonders nahe. Heute am Totensonntag sind wir dieser Grenze wieder
besonders nahe. Und meistens sehen wir nicht darüber hinaus, über
diese Grenze, wir sehen nur die eine Seite.
Aber da ist Jesus
Christus. Er steht auf beiden Seiten. Er hat den Tod schon hinter
sich, er lebt das ewige Auferstehungsleben bei Gott. Und er ist doch
auch uns ganz nahe, die wir noch im Diesseits stehen.
Nicht erst nach dem
Tod werden wir seine Stimme hören. Schon jetzt können wir sie
hören. Schon heute ruft er uns. Er ruft uns schon heute aus dem Tod
ins Leben.
Der Weg vom Tod ins
Leben, der Weg vom zeitlichen ins ewige Leben geht nicht an Jesus
vorbei. Das machen die Aussagen über das Gericht deutlich: Der
Vater hat ihm Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten, weil er der
Menschensohn ist.
Was heißt das? –
Es gibt die Bilder und Vorstellungen von den Büchern, wo alles, was
wir im Leben getan haben, festgehalten ist. Nichts geht verloren. Und
daraus wird dann abgerechnet, was gut und was böse war. Und für das
Böse müssen wir die gerechte Strafe empfangen. Und das von Gott,
der doch die Liebe ist und das Leben will?
Es ist ein Bild:
Uns wird vor Augen geführt, wer wir waren, wer wir sind, was wir
getan haben, gesagt haben, gedacht haben. Nichts geht verloren. Und
es wird sich zeigen, was wir eigentlich schon wissen: Es gibt vieles,
zu vieles, was vor Gott keinen Bestand hat. Was einfach nicht mit
hinein kann in Gottes neue Welt. Weil es aus Gottes neuer Welt wieder
die alte Welt machen würde: mit Bosheit, Ungerechtigkeit und Leiden.
Das will Gott nicht, und das können wir nicht wollen. Und so muss
alles, was nicht in Gottes neue Welt passt, zurückbleiben,
abgetrennt, ausgesondert werden aus unserem Leben. Und die Frage, die
vielen Angst macht vor dem Gericht ist die Frage: Was bleibt denn
dann von mir und meinem Leben?
Die Stimme Jesu,
die die Toten auferweckt, ist schon jetzt und hier zu hören. Schon
hier und jetzt sagt sie uns, was vor Gott Bestand hat und was nicht.
Schon in diesem Leben beginnt das Gericht: der Schuldspruch über
das, was in unserem Leben verkehrt ist. Und schon in dieser Zeit
beginnt die Rettung. Jesus ist in die Welt gekommen um uns zu retten,
um unser Leben zurecht zu bringen, um es für die ewige Gemeinschaft
mit Gott vorzubereiten.
Schon jetzt können
wir zurücklassen, was in unserem Leben nicht zu Gott passt und dem
neuen Leben, dem ewigen Leben in uns Raum geben.
Gottes Zukunft ragt
schon in die Gegenwart herein. Vielleicht auch als Gericht, wo wir
Gottes Anspruch an unser Leben vernehmen und spüren, dass wir ihm
nicht gewachsen sind. Aber mehr noch als Rettung. Mit Jesus beginnt
das ewige Leben schon hier und jetzt. Unser Leben bekommt schon jetzt
Sinn und Hoffnung und Zukunft über den Tod hinaus.
Auch wenn wir jetzt
noch wenig wissen über das Auferstehungsleben. Wir kennen den, zu
dem wir hingehen, denn er ist auch hier. Und er kennt uns. Er
bereitet uns auf das Kommende, auf das Eigentliche vor.
E
r ist die Brücke
über den Tod hinweg: aus dem zeitlichen Leben ins ewige Leben. Er
verbindet uns mit denen, die uns vorausgegangen sind. Er grüßt uns
gleichsam von ihnen. Und er grüßt sie von uns.
Von ihm wissen wir, dass das Ende nicht das Ende ist, sondern der
Anfang. Wir gehen nicht ins Nichts. Unsere Verstorbenen gehen nicht
ins Nichts. Und der Totensonntag ist Ewigkeitssonntag.
__________
* Wie schon 2005 habe ich mich für das Evangelium nach dem Proprium 'Gedenktag der Entschlafenen' entschieden. Den Text aus Reihe III für den Ewigkeitssonntag (Lukas 12, 42-48) halte ich für den kasuellen Charakter dieses Tages für weniger geeignet.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen