Montag, 21. November 2011

Predigt am 20. November 2011 (Ewigkeitssonntag/Gedenktag der Entschlafenen)

Überarbeitete Predigt von 2005


Jesus sprach: "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie hören werden, die werden leben. Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber; und er hat ihm Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist. Wundert euch nicht. Denn es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden, und werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts."
Johannes 5, 24-29*



Liebe Gemeinde!

„Dies ist das Ende, für mich der Anfang des Lebens“. Diese Worte hat Dietrich Bonhoeffer kurz vor seiner Hinrichtung am 9. April 1945 zu seinen Mitgefangenen gesagt. Der Glaube vermag im Ende einen neuen Anfang zu sehen. Für den Glauben steht am Ende der Anfang.

„Ich glaube an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben. Amen.“ – So endet das Glaubensbekenntnis, das wir Woche für Woche im Gottesdienst sprechen. Da steht am Ende das Leben: ewiges, unzerstörbares Leben. Wenn wir für gewöhnlich meinen, das Leben endet mit dem Tod, so sagen wir hier das Gegenteil: Der Tod endet mit dem Leben.

Am Ende ist Anfang.

Das Kirchenjahr ist am Ende. Es hat begonnen mit dem Advent, dem Warten auf das Kommen Jesu, und es endet mit dem Ausblick auf das Wiederkommen Jesu. Es beginnt mit der Geburt, nein es beginnt schon vor der Geburt, mit dem Warten auf die Geburt, wie es ja bei uns nicht anders ist, und es endet mit dem Sterben – am Totensonntag. Aber genau genommen eben nicht: Es endet mit der Auferstehung der Toten und dem ewigen Leben – am Ewigkeitssonntag. Am Ende steht der neue Anfang.

Und wenn nächste Woche der Advent beginnt, dann ist nicht so sehr Warten auf das Kommen Jesu, das schon gewesen ist, sondern es ist Warten auf sein Wiederkommen, Warten auf die Erlösung, Warten auf das Leben, das den Tod nicht mehr vor sich hat.

Für Christen gibt es kein Ende ohne Anfang. Für Christen gibt es keinen Abschied ohne Wiedersehen. Christen treffen sich niemals zum letzten Mal.

Dieser letzte Sonntag im Kirchenjahr ist für viele von uns der Gedenktag der Verstorbenen. In den Gottesdiensten werden die Namen der Gemeindeglieder verlesen, die in diesem Jahr gestorben sind. Wir erinnern uns bewusst an sie. Viele gehen an die Gräber, denken an ihre Verstorbenen, beten für sie. Wir sind mit ihnen verbunden trotz der Gräber oder trotz der Asche, die wir dem Meer übergeben haben. Wir wissen, dass unser Abschied von ihnen nicht hoffnungslos ist, nicht endgültig. Es gibt ein Wiedersehen bei Gott. Es gibt ein Leben nach dem Tod.

Und das ist nicht das Schattendasein einer körperlosen Seele, sondern Leben in einer neuen Wirklichkeit, die größer, schöner, umfassender ist als alles, was wir uns vorstellen können. Es ist Leben im eigentlichen Sinne. Das Leben nach dem Tod ist nicht ein blasser Schatten des irdischen Lebens, sondern das irdische Leben ist nur ein blasses Abbild des ewigen Lebens. – Nur dass wir schon manchmal in diesem Leben etwas gespürt haben von diesem wahren Leben. Wie ein heller Lichtreflex, der von irgendwoher unser Auge getroffen und geblendet hat, so war da plötzlich etwas von Gottes Ewigkeit da. Nicht zu greifen, nicht festzuhalten, aber stark und lebendig.

Es sind starke Bilder, die die Bibel gebraucht: Die Toten werden die Stimme des Sohnes Gottes hören, und die sie hören werden, die werden leben. Was ist das für eine Stimme, was für ein Ruf, der Tote auferweckt! Es ist die Stimme des lebendigen Gottes. Die Stimme dessen, der aus Nichts ein Universum zu schaffen vermag. Er schafft auch aus dem Tod neues Leben. Er schafft es durch Jesus Christus. Jesu Leben ist Gottes Leben. Und Jesu Leben ist auch unser Leben. So wird durch ihn Gottes Leben unser Leben.

Ich lebe, und ihr sollt auch leben – das war die Jahreslosung vor drei Jahren. Wir haben sie nicht vergessen.

Wir haben sie schon deshalb nicht vergessen, weil am Ende dieses Jahres 2008 ein Nachbar von uns gestorben ist, den wir sehr gut kannten. Er war gerade 12 Jahre alt. Ich lebe, und ihr sollt auch leben – das war uns allen ein starkes Trostwort damals, und es stand auch über seiner Bestattung, und es steht auf seinem Grab.

Es ist wahr: Der Tod ist eine harte Grenze. – Und wir wissen kaum noch, was Grenzen bedeuten, in unserer heutigen Welt, wo wir die Grenzen einfach überfliegen. – Der Tod lässt sich nicht einfach überfliegen. Er ist und bleibt eine harte Grenze, über die es kein Hin und Zurück gibt. Es gibt die andere Seite der Grenze; aber dort war noch keiner von uns. Nur einer, der Auferstandene. Der lebt und uns sagt, dass wir auch leben sollen. Hier – und dort.

Als Menschen gestorben sind, die uns nahe standen, als wir sie zu Grabe getragen haben oder ihre Asche ins Meer gegeben, da waren wir dieser Grenze besonders nahe. Heute am Totensonntag sind wir dieser Grenze wieder besonders nahe. Und meistens sehen wir nicht darüber hinaus, über diese Grenze, wir sehen nur die eine Seite.

Aber da ist Jesus Christus. Er steht auf beiden Seiten. Er hat den Tod schon hinter sich, er lebt das ewige Auferstehungsleben bei Gott. Und er ist doch auch uns ganz nahe, die wir noch im Diesseits stehen.

Nicht erst nach dem Tod werden wir seine Stimme hören. Schon jetzt können wir sie hören. Schon heute ruft er uns. Er ruft uns schon heute aus dem Tod ins Leben.

Der Weg vom Tod ins Leben, der Weg vom zeitlichen ins ewige Leben geht nicht an Jesus vorbei. Das machen die Aussagen über das Gericht deutlich: Der Vater hat ihm Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist.

Was heißt das? – Es gibt die Bilder und Vorstellungen von den Büchern, wo alles, was wir im Leben getan haben, festgehalten ist. Nichts geht verloren. Und daraus wird dann abgerechnet, was gut und was böse war. Und für das Böse müssen wir die gerechte Strafe empfangen. Und das von Gott, der doch die Liebe ist und das Leben will?

Es ist ein Bild: Uns wird vor Augen geführt, wer wir waren, wer wir sind, was wir getan haben, gesagt haben, gedacht haben. Nichts geht verloren. Und es wird sich zeigen, was wir eigentlich schon wissen: Es gibt vieles, zu vieles, was vor Gott keinen Bestand hat. Was einfach nicht mit hinein kann in Gottes neue Welt. Weil es aus Gottes neuer Welt wieder die alte Welt machen würde: mit Bosheit, Ungerechtigkeit und Leiden. Das will Gott nicht, und das können wir nicht wollen. Und so muss alles, was nicht in Gottes neue Welt passt, zurückbleiben, abgetrennt, ausgesondert werden aus unserem Leben. Und die Frage, die vielen Angst macht vor dem Gericht ist die Frage: Was bleibt denn dann von mir und meinem Leben?

Die Stimme Jesu, die die Toten auferweckt, ist schon jetzt und hier zu hören. Schon hier und jetzt sagt sie uns, was vor Gott Bestand hat und was nicht. Schon in diesem Leben beginnt das Gericht: der Schuldspruch über das, was in unserem Leben verkehrt ist. Und schon in dieser Zeit beginnt die Rettung. Jesus ist in die Welt gekommen um uns zu retten, um unser Leben zurecht zu bringen, um es für die ewige Gemeinschaft mit Gott vorzubereiten.

Schon jetzt können wir zurücklassen, was in unserem Leben nicht zu Gott passt und dem neuen Leben, dem ewigen Leben in uns Raum geben.

Gottes Zukunft ragt schon in die Gegenwart herein. Vielleicht auch als Gericht, wo wir Gottes Anspruch an unser Leben vernehmen und spüren, dass wir ihm nicht gewachsen sind. Aber mehr noch als Rettung. Mit Jesus beginnt das ewige Leben schon hier und jetzt. Unser Leben bekommt schon jetzt Sinn und Hoffnung und Zukunft über den Tod hinaus.

Auch wenn wir jetzt noch wenig wissen über das Auferstehungsleben. Wir kennen den, zu dem wir hingehen, denn er ist auch hier. Und er kennt uns. Er bereitet uns auf das Kommende, auf das Eigentliche vor.
E
r ist die Brücke über den Tod hinweg: aus dem zeitlichen Leben ins ewige Leben. Er verbindet uns mit denen, die uns vorausgegangen sind. Er grüßt uns gleichsam von ihnen. Und er grüßt sie von uns.

Von ihm wissen wir, dass das Ende nicht das Ende ist, sondern der Anfang. Wir gehen nicht ins Nichts. Unsere Verstorbenen gehen nicht ins Nichts. Und der Totensonntag ist Ewigkeitssonntag.


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* Wie schon 2005 habe ich mich für das Evangelium nach dem Proprium 'Gedenktag der Entschlafenen' entschieden. Den Text aus Reihe III für den Ewigkeitssonntag (Lukas 12, 42-48) halte ich für den kasuellen Charakter dieses Tages für weniger geeignet.

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