In Gott hat alles nicht nur seinen Ursprung, sondern auch sein Ziel, und er will viele als seine Söhne und Töchter an seiner Herrlichkeit teilhaben lassen. Aber um diesen Plan zu verwirklichen, war es notwendig, den Wegbereiter ihrer Rettung durch Leiden ´und Sterben` vollkommen zu machen. Er, der sie heiligt, und sie, die von ihm geheiligt werden, haben nämlich alle denselben Vater. Aus diesem Grund schämt sich Jesus auch nicht, sie als seine Geschwister zu bezeichnen, etwa wenn er sagt: »Ich will meinen Brüdern verkünden, wie groß du bist, o Gott, mitten in der Gemeinde will ich dir Loblieder singen.« An einer anderen Stelle sagt er: »Nichts soll mich davon abbringen, auf Gott zu vertrauen!« und fährt dann fort: »Hier bin ich, und das sind die Kinder, die Gott mir gegeben hat.« Weil nun aber alle diese Kinder Geschöpfe aus Fleisch und Blut sind, ist auch er ein Mensch von Fleisch und Blut geworden. So konnte er durch den Tod den entmachten, der mit Hilfe des Todes seine Macht ausübt, nämlich den Teufel, und konnte die, deren ganzes Leben von der Angst vor dem Tod beherrscht war, aus ihrer Sklaverei befreien. Im Übrigen wissen wir ja, dass es nicht die Engel sind, denen er zu Hilfe kommt, sondern die Nachkommen Abrahams. Ihnen, seinen Brüdern und Schwestern, musste er in jeder Hinsicht gleich werden. Deshalb kann er jetzt als ein barmherziger und treuer Hoherpriester vor Gott für sie eintreten – ein Hoherpriester, durch den die Sünden des Volkes gesühnt werden. Und weil er selbst gelitten hat und Versuchungen ausgesetzt war, kann er denen helfen, die ebenfalls Versuchungen ausgesetzt sind.
Hebräer 2, 10-18 (NGÜ)
Liebe Schwestern und Brüder,
so rede ich euch fast immer an, zu Beginn jeder Predigt. Das ist nicht selbstverständlich; viele sagen einfach „Liebe Gemeinde“. Das ist nicht falsch, aber es ist distanzierter: Hier der Pfarrer – dort die Gemeinde, als ob er gar nicht dazugehören würde.
Und ich rede euch auch – zumindest in der Predigt – mit Du und Ihr an. Das ist auch nicht selbstverständlich; viele sagen lieber Sie. Das klingt höflicher – gerade denen gegenüber, mit denen man sonst nicht per Du ist – aber es klingt eben auch distanzierter. Wir haben Respekt voreinander. Wir sind zum Gottesdienst zusammengekommen, aber wir werden danach wieder unsere eigenen Wege gehen: der Herr Pfarrer und das geschätzte Gemeindeglied.
Ich muss euch sagen: Ich bin froh und dankbar, dass es bei uns nicht so ist. Ich bin froh und dankbar, dass ich auch außerhalb des Gottesdienstes die meisten mit Du anreden darf. Denn dieses Du drückt genau das aus: Wir sind Schwestern und Brüder.
Wir sind Schwestern und Brüder, weil wir Gottes Kinder sind. Alle miteinander.
Damit ist noch lange kein Idealbild gezeichnet. Wo Familie ist, wo Schwester und Brüder sind, da geht es nicht immer nur harmonisch zu. Vielleicht sogar gerade nicht. Denn nirgendwo gibt es so viel Streit und Unfrieden wie unter Geschwistern. Seine Freunde kann man sich aussuchen, seine Brüder nicht, haben wir früher gesagt – in der DDR, wo immer vom großen Bruder Sowjetunion die Rede war. Und wahrscheinlich geht es heute den Ukrainern ähnlich mit ihren russischen Brüdern.
Nein, keiner hat gesagt, dass es unter Schwestern und Brüdern immer nur friedlich zugeht. Aber dennoch gehören sie zusammen, sind Familie und im Ernstfall aufeinander angewiesen.
Freundschaft muss man sich verdienen. Bruder und Schwester hat man, ohne etwas dafür getan zu haben.
Freundschaft kann man beenden – zur Not. Bruder und Schwester wird man niemals los.
Freundschaft kann man beenden – zur Not. Bruder und Schwester wird man niemals los.
Und darum ist es so wichtig, dass Brüder und Schwestern auch wie Brüder und Schwestern zusammen leben. Dass, was schlecht ist, wieder gut wird zwischen Brüdern und Schwestern. Dass wir uns umeinander bemühen. Dass wir einander nicht aufgeben. Und den anderen nicht abschreiben. Dass wir aufeinanderzugehen. Und dass wir Du sagen.
Hin und wieder treffen sich Geschwister: zu Familienfesten; da sitzen sie gemeinsam am Tisch. Und feiern, und essen, und trinken, und reden, und lachen, und schweigen – je nachdem.
Am Passahfest sitzen jüdische Familien gemeinsam am Tisch. Weil sie Schwestern und Brüder sind: Abrahams Kinder, Jakobs Kinder, Nachkommen jener zwölf Brüder, die einst nach Ägypten zogen und deren Kindeskinder wie durch ein Wundern, nein: durch ein Wunder, heimgekehrt sind in das Land, das Gott ihnen versprochen hatte. So sitzen sie zusammen – als Schwestern und Brüder. Jahr für Jahr, bis heute.
So saßen sie auch zusammen an jenem ersten Gründonnerstag: Jesus und seine Jünger, Jesus und seine Freunde, Jesus und seine Brüder. Sie feierten und aßen und tranken und redeten und schwiegen, nur dass sie kaum lachten bei diesem Abendmahl. Schon gar nicht mehr, als Jesus von Verrat sprach und von Blutvergießen. Ja, das alles gibt es – auch unter Brüdern und Schwestern.
Und doch sind sie jetzt zusammen, so eng verbunden wie nie zuvor. Verbunden durch ihren Bruder Jesus, der sie zusammengeführt hat, der das Brot mit ihnen teilt und den Kelch, der sein Leben mit ihnen teilt und sein Sterben.
So sitzen auch wir zusammen an jedem Gründonnerstag hier am Tisch. Wir feiern und essen und trinken und schweigen und reden und lachen. Wir erinnern uns an den, der damals Brot und Wein geteilt hat, sein Leben und sein Sterben. Wir lassen ihn zu Wort kommen in unserer Runde. Wir teilen Brot und Wein in seinem Namen. Wir teilen sein Sterben und sein Leben. Und wir sagen Du: Für Dich gegeben: sein Leib, sein Blut. – Damit wir zusammenbleiben, die wir zusammengehören, und neu zueinander finden: Schwestern und Brüder, seine Schwestern und Brüder, und Gottes Kinder.
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