Sonntag, 17. Juli 2016

Predigt am 17. Juli 2016 (8. Sonntag nach Trinitatis)

Lebt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist, und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis; deckt sie vielmehr auf. Denn was von ihnen heimlich getan wird, davon auch nur zu reden, ist schändlich. Das alles aber wird offenbar, wenn’s vom Licht aufgedeckt wird; denn alles, was offenbar wird, das ist Licht. Darum heißt es: „Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.“
Epheser 5, 8b-14

Es ist dieses Licht. Morgenlicht im Frühjahr. Lange Schatten noch. Und alles feucht vom Tau. Die Stille ist morgenlaut. Die Amsel singt. Und von ferne höre ich die Fahrzeuge auf der Straße hinab zur Küste. Ich liebe diese Stimmung und dieses Licht.
Es ist dieses Licht. Mittagslicht im Sommer. So hell, so weiß. Die Schatten sind verschwunden. Alles hellbeige und hellgrau mit hellbunten Häuserpunkten und einem hellblauen Himmel. Wie überbelichtet und leicht blaustichig. Und wieder ist es stille. Und eine eigenartige Trägheit breitet sich aus. Keine Vögel, keine Menschen, kaum Autos. Nur das Rascheln, wenn die Eidechsen zwischen Steinen und trockenem Gestrüpp umherhuschen. Ich liebe diese Zeit: Mittag, Sommer. Und ich liebe dieses Licht: mein Teneriffa-Licht.
Es ist dieses Licht. Abendlicht im Winter. Alles ist ganz klar. Die Berge leuchten rot. Und die Wolken über dem Meer dunkelgrau, rosarot, der Himmel zwischen dunkelviolett, himmelblau und knallorange, und die Sonne verschwindet apfelsinengelb im Meer – dort bei El Hierro, das wir nur an diesen wenigen klaren Tagen sehen können. Und die Abendfähre zieht ihre viele Meilen lange Spur über das Meer. Ich liebe diese Tageszeit und dieses Licht.
Ich bin ein Kind des Lichts. Die Farben, die Stimmungen, der Dunst und die Schatten, die Wolken und der Himmel – das löst in mir Glücksgefühle und Dankbarkeit aus.
*
Liebe Freunde, diesen Predigtanfang habe ich am Donnerstag geschrieben. Und ich lasse ihn so stehen. Aber am Freitagmorgen war Finsternis. Nein, die Sonne schien wie immer. Hier und auch an der Strandpromenade von Nizza. Aber eben: Nizza. Eine Nacht des Todes. Wieder hat einer getötet, nur um zu töten. Um Angst zu machen. Um Schrecken zu verbreiten. Und als es Tag wurde, blieb es in den Herzen dunkel. Dunkel von Trauer, von Erstarrung, Schrecken und Angst, von ohnmächtiger Wut und Verzweiflung. Das Licht des Tages, die Schönheit von Sonne und Himmel, sie dürften eigentlich gar nicht sein an so einem Morgen! Das ist so widersprüchlich: Die Straße ist voller Blut, und die Sonne scheint drauf.
Vielleicht gewöhnen wir uns ja dran; und wir sind auch schon dabei. Aller paar Monate ein neuer Anschlag. Irgendwo in Europa. Allzu nahe, weil wir die Orte selber kennen: die Côte d’Azure, die Straßen von Paris, die Flughäfen in Brüssel oder Istanbul. Wir sagen uns, dass es immer noch viel wahrscheinlicher ist, bei einem Autounfall zu sterben oder im eigenen Haus von der Leiter zu fallen, als von einem Terroristen erschossen, überfahren oder in die Luft gesprengt zu werden. Wir nehmen es hin, irgendwie, weil wir ja weiterleben müssen. – Aber unser Herz zieht sich zusammen und sagt uns, dass wir das nicht hinnehmen können und dürfen: den Tod, die Dunkelheit, die Angst als ständige Begleiterin.
Und wir sind erschüttert, weil jeder solche Anschlag unserem Glauben ins Gesicht schlägt: Unserem Glauben an das Gute im Menschen. Und unserem Glauben an einen guten Gott. Sie glauben ja auch an einen Gott und sie töten in seinem Namen. Und die meisten von uns wollen es nicht wahrhaben, dass das miteinander zu tun haben könnte: ihr Glaube, ihr Gott und der Tod. Obwohl sie es selber sagen. – Müssen wir ihnen nicht laut und deutlich sagen: Ihr seid Kinder der Finsternis, und euer Gott ist der Satan? „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“, hat Jesus gesagt über die falschen Propheten. Und wir ernten ihre Früchte: Tod und Verderben.
Und unser Gott, ist er gut? Wenn er das geschehen lässt, immer und immer wieder? Wenn er den Mördern nicht in den Weg tritt? Wenn er zusieht, wie ihre Opfer schreien, bluten, sterben? Bricht es ihm nicht das Herz, wenn Mütter um ihre Kinder weinen? Und schon posten sie Gebete an Gott, den „Freund des Lebens“. An solchen Tagen wie vorgestern sind solche Phrasen für mich besonders hohl. Ich erlebe das als regelrechte Gottesfinsternis. Da hat sich was zwischen Gott und meinen Glauben geschoben. Eine dunkle Scheibe des Misstrauens. Der „Freund des Lebens“ schaut mal wieder zu, wie sie Kinder töten. Ist ja nicht das erste Mal. Es passiert immer und immer wieder.
Ich weiß nicht, wo es dann finsterer ist: Bei Gott oder in meinem Herzen? – Wahrscheinlich in meinem Herzen. Das Licht von Gott kann gerade nicht durchdringen bis zu mir. Wegen dieser dunklen Scheibe. Ich verstehe ihn nicht. Ich werde zum Kind der Finsternis: voller Wut und Unglauben.
*
Und dann denke ich an diesen einen Tag, als Gott zusah, wie sie sein eigenes Kind getötet haben. Und wie es dunkel wurde über dem ganzen Land. Und wie der, der von Gott gekommen war, der von sich selber sagte, er sei das Licht, wie er das Licht nicht mehr sehen konnte, wie sich Finsternis zwischen ihn und Gott schob: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – Warum? – Gottesfinsternis. – Mit Jesus am Kreuz bin ich im Dunkel wenigstens nicht allein.
Und dann denke ich auch daran, wie es weiterging, dass es weiterging: Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten! – Gott hat sein Kind nicht im Todesdunkel gelassen.
Und mich? Ich bin doch ein Kind des Lichts. Ich halte doch diese Finsternis nicht aus. – Mein Gott, lass mich wieder das Licht sehen!
*
Es ist dieses Licht. Osterlicht im Morgengrauen. Am Ostermorgen haben wir uns  vor dem Hellwerden auf dem Friedhof getroffen, haben die Ostergeschichte gehört, die Osterkerze angezündet und das Osterlicht weitergegeben, bis ganz viele Lichter brannten. Und dann haben wir gesungen: Christ ist erstanden. Und langsam wurde auch der Himmel hell, die Sonne ging auf und die Glocken läuteten: Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten! Neben uns lagen die Toten in den Gräbern. Ob sie es gehört haben?

Wir sind Kinder des Lichts. – Gott, wecke uns auf und erleuchte uns!

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