Und der HERR sprach zu Mose: „Sammle mir siebzig Männer unter den Ältesten Israels, von denen du weißt, dass sie Älteste im Volk und seine Amtleute sind, und bringe sie vor die Stiftshütte und stelle sie vor dich, so will ich herniederkommen und dort mit dir reden und von deinem Geist, der auf dir ist, nehmen und auf sie legen, damit sie mit dir die Last des Volkes tragen und du nicht allein tragen musst.“
…
Und Mose ging heraus und sagte dem Volk die Worte des HERRN und versammelte siebzig Männer aus den Ältesten des Volks und stellte sie rings um die Stiftshütte. Da kam der HERR hernieder in der Wolke und redete mit ihm und nahm von dem Geist, der auf ihm war, und legte ihn auf die siebzig Ältesten. Und als der Geist auf ihnen ruhte gerieten sie in Verzückung wie Propheten und hörten nicht auf.
4. Mose (Numeri) 11, 10-17.24-25
Liebe Schwestern und Brüder,
letzte Woche habe ich vom Fest Christi Himmelfahrt gesprochen und überhaupt vom Himmel gesagt, dass er es schwer hat bei uns. Dasselbe könnte ich über Pfingsten und den Heiligen Geist sagen. Auch er hat’s nicht leicht, der Heilige Geist. Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde? – Ok, von nichts wird nichts, und dass da einer vor und über allem ist – ja, das ist schon nachvollziehbar, wenn auch schwer vorstellbar (aber dafür sind wir ja auch nur kleine Menschen). Und Jesus Christus, Gottes Sohn? – Ja, der hat ja wirklich auf der Erde gelebt, vorbildlich und opferbereit. Und dass er auferstanden ist, das mögen wir auch glauben, denn wieso sollte denn mit dem Tod alles aus sein? Also … – Aber der Heilige Geist? Was ist das? Eine Person, ein Gespenst, eine Energie? Oder so etwas wie heiße Luft? Von Feuerflammen und Sturmesbrausen haben wir in der Pfingstgeschichte (Epistel: Apostelgeschichte 2, 1-18) gehört. Er weht, wo er will, heißt es (Johannes 3, 8). – Vielleicht ist er zu luftig, zu leicht für uns; und darum hat er’s nicht leicht. Wir bekommen ihn nicht zu fassen. Wir wollen lieber was Schweres, woran man sich festhalten kann. Am Heiligen Geist kann man sich bestimmt nicht festhalten. Und ihn selber können wir auch nicht festhalten.
„Wir leben in Zeiten ohne jede Transzendenz im Diesseitsreich der unbegrenzten wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten“, hat Matthias Matussek mit Blick auf die schlagzeilen- und talkshowträchtige Brustamputation von Angelina Jolie vor ein paar Tagen geschrieben. Ein gefährliches Krankheitsrisiko beseitigen und dabei Schönheit und ewige Jugend erhalten – das sind unsere irdischen Ideale – keine Transzendenz, kein Himmel. Das führe zu hedonistischem Stress, schreibt Matussek. „Das Leben als letzte Gelegenheit“ hieß dazu passend schon in den lange vergangenen Neunzigern ein auflagenstarker Buchtitel.
Beim Heiligen Geist bekommen wir es mit der Transzendenz zu tun. Mit dem, was mehr ist als dieses Leben mit seinem planbaren Glück und kalkulierten Risiko. Der Heilige Geist bläst fröhlich hinein in unsere gesicherten Verhältnisse und bringt sie zum Tanzen. Manchmal bringt er auch uns zum Singen und zum Tanzen. – Ja, ich glaube, schon wenn wir mit unserem Chörchen laut und ergriffen Halleluja singen, dann hat das was mit Gottes Geist zu tun.
Aber wir tun uns schwer. Ein kleiner Kirchentanz am Ostersonntag ist uns schon nicht ganz leicht gefallen. Ok, manche können nicht mehr so gut. Aber manche von uns waren auch irgendwie zu erdenschwer, um sich vom Heiligen Geist mitreißen zu lassen.
Seit Jahrzehnten erleben wir weltweit die größte Wachstumsbewegung des Christentums dort, wo der Heilige Geist eine Hauptrolle spielen darf: in den Pfingstkirchen und charismatischen Gemeinden in Afrika und Lateinamerika. Da ist Bewegung, Begeisterung, Ekstase. Da wird gesungen und getanzt, in Zungen geredet und in prophetischen Worten, da wird für Kranke gebetet und sie werden geheilt. – Da kommt der Himmel auf die Erde und der sonst so transzendente Gottesgeist ist mitten im Leben zu spüren, geradezu körperlich!
Aber wir aufgeklärten – oder pseudoaufgeklärten – Europäer schauen stirnrunzelnd von Ferne, sorgen uns weiter um unseren Besitz, um unsere Gesundheit, um unsere Schönheit, suchen die begrenzte Ekstase vielleicht in Drogen, Partys und Sex. Aber hinter der Begeisterung der geistbewegten Christen vermuten wir am liebsten Geschäftemacher auf der einen und verführte Massen auf der anderen Seite. Als ob das bei unserem Konsum- und Genussverhalten anders wäre!
Ist es im Grunde genommen vielleicht einfach das, dass wir Gottes Geist nichts zutrauen? Dass wir einfach zu schwerfällig sind, um uns von ihm mitreißen zu lassen? – Der Heilige Geist hat’s wahrscheinlich wirklich nicht leicht bei uns!
Tröstlich immerhin, dass er es auch in der uralten Geschichte von Mose und den Israeliten aus der Zeit der Wüstenwanderung nicht leicht hatte.
Es ist eine jämmerliche Situation. Da sitzen sie irgendwo in der Wüste. Es geht kaum vor und nicht zurück. – Wir sind schon im vierten Buch Mose; der Aufbruch war im zweiten. Und in der hebräischen Bibel trägt das 4. Buch Mose diese jämmerliche Situation schon im Namen: In der Wüste. – Sie denken zurück an Ägypten; aber nicht daran, dass sie dort Arbeitssklaven waren, sondern daran, dass es ordentlich zu essen gab: Kürbisse und Melonen, Lauch, Zwiebeln und Knoblauch, und dazu immer wieder auch Fleisch. Nur: Fleisch und frisches Gemüse für ein ganzes Flüchtlingslager in der Wüste – wo sollte das herkommen? Es gibt nur tagein, tagaus das Manna, dieses nahrhafte Tamariskenharz, das ihnen zuerst wie ein Gottesgeschenk vom Himmel vorkam; inzwischen hängt es ihnen zum Hals raus. Aber sie müssen ja froh sein, wenn sie nicht verhungern.
Und so jammern sie, jammern Mose die Ohren voll. Er ist ja ihr Anführer: der große charismatische Mose, der dem Pharao die Stirn geboten hatte, sie aus Ägypten befreit hatte, das Meer geteilt hatte, dem sie einst zugejubelt hatten – und den sie jetzt für die ganze Misere verantwortlich machen.
Und Mose jammert auch. Er jammert Gott die Ohren voll. Er hat sich diese Aufgabe, dieses Volk, diesen Gott nicht ausgesucht. Er hätte in aller Ruhe als Schafhirte und Familienvater alt werden können. Aber dann kam Gott mit seinem brennenden Dornbusch, und er konnte nicht Nein sagen. Bei Gott zogen einfach keine Ausreden. – Ja, und dann gab es diese großen Momente, wo er ganz und gar überwältigt war von Gottes Geist: damals vor dem Pharao; damals, als das Meer sich teilte; damals, als er Gott ganz nahe war auf dem Berg und gar keine Worte dafür hatte, nur diesen unglaublich strahlenden Abglanz Gottes auf seinem Gesicht! – Auch da war nicht alles leicht, aber die Begeisterung war da, das Feuer brannte. Der Heilige Geist war da.
Aber jetzt ist Mose nur noch ausgebrannt. Ich kann nicht mehr. Ich habe nicht mehr die Kraft, die gute Kindergartentante für 600.000 Leute zu spielen. – Manche sagen, dieses Zahl wäre übertrieben. Aber auch für 6.000 oder 600 hatte er keine Kraft mehr. – Ich will sterben, sagt er zu Gott, oder du zeigst mir, dass du mit deiner Gnade und mit deiner Kraft noch bei mir bist!
Eine jämmerliche Situation: Ein müder Haufen Flüchtlinge in der Wüste mit einem Anführer, der auch nichts mehr auf die Reihe bringt. – Da hat’s der Heilige Geist nicht leicht.
Aber: Der Heilige Geist wäre nicht der Heilige Geist, wenn er die fest gefahrenen Verhältnisse nicht zum Tanzen bringen könnte. Und das tut er. Er tut es, indem er sich vervielfältigt, vermehrt, multipliziert. Wenn ein geisterfüllter Charismatiker ermüdet und nicht mehr weiter kann, nun dann berufen wir eben siebzig neue, sagt Gott. Und schon sind sie gefunden, die siebzig Ältesten, die nun mit Mose zusammen einen geistlichen Leitungskreis bilden.
Die Last der Verantwortung, die Mose allein getragen hatte und die ihm zu viel war, wird jetzt auf viele Schultern verteilt. So wird sie leichter. – Der Heilige Geist hat’s nicht leicht mit uns, habe ich gesagt. Aber wir haben’s leichter mit dem Heiligen Geist. Er macht es uns leichter. Er ist der Geist der Entlastung, der Erleichterung.
Und er ist der Geist der Vielfalt. Bei siebig Leuten muss nicht einer alles machen, und es müssen auch nicht alle alles machen. Jeder kann die Aufgaben übernehmen, die ihm besonders leicht fallen. Der eine kann gut reden und überzeugen, der andere kann Streit schlichten, einer kann gut mit Geld umgehen, einer hat besonders kreative Ideen, einer kann strategisch denken und planen, einer kann gut organisieren, einer kann gut lesen, ein anderer gut schreiben, ein anderer singen … und was alles sonst so gebraucht wird. Wenn jeder das macht, was er am besten kann, dann läuft es leichter. Der Heilige Geist ist ein Geist der Vielfalt, das heißt: ein Geist der Gemeinschaft von Verschiedenen, ein Geist der Dezentralisierung, ein Geist der Subsidiarität und ein Geist der Demokratie.
Aber das ist nicht alles. Der Heilige Geist bringt nicht nur die Verhältnisse zum Tanzen, sondern auch die Menschen. Die neu mit dem Heiligen Geist begabten Ältesten geraten in Verzückung, heißt es, wie die Propheten. Sie geraten in Ekstase. Sie singen und tanzen und loben Gott in bekannten und unbekannten Worten und Sprachen. Sie kriegen sich gar nicht wieder ein.
Es ist wohl nicht viel anders als heute in manchen charismatischen Kirchen in Afrika und Lateinamerika.
Und wie ist es bei uns? – Zaghaft singen und klatschen wir schon mal im Gottesdienst. Manchmal macht uns Kirche schon fröhlich und beschwingt. Aber oftmals sind wir auch noch ziemlich jämmerliche Christen. Als ob wir in der Wüste festsitzen würden. Und vielleicht sitzen wir ja tatsächlich in einer geistlichen Wüste, erleben eine Dürrezeit. Aber wollen wir denn wirklich, dass sich was daran ändert? Vielleicht stehen wir ja selber dem Heiligen Geist im Wege herum. – Er hat’s wohl wirklich nicht leicht mit uns. Wir machen’s ihm schwer. Aber er will uns das Leben und das Glauben leicht machen.
Der Heilige Geist wäre nicht der Heilige Geist, wenn er nicht auch unsere fest gefahrenen Verhältnisse zum Tanzen bringen könnte. Und uns gleich mit.
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