2. Mose (Exodus) 13, 20-22
Liebe Schwestern und Brüder,
ein schönes Bild ist das, nicht wahr:
Gott als Wolke oder als Feuersäule immer da, immer vor Augen. Wir
wissen, wo es lang geht, weil Gott uns führt. So werden wir unseres
Weges sicher und gehen festen Schrittes in die Zukunft.
Ja, ein schönes Bild, wo wir schon
wieder am Jahreswechsel stehen und merken, wie die Zeit vergeht oder
wie wir durch die Zeit wandern in dieses unbekannte Land, das da
Zukunft heißt. Und wenn uns Gott da so klar und wegweisend vor Augen
stünde, wie damals den Israeliten, wäre das nicht schön?
Es war ja nicht schön damals bei den
Israeliten. Hals über Kopf waren sie geflohen, geflohen vor ihren
Herren und Peinigern, denen sie Frondienste leisten mussten. Zugleich
aber hatten sie auch ihre Sicherheiten zurückgelassen: das Dach
überm Kopf und täglich zu essen, woraus dann im Rückblick bald die
legendären „Fleischtöpfe Ägyptens“ wurden, nach denen sie sich
noch manches Mal zurücksehnten: Waren wir nicht wahnsinnig, dieses
sichere Leben, wenn auch in Knechtschaft und Armut, einzutauschen
gegen die Freiheit, in der wir uns Tag für Tag erneut das Überleben
erarbeiten müssen?
Vor ihnen lag ja nicht unmittelbar das
Gelobte Land. Vor ihnen lag ein langer, beschwerlicher Weg. Ein Weg,
den sie nicht kannten, weil sie ihn noch nie gegangen waren. Ein Weg
voller Gefahren. Ein Weg durch die Wüste.
Worauf sollten sie sich jetzt
verlassen? Auf Mose und Aaron, die sie bis hierher geführt hatten?
Auf diesen Gott, Jahwe, auf den diese sich beriefen und den doch keiner
gesehen hatte?
Sie ahnen noch nicht, dass vor ihnen
ein Meer liegt und hinter ihnen die Kriegsstreitmacht der Ägypter.
Sie sitzen schon in der Falle, und die Wolken- und Feuersäule vor
ihnen, das Zeichen für Gottes Gegenwart und Wegweisung – macht es
wirklich getrost oder macht es noch mehr Angst?
Ein schönes Bild, ein altes Bild. Aber
unsere Situation ist anders: Das Land der Unfreiheit und das Gelobte
Land der Freiheit sind für uns nur noch schwache Bilder. Die Wüsten,
durch die wir zu gehen meinen, sind nicht vergleichbar mit dem
Existenzkampf ums nackte Überleben. Und der Gott vor uns ist nicht
mehr Wolke und Feuer; er ist nur noch irgendwie – manchmal in
unseren Gedanken, Gefühlen und Gebeten. Unsere Situation ist
vergleichsweise komfortabel, aber sie ist auch vergleichsweise vage
und unbestimmt. Mit anderen Worten: Uns geht’s gut, auch wenn wir
es subjektiv manchmal nicht so empfinden. Aber woher wir kommen und
wohin wir gehen, das wissen wir nicht so genau, und wo der Gott ist,
der uns führt, da sind wir uns auch nicht so sicher.
Vielleicht ist der Jahreswechsel ein
Zeitpunkt, wo wir uns neu darüber klar werden könnten: Wo stehen
wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Wo ist unser Gott? Ein Zeitpunkt zum Innehalten.
Für viele aber scheint das eher ein
Zeitpunkt zum Verdrängen zu sein: nur nicht drüber nachdenken. Wir
schaffen unsere eigenen Feuersäulen mit Raketen und Böllern. Aber
die geben uns natürlich keine Orientierung. Und statt auf eine
Wolkensäule vor uns zu schauen, umwölken und umnebeln wir uns
selber mit Alkohol. Und dann wachen wir auf, und das neue Jahr geht
weiter, wie das alte aufgehört hat.
Aber ich will es euch ja auch nicht
vermiesen. Vielleicht ist so ein Tag gar nicht so wichtig, denn wir
stehen weder am Rande der Wüste noch des Gelobten Landes. Wir sind
einfach irgendwo unterwegs, und manchmal, da wären wir ganz froh,
wir wüssten wo wir sind, wo es langgeht, wo wir überhaupt hinwollen und wo unser Gott ist.
Daran aber nun kann uns dieser
Predigttext erinnern: Dass wir woher kommen und wohin gehen. Dass
unser Leben Vergangenheit und Zukunft hat. Dass es ein Ziel hat. Und
einen, der uns dorthin führt.
Wir kommen, anders als die Israeliten,
aus verschiedenen Vergangenheiten, Hintergründen, wie man heute
sagt. Es muss nicht das Land der Knechtschaft sein. Häufiger ist es
schon das Land der Freiheit, wo wir uns mehr oder weniger erfolgreich
durchgeschlagen haben. Aber jetzt sind wir gemeinsam hier, sind
gemeinsam Gemeinde, sind, so wie Israel damals, Gottes Volk heute.
Vielleicht, wahrscheinlich gehen wir,
auch anders als die Israeliten, bald wieder auf getrennten Wegen
weiter. Und doch gehen wir gemeinsam, weil wir Gemeinde sind, weil
wir auf ein Ziel zugehen. Das Ziel der Israeliten war das Gelobte
Land – Kanaan –, das Land der Freiheit, das Land, wo Milch und
Honig fließt, wie es hieß. Die Christen haben das Symbol des
Gelobten Landes übertragen auf das Reich Gottes, das sie erwarten.
Wir sind nicht unterwegs zu einem bestimmten Ort in dieser Welt. Wir
sind unterwegs in Gottes Reich, unterwegs in den Himmel, unterwegs
zur Ewigkeit.
Das sollen wir nicht vergessen. Die
Orientierung hin auf die Ewigkeit ist uns immer wieder als
Vertröstung aufs Jenseits ausgelegt worden. – Aber inzwischen hat
man den christlichen Glauben immer wieder und immer mehr auf eine
Weltverbesserungsideologie heruntergebrochen, auf eine Vertröstung
aufs Diesseits. Und das ist er seinem Wesen nach nicht.
Wenn wir alles nur vom Leben im
Diesseits erwarten, dann müssen wir zwangsläufig enttäuscht
werden, denn dieses Leben kann einfach nicht alles sein. Es ist
begrenzt. Ein Ende unseres Weges durch diese Lebenszeit ist immer
schon absehbar.
Gott hatte den Israeliten ein weit
entferntes, fast unerreichbares Ziel vor Augen gesetzt: das Gelobte
Land. Und darum sind sie losgezogen, haben Beschwernisse und Umwege,
Entbehrungen und Versuchungen auf sich genommen. Sie hatten ein Ziel
vor den Augen.
Und dabei war der Weg noch unbekannt.
Kurz vorher lesen wir, dass Gott sie auf einen Umweg geschickt hatte,
und er hatte seine Gründe. Am Ende sind sie angekommen, viel später
als erwartet, anders als erwartet, aber angekommen.
So ist es ja auch mit uns: Wir wissen
den Weg nicht, aber wir wissen das Ziel. – Und wehe uns, wenn wir
denen folgen, die den Weg zum Ziel erklären und meinen, es wäre
egal, wo wir hinlaufen, Hauptsache gemeinsam, und wenn es nur im Kreis herum ist! Und wehe uns, wenn wir
denen folgen, die uns andere Ziele vor Augen stellen als Gottes Ziel!
Wie finden wir unseren Weg in die
Zukunft? Den Weg, der zum Ziel führt? Als einzelne? Als Gemeinde,
als Kirche? Als menschliche Gemeinschaft?
Die Israeliten wurden von Mose und
seinem Bruder Aaron in die Freiheit geführt. Aber sie sollten sich
nicht auf diese beiden verlassen. Sie sollten sich auf Gott
verlassen. Und so gab Gott die Zeichen seiner Gegenwart: Wolken- und
Feuersäule. Der sollten sie folgen, bei Tag und bei Nacht. Nicht
Mose und Aaron.
So sollte das auch in der Kirche sein,
dem Gottesvolk des Neuen Bundes: Sie hat nicht Menschen zu folgen,
sondern Gott. Menschen braucht er dabei schon. Aber sie sind nur
Werkzeuge, Mittler. Im Ernstfall ist entscheidend, wo Gott uns
hinführen will, nicht Menschen, auch nicht die Menschen, die in
seinem Namen sprechen oder sich für Gottes Stellvertreter halten.
Aber haben wir denn noch so was wie
Wolken- und Feuersäule Gottes, die uns vorangehen und die Richtung
weisen?
Ich meine, ja. Gott ist seiner Gemeinde
nahe, wo sie auf sein Wort hört und Taufe und Abendmahl nach seinem
Wort begeht. Gott leitet seine Gemeinde durch Wort und Sakrament.
Wir kennen das Ziel. Und wir kennen die
Richtung. Beide werden uns durch Gottes Wort gewiesen.
Das heißt nicht, dass unsere
persönlichen Lebenswege nun alle gleich verlaufen müssten. Das
nicht. Aber Gottes Wort und Sakrament sollten es uns klarer werden
lassen, welche Wege zum Ziel führen und welche nicht. Welche Wege
Gottes Wege sind und welche nicht.
Und selbst, wenn wir auf Irr- und
Abwege geraten sind, dann sollte uns Gottes Wolken- und Feuersäule,
Gottes Wort und Sakrament doch immer noch erreichen können und uns
zurückrufen auf den richtigen Weg.
Wir haben also ein Ziel vor den Augen,
auch wenn wir den Weg nicht kennen. Und wir haben einen Herrn, der
uns den Weg führt und für uns immer in Sicht- und Rufweite bleibt.
So gehen wir vielleicht vorsichtig,
ängstlich, tastend und wagend voran in die Zukunft, die vor uns
liegt. Aber wir gehen mit Gott und wir gehen zu Gott. Das kommende
Jahr, was immer es auch bringen mag, soll uns doch in jedem Falle näher zu ihm bringen.
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