Montag, 26. September 2011

Predigt vom 25. September 2011 (14. Sonntag nach Trinitatis)

Es kam zu Jesus ein Aussätziger, der bat ihn, kniete nieder und sprach zu ihm: "Willst du, so kannst du mich reinigen." Und es jammerte ihn, und er streckte die Hand aus, rührte ihn an und sprach zu ihm: "Ich will's tun; sei rein!" Und sogleich wich der Aussatz von ihm, und er wurde rein. Und Jesus drohte ihm und trieb ihn alsbald von sich und sprach zu ihm: "Sieh zu, dass du niemandem etwas sagst, sondern gen hin und zeige dich dem Priester und opfere für deine Reinigung, was Mose geboten hat, ihnen zum Zeugnis." Er aber ging fort und fing an, viel davon zu reden und die Geschichte bekannt zu machen, sodass Jesus hinfort nicht mehr öffentlich in eine Stadt gehen konnte; sondern er war draußen an einsamen Orten; doch sie kamen zu  ihm von allen Enden.
Markus 1, 40-45



Liebe Schwestern und Brüder,

wer vorige Woche die Predigt gehört hat, erinnert sich vielleicht an die Menschenmassen um Jesus herum: Alle kommen zu ihm, alle erwarten etwas von ihm, alle sind seine Schwestern und Brüder und Mütter. Alle sind Familie Gottes. Es ist ein bisschen wie Kirchentag – oder Papstbesuch.

Nun freuen wir uns natürlich auch, wenn viele kommen. Wenn die Kirche voll ist. Wenn sich Menschen etwas von uns und vor allem von unserem Herrn erwarten. Und sicher: Große Zahlen, große Massen haben etwas Begeisterndes, Mitreißendes, ja Berauschendes. In Fußballarenen und bei Rockkonzerten wird das zelebriert. Viele geben horrende Summen aus, um bei so was dabei zu sein. – Warum nicht auch Großgottesdienste, Massenmessen, gefüllte Stadien für Jesus!

Und doch: Es gibt auch eine andere Seite. In der Masse gehe ich unter. Da bin ich nur einer von ganz vielen. Ob ich dabei bin oder nicht, spielt für die Gesamtwirkung der Großveranstaltung keine Rolle. Nur einzelne haben ein Sonderrolle in solchen Veranstaltungen: die, die selber vorn stehen, die ihr Ego mit der Begeisterung der Massen füttern. Wer vorn steht, ist der Star, einigartig, unverwechselbar. Die Massen davor sind austauschbar. Egal, wer da kommt: Hauptsache viele!

Wenn ich mir selber wichtig bin, wenn ich selber ernstgenommen und wahrgenommen werden will – als einzelner, als der, der ich bin –, dann gehe ich nicht zur Massenveranstaltung. Dann suche ich die persönliche Begegnung.

Vielleicht ist es ja auch das, warum Menschen zu bestimmten biografischen Anlässen den Kontakt mit der Kirche, mit dem Pfarrer suchen. Die Taufe des Kindes, die Trauung, das Ehejubiläum, der Tod eines Angehörigen – da steht der einzelne Mensch mit seinem Leben, mit seiner ganz besonderen Lebenssituation im Blick. Da gibt es ein persönliches Gespräch, da gibt es einen persönlich gestalteten Gottesdienst, da gibt es eine persönliche Ansprache. Da werde ich persönlich wahrgenommen. Da berührt mich, wenn es gut geht, Gottes Wort persönlich.

Jesus war offenbar kein Massenmensch. Wenn sie auf ihn einstürmten, wenn alle was von ihm wollten, dann hat er die Flucht ergriffen: in die Einsamkeit, in ein Boot oder auf einen Berg, manchmal hat er seine engsten Vertrauten mitgenommen, oft war er ganz allein, allein mit seinem himmlischen Vater.

Am Beeindruckendsten war Jesus dann auch immer in seinen Begegnungen mit einzelnen. So wie in der Heilungsgeschichte, die wir heute gehört haben.

Es ist ja interessant: Die Bibel erzählt nie von Massenheilungen. – Heute gibt es so genannte Heilungsevangelisten, in deren Großveranstaltungen angeblich Hunderte von Menschen geheilt werden. Nachprüfen lässt sich das komischerweise nie. Es heißt, es seien da auch schon mal bestellte Leute drunter. Man kann sich die suggestive Stimmung vorstellen. Und wenn genügend Endorphine und Adrenaline ausgeschüttet werden in der euphorischen Masse, da mag es geschehen, dass man seine Schmerzen nicht mehr spürt und sich für geheilt hält. – Wie es dann aussieht, wenn das Spektakel vorbei ist, erfährt man selten. Medizinische Belege gibt es noch seltener.

Ganz anders ist die Begegnung zwischen Jesus und den einzelnen Kranken, die zu ihm kommen. Da geschieht Heilung in einer persönlichen Begegnung.

Neulich sprach jemand mit mir, wie das mit den Heilungen sei, ob wir die Heilmethode Jesu noch nicht richtig verstanden hätten. Ja, das mag schon sein. Aber ich habe auch geantwortet, dass es die Heilmethode Jesu nicht gibt. Jesus heilt jedesmal anders. Einem sagt er einfach nur: Sei geheilt. Einem anderen schmiert er einen Brei aus Speichel und Dreck in die Augen, damit er sehend wird. Wieder einem anderen legt er die Hand auf. Und noch ein anderes Mal geschieht die Heilung aus der Ferne. Da gibt es keine Methode. Die einzige Methode ist die persönliche Zuwendung zu demjenigen, der Jesus um Hilfe bittet.

Diesmal ist es ein Aussätziger, ein Lepra-Kranker. Der hätte in der Menschenmasse überhaupt keine Chance gehabt. Denn er musste die Menschenmasse meiden. Ansteckungsgefahr. Aussätzige wurden nicht ohne Grund wie Aussätzige behandelt. Sie lebten außerhalb der Siedlungen. Sie durften sich nur bis zu einer bestimmten Distanz nähern. Sie waren darauf angewiesen, dass jemand ihnen von ferne gab, was sie brauchten, dass jemand von ferne mit ihnen sprach. Die Diagnose Aussatz – Lepra war einfach schrecklich. Weil man damit aus der Menschengemeinschaft herausgerissen wurde. Vielleicht war so jemand eben noch Familienvater, und dann musste er Hals über Kopf ausziehen ins Aussätzigen-Ghetto am Rande der Stadt. Schrecklich!

In der Masse hätte er keine Chance gehabt. Aber, Gott sei Dank, findet er Gelegenheit, Jesus allein anzutreffen. Als er Jesus anspricht, da müssen wir uns vorstellen, dass er vielleicht noch zwei, drei Meter entfernt steht.

Willst du, so kannst du mich reinigen. – Er sagt nicht heilen oder gesundmachen. Er sagt reinigen. Denn Aussatz – Lepra machte einen Menschen unrein, unberührbar, schloss ihn aus der Gemeinschaft mit den Menschen, ja und auch aus der Gemeinschaft mit Gott aus. Wie weit kann und darf sich ein Unreiner annähern? Wie weit kann und darf er sich Jesus annähern, der von Gott kommt? Der Unreine dem Reinen? – Das ist Aussatz: die unüberbrückbare Distanz.

Willst du, so kannst du … – Und das ist Glaube. Jesus kann. Nicht weil er besondere Heilmethoden draufhat, sondern weil er von Gott kommt. Jesus kann. – Will er auch?

Das ist immer wieder unsere Frage an Jesus, an Gott. Er kann – aber will er auch? Gott kann heilen, Gott kann alles gut werden lassen – aber will er auch? Warum sieht unsere Welt so aus, wie sie aussieht? Will Gott sie nicht verändern? Warum geschieht es, dass Kinder sterben – in den Armen ihrer Eltern? Will Gott das?

Oder reicht unser Glaube nicht mal mehr soweit, dass wir ihm überhaupt noch das Können zutrauen?
Aber hier in unserer Geschichte wird nicht theologisch abstrakt über Gottes Allmacht verhandelt. Hier begegnet einer persönlich dem, in dem uns Gott persönlich begegnet. Er bittet, er betet zu Jesus. Er betet das Gebet des Glaubens, der Hoffnung: Willst du, so kannst du!

Und Jesus will und kann. Ganz persönlich will er. Weil es ihn ganz persönlich bewegt, das Geschick dieses Mannes. Es jammerte ihn. Er hatte Mitleid. – Ach, diese Übersetzungen geben nur die Hälfte wieder! Im griechischen Original steht da ein Wort, das ein geradezu körperlich empfundenes Mitgefühl ausdrückt. Es erbarmte ihn. – Da geschieht etwas, was nur in der persönlichen Begegnung geschehen kann. Der eine ist ganz bei dem anderen. Jesus empfindet, was der Kranke empfindet. Und wo sie innerlich schon beieinander sind, da fällt auch die äußerliche Distanz. Er streckte die Hand aus … rührte ihn an … und sprach zu ihm: „Ich will's tun; sei rein!“

Das fasziniert mich am meisten an dieser Szene: Jesus berührt den Unberührbaren. Was erst nach der Heilung möglich sein sollte, geschieht schon zuvor – und gerade darin ist die Heilung. Das, worunter der Aussätzige am meisten leidet, die erzwungene Distanz zu allen, zu Menschen und zu Gott, wird mit einer Geste überwunden. Durch den, der beides in einem ist: Gott und Mensch. Und so ist er für Gott und Menschen nicht mehr unrein, nicht mehr unberührbar.

Diese Heilungsgeschichte wird damit ganz groß und weit. Die ganz einzigartige persönliche Begegnung zeigt, wie Gott in Jesus jedem einzelnen begegnen kann: Er hört auf meine Bitte, auf mein Gebet. Er hat Erbarmen, er streckt sich nach mir aus, er berührt mich, er überwindet die Distanz, er reinigt mich, so dass ich frei und offen Gott und Menschen begegnen kann.

Freilich, die Geschichte geht weiter. Sie geht einigermaßen befremdlich weiter. Der Geheilte erhält Redeverbot und er wird zu den Priestern geschickt.

Letzteres kann man relativ leicht erklären: Die Priester sind nach dem mosaischen Gesetz für solche Fälle so was wie die Gesundheitsbehörde. Sie bestimmen, wer rein und unrein ist. Wenn der Mann wieder gesund ist, dann darf er auch wieder zu den Menschen, zu seiner Familie. Und er darf auch wieder zu Gott, in den Gottesdienst. – Jesus sagt damit: Es soll alles seine Ordnung haben. Und: Sie sollen es ruhig sehen und bestätigen, dass Jesus durch Gottes Macht geheilt hat. – Wenn einer meint, dass Gott ihn auf wunderbare Weise geheilt hat, dann kann das ja bitteschön auch von den Ärzten begutachtet und bestätigt werden.

Warum aber erhält der Geheilte Redeverbot von Jesus? – Er befolgt es ja nicht einmal. Befolgt es nicht aus verständlichen Gründen: Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Und sein Herz ist voll von dem, was da an ihm geschehen ist: Heilung, Rettung, Rückkehr ins Leben. Unglaublich! – Warum sollte er davon nicht reden? Zur Ehre Jesu, der ihm geholfen hat. Zum Lobe Gottes, der alles gut macht.

Vielleicht ein Trick von Jesus? – Wenn du willst, dass etwas bekannt wird, dann musst du das Siegel der Verschwiegenheit gebrauchen. Vielleicht wollte Jesus gerade das erreichen, dass der Geheilte von ihm predigt? Ich kann es nicht wirklich glauben, dass es so gewesen sein soll. Denn er hätte auch so geredet, bei dem, was er da erlebt hat.

Ich glaube, es hat eher etwas mit dem Problem der Masse zu tun. Indem er das, was da in dieser ganz persönlichen Begegnung publik macht, erschwert er weitere solche persönlichen Begegnungen mit Jesus. – Jetzt kommen die Massen, und Jesus kann nicht mehr öffentlich reden und wirken, muss sich zurückziehen, sonst stürzen sie sich wieder alle auf ihn, und der Einzelne, der Aussätzige, der Unreine, der am Rand auf die besondere Begegnung mit Jesus wartet, hat keine Chance mehr, bleibt auf der Strecke.

Das Wichtige, das Entscheidende sind immer die persönlichen Begegnungen, so wie zwischen diesem Einen und Jesus.

Und wir mit unseren Massenveranstaltungen (die wir uns zumindest wünschen)? Mit unserer Liebe zur großen Zahl? – Wir müssen verstehen, dass das eben nicht das Eigentliche ist. Die kirchliche Massenveranstaltung kann ein Ruf sein, eine Einladung, das ja, aber eben eine Einladung zur persönlichen Begegnung.

So seid auch ihr heute und hier eingeladen, dem Herrn Jesus Christus persönlich zu begegnen. Du kannst ihm begegnen: Indem du dich ihm näherst, ihn bittest, von ihm die Hilfe erwartest, die du brauchst. Verlass dich drauf: er wird dich hören und verstehen, seine Hand ausstrecken und dich berühren, dich rein und heil machen. Es geht ihm immer um den einzelnen, es geht ihm um dich!

Montag, 19. September 2011

Predigt vom 18. September 2011 (13. Sonntag nach Trinitatis)

Es kamen Jesu Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: "Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir." Und er antwortete ihnen und sprach: "Wer ist meine Mutter und meine Brüder?" Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: "Siehe, das ist meine Mutter, und das sind meine Brüder! Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter."
Markus 3, 31-35


Liebe Schwestern und Brüder,

heute also mal diese Anrede, denn wir sind das ja, sollen es ja sein: Schwestern und Brüder Jesu, Familie Gottes.

Wer gehört dazu? Wer nicht? Wer ist drin? Wer bleibt draußen?

Es ist ein irres Kapitel, was der Evangelist Markus da aufschlägt. Man muss mal Markus 3 ab Vers 7 hintereinander im Zusammenhang lesen:

Eine große Menschenmenge aus der ganzen weiteren Umgebung drängt auf Jesus ein. Er kann sich kaum retten vor Leuten, die etwas ganz Besonderes von ihm erwarten: Massen. Vor allem wollen sie Heilungen von ihm, Wunderheilungen, Exorzismen. Wörtlich: Denn er heilte viel, so dass alle, die geplagt waren, über ihn herfielen, um ihn anzurühren. Erst müssen seine engsten Freunde ein Boot für ihn organisieren, mit dem er sich von den Menschenmassen auf den See retten kann. Dann zieht er sich mit ihnen auf einen Berg zurück. Dort wählt er zwölf von ihnen als seine Apostel aus. Dann treffen wir ihn in einem nicht näher bezeichneten Haus an, in dem und um das herum sich wieder die Volksmassen versammeln.

Alle wollen zu ihm. Alle wollen zu ihm gehören. Er wählt zwar einen kleinen Kreis besonders enger Mitstreiter aus. Aber eigentlich wollen viel mehr ihm nahe sein. Weil sie alles, alles mögliche von ihm erwarten.

Wer von diesen allen gehört wirklich zu ihm?

Es gibt auch andere. Mit denen geht es gleich weiter in diesem turbulenten Kapitel. Zuerst die Vorgeschichte zu der Begegnung, die wir als Predigttext gehört haben: Jesu Angehörige machen sich auch auf den Weg zu ihm: Nicht weil sie sich den Massen seiner Fans anschließen wollen. Nicht weil sie stolz sind auf die Erfolge ihres Sohnes, ihres Bruders. Im Gegenteil er ist ihnen peinlich. Er ist verrückt, sagen sie, von Sinnen, geisteskrank, wahnsinnig.

Eine Diagnose übrigens, die von seinen Kritikern später immer mal wiederholt worden ist: Jesus war verrückt, zumindest psychisch auffällig, eigenartig distanzlos und naiv, ein Idiot.

Von der anderen Seite her machen sich andere auf den Weg zu ihm, Schriftgelehrte aus Jerusalem, die Fachleute für religiöse Fragen. Was tut man, wenn einer tut, was Jesus tut: Predigen und Heilen ohne Genehmigung der Kirchenbehörde? Sie gehen im Grunde noch einen Schritt weiter als seine Angehörigen: Für sie ist er nicht nur verrückt, sondern besessen. Er treibt die bösen Geister aus durch ihren Obersten. Für sie steht Jesus im Dienst des Teufels.

Auch diese Diagnose ist später wiederholt worden. In etwas abgewandelter Form: mit der Behauptung, das von Jesus gegründete Christentum sei für alles Böse in der Welt (oder zumindest für das meiste) verantwortlich.

Während Jesus noch mit diesen Leuten diskutiert, sind seine Angehörigen angekommen und stehen draußen vor der Tür: seine Mutter und seine leiblichen Brüder und Schwestern – ja, die gab's – schlechte Nachricht für alle Katholiken, die immer noch glauben, dass Maria immerwährende Jungfrau ist! Sie kommen gar nicht erst herein – vielleicht wegen der vielen Menschen, oder aber, wahrscheinlicher, weil sie nicht hereinwollen, nicht dazugehören wollen. Sie wollen nicht bei Jesus drin sein, sondern er soll zu ihnen rauskommen. Er gehört zu ihnen, sie sind seine Familie. Sie haben einen Anspruch darauf, dass er sich um sie kümmert. Schließlich ist er der Älteste und der Vater ist schon gestorben. Er gehört zu ihnen. Aber sie gehören nicht zu ihm. Sie wollen ja nicht zu dieser Gesellschaft gehören, die sich da um ihn versammelt hat, ihn anhimmelt, an seinen Lippen hängt, sich auf ihn stürzt, um etwas von seiner göttlichen Kraft abzubekommen. Mit diesem Jesus, diesem Verrückten, mit dem wollen sie nichts zu tun haben. Sie wollen ihren Privat-Jesus wiederhaben. – Aber den gibt es nicht mehr.

Die Nachricht dringt bis zu ihm durch: Deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir.

Was Jesus antwortet, ist immer schon als eine große Brüskierung verstanden worden. Wie kann er nur seine engsten Angehörigen so vor den Kopf stoßen? – Meine Mutter? Meine Brüder und Schwestern? – Hier sitzen sie, meine Mutter, meine Brüder, meine Schwestern. Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.

Eine Brüskierung? Ja, eine Brüskierung für die, denen der schöne Schein eines geordneten Familienlebens alles ist. Eine Brüskierung für die, denen dieser Jesus peinlich ist. Für die, denen er verrückt erscheint. Für die, die selber den Schritt zu ihm herein nicht tun wollen, aber erwarten, dass er zu ihnen herauskommt. Für die, die zu stolz sind, um sich auf ihn einzulassen.

Aber eine Würdigung, eine Aufwertung für all die anderen, die sich um ihn sammeln und zu ihm halten – für die, die Gottes Willen tun.

Für die, die Gottes Willen tun? – Ja, um Gottes Willen, was tun sie denn? Sie laufen Jesus nach, sie umlagern ihn, sie bitten ihn um Hilfe und Heilung, sie hängen an seinen Worten, saugen sie in sich auf, staunen über ihn. Und einige gehen mit ihm mit, folgen ihm nach. Aber bei weitem nicht alle. Seine engsten Nachfolger, das ist nur ein kleiner Kreis. Aber die Jesus seine wahren Verwandten nennt, das sind viele. Viele, von denen wir nicht wissen, wie ernst und nachhaltig ihre Begeisterung für Jesus war. Von denen wir nicht wissen, was sie denn noch tun, außer Jesus nachlaufen.

Eigentlich könnte man es doch so verstehen: Jesu Familie, das sind die, die wirklich bewusst in seinem Sinne leben: Die Hungernde speisen, Fremde aufnehmen, Nackte bekleiden, Kranke und Gefangene besuchen. Die kleinen und die großen Heiligen, Leute wie Mutter Theresa oder wie der Unbekannte von nebenan, der wenigstens seiner alten Nachbarin den Einkauf mitbringt. Das sind sie doch, die den Willen Gottes tun, so würden wir meinen.

Aber Jesus spricht ungeprüft von allen, die sich da um ihn herum versammelt haben. Die kleinen und die großen Sünder. Die vor allem für sich selber was erwarten von ihm. Ja, wenn man dem Ablauf dieses Kapitels folgt, dann müssen sogar die Schriftgelehrten aus Jerusalem noch mit da sein, die ihn gerade noch als besessen bezeichnet haben. – Sie alle sollen Jesu Brüder und Schwestern sein?

Das einzige, was sie tun, ist, sich an Jesus halten. Von ihm etwas erwarten. – Und genau das ist es wohl, was Jesus meint, wenn er sagt: Sie tun den Willen Gottes. Denn etwas anderes tun sie ja nicht.

Liebe Schwestern und Brüder, das ist für mich der Punkt heute. Das ist für unser Verständnis ganz wichtig, wer wir als Kirche und christliche Gemeinde sind, wer zu uns gehört und wer nicht: Jeder, der kommt, jeder, der etwas von uns und der etwas von unserem Herrn Jesus erwartet, gehört dazu. Wir schließen niemanden aus. Die Kirche unternimmt keine Prüfung, wie sehr jemand nach dem Willen Gottes lebt. Wer kommt und etwas von Gott oder auch nur von seinem Bodenpersonal erwartet, der soll dazugehören.

Denn auf diese Haltung kommt es an: Offen sein, etwas erwarten, zu Gott zu Jesus kommen. Nicht draußen stehen bleiben, sondern hereinkommen mitmachen.

Diese Haltung nennt die Bibel an anderen Stellen Glauben. Da werden uns Leute im Detail gezeigt, die Jesus bitten um Heilung und Hilfe, und Jesus lobt ihren Glauben. Da werden uns einzelne Leute gezeigt, die Jesus fragen um Rat und Hilfe für ihr Leben, und Jesus antwortet ihnen, weil er ihren Glauben sieht.

Das ist Glaube: keine hochgestochene Theologie, keine übermenschliche Moral. Nein, einfach nur etwas von Gott, von Jesus, von den Menschen erwarten. Und schon das heißt: den Willen Gottes tun. Es geht nicht um Leistung. Es geht um Glauben, um Vertrauen, um Hoffnungen und Erwartungen.

Wer glaubt und hofft, der gehört dazu zur Familie Jesu. Und darum kann ich euch alle auch so anreden: Liebe Schwestern und Brüder. Wer nichts erhofft und nichts erwartet, der ist nicht hier. Aber wer hier ist, der gehört dazu, zur Gemeinde Jesu, zur Familie Gottes.

Sonntag, 18. September 2011

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Sonntag, dem 18. September 2011


Guten Morgen, liebe Hörer,

die biblische Sprichwortweisheit, um die es in den letzten Tagen an dieser Stelle ging, ist voller Lebenserfahrung. Und doch ist dabei immer noch ein bisschen mehr: Diese Lebenserfahrung ist zugleich Glaubenserfahrung.

Es geht um Gerechtigkeit unter den Menschen, und am Ende ist es Gott, der für Gerechtigkeit sorgt.

Es geht um Selbstachtung, und am Ende ist es Gott, der uns selbst achtet.

Es geht um die Vergänglichkeit dessen, was der Mensch schafft, und am Ende ist es  Gott, der Beständigkeit verleiht.

Es geht um Entschuldigungen, und am Ende ist es Gott, der unsere Schuld vergibt.

Es geht um das Wollen und Vollbringen des Guten, und am Ende ist es Gott, der beides in uns bewirkt.

Es geht um Barmherzigkeit gegenüber Schwachen, und am Ende ist es Gott, der uns gegenüber barmherzig ist.

All diese Themen habe ich in den “Zündfunken” der letzten Tage angesprochen.

Es geht um den Menschen, ja. Aber vor allem geht es Gott um den Menschen.

Vielleicht kennen Sie ja auch dieses Sprichwort: Der Mensch denkt, aber Gott lenkt. Das ist die Kurzfassung eines biblischen Sprichwortes, das wörtlich heißt: Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber der Herr allein lenkt seinen Schritt (Sprüche 16, 9).

Profan ausgedrückt: Manchmal kommt es anders, als man denkt. – Da ist sie wieder die ganz normale Lebenserfahrung: Unsere Wünsche und Pläne gehen selten auf. Das liegt daran, dass wir oft nicht wissen, was herauskommt bei unserem Tun und lassen. Und es liegt daran, dass die Umstände nicht immer so mitspielen, wie wir wollen. – Lebenserfahrung.

Glaubenserfahrung aber ist, dass hinter unserem Planen und Scheitern, hinter dem wenigen, was gelingt, und dem vielen, was anders kommt, ein besserer Plan steckt, eine höhere Vernunft, ein größerer Sinn: Gott lenkt.

Es kommt immer wieder anders, als ich denke. Aber es kommt nicht anders, als Gott es denkt – und lenkt.

Das kann ich nicht beweisen. Aber ich kann es glauben.

Samstag, 17. September 2011

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Samstag, dem 17. September 2011


Guten Morgen, liebe Hörer,

Sprichworte und bekannte Redensarten finden sich in der ganzen Bibel verteilt. Das beginnt mit dem Tohuwabohu im zweiten Vers der Bibel (1. Mose 1, 2). Dort heißt es: Die Erde war wüst und leer. Im hebräischen Urtext heißt wüst und leer nämlich tohu wabohu. Und es endet mit dem A und O auf der letzten Seite der Bibel (Offenbarung 22, 13). A und O, Alpha und Omega, der erste und der letzte Buchstabe des griechischen Alphabets stehen für die Gesamtheit, die Vollkommenheit, Anfang und Ende. Es ist Jesus Christus, der von sich sagt: Ich bin das A und das O, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende.

So finden sich Sprichworte und bekannte Redensarten in der ganzen Bibel verteilt. Aber es gibt ein spezielles Buch in der Bibel, das fast nur aus Sprichworten besteht. Und so heißt dieses Buch auch: Sprichwörter oder Sprüche.

Der biblischen Überlieferung nach war es der König Salomo im 10. Jahrhundert vor Christi Geburt, der angefangen hat, Sprichworte, Aphorismen und Weisheitsgedichte zu sammeln. Und so haben wir in der Bibel eine umfangreiche Sammlung altisraelitischer und altorientalischer Sprichwortweisheit.

Darin finden wir so bekannte Worte wie Hochmut kommt vor dem Fall (Sprüche 16, 18) oder das Wort von der Grube, in die man selber reinfällt (Sprüche 26, 27).

Viel mehr noch stehen dort Sprichworte, die für uns nicht mehr geläufig sind, weil sie aus einer anderen Zeit und Kultur kommen. Vielleicht kennt ja jemand diesen Spruch: Eine schöne Frau ohne Zucht ist wie eine Sau mit einem goldenen Ring durch die Nase (Sprüche 11, 22).

Ein Thema zieht sich auch durch die Sprüche: der Umgang mit den Armen und Bedürftigen: Wer dem Geringen Gewalt tut, lästert dessen Schöpfer; aber wir sich des Armen erbarmt, der ehrt Gott (Sprüche 14, 31). Bemerkenswert daran ist, dass in der Bibel bereits in ganz alten Zeiten jeder Mensch, auch der Arme und Minderbemittelte als Gottes Geschöpf gesehen wird!

Und noch etwas wird an diesem Wort deutlich: In den biblischen Sprichworten kommt immer wieder auch Gott zur Sprache. Denn zur menschlichen Lebensweisheit gehört Gottesfurcht und Gottvertrauen dazu. So heißt es: Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Erkenntnis (Sprüche 1, 7).




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Freitag, 16. September 2011

Zündfunke (Rundkfunkandacht) am Freitag, dem 16. September 2011


Guten Morgen, liebe Hörer,

ich habe mich gefragt, wie es eigentlich kommt, dass gerade in der Bibel so viele Sprichworte stehen, so viel Alltags- und Lebensweisheit. Wo wir doch von der Bibel eher Hochgestochenes und Anspruchsvolles erwarten.

Wenn wir in der Bibel lesen, dann merken wir, dass da neben dem Anspruchsvollen, neben dem schwer Verdaulichen, ganz viel Menschliches, Allzumenschliches steht. Die Bibel ist eben nicht nur und nicht mal in erster Linie ein Buch, das von Gott spricht; sie ist vor allem ein Buch, das vom Menschen spricht: Wie der Mensch so ist, und wie er sein kann und sein soll.

Und weil die Bibel so ein menschliches Buch ist, können wir sie auch so gut als Spiegel benutzen, in dem wir uns selber wiedererkennen: wir Menschen mit unseren Stärken und Schwächen, mit unseren angenehmen und unangenehmen Seiten.

Dabei ist es doch erstaunlich, dass so ein alter Spiegel noch funktioniert. Offenbar hat sich der Mensch in den vergangenen zwei Jahrtausenden kaum verändert.

Ein Sprichwort gewordener Satz aus der Bibel bringt unsere menschliche Stärke und Schwäche wunderbar auf den Punkt: Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach (Markus 14, 38).

So fremdartig die Ausdrucksweise ist – Geist und Fleisch –, so gut verstehen wir doch, was gemeint ist: Wir sind im Allgemeinen durchaus gutwillig, hilfsbereit, fleißig, ehrlich usw. – Aber, aber uns fällt es ausgesprochen schwer, auch nach unseren guten Vorsätzen zu leben. Das merken wir vielleicht immer so ein paar Tage nach Neujahr, wenn die alten schlechten Angewohnheiten wieder da sind, die wir doch gerade zum Jahreswechsel sein lassen wollten. Und dann sagen wir vielleicht: Ja, so ist das eben: Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.

Etwas prosaischer wird das in der Bibel auch so beschrieben: Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht (Römer 7, 18b).

Die Frage ist, wie gehen wir damit um? – Hören wir einfach auf, das Gute zu wollen – oder fangen wir doch lieber an, das Gute auch zu vollbringen?

Die Bibel spricht von Gottes Geist, der unserem Geist beispringt, damit das Gute in uns siegt.

Donnerstag, 15. September 2011

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Donnerstag, dem 15. September 2011


“Ich war’s nicht!” – diesen Satz, liebe Hörer, habe ich schon manchmal von meinem Patenkind gehört. Nicht immer, aber manchmal war er’s doch.

Wir Erwachsenen haben längere Entschuldigungen drauf. Aus dem “Ich war’s nicht” werden umständliche Erklärungen, warum ich, obwohl ich’s vielleicht doch war, überhaupt keine Schuld habe, nicht anders konnte oder einfach nur ein Opfer unglücklicher Umstände geworden bin. “Ich war’s nicht – ich kann nichts dafür – ich wasche meine Hände in Unschuld.

Seine Hände in Unschuld waschen – auch das ist eine sprichwörtliche Redensart, die aus der Bibel kommt. In einem der Psalmen (Psalm 26) beteuert einer vor Gott seine Unschuld: Herr, schaffe mir Recht, denn ich bin unschuldig!

Und wir merken schon: hier ist es etwas anders als bei meinem Patenkind und als bei uns meistens. Andere wollen ihm etwas unterschieben, für das er tatsächlich nicht verantwortlich ist. Er ruft Gott zum Helfer und zum Zeugen an: Du, Gott weißt, dass ich’s wirklich nicht war. Ich wasche meine Hände in Unschuld.

In vielen Religionen gibt es Reinigungsrituale. Das äußere Waschen symbolisiert dabei das innere Reinwerden. Daher kommt auch dieser Ausdruck. Ich kann mit reinen Händen und reinem Herzen, mit gutem Gewissen vor Gott treten.

Die christliche Taufe ist für uns ein ähnliches Reinigungsritual. Nur, dass wir nicht selber unsere Unschuld damit bekräftigen, sondern dass Gott uns die Schuld abwäscht.

Wir können, so wie wir alle gestrickt sind, wohl kaum guten Gewissens vor Gott treten und unsere Hände in Unschuld waschen. Und “Ich war’s nicht” und andere Ausreden ziehen bei Gott nicht.

Aber wir können uns auf unsere Taufe berufen. “Doch, ich war’s, aber du, Gott, hast mich in Unschuld gewaschen, du nimmst mich an, als wäre ich’s nicht gewesen.”

Im Grunde genommen ist es ja bei meinem Patenkind dasselbe. Auch wenn er’s gewesen ist, seine Eltern haben ihn trotzdem lieb - vielleicht sogar erst recht! – Genau so ist das mit Gott und uns.




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Mittwoch, 14. September 2011

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Mittwoch, dem 14. September 2011


Guten Morgen, liebe Hörer,

in diesen Tagen habe ich das Gefühl, dass unsere europäische Währung, der Euro, auf tönernen Füßen steht. Ja, vielleicht sogar das ganze Projekt eines vereinten Europas.

Aber ich will eigentlich keine politische Rede halten, ich möchte mit diesem Beispiel an eine weitere biblische Redewendung erinnern: Etwas steht auf tönernen Füßen.

Im Buch Daniel (Daniel 2) wird erzählt, dass der babylonische König Nebukadnezar einen besonderen Traum hatte: Er sah ein mächtiges Standbild, dessen Kopf aus Gold war, Brust und Arme aus Silber, Bauch und Lenden aus Kupfer, die Beine aus Eisen und die Füße – nun: aus Ton, genauer gesagt: aus einem Eisen-Ton-Gemisch. Und dann kam in diesem Traum ein Stein herangerollt, der traf das Standbild an den Füßen. Man kann sich denken, was geschah: Das ganze Machwerk stürzte zusammen und wurde zerstört.

Daniel, ein junger jüdischer Mann, war der einzige, der dieses Traumbild deuten konnte: Die Teile des Bildes stehen für aufeinanderfolgende Weltreiche, die eines nach dem anderen immer schwächer werden. Das letzte, das mit den tönernen Füße, wird so zerschlagen, dass es keine menschliche Herrschaft mehr geben wird; dafür kommt Gottes Reich.

Ich bin mir nicht sicher, ob das die einzige mögliche Deutung ist. Vielleicht hat Daniel es nicht gewagt, dem König auch eine andere mögliche Erklärung zu bringen: Das Ganze ist sein Reich, das Reich von Nebukadnezar. Es ist zwar nach außen hin glanzvoll und mächtig, aber es steht auf tönernen Füßen. Es wird in sich zusammenfallen. – So ist es dann ja auch geschehen.

So ist es in der Weltgeschichte mit allen menschlichen Machtgebilden geschehen – weil sie eben auf tönernen Füßen standen; sie waren auf militärischer Macht nach außen und harter Unterdrückung nach innen gegründet.

Bestand hat aber nur, was auf eine andere Macht gegründet ist: auf Gottes Macht.

Die Botschaft dieses Bildwortes ist am Ende dann doch politisch. Denn es fragt sich schon, auf was für Füßen unser gegenwärtiges Europa steht – noch steht.




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Dienstag, 13. September 2011

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Dienstag, dem 13. September 2011


Guten Morgen, liebe Hörer,

in dieser Woche spreche ich im “Zündfunken” über Sprichworte und Redensarten, die aus der Bibel kommen. Sicher werden manche darunter sein, wo auch Sie sagen: Das habe ich gar nicht gewusst, dass das in der Bibel steht: Sein Licht unter den Scheffel stellen. Etwas auf Herz und Nieren prüfen. Die Spreu vom Weizen trennen. Zur Salzsäule erstarren. Es fällt mir wie Schuppen von den Augen … Alle diese Redewendungen – und noch viele mehr – haben ihren Ursprung in der Bibel.

Die deutsche Bibelübersetzung von Martin Luther hat mit ihrer kräftigen und prägnanten Sprache dazu beigetragen, dass diese Worte volkstümlich wurden. Luther wollte ja, als er die Bibel übersetzte, volkstümlich sein, dem Volk aufs Maul schauen, wie er mal gesagt hat. Dass ihm das gelungen ist, sehen wir auch daran, dass das Volk auch ihm aufs Maul geschaut hat, und aus seiner Bibelübersetzung viele sprichwörtliche Redewendungen gelernt hat.

Sein Licht unter den Scheffel stellen zum Beispiel. Im Matthäusevangelium (Matthäus 5, 15) sagt Jesus – in der Übersetzung Luthers –: Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter. So leuchtet es denn allen, die im Hause sind. Also lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, dass sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.

Der Scheffel, als alter landwirtschaftlicher Maßbehälter, ist heute nur noch im Museum zu besichtigen. Jungen Leuten muss man erst erklären, was das überhaupt ist. Darum hat man neuerdings versucht, an dieser Stelle statt Scheffel Eimer zu übersetzen – und hat gemerkt, dass das nicht geht. Man würde die sprichwörtliche Redensart kaputtmachen.

Was sie sagen will, verstehen wir auch so: Versteck dich nicht, mit dem was du kannst und bist! Du bist vielleicht keine große Leuchte. Aber auch ein kleines Licht macht es hell im Dunkel. Du kannst dich sehen lassen. Stell dein Licht nicht unter den Scheffel!

Dazu sind auch Sie aufgefordert. Also überlegen Sie mal, womit Sie heute glänzen können!




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Montag, 12. September 2011

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Montag, dem 12. September 2011


Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Mit diesem wohlbekannten Sprichwort, grüße ich Sie, liebe Hörer, am Montagmorgen.

Ich hoffe ja nicht, dass es Ihr erster Vorsatz in der neuen Woche war, jemandem eine Grube zu graben, ihm eins auszuwischen, ihm zu schaden. Aber manchmal, manchmal, kommt einen die Versuchung ja doch an: Dem zeige ich’s jetzt. - Der eine oder andere, dem wir einen Reinfall wünschen, fällt uns vielleicht doch ein.

Aber da gibt es eben dieses und ähnliche Sprichworte, die uns daran erinnern: Vorsicht mit deinen Versuchen, anderen zu schaden! Oft genug geht das schief, und am Ende steht man selber als der Geschädigte da. Es ist einfach unvernünftig und, ja, auch unmoralisch, andere reinzulegen.

Wer andern eine Grube gräbt … – dieses und viele andere Sprichworte kommen aus der Bibel. In diesem Falle hat der deutsche Volksmund das Bibelwort ein bisschen umgeformt, aber inhaltlich ist es dasselbe, wenn es im Buch der Sprüche (Sprüche 26, 27) heißt: Wer eine Grube macht, der wird hineinfallen; und wer einen Stein wälzt, auf den wird er zurückkommen.

Das ist eine Lebenserfahrung schon in alten Zeiten gewesen: Das Böse fällt auf den Täter zurück. Und hinter dieser Lebenserfahrung steht ein Glaube, den wir teilen: Es muss so etwas wie eine höhere Gerechtigkeit geben, eine ausgleichende Gerechtigkeit. Wer Böses tut, wird auch Böses erfahren. Wer Gutes tut, hat auch selber Gutes davon.

Wer garantiert, dass es eine solche Gerechtigkeit wirklich gibt? – Wir reden da auch gerne mal von Gott. Zum Beispiel wenn wir mit einem anderen Sprichwort sagen: Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort …

Ja, und was ist mit den großen Sünden? Nicht immer ist es ja so, dass der große Übeltäter in die selbst gegrabene Grube fällt. Aber wir hoffen doch gerade darauf, dass es bei Gott am Ende eine Gerechtigkeit gibt, durch die das Böse offenbart und bestraft und das Gute belohnt wird.

Ich wünsche Ihnen eine gute Woche, in der Sie keinen Reinfall erleben, aber auch selber niemanden reinlegen.

Sonntag, 11. September 2011

Predigt vom 11. September 2011 (12. Sonntag nach Trinitatis)

Wohlan, es ist noch eine kleine Weile, so soll der Libanon fruchtbares Land werden, und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden. Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; und die Elenden werden wieder Freude haben am HERRN, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels. Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sine, Unheil anzurichten, welche die Leute schuldig sprechen vor Gericht und stellen dem nach, der sie zurechtweist im Tor, und beugen durch Lügen das Recht des Unschuldigen.
Darum spricht der HERR, der Abraham erlöst hat, zum Hause Jakob: Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen, und sein Antlitz soll nicht mehr erblassen. Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände – seine Kinder – in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen; sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten. Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen.
Jesaja 29, 17-24




Liebe Gemeinde,

heute ist der 11. September. Dieser Tag, heute vor zehn Jahren, hat uns wohl alle erschüttert, bewegt und auch verändert. Die Angst, das Entsetzen, die Lähmung, die uns an diesem Tag, in diesen Stunden erfasst hat, ist uns vielleicht immer noch präsent. Fast jeder weiß, wo und wie ihn die Nachricht erreicht hat, die Bilder, wie das zweite Flugzeug in das World Trade Centers krachte, die brennenden Türme, ihr Zusammenbrechen in riesigen Staub- und Aschewolken. Wahrscheinlich haben wir es als stechenden Schmerz empfunden, wie genau in diesem Moment Hunderte, Tausende von Menschen starben. Und wir haben es hoffentlich nie verstanden, wie Menschen zu so etwas fähig sein konnten.

Die Welt wird nicht mehr dieselbe sein wie zuvor, hieß es sehr schnell, wohl schon am selben Tag. Das war vielleicht in mancher Hinsicht richtig. Anders als wohl viele Europäer, die die Anschläge vom 11. September als ein monströses Verbrechen betrachteten, haben die Amerikaner sie als kriegerischen Angriff verstanden. „America is under attack“, hieß es. Die Erinnerungen an den japanischen Angriff auf Pearl Harbour waren sofort präsent. Entsprechend ist es aus amerikanischer Sicht, aus der Sicht der Opfer des 11. Septembers absurd, so etwas zu sagen wie es bei uns gerne gesagt wurde: Der 11. September wäre „zum Vorwand“ genommen worden, um Krieg in Afghanistan und im Irak zu führen. Nein, diese Kriege, zumindest der in Afghanistan, waren eine logische Antwort in einem Krieg, der spätestens mit den Anschlägen vom 11. September den Amerikanern und mit ihnen der ganzen westlichen Welt von außen erklärt worden war. Von einem Gegner, der schwer zu fassen und zu bekämpfen war und ist, weil er eben kein Staat mit bewaffneten Streitkräften ist, sondern ein internationales Netzwerk von fanatisierten Kämpfern. Und so hat man logischerweise auch nicht Krieg gegen Afghanistan oder gegen den Irak geführt, sondern in diesen Ländern, damit von ihnen keine Gefahr mehr ausgeht.

Ja, die Welt sieht durch den „Krieg gegen den Terror“ ein wenig anders aus als zuvor. Im Großen und Ganzen ist sie aber doch dieselbe geblieben. Denn die Terroristen von der Kaida haben es nicht geschafft, die westliche Kultur in ihrem freiheitlichen Selbstverständnis zu erschüttern. Sie haben es nicht geschafft, uns einzuschüchtern und zu verängstigen. Was viele befürchteten, dass islamistischer Terror zur stets präsenten Gefahr würde, dass sich weitere größere und kleinere Anschläge häufen würden, das ist ausgeblieben. Wobei wir die Anschläge von Bali, von Madrid und London wie auch den misslungenen Anschlagsversuch in Deutschland mit den Kofferbomben nicht vergessen wollen. Aber dass die Terroristen nach zehn Jahren so wenig erfolgreich waren, das ist vor allem ein Erfolg der gesteigerten Sicherheitsmaßnahmen und des internationalen Krieges gegen den Terror.

Ich habe das nicht immer so klar gesehen. Und man mag mit einigem Recht darüber diskutieren, ob der Irakkrieg so sinnvoll war oder nicht.

Ein Denken aber, das erklärten Demokraten und Freiheitsfreunden, bekennenden Christen, den Amerikanern und natürlich immer wieder den Juden, finstere Verschwörungen und Weltherrschaftspläne unterstellt, dagegen skrupellose Mörder und Fanatiker als Opfer hinstellt, für die man am Ende noch Verständnis haben soll, ein solches Denken kann ich nur dumm und zynisch nennen.

Ist die Welt seit zehn Jahren besser geworden, sicherer geworden, vielleicht auch freier, demokratischer? Vielleicht denken wir an den so genannten arabischen Frühling? An Libyen? Oder auch daran, dass selbst im Irak eine, wenn auch schwierige und gefährdete, Demokratie herrscht?

Oder ist es nur noch schlimmer geworden, gefährlicher, unübersichtlicher?

Eine neue Weltordnung, wie manche sie sich erträumt haben, hat sich gewiss noch nicht durchgesetzt.
Aber dieser Traum von einer neuen Weltordnung, von Frieden und Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit, das ist ein ganz alter Traum, ein biblischer Traum, ein Traum, den vor allem Juden und Christen immer weiter geträumt haben, und von dem dann doch da oder dort schon etwas Wirklichkeit geworden ist.

Es ist der Traum, von dem in unserem Predigttext die Rede ist. Und, ja, eigentlich ist es mehr als ein Traum. Es ist eine Verheißung. Also ein Traum, der dazu bestimmt ist, Wirklichkeit zu werden.

Dieser Traum hat viele Facetten. Gehen wir einfach durch den Text:

Der Libanon soll fruchtbares Land werden, und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden.

Das ist der Traum, dass sich die Natur so verändern kann, dass die Erde wirtlicher, wohnlicher wird. Auf dem Libanon wachsen die legendären Zedern, vor allem aber ist es ein Hochgebirge, wo in den oberen Lagen fast gar nichts wächst und auf dessen Gipfeln meistens Schnee liegt. – Wir können es uns vorstellen, wir haben es hier vor Augen, wie unfruchtbar Gebirgsland sein kann. Aber es soll fruchtbar werden, wird hier gesagt. – Wie soll das gehen? Vielleicht durch eine Klimaerwärmung?

Wir mögen auch daran denken, wie es Menschen in den letzten Jahrhunderten gelungen ist, Land zu kultivieren und auf kultiviertem Land Ernteerträge zu erhöhen, durch moderne Bewirtschaftungsmethoden, durch modernen Pflanzenschutz, durch moderne Pflanzenzüchtung und, ja, vielleicht auch durch moderne Gentechnik.

Noch immer werden nicht alle Menschen satt auf unserer Erde. Aber erstaunlicherweise werden trotz steigender Bevölkerungszahl immer mehr Menschen satt. – Ein Zeichen der Hoffnung.

Die Tauben werden hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen.

Das ist der Traum, dass Krankheit und Behinderung die Menschen nicht länger ausschließt aus der Gemeinschaft der anderen, derer die sehen, die hören, die verstehen, die wissen.

Jesus hat Taube und Blinde auf wundersame Weise geheilt. Heute werden weit mehr Blinde und Gehörlose durch medizinische Möglichkeiten geheilt. Ja, für uns ist es ganz selbstverständlich geworden, die Sehschwäche und die Hörschwäche technisch zu kompensieren. Natürlich noch nicht immer und überall. Es gibt noch Blinde und Gehörlose, und wenn ich höre, dass jemand aus unserer Gemeinde immer schlechter sieht, und da wohl nichts zu machen ist, dann macht mich das auch traurig. Aber, das ist heute Gott sei Dank viel seltener als noch vor wenigen Jahrzehnten.

Die Elenden werden wieder Freude haben am Herrn, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels.

Das ist der Traum, dass Armut und Elend überwunden werden, dass Menschen, die wenig haben und wenig können, doch nicht am Rande der Gesellschaft stehen.

Die Bibel hat eine starke soziale Komponente, würde man heute sagen. Gottes „Option für die Armen“ nennen das manche.

Schon die alttestamentlichen Gebote rufen dazu auf, keinen Hilfsbedürftigen links liegen zu lassen: die Waisen, die Witwen, die Fremden werden häufig genannt. Jeder, auch der Ärmste soll genug zum Leben haben. Und Jesus preist die Armen selig.

Das Christentum hat eine Kultur der Armenpflege entwickelt, aus der auf der einen Seite diakonisches und soziales Engagement von Einzelnen und Gruppen hervorgegangen ist, andererseits der moderne Sozialstaat, der jedem ein relativ gutes Auskommen sichert.

Darum ist Armut in Deutschland und Europa nicht das, was eigentlich Armut ist, das, was wir in vielen anderen Weltgegenden noch haben.

Noch, sage ich, denn auch hier hat sich die Situation eher verbessert als verschlechtert. Der Anteil der Menschen zum Beispiel, die weniger als einen Dollar pro Tag zum Leben haben, hat sich seit 1990 von der Hälfte auf ein Viertel halbiert. – Ein Zeichen der Hoffnung.

Es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten, welche die Leute schuldig sprechen vor Gericht und stellen dem nach, der sie zurechtweist im Tor, und beugen durch Lügen das Recht des Unschuldigen.

Das ist der Traum, dass Gewaltherrschaft, Terror und Menschenverachtung keine Zukunft haben. Dass Rechtsbeugung und Machtmissbrauch aufhören werden.

In der Bibel wird menschliche Herrschaft zum ersten Mal in der Geschichte an Gottes Recht gebunden. Wer über Menschen regiert, soll das in Verantwortung vor Gott und für die Menschen tun, indem er Gottes Gebote achtet.

Tyrannei und Terrorherrschaft haben letztlich keinen Bestand. Die Zerschlagung der Naziherrschaft in Deutschland, der Zusammenbruch des kommunistischen Systems in der Sowjetunion und im Ostblock, sie sind Zeichen dafür, dass die Tyrannen tatsächlich untergehen.

Das Schicksal von Saddam Hussein, von Osama bin Laden, der Untergang des Regimes von Muammar al-Gaddafi – sie bestätigen es auch für dieses letzte Jahrzehnt.

Vielleicht sind wir ja einer Welt ohne Gewalt und Terror tatsächlich ein Stück näher gekommen. – Es gibt Zeichen der Hoffnung.

Weiter heißt es: Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen, und sein Antlitz soll nicht mehr erblassen.

Das ist der Traum, dass Gottes Volk Israel nicht mehr unterdrückt, verfolgt, bedrängt, gemordet wird.
Denn der Name Jakob steht für Gottes Volk, für Israel. Es war ja der Erzvater Jakob, der von Gott den Ehrennamen Israel verliehen bekam.

Über Israel habe ich vor 14 Tagen ausführlich gesprochen. Es sieht aus, als wäre auch davon etwas wahr geworden in unseren Tagen: in dem kleinen, gefährdeten, wunderbaren Land zwischen Jordan und Mittelmeer hat Israel wieder Heimat und einen eigenen Staat.

Vielleicht mögen wir als Christen diese Verheißung, diesen Traum auch etwas weiter fassen. Es ist ja auch unser Traum und unsere Hoffnung, dass das Leiden und die Verfolgung, die Christen um ihres Glaubens willen trifft, ein Ende haben werden.

In der Sowjetunion, im Ostblock haben wir das erlebt: ein Aufatmen und Aufleben des unterdrückten Glaubens.

An anderen Orten nimmt die Verfolgung zu. In Nordkorea und in etlichen islamischen Staaten kann Christsein das Leben kosten. In vielen arabischen Ländern ist Christsein schwerer geworden: auch und gerade in Ägypten und im Irak.

Der Traum, die Verheißung des Propheten sind eben noch lange nicht in allen Stücken Wirklichkeit geworden.

Die neue Weltordnung, es ist die Weltordnung Gottes. Wir können sie nicht mit unseren Mitteln heraufführen. Sicher aber da und dort etwas davon wahr machen. Demokratie, Freiheit und Menschenrechte, westliche Werte sind eben zum großen Teil auch jüdisch-christliche Werte.

Am Ende des Predigttextes ist von den Werken seiner, Gottes Hände die Rede. Das Entscheidende kommt immer noch und immer wieder von ihm.

Auch die entscheidenden Impulse für uns.

Das Wichtigste an der prophetischen Verheißung steht ganz am Ende:

Sie werden meinen Namen heiligen; sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten. Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die welche murren, werden sich belehren lassen.

Es ist der Traum, dass Menschen Irrtümer einsehen und eingestehen können, dass sie aus Fehlern lernen, dass sie umdenken können und neu anfangen.

Und es ist der Traum, dass sie sich an Gott erinnern und zu ihm hinwenden. Es ist der Traum von der großen Bekehrung.

Wo der Glaube wächst an den Gott, der alles neu und alles gut macht, da wachsen auch unsere Möglichkeiten, in dieser Welt vieles besser zu machen.

Die Mörder, Verbrecher und Terroristen, die Angstmacher und Menschenverächter, diejenigen, die vor zehn Jahren noch gefeiert haben, sie werden keine Zukunft haben.