Sonntag, 27. Mai 2012

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Sonntag, dem 27. Mai 2012

Einen wunderbaren Sonntagmorgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

vor ein paar Wochen habe ich ein paar Leute im Gottesdienst geschockt, als ich die Predigt mit zwei Witzen begann. Die meisten haben gelacht, aber zwei Leute haben mich hinterher angesprochen, weil sie peinlich berührt waren und es unpassend fanden, dass der Pfarrer im Gottesdienst Witze reißt.



Dabei war es kurz nach Ostern, und ich hatte mich auch an die Tradition des Osterlachens erinnert, wonach es in manchen Gegenden früher sogar Brauch war, dass Witze erzählt wurden, um die Leute zum Lachen zu bringen. Denn eigentlich sollte damit der Teufel ausgelacht werden, den Christus mit seiner Auferstehung besiegt und ausgetrickst und zum Gespött gemacht hatte.

Unabhängig von dieser geistlichen Bedeutung: Warum sollte im Gottesdienst nicht gelacht werden? Warum sollte der Gottesdienst nicht Spaß machen?


Irgendwie steckt das tief in uns drin: Kirche ist dunkel, kalt und sehr, sehr ernst. Hier spricht man nur im Flüsterton. Hier singt man nur alte, getragene Lieder. Hier geht es feierlich zu, aber nicht fröhlich.


Ich glaube, über solche traurigen und ernsten Gottesdienste, da lacht der Teufel – anstatt dass wir über ihn lachen.


Erinnert sich noch jemand an Weihnachten? Da waren die Worte des Engels: Siehe, ich verkündige euch große Freude!


Heute ist Pfingsten. Pfingsten war ein fröhliches Fest. Die Freunde Jesu waren völlig aus dem Häuschen vor Begeisterung. Sie waren fröhlich und mitreißend. Da sind die Leute hingegangen und haben geguckt und gestaunt, und manche sind dabeigeblieben. Aus ihnen ist die christliche Kirche entstanden, eine Gemeinschaft von lebensfrohen Menschen.


Ich bin froh, dass wir hier auf
Teneriffa meistens sehr fröhliche Gottesdienste feiern können, in denen auch mal ein Witz erzählt wird und wo die Leute fröhlich und begeistert dabei sind.


Ich wünsche Ihnen frohe Pfingsten!

Samstag, 26. Mai 2012

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

das Leben genießen – das war mein Thema in den vergangenen Tagen an dieser Stelle. Jeder muss zugeben, dass es Zeiten im Leben gibt, wo einem das nicht so gut gelingt: Tage, Wochen, Jahre, die einem schwer werden. Ich denke an Zeiten der Sorge, wo uns das Befinden von engen Angehörigen oder Freunden oder auch das eigene zu schaffen macht. Ich denke an Zeiten der Krankheit. Wenn es mich aus den Latschen haut und ich im Krankenhaus lande, ist die Lebenslust zweifellos beeinträchtigt; erst recht, wenn ich erfahren muss, dass die Aussichten auf Besserung nicht eben glänzend sind. Und dann ist da gar noch der Tod, der der Lebenslust völlig den Garaus zu machen droht. Neulich wurde ich zu einer Urlauberin gerufen, der ihr Mann auf der Liege am Pool weggestorben war. Da sind dann Sonne, Meer und Berge völlig egal.


Ebenso wenig wie ich die Welt zum Jammertal erkläre, wo alles nur furchtbar ist, möchte ich sie auf der anderen Seite zum Paradies verklären, wo alles nur schön und gut ist, wenn man nur versteht das Leben zu genießen.


Ich meine aber: Wir können das Leben anders, mehr genießen, wenn wir um seine Grenzen wissen. Wenn es mir gut geht, und ich weiß, es ist nicht selbstverständlich, dann kann ich um so dankbarer sein. Wenn ich weiß, die Tage meines Lebens sind gezählt, auch die Tage, die ich bei guter Gesundheit und geistiger und körperlicher Fitness verbringen darf, dann werde ich diese Tage um so dankbarer annehmen und um so bewusster genießen.


Und vielleicht habe ich bei all dem noch die wunderbare Gabe, auch mit und trotz Einschränkungen und Unvollkommenheiten das Gute sehen zu können. Ich kenne Menschen, die sagen: "Ich bin jetzt in die Achtzig. Es geht nicht mehr so. Meine Gesundheit lässt nach. Ich werde wohl auch nicht mehr lange zu leben haben. Aber ich bin dankbar, dass ich noch so fit bin, wie ich bin. Ich bin froh, dass man mir auch medizinisch so gut helfen kann, wie es eben geht. Und ich freue mich, dass ich noch immer vieles am Leben genießen kann: gutes Essen und Trinken und das geistreiche Zusammensein mit anderen. Und ich bin dankbar für das schöne, reiche, wunderbare Leben, das ich führen durfte."


Ob ich selber einmal zu solch einer dankbaren Haltung finden kann, wenn mir’s nicht mehr so gut geht, weiß ich nicht. Aber ich hoffe es und bete darum.

Freitag, 25. Mai 2012

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Freitag, dem 25. Mai 2012

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

ich muss Ihnen etwas gestehen: den täglichen Zündfunken, also diese kleine Radioandacht, die Sie gerade hören, verpasse ich selber meistens. Ich spreche sie ja auch nicht live, sondern habe sie schon vor ein paar Tagen aufgenommen. Und jetzt, während Sie das hören, schlafe ich noch oder stehe gerade erst unter der Dusche.

Ja, ich bin ein Morgenmuffel und Langschläfer. Jahrelang habe ich mich früh beizeiten aus dem Bett gequält und war dann am Vormittag doch meistens müde und unproduktiv. Ich kann mich erinnern, wie ich in der Schulzeit regelmäßig in der ersten Stunde eingeschlafen bin. Jetzt geht es mir da besser. Denn es fällt mir einfach viel leichter, abends neun Uhr etwas Produktives anzustellen als morgens neun Uhr.

Manche halten das für Fauhlheit und Charakterschwäche. Ich bin inzwischen froh, dass ich mich nicht aus dem Bett quälen muss, wenn hierzulande halb acht noch nicht mal die Sonne aufgegangen ist.


Manche halten Schlafen überhaupt für eine Charakterschwäche. Bewundert werden Menschen, die mit sechs oder fünf oder nur vier Stunden Schlaf auskommen – angeblich. Ich brauche meine sieben, acht Stunden, und wenn es mal neun sind, ist es auch nicht schlecht.


“Wer schläft, sündigt nicht”, sagt ein Sprichwort. Na also!


Wer schläft, erholt sich. Er tut sich und seinem Körper gut. Er nimmt im Traum eine andere Seite der Wirklichkeit wahr oder nimmt sich selbst anders wahr. Ich staune manchmal, wie viel Fantasie da nachts in mir aktiv ist.


Schlafen ist keine vertane Zeit, sondern geschenkte Zeit.


Und wer nicht schlafen kann, wer an Schlafstörungen leidet, der weiß erst recht, wie kostbar der Schlaf ist.


In der Bibel heißt es: “Ich liege und schlafe ganz mit Frieden, denn du allein, Herr, wachst, dass ich sicher ruhe.” – Gott gönnt uns unseren Schlaf. Gönnen wir ihn uns doch auch!

Donnerstag, 24. Mai 2012

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Donnerstag, dem 24. Mai 2012

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

wir leben nicht um zu arbeiten, habe ich gestern an dieser Stelle gesagt. Wir arbeiten um zu leben. Wir arbeiten, um Muße haben zu können, hätten die alten Griechen gesagt.


Ein interessantes Wort: Muße. Es bedeutet Nichts-Tun. Nichts bestimmtes. Einfach Zeit haben. Wenn ich Muße habe, schaue ich einfach aufs Meer und beobachte die Wellen und die Wolken. Vielleicht lese ich ein Buch. Vielleicht trinke ich einen Wein und rauche eine Zigarre. Vielleicht rede ich mit jemandem. Aber nicht, um etwas zu vereinbaren, nicht um ihn von etwas Wichtigem zu informieren, nicht um Geschäfte abzuschließen, sondern einfach nur um zu reden, weil wir uns mögen, weil wir Muße haben.


Wenn ich Muße habe, kommen mir die besten Ideen. Oft genug muss ich angestrengt nachdenken, was ich zu diesem oder jenem Anlass sage oder mache, welche Aktivitäten zu organisieren, welche Aufgaben zu erfüllen sind. Das macht Mühe und, was dabei herauskommt, ist unterschiedlich gut. Manchmal habe ich aber einfach Zeit und Muße, ich muss nichts planen oder organiseren und trotzdem oder gerade deshalb fällt mir etwas Tolles ein. Zeit haben, Muße haben, nichts zu müssen und alles zu können, das ist ein wunderbares Gefühl!


“Interesseloses Wohlgefallen” hat ein Philosoph das mal genannt, was ich mit Muße meine.


Wahrscheinlich ist es gar nicht so einfach, Muße zu finden, wenn man es gewöhnt ist, immer etwas zu tun. Und es ist auch nicht im Interesse der Freizeit- und Tourismusindustrie, die uns beschäftigen, uns animieren und mit uns Geld verdienen will, während wir einfach nur unsere Ruhe haben wollen, Muße eben.


Ich möchte Ihnen gerne Lust machen auf etwas Muße: Tun Sie einfach mal nichts, nehmen Sie sich nichts vor. Genießen Sie es, dass Sie da sind und das Leben schön ist!


Übrigens finde ich es wunderbar, dass Gott in seiner Schöpfung sogar ausdrücklich einen Tag für das Nichtstun, für die Muße vorgesehen hat. Und sogar er selber, Gott, soll am siebten Tag einfach nichts gemacht haben, nur geruht. Da können wir uns doch wirklich mal am lieben Gott ein Beispiel nehmen!

Mittwoch, 23. Mai 2012

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Mittwoch, dem 23. Mai 2012

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

“Arbeit war sein ganzes Leben.” – Es ist noch nicht so lange her, da war dieser Spruch noch öfter über Todesanzeigen zu lesen. Wie traurig, denke ich, wenn die Arbeit für jemanden der ganze Lebensinhalt war! Was war mit seiner Frau, mit seiner Familie mit seinen Kindern? Waren die nicht wichtig für ihn? Hatte er keine Freunde? Und wenn er schon keinen Urlaub machen konnte – in früheren Jahrzehnten mag das ja für manchen so gewesen sein –, hatte er nicht wenigstens mal Zeit spazierenzugehen oder auf ein Bierchen in die Kneipe?


“Arbeit ist das halbe Leben”, sagt man auch. Ja, das halbe von mir aus, aber nicht das ganze! Nur arbeiten bis zum Umfallen, das kann doch wirklich nicht alles sein!


Gewiss, Arbeit kann Freude mache, Arbeit kann mich erfüllen; Erfolg in der Arbeit tut gut; und plötzlich ohne Arbeit dazustehen, kann wirklich hart sein, nicht nur aus finanziellen Gründen. – Und trotzdem: Ich lebe nicht um zu arbeiten; ich arbeite um zu leben.


Ich leiste was, um mir was leisten zu können. Ich verdiene mir etwas, damit ich etwas zum Ausgeben habe.
Im Grunde genommen ist es eine Unverschämtheit, dass in Arbeitsverträgen steht, dass uns Urlaubstage zur Wiederherstellung unserer Arbeitskraft gewährt werden. Darf der Arbeitgeber vielleicht auch noch darüber bestimmen, was wir mit unserer arbeitsfreien Zeit anstellen? Haben wir sie gefälligst im Dienste der Wiederherstellung unserer Arbeitskraft zu verbringen? – Nein, Freizeit ist nicht nur Nicht-Arbeitszeit, sondern sie ist unsere Zeit, Zeit zum Leben, Zeit zum Genießen, Zeit um Spaß und Lebensfreude zu haben.
Statt “Arbeit war sein ganzes Leben” würde ich über einer Todesanzeige viel lieber lesen: “Er hatte Spaß am Leben.” oder “Er konnte das Leben genießen”.


Und dabei stelle ich mir vor, dass diejenigen, die das schreiben, sich gerne und dankbar an ihren Verstorbenen erinnern. Bei dem, dessen ganzes Leben nur Arbeit war, wäre ich mir da nicht so sicher.

Dienstag, 22. Mai 2012

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Dienstag, dem 22. Mai 2012

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

das Leben in vollen Zügen genießen – dazu möchte ich in dieser Woche Lust machen.


“Darf der denn das?”, fragen Sie? – “Der ist doch von der Kirche, und die von der Kirche wollen uns doch eher den Spaß am Leben vermiesen.” Viele denken so. “Die von der Kirche sind prüde, haben eine verstaubte Sexualmoral und machen dir ein schlechtes Gewissen, wenn du ein bisschen Spaß am Leben haben willst.”


Vor kurzem fragte mich eine Engländerin, ob ich als evangelischer Pastor denn Alkohol trinken dürfte. – Ich habe ihr von Martin Luther erzählt, der gern dem Bier und auch dem Wein zusprach und die Geselligkeit bei Tische schätzte.


In manchen evangelischen Gegenden war es früher verpönt, tanzen zu gehen oder Karten zu spielen. Überall witterte man die Sünde und den Teufel.


Leib- und Lustfeindlichkeit haben in der Tat eine lange Tradition in der Christenheit. Ein berühmter Kirchenvater war der Ansicht, die irdischen Dinge seien nicht zum Genießen da; man sollte sie nur gebrauchen, um dann die himmlischen Dinge genießen zu können.


Nächstenliebe war erwünscht, aber Selbstliebe galt als Egoismus.


Von diesem Irrweg sind wir inzwischen wohl abgekommen. Aber seine Nachwirkungen spüren wir noch. Wir spüren sie in Form des gepflegten schlechten Gewissens: Darf ich es mir denn einfach so gut gehen lassen, wenn es anderen schlechter geht? Soll ich fröhlich Sonne und Strand, Essen und Trinken, Lust und Liebe genießen, wenn doch ein paar hundert Kilometer weiter Afrika ist mit seiner Not, mit Menschen, die ums Überleben kämpfen, mit Hunger und Bürgerkriegen? Darf ich mich freuen, dass ich jung und fit bin, während Alte und Kranke, versteckt hinter Mauern in Pflegebetten dahindämmern?


Ich sage: Ja, ich darf. Wenn ich die anderen dabei nicht vergesse. Wenn ich mir selber bewusst mache, dass ich einfach gerade Glück habe, unverdientes Glück; ich könnte ja auch auf der anderen Seite leben. Aber, ich weiß nicht warum, ich habe Glück. Und dieses mein Lebensglück nicht zu genießen, das wäre Sünde, es wäre undankbar. Denn davon ginge es den anderen ja auch nicht besser. Nur mir ginge es schlechter.


Gott möchte, dass es Ihnen gut geht. Also lassen Sie es sich gut gehen!

Montag, 21. Mai 2012

Zündfunke (Rundfunkandacht) am Montag, dem 21. Mai 2012

Guten Morgen, liebe Hörerin, lieber Hörer,

wenn ich Sie persönlich ansprechen könnte, würde ich Sie zuerst fragen, warum Sie hier auf unserer Insel sind? – Um ein paar Tage oder Wochen Urlaub zu machen? Um sich zu erholen? Oder weil Sie sich irgendwann entschieden haben, hier zu leben? Vielleicht auch, weil Sie hier zu tun haben, weil Sie hier Arbeit haben? Weil hier Freunde sind? Weil es Ihnen hier gesundheitlich besser geht? Weil das Klima so mild ist, weil fast jeden Tag die Sonne scheint? Weil die Landschaft so fantastisch schön ist? Weil Meer und Berge immer in Reichweite sind? Weil das Leben hier ein paar Takte langsamer läuft als in der west-mitteleuropäischen Heimat? – Ja, es gibt viele Gründe, hier auf der Insel zu sein – ob für kurze oder für längere Zeit. Und die meisten Gründe haben damit zu tun, dass wir hier das Leben noch ein bisschen mehr genießen können als anderswo. Hier geht’s uns einfach besser.


Ich nehme mich da gar nicht aus. Natürlich bin ich als Pfarrer vor allem hier, um meine Arbeit zu machen. Doch ich hatte eben die Chance, hier zu arbeiten, wo es so schön ist, so warm und mild, wo das Leben etwas leichter ist und die Uhren etwas langsamer gehen; und diese Chance habe ich ergriffen. Ich genieße es, hier zu sein, und ich bereue es nicht, für einige Zeit auf dieser wunderbaren Insel zu leben.

Ich bin jeden Morgen froh, wenn ich auf unseren Balkon trete und das Meer sehe. Ich genieße die warmen Abende. Es macht mich glücklich, wenn ich zu Fuß in den Cañadas unterwegs bin oder am Strand die Sonne auf der Haut spüre. Und es tut gut, mit unseren neuen Bekannten und Freunden bei Fisch und Wein und guten Gesprächen beisammenzusitzen.


Mit gutem Gewissen das Leben genießen können, das ist ein großes Geschenk, eine Gabe Gottes.


Auch in der Bibel können wir das nachlesen, dass es Gott gefällt, wenn wir unser Leben genießen: Geh hin und iss dein Brot mit Freuden, trink deinen Wein mit gutem Mut; denn dies dein Tun hat Gott schon längst gefallen, heißt es zum Beispiel im Buch des Predigers Salomo.


Ich wünsche Ihnen, dass Sie gerade an diesem Tag heute etwas von dieser Lebensfreude, von Glück und Dankbarkeit spüren können.

Montag, 14. Mai 2012

Predigt am 13. Mai 2012 (Rogate)


Überarbeitete Fassung einer Predigt von 2006


Liebe Schwestern und Brüder,

am vergangenen Sonntag habe ich von Paulus und Silas erzählt, die in Philippi im Gefängnis saßen und zu nachtschlafener Zeit Gott Lobgesänge angestimmt haben. Und dann geschah das Wunder: Die Erde begann zu beben, die Türen sprangen aus ihren Schlössern und die beiden christlichen Missionare hätten seelenruhig aus dem Gefängnis spazieren können. – Wenn da nicht ein zu Tode erschrockener Kerkermeister gewesen wäre, der sich doch glatt das Leben genommen hätte, wenn Paulus nicht im letzten Moment aus der Gefängniszelle gerufen hätte: Tu dir nichts an, wir sind alle noch da! – Wenig später sehen wir einen zutiefst erschütterten Mann, der fragt: Was muss ich tun, damit ich gerettet werde? Die Antwort von Paulus und Silas war: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig! Sie sagten ihm das Wort des Herrn, er nahm sie mit zu sich nach Hause, wusch ihnen die Wunden von den Folterungen, die sie erlitten hatten, und dann ließ er sich und seine ganze Familie taufen.

Diese dramatische Geschichte ist eine wunderbare Illustration für das, was unser heutiger Predigttext sagt. Wir können es unter die Überschrift stellen: Beten öffnet Türen.


Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung! Betet zugleich auch für uns, dass Gott uns eine Tür für das Wort auftue und wir das Geheimnis Christi sagen können, um dessentwillen ich auch in Fesseln bin, damit ich es offenbar mache, wie ich es sagen muss.
Verhaltet euch weise gegenüber denen, die draußen sind, und kauft die Zeit aus. Eure Rede sei allezeit freundlich und mit Salz gewürzt, dass ihr wisst, wie ihr einem jeden antworten sollt.
Kolosser 4, 2-6



Beten öffnet Türen. – Das Lobgebet von Paulus und Silas hat offenbar viel bewirkt. Es hat die verschlossenen Gefängnistüren geöffnet und es hat gleich noch die Tür zum verschlossenen Herzen des Kerkermeisters geöffnet.

Und nun sitzt Paulus einmal mehr im Gefängnis, und wie es aussieht, öffnen sich die Türen diesmal nicht so schnell. Und so fordert er die Gemeinde in Kolossä zum Mitbeten auf – damit sich wiederum Türen öffnen: Betet zugleich auch für uns, dass Gott uns eine Tür für das Wort auftue und wir das Geheimnis Christi sagen können.

Beten öffnet Türen. Das gilt nicht nur für Gefängnistüren.

Beten öffnet Türen zu Gott. Wenn wir beten, dann öffnen wir uns selber für Gott. Wir öffnen unsere Herzen. Wir kommen aus unserer Verschlossenheit heraus. Wir lassen uns auf dieses große Gegenüber ein – auf Gott, unseren himmlischen Vater. Wir reden mit ihm. – Das ist ja so erstaunlich und wunderbar, dass der unendlich-ewige Gott für uns Menschen ansprechbar ist! Dass uns seine Türen offenstehen. Wir können jederzeit zu ihm kommen und sind ihm willkommen. – Stehen unsere Türen auch ihm offen? Ist er uns in unserem Leben willkommen? – Wir jedenfalls können zu ihm kommen und mit ihm reden, er hört uns zu. Wir können mit ihm reden, und er antwortet uns. – Hören wir ihm auch zu?

Hattest du schon mal das Gefühl beim Beten, dass da eigentlich gar keiner ist, mit dem du redest? Oder er hört gar nicht zu? Antwortet nicht auf dein Beten? – Dann frage ich dich: Wie viel Zeit beim Beten redest du und wie viel Zeit schweigst du, damit Gott zu dir reden kann? – Denn wenn Gott dir antworten soll, dann musst du auch hinhören. Und glaube mir, Gott hat mehr zu sagen, als du. Darum sollte deine Gebet zum größeren Teil aus Schweigen und Hören bestehen. So öffnest du Gott die Tür. Du öffnest dein Ohr, um auf ihn zu hören. Du öffnest dein Herz für die Eindrücke seiner Liebe.

Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm, schreibt der Apostel. Ein Wächter zeichnet sich aus durch offene Sinne: offene Augen, offene Ohren, dass er gleich mitbekommt, wenn was passiert. Im Gebet Wachen – das meint diese geistliche Aufmerksamkeit: mit offenen Sinnen auf Gott ausgerichtet sein.

Am besten immer! – Das ist ja das Gute, dass Gott immer für uns da ist. Wir können immer zu ihm kommen, uns beständig auf ihn ausrichten. Bei der Arbeit, im Gespräch, wo immer ich bin, was immer ich tue, kann ich mit meinem Herzen doch bei Gott sein. Einen Gedanken als Gebet zu ihm schicken. Ihn mit einbeziehen. Und so kommt auch umgekehrt Gott bei uns zu Wort.

Beten ist beides: Reden und Hören, Geben und Empfangen. Es öffnet unsere Türen für Gott.

Bei Paulus und Silas im Gefängnis hat das Gebet eben nicht nur die Gefängnistüren geöffnet. Schon zuvor waren die Herzen dieser beiden ganz offen für Gott. So konnten sie überhaupt Gott loben und danken in dieser üblen Situation. Das Gebet hat ihren Blick verändert. Sie waren nicht mehr von den äußeren Umständen bestimmt, sondern davon, dass Gott ihrem Herzen viel näher war als die Kerkermauern.

Beten öffnet Türen zu Gott. Beten öffnet auch Türen zu den Menschen.

Paulus erwartet nicht, dass die Kolosser dafür beten, dass Gott ihm die Gefängnistüren wieder öffnet, sondern dass Gott ihm eine Tür für das Wort auftue – so schreibt er. Denn Gottes Wort soll offene Türen bei den Menschen finden. Nicht, dass Paulus selber die körperliche Freiheit wiedererlangt, ist ihm wichtig, sondern dass das Wort Gottes frei und ungehindert zu den Menschen gelangt. Im Fall des Kerkermeisters von Philippi traf sich beides glücklich. Die Gefängnistüren öffneten sich und eben dadurch öffneten sich auch die Herzenstüren des Gefängnisaufsehers. – In einem anderen Gefängnisbrief kann Paulus geradezu das Gegenteil berichten; vor einigen Wochen haben wir es gehört, wie er im Philipperbrief schreibt: Wie es um mich steht, das ist nur mehr zur Förderung des Evangeliums geraten. Denn dass ich meine Fesseln für Christus trage, das ist im ganzen Prätorium und bei allen andern offenbar geworden und die meisten Brüder in dem Herrn haben durch meine Gefangenschaft Zuversicht gewonnen und sind um so kühner geworden, das Wort zu reden ohne Scheu. – Da hat sich gerade dadurch, dass die Gefängnistüren verschlossenen waren, eine andere Tür für das Wort Gottes aufgetan.

Das ist auch ein Beispiel dafür, wie unterschiedlich Gott Gebete erhören kann. Beten heißt ja nicht, Gott in eine bestimmte Richtung zu drängen oder gar ihn zu etwas zu bewegen, was er selber nicht möchte. Beten heißt doch vielmehr: sich öffnen, offen werden für die Wirkungsmöglichkeiten Gottes. Wir wissen nicht, wie Gott unsere Gebete erhört, aber wir dürfen gewiss sein, dass er sie erhört.

Dieses Anliegen, dass sich für das Wort Gottes Türen zu den Menschen öffnen, ist Gottes eigenes Anliegen. Wenn wir ihn darum bitten, wenn wir uns im Gebet mit ihm eins machen darüber, dann wird er es auch tun. Heute wie damals. – Die Frage ist nur: Ist uns das überhaupt selber noch ein Herzensanliegen?

Beten heißt gewiss nicht, die gefalteten Hände in den Schoß legen und Gott einfach machen lassen. Durch unser Gebet öffnen sich auch Türen für uns, Türen, durch die wir hindurchgehen können und sollen, Türen zu unseren Mitmenschen.

Damit hängt der zweite Teil unseres kurzen Predigttextes zusammen: Verhaltet euch weise gegenüber denen, die draußen sind, und kauft die Zeit aus. Eure Rede sei allezeit freundlich und mit Salz gewürzt, dass ihr wisst, wie ihr einem jeden antworten sollt. – Es geht darum, dass zwischen Drinnen und Draußen, zwischen Christen und Nichtchristen, zwischen Kirche und Welt die Türen nicht verschlossen sind. Sie sollen offen sein, damit das Wort Gottes, das Geheimnis Christi, durch uns nach außen dringt zu den Menschen, die ihn nicht kennen oder ihm nicht glauben. Es geht darum, dass wir einladend leben und nicht abschreckend. Es geht darum, dass wir in der Lage sind, von unserem Glauben und unserer Hoffnung Rechenschaft zu geben. Dabei muss keiner von uns – höchstens ich – hoch gebildete theologische Erklärungen abliefern können. Aber wir sollten doch wenigstens, wenn wir gefragt werden, was wir glauben und was wir davon haben, dass wir glauben, um eine Antwort nicht verlegen sein. Denn diese Antwort, die hast du doch selber schon gefunden für dein Leben, lieber Bruder, liebe Schwester – oder nicht?

Freundlich und mit Salz gewürzt sollen unsere Antworten sein. Nicht fade, nicht süßlich, nicht gepfeffert, sondern herzhaft und schmackhaft. Durch unser Reden den Glauben schmackhaft machen. Und nicht nur durch unser Reden. Antwort geben können ist wichtig. Aber so leben, dass wir nach Antworten gefragt werden, auch. – Bei uns als einzelnen Christen öffnen sich die Türen zu den anderen Menschen hin, die Türen für das Wort Gottes. Durch gezielte kirchliche Veranstaltungen oder Evangelisationen kommen viel weniger Menschen zum Glauben als durch das glaubwürdige Leben anderer Christen. Da, zwischen Mensch und Mensch müssen sich die Türen öffnen.

Und der Schlüssel für diese Türen ist wiederum das Beten. Weil wir im Beten hören und uns selber auf Gott einstellen und ausrichten, so dass er durch uns zu den Menschen kommen kann. Wenn er eine offene Tür zu unserem Herz findet, dann tut er bei uns auch die Tür nach der anderen Seite, zu unseren Mitmenschen auf.

Beten öffnet Türen. Mögen wir das immer wieder erfahren.

Sonntag, 6. Mai 2012

Predigt am 6. Mai 2012 (Kantate)

Nachdem man Paulus und Silas in Philippi hart geschlagen hatte, warf man sie ins Gefängnis und befahl dem Aufseher, sie gut zu bewachen. Als er diesen Befehl empfangen hatte, warf er sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Block.
Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und die Gefangenen hörten sie. Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, so dass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öffneten sich alle Türen, und von allen fielen die Fesseln ab.
Als aber der Aufseher aus dem Schlaf auffuhr und sah die Türen des Gefängnisses offen stehen, zog er das Schwert und wollte sich selbst töten; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen. Paulus aber rief laut: "Tu dir nichts an; denn wir sind alle hier!" Da forderte der Aufseher ein Licht und stürzte hinein und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen.
Und er führte sie heraus und sprach: "Liebe Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde?" Sie sprachen: "Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig!" Und sie sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Haus waren. Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht und wusch ihnen die Striemen. Und er ließ sich und alle die Seinen sogleich taufen und führte sie in sein Haus und deckte ihnen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben an Gott gekommen war.
Apostelgeschichte 16, 23-34





Liebe Schwestern und Brüder,

wenn ich singe, geht’s mir gut. Meistens. Wenn ich gut aus dem Bett gekommen bin, singe ich unter der Dusche. Wenn die Sonne scheint und die Arbeit gelingt, wenn ich draußen unterwegs bin und mich gut fühle, wenn es zwischen meiner Frau und mir stimmt, wenn mich jemand gelobt hat.

Wenn mir's nicht so gut geht, dann ist da meistens auch keine Melodie in meinem Sinn, die da irgendwie über meine Lippen wollte. Zum freiwilligen Singen muss man irgendwie schon in der richtigen Stimmung sein.
Ich denke mal, den meisten Menschen geht es so ähnlich.

Das ist auch die biblische Normaltheologie: Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen. So heißt es im Jakobusbrief (Jakobus 5, 13). Not lehrt beten, Glück lehrt singen.

Dagegen ist es mehr als normal, auffällig und eindrücklich, wenn auch in der Not, im Unglück gesungen wird. Gewiss, es gibt Klagelieder und Trauergesänge; aber es gibt auch Lobgesänge aus tiefer Not.

Merkwürdigerweise sind mir zwei Beerdigungsfeiern aus meiner Pfarrerzeit in Deutschland besonders im Gedächtnis haften geblieben – zwei Beerdigungsfeiern nämlich, in denen wir auf ausdrücklichen Wunsch der Angehörigen Loblieder gesungen haben: Dir, dir o Höchster will ich singen und Großer Gott, wir loben dich (Dass es genau diese Lieder waren, wusste ich nicht mehr, das gebe ich zu, ich habe gestern nachgesehen. Aber ich wusste eben noch genau, bei welchen Beerdigungen ich nachsehen musste.) Manchmal möchten Angehörige, dass zu Trauerfeiern gar nicht gesungen wird; weil ihnen ja die Töne im Hals stecken bleiben in ihrer Trauersituation. Hier war es anders. Nicht, dass da keine Trauer war. Aber es war da noch etwas Größeres: Dankbarkeit, Gottvertrauen, Gewissheit der Erlösung und darin dann auch Trost.

In unserem Abschnitt aus der Apostelgeschichte ist es ein bisschen ähnlich. Paulus und Silas, der Apostel und sein Mitarbeiter, sind gerade erst auf europäischem Boden angekommen, haben eine Frau bekehrt und eine andere von ihrer dämonischen Besessenheit befreit, und schon hat man sie verhaftet, ausgepeitscht und ins Gefängnis geworfen. – Sackgasse, Ende, Aus. Eigentlich zum Verzweifeln.

An Gott gedacht und gebetet hätte ich schon in dieser Situation, aber eben geklagt und um Hilfe gefleht. Paulus und Silas aber machen was anderes: Sie singen Lobgesänge, dort in der hintersten Zelle: Dir, dir o Höchster will ich singen oder Großer Gott, wir loben dich oder Lob Gott getrost mit Singen. Natürlich gab's diese Lieder noch nicht. Aber andere Lieder in genau dem gleichen Sinne. Lobpreiszeit um Mitternacht im Gefängnis von Philippi – das hatte es noch nie gegeben. Konzert im Knast. Und die Mitgefangenen hören zu. – Lukas, der geschickte Erzähler der Apostelgeschichte sagt uns mit keinem Wort, was das mit ihnen macht. Wir dürfen es uns mit unserer Fantasie vorstellen …

Wer von euch letzte Woche hier war, erinnert sich vielleicht, dass ich über das sichtbare Äußere und das unsichtbare Innere gesprochen habe. Wir Menschen sind so gestrickt, dass wir immer das, was wir gerade sehen und erleben für das Wahre halten. So könnten Paulus und Silas auch allein das Gefängnis, die Dunkelheit, die feuchte Zelle, die Folterschmerzen für die ganze Wahrheit halten und daran verzweifeln. In ihnen aber ist eine andere, eine tiefere Wahrheit: die Gewissheit des Glaubens: Wir sind ja um Gottes Willen hier, im Auftrag Jesu. Uns kann innerlich nichts geschehen, was auch äußerlich mit uns geschieht. Und auch dem Evangelium, der guten Nachricht von Jesus kann nichts geschehen. Sie wird von Jesus dem Auferstandenen selber in die Welt getragen, egal wie es uns gerade äußerlich ergehen mag. – Eine solche gelassene Haltung mag uns erstaunlich und bewunderungswürdig erscheinen – oder auch ein bisschen verrückt; sie hat aber viel für sich. Gottes Wort ist frei; es lässt sich nicht einsperren. Gottes Macht endet nicht an verschlossenen Gefängnistüren.

Das alles, vielleicht aber auch die gute Gewohnheit, täglich ein Danklied zur Nacht zu singen, lässt Paulus und Silas Gott loben auch in einer Situation, die wir eigentlich nicht loben mögen. Aber wir sollen ja auch nicht die Situation loben, sondern Gott den Herrn, der darübersteht.

Dass er darübersteht, dass seine Macht nicht an verschlossenen Gefängnistüren endet und auch nicht an verschlossenen Herzenstüren, zeigt der Fortgang der Geschichte.

Nein, man wird nicht sagen dürfen, dass Gott deshalb das Erdbeben geschickt hat, weil Paulus und Silas ihm so unbeeindruckt Loblieder gesungen haben. Aber man wird sagen müssen, dass sie Recht hatten, Gott zu loben. Denn am Ende macht er immer etwas Gutes und Lobenswertes draus, aus jeder Situation. Die folgenden Ereignisse bestätigen das nur.

Das größte Wunder ist dabei nicht die Gefangenenbefreiung durch ein Erdbeben. Man könnte dieses Wunder ja sogar als einen Zufall abtun. Und außerdem: wenn man die Geschichte weiter liest, wären die beiden sowieso am nächsten Tag freigekommen. Nein, das größte Wunder, das eigentliche Wunder ist die Verwandlung, die sich im Herzen des Kerkermeisters vollzieht.

Erst ist er, wir wissen nicht ob pflichtbewusst oder lustvoll, dabei, als die Gefangenen gefoltert und in den Hochsicherheitstrakt gesperrt werden. Dann erschrickt er sich derartig, dass er sich gleich selbst entleiben möchte. Ich stelle ihn mir als ein armes Würstchen vor, das seine begrenzte Macht über wehrlose Gefangene auskostet, aber in Panik ausbricht, als sie auszubrechen drohen. Sein Gefängnis ist sein Lebensinhalt, an seinem traurigen Job hängt sein Lebensglück. Er ist der eigentliche Gefangene seines Gefängnisses. Die Gefangenen kommen irgendwann wieder frei; aber er muss bleiben. Er ist ein Mensch, der im Gegensatz zu den beiden christlichen Missionaren, die ihm da eingeliefert worden sind, völlig auf die Äußerlichkeiten fixiert ist. Scheitert er im Job, dann ist sein ganzes Leben gescheitert. – Wie arm!

Ja, das größere Wunder, das eigentliche Wunder ist es, dass sich dieses Leben von einem Moment auf den anderen umkehrt.

Und es ist nicht das Erdbeben, das die größte Erschütterung in ihm auslöst. Am meisten erschüttert ihn, dass die Gefangenen noch da sind. Das liegt jenseits seines Horizontes. Was geht in denen vor, dass sie nicht einfach abhauen? – Er entdeckt, dass es Menschen gibt, denen anderes wichtiger ist als das Äußere – das äußere Wohlbefinden, die äußere Freiheit. Im Knast sitzen zu bleiben, obwohl die Türen offenstehen, das ist innere Freiheit!

Der Kerkermeister ist erschüttert: Liebe Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde? – Was für eine Frage! Was für eine Einsicht in diesem Moment: Ich bin verloren, ich brauche Rettung! Was für eine Umkehr der Verhältnisse: Der sich eben noch ganz groß vorkam gegenüber den gefesselten Gefangenen, ist auf einmal ganz klein und spricht sie mit Liebe Herren, an. Und das ist nicht einfach das Wort für „Señores, meine Herren!“, es ist die Anrede, die für ganz hohe Beamte, für den Kaiser und für die Götter vorbehalten war.

Dieser Mann ist zutiefst erschüttert. Er spürt, dass sein Leben nicht mehr stimmt, dass es noch nie gestimmt hat, dass es ein Leben an der Oberfläche war, ein kleines, ekliges Kerkermeisterleben, gefangen in den Zwängen seines sicheren Jobs, der auf einmal gar nicht mehr sicher erscheint. Es muss mehr geben, und dieses Mehr spürt er ganz deutlich bei diesen Herren, die nachts im Gefängnis Loblieder singen und bei geöffneten Zellentüren seelenruhig sitzen bleiben. Es muss mehr geben als die oberflächlichen Äußerlichkeiten.

Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus gerettet! – Da ist sie, die gute Nachricht, für die Paulus und Silas unterwegs sind, auch schon mal ins Gefängnis gehen. Die gute Nachricht für die, deren Leben an der Oberfläche festklebt, die nach der Tiefendimension suchen.

Du kannst, du sollst dich auf den Herrn Jesus – er ist in Wirklichkeit der Herr, nicht Paulus oder Silas oder irgendwelche andere Herrschaften – auf den Herrn Jesus einlassen. Ihm vertrauen. Er gibt deinem Leben Tiefe. Er gibt deinem Leben Freiheit. Er gibt deinem Leben Gott.

Der Gefängnischef tut es. – Eine astreine Bekehrungsgeschichte. Lebensänderung ist möglich. Auch am Höhepunkt – oder am Tiefpunkt der Karriere.

Dass da wirklich etwas anders geworden ist, schlagartig, das merken wir an seinem Verhalten: Er kümmert sich um die, die eben noch seine Gefangenen waren, versorgt ihre Wunden und lädt sie zum Essen ein. Und er lässt sich taufen – mit allen, die zu seinem Haushalt gehören: Frau und Kinder und vielleicht noch ein, zwei Sklaven. – Ich staune, wie schnell und leicht das damals ging.

Am Ende heißt es: Er freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben an Gott gekommen war. – Am Ende ist Freude. Und Freiheit. – Wie das mit seinen Gefangenen und mit seinem Gefängnis weitergehen mag, interessiert ihn jetzt nicht mehr sonderlich. Er ist nicht mehr der Gefangene seines Gefängnisses. Er hat die Tiefendimension seines Lebens gefunden.

Und Freude: Ich stelle mir vor, wie er von Paulus und Silas die Lobpreislieder lernt, die da in der finsteren Gefängnisnacht erklungen waren. Ihm geht’s gut. Er kann jetzt singen. Und vielleicht, vielleicht singt er auch noch, wenn es mal wieder schwierig wird. Denn Gott ist doch da in seinem Leben, und deshalb, so weiß er, wird Gott am Ende etwas Lobenswertes aus seinem Leben gemacht haben. Auf jeden Fall! Amen.